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202102

27. Mai 2021

Deutschland will Atommacht sein

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

atomwaffenfrei

Ein- und Ausblick der Proteste am Atomwaffenstandort in Büchel

Von Marion Küpker

Trotz Corona gelang es uns im letzten Jahr – gemeinsam mit der bundesweiten Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetztund Ican – eine breite politische Diskussion über die gefährliche nukleare Abschreckungspolitik der Nato bezüglich der in Büchel stationierten US-Atomwaffen zu führen. AkteurInnen der Friedensbewegung thematisierten im letzten Juni diese Abschreckung durch eine regionale Zeitungsanzeige: „Tornado-Appell“ an die Bücheler Tornado-Piloten zur Verweigerung der nuklearen Teilhabe. 

Auch in den Zivilen-Ungehorsams- Gerichtsprozessen wegen der Go-In- Aktionen in den Atomwaffen-Stützpunkt Büchel von mehr als 40 Angeklagten wurde letztes Jahr in den rheinland-pfälzischen Städten Cochem und Koblenz wieder und wieder die illegale d.h. völkerrechtswidrige nukleare Teilhabe, die illegale Atomwaffen-Stationierung, die illegale Abschreckungspolitik sowie die humanitären Folgen eines jederzeit möglichen Atomkrieges eingebracht. Sieben AktivistInnen reichten Verfassungsbeschwerden ein, die allerdings nicht zur Entscheidung angenommen wurden. Weitere folgen dieses Jahr. Dahinter steht die Hoffnung, das internationale Völkerrecht zur Anwendung zu bringen, was von den Gerichten bisher nicht berücksichtigt wird, obwohl es unserem deutschen Recht übergeordnet ist. Der historische Atomwaffen-Verbotsvertrag bietet uns nun bei den neuen Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eine stärkere Ausgangsposition. 

Atomwaffen-Verbotsvertrag.

Mit weit über 100 Aktionen wurde am 22. Januar in Deutschland das Inkrafttreten des internationalen Atomwaffen-Verbotsvertrages gefeiert. 

Durch das Inkrafttreten ist der Verbotsvertrag völkerrechtlich gültig, d.h. nach internationalem Recht gelten Atomwaffen nun explizit als verboten. Allerdings sind die Bestimmungen nur für die Vertragsstaaten bindend, was aber auch die vertragsunterzeichnenden Staaten miteinbezieht, die den Vertrag bisher noch nicht ratifiziert haben, d.h. er gilt für 138 Staaten! Der Handlungsspielraum der Atommächte wird damit immer enger. 

Einige Finanzinstitute haben Ethikregeln, an denen sie sich nun messen lassen müssen, falls sie Konzerne, die Atomwaffen (Teile und Tägersysteme etc.) produzieren, finanzieren. Auch dürfen laut Vertrag diese als „kontrovers“ bezeichneten Waffen in den 138 Vertragsstaaten nicht mehr produziert werden. 

Der Druck auf unsere Regierung muss jetzt weiter ausgebaut werden, damit auch ein Beitritt Deutschlands erfolgen kann.

Neuentwicklungen in Büchel

Trotz des Verbotsvertrages soll der Atomwaffen-Stützpunkt Büchel nun von Juni 2022 bis Januar 2024 für 259 Millionen Euro ausgebaut werden. Dasselbe geschieht an allen europäischen Atomwaffen-Standorten, die zur nuklearen Teilhabe gehören, also in Belgien, den Niederlanden, in Italien und z.T. in der Türkei. 

Diese Baumaßnahmen dienen der Vorbereitung der Stationierung der neuen US-Atombomben vom Typ B61-12, die ab Ende des Jahres in den USA produziert werden. Nach Fertigstellung der Umbauten sollen die alten Atombomben vom Typ B61 gegen die neuen B61-12 ausgetauscht werden. Der Bauplan beinhaltet den Ausbau der Startbahn sowie die Modernisierung der Atomwaffen-Infrastruktur. So sollen die Spezialbehälter in den Flugzeug-Hangars, wo die ca. 20 Bomben eingelagert sind, erneuert werden. 

Zusätzlich steht die Entscheidung über die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge aus den USA an, die mit 8 Milliarden Euro veranschlagt ist. Es sei denn, die Laufzeit des 40 Jahre alten Tornado-Kampfjets wird weiter verlängert. Der eigentliche Plan ist, das deutsch-französische Kampfflugzeug FCAS (Future Combat Air System), das aktuell entwickelt wird, anzuschaffen. Das neue US-Kampfflugzeug wäre nur als Zwischenlösung gedacht. Unsere Proteste sind am Standort Büchel daher bedeutender denn je, um diese Planungen zu durchkreuzen!

EU-Atomkamfflugzeug FCAS

Die Bundesregierung will mit Frankreich und Spanien noch in diesem Jahr das neue nuklearfähige Mehrfachkampfflugzeug FCAS auf den Weg bringen, um das Projekt unumkehrbar zu machen. Das neue Kampfflugzeug schreibt die umstrittene nukleare Abschreckung auf Jahrzehnte fort und frisst viele weitere Milliarden an Geldern. 

Das FCAS soll als halbautonomes Waffensystem mit Eurodrohnen vernetzt ab 2040 einsatzfähig sein und auch die in Büchel gelagerten US-Bomben tragen können. 

Klima und Atombomben-Trägerflugzeug

Allein die neuen 45 US- Kampfjets A 18, die Annegret Kramp- Karrenbauer für 10 Milliarden US-Dollar in den USA für die Atombomben in Büchel einkaufen möchte, zeigen – milde ausgedrückt – ihre Klima-Blindheit. 

Der bisherige Tornado-Kampfjet  wird seit 1985 in der Eifel eingesetzt. Die CO2-Belastung je Flugstunde liegt beim Tornado-Kampfflugzeug bei 12 Tonnen. Die Bücheler Atombomben-Piloten vom Luftwaffengeschwader 33 erreichten im April 2019 nach 34 Jahren ihre 200 000ste Tornado-Flugstunde. Das haben sie in Büchel medienwirksam gefeiert, d.h. allein die alten Atombomberjets haben bis heute, nach 35 Jahren, ca. 2,5 Millionen Tonnen CO2 in unsere Umwelt geblasen. Die Zusammenarbeit mit Fridays for Future ist hier sehr wichtig, da auch die militärischen Flüge in die Klimabilanz miteinbezogen werden müssen. Sie tragen eine erhebliche Mitverantwortung für den Klimawandel und gehören abgeschafft. 

Planungsstand der Büchel-Proteste 2021

Die Kampagnenplanung des Trägerkreises Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen! sieht für die Aktionen in Büchel derzeit folgendermaßen aus: 

Anfang Juli bis zum 9. August soll es wieder ein sechswöchiges Camp für Aktionsgruppen in der Nähe des Bücheler Haupttores geben. 

Verschiedene Gruppen sind schon im Vorfeld aktiv:

Am 13. Juni ist der Aktionstag der Naturfreunde in Büchel.

Der 16. Juni ist der 25. Jahrestag des Beginns der Proteste in Büchel. Eine Ausstellung soll am 16. Juni am Haupttor des Fliegerhorstes Büchel erstmalig gezeigt werden (s.u.). 

Der Pacemakers-Radmarathon plant am 17. Juni in Büchel zu sein.Am 3. Juli soll nach aktuellen Planungen der ökumenische Aktionstag stattfinden.Die IPPNW hat ein Camp für den 6.-11. Juli angemeldet.Vom 12.-20. Juli findet die Internationale Woche der GAAA statt.Vom 24.- 27. Juli sind die Quäker in Büchel.Den Abschluss der Aktionspräsenz bildet auch 2021 das öffentliche Fasten des regionalen Initiativkreis gegen Atomwaffen (Versöhnungsbund) am Nagasaki-Gedenktag, dem 9. August Es finden regelmäßig weitere Gerichtsprozesse in Cochem und Koblenz statt.

Corona kann Änderungen bewirken. Schaut deswegen zeitnah in den Terminkalender: https://bit.ly/3treVWE

25 Jahre Proteste gegen Atombomben in der Eifel

Zum 25. Jahrestag der Proteste in Büchel plant die Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt eine Ausstellung, die ab Juni der Friedensbewegung auch überregional zur Verfügung gestellt werden soll. 

Hier ein kleiner Einblick in die Anfangsgeschichte der Anti-Atomwaffen-Bewegung in Büchel:

„Vor 25 Jahren, am 16. Juni 1996, fand unsere erste Protestaktion am Atomwaffen-Stützpunkt Büchel statt:

Rund 80 Mitglieder der Atomteststopp-Kampagne führten eine gewaltfreie Sitzblockade am Haupttor des Fliegerhorstes Büchel durch und zogen von dort in einer Demonstration zum 2,5 KIlometer entfernten Atombomben-Außendepot.

Das einzige Tor dieses Depots wurde mit einer mitgebrachten schweren Eisenkette verschlossen („Schließung eines Atomwaffenlagers“). Hier schritten weder Polizei noch Bundeswehr oder Wachschutz ein. Der Schlüssel, mit dem das Tor verschlossen wurde, wurde am nächsten Tag dem Bürgermeister von Büchel auf einem roten Samtkissen überreicht. Mitaufrufer dieser Aktionen war der noch junge bundesweite Trägerkreis (1994) Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!“

Höhepunkt Menschenkette – „Save the date!“

Für Sonntag, den 5. September, ist eine Menschenkette geplant: Über 3,5 Kilometer soll die Kette vom Ortskern Büchel auf dem Fahrradweg entlang der Bundesstraße bis hin zum Haupttor des Atomwaffen-Fliegerhorstes Büchel, gehen. Dieser Menschenketten-Termin liegt drei Wochen vor der geplanten Bundestagswahl am 26. September, auf die wir Druck ausüben wollen. 

Bitte meldet Euch bei Interesse an per E-Mail: info@atomwaffenfrei.jetzt

Marion Küpker ist Sprecherin der „Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“, Internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen sowie Friedensreferentin zu Atomwaffen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbunds.

Kategorie: Atomwaffen Stichworte: 202102

27. Mai 2021

Buchbesprechung

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Literatur

Kleine Geschichte der Protestmusik

Findus: Geschichte der Protestmusik. Von Katzenmusik bis K-Pop. Heidelberg 2021; 52 Seiten; 8,90 Euro (zzgl. Versandkosten). Erschienen im Verlag Graswurzelrevolution; ISBN 978-3-939045-43-4; bestellbar (auch) über www.graswurzel.net/gwr/buchverlag

Mit Namen soll man ja eigentlich nicht spielen, aber hier ist das angemessen und sinnvoll: Findus liefert mit diesem Buch einen schier unerschöpflichen Fundus, auch wenn er diesen als lediglich „kleine“ Geschichte der Protestmusik bezeichnet.

Er, Findus, ist den ZivilCourage-LeserInnen wohlbekannt, zeichnet er doch seit mittlerweile vielen Ausgaben die jeweils auf der Rückseite veröffentlichten Karikaturen (ehrenamtlich übrigens, wie an dieser Stelle wenigstens einmal dankbar und dankend vermerkt sei!).

Mit diesem äußerlich schmalen, inhaltlich reichhaltigen Buch legt er nun einen Streifzug durch, wie er in der Einleitung schreibt, „emanzipative Momente der Populärmusik“ vor. „Von Katzenmusik bis K-Pop“, wie der Untertitel verheißt, geht es dann zunächst um „Protestmusik in Deutschland“, von der „Katzenmusik“, die in der ersretn Hälfte des vorvergangenen Jahrhunderts „eine populäre Form des politischen Protests darstellte“, über Arbeiterchöre, antifaschistische Protestmusik, die „Liedermacher*innenszene“, Politrock, deutschsprachigen Punk bis zu „deutschsprachiger Musik im Protestmodus und im Widerstandsmodus“ (Stichwort: „Lebenslaute“) bis hin zu Hip Hop.

Der zweite Teil widmet sich der Protestmusik in den USA mit bekannten (Woody Guthrie etc.) und (mir) unbekannten AkteurInnen (z.B. Bikini Kill). 

Im dritten Teil schließlich geht es um Protestmusik weltweit, um „Jamaika, Bob Marley und der Reggae“, um „Fela Kuti und arabischen Rap“ und und und…

Zum Musikstil, den InterpretInnen und dem politischen Hintergrund gibt es jeweils einen kurzen und informativen Text – und natürlich sehr viele Zeichnungen.

Das Buch macht große Lust aufs Blättern und dann vielleicht auch Hören – und das Kennenlernen neuer musikalischer Protestformen.

Stefan Philipp

Kategorie: Literatur Stichworte: 202102

27. Mai 2021

„Was macht eigentlich unser politischer Geschäftsführer?“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

DFG-VK-Info

Die Kolumne von Michael Schulze von Glaßer

Dankeschön! In meiner letzten Kolumne hatte ich gefragt, ob die DFG-VK nicht auch neben der politischen Arbeit direkter gegen Krieg und seine Auswirkungen aktiv werden sollte. Ich hatte diese Frage anhand des aufkommenden Problems der durchrostenden Weltkriegs-Munition, die Nord- und Ostsee zu verseuchen drohen, gestellt – und mich haben dazu mehrere E-Mails und Kommentare erreicht.

Einige berichteten von eigenen lokalen Erfahrungen mit Weltkriegsbomben, die in ihrer Region geräumt werden mussten, und dabei in der öffentlichen Berichterstattung nie der Zusammenhang zum „Krieg“ als Ursprung dieser noch immer gegebenen Gefahr – und Umweltkontamination – benannt wurde: „Ja, das sind unsere Baustellen – an der Ostsee und überall dort, wo Bomben entschärft werden müssen“, schrieb mir eine Aktive vom Niederrhein. Auch jemand aus Frankfurt am Main machte den Vorschlag, das Thema mit der aktuellen Aufrüstung des Militärs zu verbinden: „Ich denke, da liegt ein wirklich weites und sehr sinnvolles konkretes Arbeitsfeld vor uns.“ Die Aktive machte aber auch darauf aufmerksam, dass es natürlich nicht einfach ist, Munitionsaltlasten zu räumen. Das betonte auch ein aktives Mitglied aus der Oberpfalz: „Die Konversion eines Truppenübungsplatzes bedarf der ganz konkreten Verwaltungs- und Planungsarbeit von hunderten Bürokraten und Ingenieuren.“ Im März kam die „Munition im Meer“ auch bei einem Seminar von „CampaPeace“, der von der DFG-VK geförderten Ausbildung von Campaigner*innen, mehrfach zur Sprache: Das Thema würde sich gut für eine Kampagne anbieten – es öffnet sich dazu gerade ein „window of opportunity“.

Im April lief ein Forschungsschiff aus, um das Wrack des Kriegsschiffs „SMS Mainz“ vor Helgoland auf Munitionsreste zu untersuchen – Medien berichteten ^darüber. Und im Entwurf des Wahlprogramms der Grünen findet sich das Thema auch wieder. Die „Munition im Meer“ kommt auf die politische Tagesordnung. Die Mitteilungen, die mich erreicht haben, bestärken mich darin, dass die DFG-VK dieses Thema angehen sollte. Wie sehr – ob wirklich bis hin zur (zumindest Unterstützung der) Räumung –, sollte aber nochmal in einem größeren Kreis diskutiert werden. Zumindest sollte sich unser Verband aber schon einmal zu dem Thema äußern und öffentlich Stellung beziehen!

Problematische Pandemiebekämpfung durchs Militär

Aktuell beschäftigt die Menschen aber natürlich vor allem die Pandemie. Dazu möchte ich dieses Erlebnis teilen: Im März habe ich meine in einem Altenheim in Kassel lebende ehemalige Nachbarin besucht. Zuvor musste ich einen Schnelltest machen. Der wurde von Soldaten durchgeführt. Das gefiel mir nicht – aber eine andere Option gab es in dem Moment leider nicht. Ich nutzte die Gelegenheit, ein paar Fragen zu stellen. Einer der Soldaten erzählte, er und sein Kamerad würden seit Wochen in einem winzigen Raum hocken und Menschen testen – es sei aber das Sinnvollste, das er in seinen vielen Jahren bei der Bundeswehr je gemacht habe.

Ich hatte schon häufiger gelesen, dass Soldat*innen ihren Einsatz in der Pandemie im Gegensatz zu ihrem normalen Dienst als sehr sinnvoll empfinden. Es aber nochmal direkt zu hören war spannend! Der Soldat erklärte, dass er zur Bundeswehr gegangen sei, um Menschen zu helfen – dieser Einsatz wäre der erste, der das erfülle. Da hat er sich wohl den falschen Arbeitgeber ausgesucht. Mein Erlebnis muss aber auch in seinem politischen Zusammenhängen gesehen werden.

Mit allen Kräften gegen die für nicht wenige Menschen lebensbedrohliche Pandemie anzukämpfen, ist notwendig, aber die Bundeswehr nutzt ihren Einsatz zu Werbezwecken und um Inlandseinsätze zu normalisieren. Dabei ist klar, dass die Kosten für den Corona-Einsatz im Rahmen der Amtshilfe der Bund übernimmt – damit bietet es sich für viele Institutionen an, noch mehr an Soldat*innen anzufordern. Dabei gehört der Inlandseinsatz gegen die Pandemie gar nicht zu den originären Aufgaben der Armee.

Doch während Gesundheitseinrichtungen kaputtgespart wurden, bekam die Bundeswehr zuletzt immer mehr Geld: Der Militäretat ist in den letzten zehn Jahren um fast 50 Prozent gewachsen! Mit 46,9 Milliarden Euro ist der für 2021 beschlossene Verteidigungsetat der größte jemals in der Geschichte der Bundesrepublik – und das trotz der hohen Ausgaben zur Kompensation der aktuellen Krise. Dagegen müssen wir laut werden und (gerade im Jahr der Bundestagswahl) fordern: „Aus der Covid-19-Pandemie lernen: Geld für die Gesundheitsversorgung und den zivilen Katastrophenschutz statt für das Militär!“

Macht dazu – unter Beachtung der Hygienemaßnahmen – Aktionen und sprecht alle Leute darauf an, die ihr kennt. Materialien dazu – Flyer, Transparente und Aufkleber – haben wir mittlerweile in unserem Webshop www.shop.dfg-vk.de. Wir brauchen Abrüstung statt Aufrüstung!

Kategorie: DFG-VK Stichworte: 202102

27. Mai 2021

Vernebelungstaktik

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Kommentar zum neuen Rekrutierungsprojekt „Mein Jahr für Deutschland“

Von Dennis Riehle

Und schon wieder ein neuer Freiwilligendienst, der die Möglichkeit für junge Menschen erweitern soll, sich nach Schule oder erster Berufsorientierung einem scheinbar guten Zweck hinzugeben. Die Bundeswehr malt mit ihren professionellen Reklame-Videos das Bild einer sinnvollen und attraktiven Armee. 

Das mag den einen oder die andere InteressentIn für solch einen Dienst täuschen und „einlullen“. Denn in Wahrheit handelt es sich weniger um einen Einsatz für den Heimatschutz, sondern vielmehr um eine Hinführung zum Dienst an der Waffe. Der Deutsche Bundeswehr-Verband hat deshalb auch sogleich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem freiwilligen Engagement nicht um ein „THW light“ handelt, das sich allein auf den Bevölkerungsschutz bei Hochwasser oder in der Bewältigung der Corona-Pandemie fokussieren wird. Wer nämlich das will, sinnvoll helfen, der ist wohl in den vielen sozialen Diensten für junge Leute – die um ein Vielfaches schlechter bezahlt werden, dafür aber für einen uneingeschränkten Friedenseinsatz stehen – deutlich besser aufgehoben. 

Immer wieder Rekrutierung „auf Umwegen“

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass das Militär auf Umwegen versucht, für das Schießmanöver junge Bundesbürger zu rekrutieren. Dabei ist ein Einsatz bei der Bundeswehr weder „cool“ noch „patriotisch“ oder „sinnstiftend“. In einer Welt, in der wir darauf hinarbeiten müssen, kriegerische Konflikte endlich zu reduzieren, ist es kein vernünftiges Zeichen, die Armee durch die Hintertür weiter aufstocken zu wollen. 

Wir leben in einem friedlichen Europa, das nicht durch weitere Aufrüstung animiert werden soll, seine stabilen Strukturen ins Wanken zu bringen. Es ist verantwortungslos, Jugendliche einseitig für Verteidigung und militärische Intervention zu begeistern – und sich dabei des Mittels ziviler Verharmlosung zu bedienen. Es muss klar benannt werden, was die jungen Teilnehmer an diesem Freiwilligendienst erwartet – unverblümt, direkt und rigoros. 

„Denn Bundeswehr ist kein Spaß“

Denn Bundeswehr ist kein Spaß. Wiederkehrende Ereignisse zeigen uns, welcher Geist in den Reihen der Soldaten herrscht. Nicht selten bricht der Korps die Psyche der kaum aus der Schule entlassenen Jugendlichen, die in Wahrheit überhaupt keine Vorstellung vom rauen Klima in der Truppe haben. Wir müssen aufhören, Freiwilligendienste der Bundeswehr als Ausflüge auf den Abenteuerspielplatz zu beschönigen. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht durch die Hintertür ist falsch und abzulehnen. Das Signal muss eindeutig sein: Im 21. Jahrhundert ist Stolz auf das Vaterland keine Staatsräson mehr. Stattdessen ist das Eintreten der nächsten Generation für einen schrittweisen Rückzug aus Nato und anderen Bündnissen wegweisend und nachhaltig. 

Unsere Aufgabe ist, dass viele Jugendliche reflektiert erkennen mögen, dass das Locken mit hohen Verdiensten und sicherer Zukunft nur eine Seite der Medaille ist – die Geißel des Unfriedens prägt die andere Seite. Weniger Rüstungsausgaben, keine europäischen Streitkräfte und ein klares „Nein“ zu Atomwaffen – das mag heute zwar noch langweilig klingen, ist aber der Trend von morgen!

Dennis Riehle ist DFG-VK-Mitglied und lebt in Konstanz.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: "Mein Jahr für Deutschland", 202102, Dienstpflicht, Rekrutierung

27. Mai 2021

KDV in der Türkei

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ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Lebenslange Verfolgung von türkischen Kriegsdienstverweigerern

Von Rudi Friedrich

Arif Hikmet İyidoğan ist inzwischen 60 Jahre alt. 1994 hatte er in der Türkei seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Kurze Zeit später hatte die DFG-VK Nordrhein-Westfalen ihn zu einem Besuch in Deutschland eingeladen, um über die Verfolgung der Verweigerer in der Türkei zu berichten. Inzwischen ist die Türkei der einzige noch verbliebene Mitgliedsstaat des Europarates, der die Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt. 

Und so wird Arif Hikmet İyidoğan nach wie vor als wehrflüchtig angesehen. Bei jeder Kontrolle, auf den Straßen, in Bussen oder wo auch immer wird er festgehalten und dann immer wieder angeklagt. Jedes Mal wird die Geldstrafe erhöht. Außerdem droht ihm eine Haftstrafe.

60 Jahre – und immer noch wehrpflichtig? 

Viele können das gar nicht glauben. Aber in der Tat hat die Türkei in den letzten Jahren selbst 70- oder 80-Jährige zum Militärdienst einberufen. Die für alle Männer geltende Wehrpflicht erlischt erst dann, wenn sie erfüllt ist.

So führt Arif Hikmet İyidoğan ein Leben im Geheimen – eine Situation, die er mit vielen anderen teilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte brandmarkte dies als „zivilen Tod“. Da die Verweigerer ohne Ableistung des Militärdienstes keinen Pass erhalten, können sie keine Wohnung mieten, keinen Führerschein machen, nicht heiraten, keinen legalen Job annehmen. Sie sind nicht sozialversichert und können nicht an Wahlen teilnehmen. Praktisch sind sie ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Mehr als 1 000 haben ihre Kriegsdienstverweigerung in den letzten Jahren öffentlich erklärt, weitere Hunderttausende entziehen sich dem Militärdienst und leben illegal im eigenen Land.

Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung

2013 hatten sich in Istanbul Kriegsdienstverweigerer und -verweigerinnen zusammengefunden, um den Verein für Kriegsdienstverweigerung, Vicdani Ret Derneği, zu gründen. Im Herbst letzten Jahres startete Vicdani Ret Derneği eine neue Kampagne, um endlich das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung durchzusetzen. Schon zu lange verweigert sich die Türkei internationalen Resolutionen und Urteilen europäischer Gerichte. Zuletzt hatte das Ministerkomitee des Europarates, das über die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wacht, 2020 von der Türkei gefordert, die Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen, den Betroffenen Entschädigungen zu zahlen und das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen.

Mit der Kampagne möchte Vicdani Ret Derneği die Motive und Anliegen der Verweigerer durch Veröffentlichungen, Videos und Aktionen bekannter und sichtbarer machen. Zudem baut der Verein systematisch ein Beratungsnetz und rechtliche Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer auf. In einigen Fällen wurden bereits Beschwerden beim türkischen Verfassungsgericht eingelegt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Dokumentation des „zivilen Todes“. Ergänzt wird dies durch internationale Lobbyarbeit.

Regelmäßige Berichte und Informationen

Alle zwei Monate berichtet Vicdani Ret Derneği im „Bulletin Kriegsdienstverweigerung“ über die Arbeit des Vereins, fasst aktuelle Meldungen von Kriegsdienstverweigerern zusammen und veröffentlicht neue Kriegsdienstverweigerungserklärungen. Das in türkischer Sprache erscheinende Bulletin ist in deutscher Sprache erhältlich unter www.Connection-eV.org/CO_Turkey

Aufgrund der Aktivitäten des Vereins wurden inzwischen mehrere Ermittlungen und Strafverfahren gegen Aktive des Vereins eingeleitet. Angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in der Türkei ist es den Aktiven des Vereins wichtig, auf internationale Unterstützung bauen zu können. Eine solch breit angelegte Kampagne kostet auch Geld. Und so bittet Vicdani Ret Derneği um Unterstützung für die Arbeit. Steuerbegünstigte Spenden über www.Connection-eV.org/kdvtuerkei werden von Connection e.V. gerne weitergeleitet. 

Spenden können auch direkt mit dem Stichwort „Kriegsdienstverweigerung Tuerkei“ überwiesen  werden an  IBAN DE48 3702 0500 0007 0857 00

Weitere Informationen unter www.vicdaniret.org, www.Connection-eV.org/CO_Turkey

Rudi Friedrich ist langjähriges Mitglied der DFG-VK und Geschäftsführer von Connection e.V.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202102, Connection, international, KDV, Menschenrecht

26. Mai 2021

„… und das ist gut so!“

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ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Früherer Vorstand der Zentralstelle KDV zur Wehrpflicht-Aussetzung vor 10 Jahren

Erklärung zur Wehrpflicht der früheren Vorstandsmitglieder  der (2011 aufgelösten) Zentraltelle KDV vom 17. März 2021 mit dem Titel: Vor zehn Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das Ende der Wehrpflicht – und das ist gut so

Vor zehn Jahren, am 24. März 2011, beschloss der Deutsche Bundestag die Aussetzung der Wehrpflicht. Seit dem 1. Juli 2011 kann der Dienst in der Bundeswehr nur noch freiwillig geleistet werden. Durch diese Aussetzung der Wehrpflicht wurde die Bundeswehr von damals rund 255 000 Soldat*innen auf rund 185.000 verkleinert.

Die kurz nach Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1957 gegründete Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. (Zentralstelle KDV), eine gemeinsame Einrichtung von 26 Mitgliedsorganisationen*, feierte im Mai 2011 das Ende der Wehrpflicht und löste sich mit einem Beschluss der Mitgliederversammlung selbst auf.

Zum zehnten Jahrestag dieser „historischen Entscheidung“ des 24. März 2011 erklären die damaligen Mitglieder des letzten Vorstands der Zentralstelle KDV, Dr. Werner Glenewinkel, Michael Germer, Stefan Phi-lipp, Hans-Jürgen Wiesenbach, Eberhard Kunz, Ernst Potthoff und Herbert Schulz sowie die damalige Präsidentin Dr. Margot Käßmann und der damalige Geschäftsführer Peter Tobiassen:

Unwürdige Überprüfungsverfahren für die Gewissensentscheidungen der KDVer

Mit dem Wegfall der Wehrpflicht endete auch das unwürdige und inquisitorische Überprüfungsverfahren für die Gewissensentscheidungen der Kriegsdienstverweigerer, die gegen ihren Willen und ihr Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe einberufen werden sollten. Hunderttausendfach wurden in diesen Verfahren Kriegsdienstverweigerer zu Unrecht abgelehnt, Zehntausende wurden gegen ihr Gewissen zum Waffendienst gezwungen. Tausende gingen daraufhin ins Exil nach Westberlin (bis 1989 ohne Wehrpflicht) oder ins Ausland, einige – wie Hermann Brinkmann – verzweifelten an den Fehlentscheidungen der Wehrbehörden so sehr, dass sie nicht mehr weiterleben konnten. (Comic: Gegen mein Gewissen – Die ganze Doku | ARTE oder Das Schicksal von Hermann Brinkmann als Graphic Novel | NDR.de – Fernsehen – Sendungen A-Z – Hamburg Journal) Wir wissen aber auch: Nach wie vor gibt es diese Gewissensprüfungen für Soldatinnen und Soldaten, die aus der Bundeswehr heraus verweigern.

Die Wehrpflicht zerstörte hunderttausendfach Ausbildungs- und Berufswege

Die Einberufungen zum Wehr- und Zivildienst, oft schon die behördlichen Ankündigungen eines sol-chen Vorhabens, verzögerten, behinderten und zerstörten in vielen Fällen Ausbildungs- und Berufs-wege sowie Lebensplanungen. Die Zentralstelle KDV hat im „Schwarzbuch Wehrpflicht“ zur Jahreswende 2006/2007 zahlreiche Fälle dokumentiert, wie die Wehrpflicht negativ in Lebenswege eingriff. 

Um die Wehrpflicht zu halten, gab es staatliche Willkürregelungen

Aus der durch das Grundgesetz nur als Möglichkeit zugelassenen, dann aber rechtlich zwingend allgemeinen Wehrpflicht formten staatliche Vorgaben sehr schnell eine willkürliche Wehrpflicht. Üblicherweise – so die Erfahrungen in anderen Staaten mit Wehrpflicht – beträgt der Anteil aus gesund-heitlichen Gründen nicht wehrdienstfähiger Männer ca. 10 Prozent am Jahrgang. Das Bundesverteidigungsministerium veränderte die Musterungskriterien willkürlich so, dass in den letzten Jahren der Wehrpflicht hier in Deutschland mehr als die Hälfte der Gemusterten für „nicht wehrdienstfähig“ erklärt wurden. Der Grund: Es konnten in die verkleinerte Bundeswehr immer weniger Rekruten einberufen werden. Um den Schein der Wehrgerechtigkeit zu wahren, wurde die Hälfte eines Jahrgangs willkürlich von der allgemeinen Wehrpflicht befreit. Offensichtliche Willkür untergräbt das Vertrauen in einen Rechtsstaat. 

Argumente für den Wegfall der Wehrpflicht sorgfältig geprüft

Im Vorwort zum „Schwarzbuch Wehrpflicht“ schrieb Margot Käßmann als damalige Präsidentin der Zentralstelle KDV Anfang 2007:

„Die Zentralstelle KDV hat sich in den vergangenen 15 Jahren nicht nur mit der Forderung nach dem Wegfall der Wehrpflicht befasst, sondern auch mit den möglichen Folgen: Ist eine Freiwilligenbundeswehr demokratieverträglich? Was wird aus dem berühmten „Bürger in Uniform“? Bricht der Sozialbereich zusammen, wenn es keine Zivis mehr gibt? Was wird aus Diakonie und Caritas? Kann eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht gerechter machen? Gründlich und breit diskutiert und wohlüberlegt können wir nach all den Debatten sagen: Wir können auf die Wehrpflicht verzichten! Freiwillig ist besser und einer freiheitlichen Demokratie ohnehin angemessener. Zudem gibt eine Gesellschaft ein deutliches Signal ihres Friedenswillens, wenn sie ihren Bürgern keine Pflicht zum Waffendienst mehr auferlegt. Das würde uns in Deutschland gut anstehen.“ 

Heute wissen wir,

  • dass es nach wie vor rechtsradikales Gedankengut unter den Soldat*innen gibt, in der Wehr-pflicht-Bundeswehr bis vor zehn Jahren waren aber 70 % der überführten Täter bzw. noch Tat-verdächtigen Grundwehrdienstleistende und freiwillig länger Wehrdienst Leistende (so z.B. Angaben im Bericht des Wehrbeauftragten, BT-Drucksache 16/4700, Seite 45);
  • dass der Sozialbereich nicht zusammengebrochen ist, als die letzten Zivis aus dem Dienst ausge-schieden sind. Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigten bei den Wohlfahrtsverbänden von 2008 bis 2016 sogar von 1,5 auf 1,9 Millionen Mitarbeitende gestiegen. (BAGFW, Gesamtstatistik 2016);
  • dass der Wunsch nach einer „allgemeinen Dienstpflicht“ jedes Jahr erneut durch das Presse-sommerloch getrieben wird, ohne dass diejenigen, die das fordern, sagen können, wie es denn praktisch gehen soll, mehr als 700 000 Männer und Frauen eines Jahrgangs jedes Jahr neu in Dienstpflichteinrichtungen zwangsweise unterzubringen.

Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen

Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen. Der damalige Generalsekretär der aej, Mike Corsa, fügte in dem Vorwort zum „Schwarzbuch Wehr-pflicht“ hinzu: „Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (aej) setzt auf diese Freiwilligkeit. Erzwungene Dienste behindern Engagement und Identifikation. Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger eines Lan-des. Dafür kann und muss natürlich geworben und motiviert werden – wer sich engagiert, sollte dadurch auch Vorteile haben. Politische Konzepte werden so eine „Abstimmung mit den Füßen“ erleben. Menschen entscheiden durch ihr freiwilliges Mitmachen, was sie für unterstützenswert halten.“

Gefährlicher und falscher Glaube an die friedensschaffende Wirkung von Militär

Zehn Jahre nach dem Ende der Wehrplicht wissen wir, dass die Entscheidung des Deutschen Bundestages ein erfreuliches Ereignis war, deren positive Wirkung für Millionen junger Männer, die ab 2011 18 Jahre alt wurden und werden, nicht hoch genug geschätzt werden kann. Wir wissen aber auch, dass mit dem Wegfall der Wehrpflicht der gefährliche und falsche Glaube an die friedensschaffende Wirkung von Militär nicht vom Tisch ist. Nach wie vor prägen Stichworte wie Erreichen des 2-%-Zieles, Bewaffnung von Drohnen, Festhalten an Waffenexporten die sicherheitspolitischen Diskussionen, statt – wie es eigentlich richtig wäre – Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung deutlich in den Vordergrund zu stellen und „Sicherheit neu zu denken“. 

Mitgliedsverbände der Zentralstelle KDV im Jahr 2011

• Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden 
• Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland 
• Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung 
• Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands 
• Deutsche Friedensgesellschaft – Internationale der KriegsdienstgegnerInnen 
• Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen 
• Deutscher Bundesjugendring 
• Deutscher Gewerkschaftsbund, Abt. Jugend (DGB-Jugend) 
• Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee 
• Eirene – Internationaler Christlicher Friedensdienst 
• Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden 
• Evangelische Jugend Thüringen 
• Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland 
• Grüne Jugend – Bundesverband 
• Internationale der KriegsdienstgegnerInnen 
• Internationaler Versöhnungsbund – deutscher Zweig 
• Jungsozialisten in der SPD 
• Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär 
• Komitee für Grundrechte und Demokratie 
• Pax Christi – internationale katholische Friedensbewegung, deutsche Sektion 
• Pfarramt für Friedensarbeit, Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende 
• Religiöse Gesellschaft der Freunde, Deutsche Jahresversammlung 
• Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein 
• Service Civil International, Deutscher Zweig 
• Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken 
• Vereinigung Evangelischer Freikirchen, AG Betreuung der KDV und ZDL

Kategorie: Wehrpflicht Stichworte: 202102, KDV, Zentralstelle

26. Mai 2021

Sicherheit radikal neu denken

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Antimilitarismus

Mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär – hier und weltweit

Von Kathrin Vogler

Hinter der Corona-Pandemie und der aus ihr resultierenden, zum Teil aber schon vorher angelegten Wirtschaftskrise beginnen die Katastrophen der Erderhitzung und des globalen Artensterbens ebenso in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung zu treten wie das Leid der inzwischen 80 Millionen Vertriebenen und Geflüchteten, die meisten in Ländern des globalen Südens. Was bedeutet Sicherheit in dieser Zeit und wie kann der Staat seinen Einwohner*innen größtmögliche Sicherheit garantieren? Muss nicht Sicherheit angesichts der globalen Bedrohungen über nationale und Systemgrenzen hinweg gedacht und global gesichert werden?

Das Militär als Konkurrent der zivilen Krisenbewältigung

Die Herrschenden reagieren auf die Herausforderung durch die Krise mit dem Instrumentarium, das ihnen zur Verfügung steht: mit milliardenschweren Subventionen für Großunternehmen, deren Geschäftsmodell schon vorher fragwürdig war; mit massiven staatlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, deren Ergebnisse und Gewinne dann privatisiert werden; mit drastischen Beschränkungen für Bildung, Freizeit, Kultur und lokalen Handel; und mit dem Einsatz von Militär im Inland zum Ausgleich der desaströsen Personalsituation im öffentlichen Gesundheitsdienst und in den privatisierten Einrichtungen der Alten- und Gesundheitspflege.

Es ist gerade in Krisenzeiten erforderlich, neben der unmittelbaren Krisenbewältigung auch politische Weichen für die Nachkrisenzeit zu stellen. Ein „Weiter so“ wie vor der Pandemie wird es nicht geben. In welche Richtung sich aber die Politik entwickeln soll, darüber muss gestritten werden – und zwar jetzt.

Gewinnt die Bundeswehr diesen Verteilungskampf, dann wird weniger zur Verfügung stehen, um das Gesundheitswesen zu verbessern, die Versorgung mit strategischen Gütern zu sichern, die ökonomischen und sozialen Krisenfolgen zu lindern und die nächsten Katastrophen, die bereits begonnen haben, zu bewältigen: die der Erderwärmung und die des Massenhungers.

Ent-Militarisierung der deutschen Außenpolitik

Tatsächlich halten viele der impliziten Annahmen über Sicherheit, die bislang die Militarisierung der deutschen Außenpolitik vorangetrieben haben, einer genaueren Überprüfung nicht stand. Etwa die Idee, durch EU- oder UN-Militäreinsätze in Krisengebieten eine Sicherheit herstellen zu können, welche die Voraussetzung für Friedenskonsolidierung sei. Die Erfahrungen aus Afghanistan, Libyen, Mali oder Irak belegen, dass die Präsenz internationaler Truppen weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für friedliche Entwicklung ist  oder  auch  nur  dazu  geeignet, die Zivilbevölkerung effektiv zu schützen. 

Es ist eine Frage des politischen Willens. So sind UN-Militäreinsätze z.B. vor allem deshalb das entscheidende Stabilisierungselement der Uno, weil allein sie eine verbindliche Finanzierung haben. Selbst einzelne Stellen für die UN-Abteilung zur Unterstützung von Mediation sind schwieriger zu bekommen als ein paar Hundert Blauhelme. Und so ähnlich ist es hier: Ein paar Milliarden mehr für die Bundeswehr gehen viel leichter durchs Parlament als ein paar hundert Millionen Investitionsmittel für marode Krankenhäuser oder den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Bedrohungs- und Verteidigungskonzepte wie aus der Zeit gefallen

Auf falschen Voraussetzungen basiert auch die Annahme, dass die Nato-Staaten einer militärischen Bedrohung durch Russland oder China ausgesetzt seien, die sich mit militärischen Mitteln eindämmen oder abschrecken ließe. Und auch die Idee, die Bundeswehr in eine Verteidigungsarmee umzubauen und ihre Ausstattung und Ausrüstung an den Bedürfnissen der Landesverteidigung zu orientieren, erweist sich bei genauerer Betrachtung als aus der Zeit gefallen. 

Militärische Landesverteidigung geht davon aus, dass ein (potenzieller) Gegner das Territorium besetzen und sich die Bevölkerung unterwerfen will. Dies will sie verhindern, indem diesem Gegner durch den Einsatz eigener Mittel so viel Schaden angedroht wird, dass er im besten Fall davon absieht (Abschreckung) oder eben selbst das Risiko eines Gegenangriffs eingehen muss. 

Zu einer glaubwürdigen Abschreckung gehört also nicht nur die Bereitstellung von hinreichenden Gewaltmitteln zur Erzeugung dieses Schadens, sondern auch die Bereitschaft, diese einzusetzen, mit allen zu erwartenden Folgen. In unserem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Folge, dass zerstört wird, was verteidigt werden sollte.

Moderne Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts, die hoch komplex und digital vernetzt sind und eine konstante Energieversorgung benötigen, sind militärisch selbst gegen unterlegene Gegner nicht wirksam zu verteidigen. Einem entschlossenen, gut geplanten Angriff auf kritische Infrastrukturen, also Strom, Wasser, Verkehr, Information und Kommunikation, würden sie nicht standhalten können.

Dominanzstrategien oder internationale Kooperationen – die Pandemie als Herausforderung

Die Corona-Krise zeigt aber auch, dass eine kooperative, friedliche Welt für alle Menschen bessere Lebensbedingungen schafft. Positiv betrachtet kann sie die Kräfte freisetzen, die für die Bewältigung jener anderen, sehr viel anspruchsvolleren und obendrein menschengemachten Katastrophe nötig sind. 

Dass anfangs, in der akuten Not, Staaten um Hilfe gebeten wurden und zur Hilfe bereit waren, mit denen man in einer Konfrontation steht, war ein gutes Zeichen. Inzwischen wird aber Entwicklung und Verteilung von Impfstoff fast schon zu einem zivilen Krieg um Macht und Einflusssphären. 

Statt also für ein globales Problem nach gemeinsamen Lösungen und kooperativen Konzepten zu suchen, werden selbst Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen für die Bevölkerung zum Bestandteil einer Konkurrenz- und Dominanzstrategie erklärt. Statt chinesische oder russische Impfstoffe ohne Vorbehalt nach rein wissenschaftlichen Kriterien daraufhin zu prüfen, ob sie bei der Bewältigung der gigantischen Herausforderungen hilfreich sein könnten, wird selbstherrlich und fröhlich der Eurozentrismus gefeiert.

Dabei könnte eine kooperative Strategie erheblich mehr Sicherheit schaffen – nicht nur für die privilegierte Bevölkerung in den Industriestaaten, sondern gerade in den Entwicklungsländern, die unter den Folgen der Corona-Eindämmungsversuche deutlich mehr leiden als unter dem Virus selbst.

Für einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff

Dass aber auf der anderen Seite weiter geplant wird, mit zig Milliarden Euro neue Fregatten, Kampfflugzeuge und Atombomber für die Bundeswehr anzuschaffen, ist ein Relikt alten Denkens. 

Wir brauchen das Geld für Gesundheit, soziale Sicherheit und Klimagerechtigkeit, aber auch für die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Jeder Euro für Aufrüstung fehlt im Zivilen, für die wirklichen Herausforderungen. Wenn wir gut aus der Krise herauskommen wollen, dann müssen wir uns jetzt mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär hineinbegeben, in Deutschland, in Europa und weltweit.

Es gibt dafür gute Ansatzpunkte aus der Zivilgesellschaft: etwa das Szenario „Sicherheit neu denken“ aus der Evangelischen Landeskirche in Baden, das eine Herausforderung zu grundsätzlichem Umdenken und konkrete Schritte zum vollständigen Ausstieg aus der militärischen Sicherheitspolitik bis zum Jahr 2040 formuliert (und das die DFG-VK personell und organisatorisch unterstützt). Natürlich gibt es auch an diesem Konzept aus linker Sicht das eine oder andere auszusetzen, aber es bietet eine weit realistischere Analyse und Diskussionsgrundlage als so manches Positionspapier, das mit dem kurzfristigen Blick allein auf die nächste Wahlperiode verfasst wurde.

Konversion

Mehr als einen Gedanken müssen wir dabei auf Konversion verwenden, weil das der größte Stolperstein für die Akzeptanz radikaler Abrüstung ist. Der Umbau der Rüstungsindustrie ist technisch kein größeres Problem, denn die Arbeiter*innen in den Rüstungsbetrieben sind in der Regel hoch qualifiziert und in der Lage, nützliche Produkte herzustellen. Zudem sind nur wenige Betriebe bloße Waffenschmieden. Allerdings ist es eine Machtfrage, private Unternehmen dazu zu bringen, die hoch profitable Rüstungsindustrie zugunsten nützlicher Produktion aufzugeben. 

Dabei helfen drei Instrumente: Die umfassende Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften, die systematische Reduzierung der staatlichen Aufträge und die Rückbesinnung auf das Grundgesetz, das Rüstungsexporte eigentlich verbietet.

Auch die Reintegration der Soldat*innen und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ins zivile Arbeitsleben will gut geplant werden, bietet aber auch Chancen, da bereits in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und in technischen Berufen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Marinesoldaten können staatliche zivile Seenotretter werden, und Pioniere im Natur- und Umweltschutz eingesetzt werden. Das Cyber-Abwehrzentrum wird dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unterstellt und so weiter.

Was ist dafür zu tun?

  • Es braucht vor allem andere politische Mehrheiten. Und damit meine ich nicht rechnerische Zahlenspiele oder bloß irgendeine Regierungskoalition unter Einschluss der Linken. Vielmehr geht es um eine Konstellation, in der signifikante Mehrheiten zumindest in den Mitte-Links-Parteien einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff zur Grundlage ihrer Politik machen. Gründe dafür gäbe es viele: 
  • Eine zivile Sicherheitspolitik eröffnet ungeahnten Gestaltungsspielraum in anderen Politikfeldern. 
  • Sie schafft einen neuen Zusammenhalt zwischen der Politik und den Menschen, die in ihrer übergroßen Mehrheit Krieg als Mittel der Politik ablehnen. 
  • Sie wäre ein Beitrag zum inneren Frieden und zur globalen Gerechtigkeit. 
  • Sie wäre ein Ausdruck wirklicher Verantwortungsübernahme durch unser Land und eine Chance zur Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit.

Was spricht eigentlich dagegen?

Kathrin Vogler ist seit Jahrzehnten Mitglied der DFG-VK, war Mitglied im BundessprecherInnenkreis und Bundesgeschäftsführerin. Seit 2009 ist sie Bundestagsabgeordnete für Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Im April wurde sie für eine weitere Kandidatur zum Bundestag auf den aussichtsreichen Platz 5 der nordrhein-westfälischen Landesliste gewählt.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202102, Sicherheit neu Denken

25. Mai 2021

Fluchtgrund Waffenhandel

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Titel

Von Jürgen Grässlin

Sind Rüstungsexporte aus Deutschland und aus anderen Industrieländern ein Grund, das eigene Heimatland zu verlassen und eine oftmals lebensgefährliche Flucht ins Unbekannte zu wagen? Stellen Waffentransfers in Krisen- und Kriegsgebiete einen maßgeblichen Fluchtgrund dar? Und zählt Deutschland gar zu den Waffenexporteuren, die selbst Diktatoren und Despoten hochrüsten? Solche Fragen sind leider rein rhetorischer Natur. Denn die Faktenlage ist fatal.

In den vergangenen Jahrzehnten leisteten die Bundesregierungen – gleich welcher parteipolitischen Couleur – aktiv Beihilfe zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Machthaber. Zentrales Element der Stabilisierung sogenannter „befreundeter Staaten“ stellen Kriegswaffenexporte in Milliardenhöhe dar. 

Mit ihren Genehmigungen für Rüstungstransfers an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen und Regimes trugen und tragen Bundesregierungen massiv dazu bei, dass sowohl Kleinwaffen, also Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehre etc., als auch Großwaffensysteme wie Kampfpanzer, Militärhelikopter und Kampfflugzeuge etc. ganz legal und in immensem Umfang in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert werden durften.

Die Folgen dieser ebenso verantwortungslosen wie menschenverachtenden Regierungspolitik waren und sind fatal. Denn Waffenlieferungen an Staaten, in denen Bürgerkriege toben oder die Kriege mit anderen Staaten führen, zeitigen dramatische Folgen. So gelangte über lange Jahre hinweg in Deutschland produziertes Kriegsgerät an staatliche Kriegstreiber in Libyen, Saudi-Arabien oder die Türkei. 

Gerade beim Nato-Partner Türkei können die Bundesregierungen auf eine Jahrzehnte währende Tradition deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft zurückblicken. 

Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes – zumeist mit Waffen von Heckler & Koch (H&K). Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehren des Typs G3 und HK33, in Lizenz von H&K bzw. der Bundesregierung (beim G3) gefertigt bei der staatlichen Waffenschmiede MKEK in Ankara. 

Die allermeisten der Geflüchteten kamen nach Deutschland, vielfach nicht wissend, dass sie in einem Land von Unterdrücker- und Diktatorenfreunden Schutz suchten. 

Allein vom Leopard-2-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann hatte Deutschland der Türkei 354 Stück geliefert. Leo-2 wurden seitens der Truppen von Recep Tayyip Erdoğan u.a. bei der völkerrechtswidrigen Intervention im November 2019 in Nordsyrien eingesetzt. Ein weiterer Grund für die Flucht zahlreicher Menschen. Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung neuerlichen Rüstungsexporten in die Türkei zugestimmt. Allein für 2020 hatte sie Kriegswaffentransfers im Gesamtwert von 22,9 Millionen Euro an das Militär in Ankara genehmigt.

Auch andere Regierungen, deren staatliche Sicherheitskräfte Menschenrechte massiv verletzen, wie die in Ägypten und Algerien, erhielten bzw. erhalten in großen Mengen Waffen aus Deutschland. Waffen, die in den Empfängerländern eingesetzt werden: zur Unterdrückung und Vertreibung Andersdenkender und Andersgläubiger, gegen missliebige Oppositionelle und die Demokratiebewegung oder gegen feindliche Kombattanten. Wer um sein Leben fürchtet und überleben will, muss fliehen. 

Immerhin erreichten in vergangenen Jahren – als die Festung Europa noch lückenhafter war – mehr als zwei Millionen Menschen Mitteleuropa, viele von ihnen Deutschland. Manche Geflüchtete strandeten gar in Städten, in denen die Waffen produziert wurden und werden, mit denen sie und ihre Angehörigen in die Flucht getrieben wurden: in München, Oberndorf, Friedrichshafen, Düsseldorf oder Kassel. An Orten wie diesen wird besonders augenscheinlich: Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten.

Was aber hat die seit 2013 von der CDU/CSU und der SPD geführte Bundesregierung aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Augenscheinlich nichts: Schließlich hat die Große Koalition 2019 ihre Exportgenehmigungen für Rüstungsexporte auf ein neues Rekordniveau gesteigert – zum Wohle der Rüstungsindustrie.

Besonders zynisch ist dabei die Tatsache, dass verschiedene Rüstungskonzerne in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod profitieren. Indem sie einerseits Waffen und technisches Know-How in Gebiete liefern, in denen Kriege oder Bürgerkriege toben und die damit die tobende Gewaltaustragung dramatisch verschärfen. Und andererseits liefern sie Rüstungsgüter, Überwachungselektronik oder Drohnen- bzw. Satellitentechnik, mit denen Grenzen abgeschottet und Menschen an der Flucht in ein sicheres Nachbarland gehindert werden. Zu ihnen zählen Unternehmen in aller Welt, auch deutsche Unternehmen, wie der „Fall 06“ des GlobalNet Stop The Arms Trade (GN-STAT; www.gn-stat.org)dokumentiert.

Militärausgaben und Rüstungsexporte auf Rekordniveau

Weltweit wurden 2019 die Militärausgaben um 3,6 Prozent angehoben, schlimm genug. Noch negativer verlief die Entwicklung hierzulande. Im weltweiten Vergleich des Stockholm Peace Research International Institute (Sipri) stieg Deutschland, wohlgemerkt als einziges Land unter den Top 15, gleich um zwei Plätze – von Rang 9 auf 7 (von 2018 auf 2019). Mit Investitionen in Höhe von 49,3 US-Dollar steigerte die Große Koalition von CDU, CSU und SPD das Volumen der Militärausgaben in nur einem Jahr um zehn Prozent, berechnet auf den Zehnjahres-Zeitraum von 2010 bis 2019 gar um 15 Prozent.

Vergleichbar wüst sind die Werte beim Waffenhandel. Laut Fünf-Jahres-Bericht von Sipri wurde Deutschlands Exportwert für Großwaffensysteme für den Zeitraum von 2015 bis 2019 (im Vergleich zu 2010 bis 2014) von der christlich-sozialen Koalition sogar um 17 Prozent gesteigert. Auch hier der Vergleich: Weltweit wurde das Volumen um weitere 5 Prozent angehoben. 

Auch der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2019 ergibt ein bedrückendes Bild: Die Einzelgenehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern wurden von 2018 auf 2019 von vormals 4,82 auf nunmehr 8,01 Milliarden Euro auf einen neuen Negativrekord in der bundesdeutschen Historie hochkatapultiert. Höchst bedenklich auch die Entwicklung bei den sogenannten „Drittländern“ (außerhalb von Nato und EU): Hier wurde der Gesamtwert der Genehmigungen von 2,55 (2018) auf 3,53 Milliarden Euro (2019) gesteigert. 

Auch Entwicklungsländer wurden üppig mit deutschen Kriegswaffen versorgt. So wurde der Wert der Einzelgenehmigungen innerhalb nur eines Jahres nahezu vervierfacht: von 365,7 Millionen (2018) auf 1,35 Milliarden Euro (2019). Die meistbelieferten Entwicklungsländer waren im Jahr 2019 Ägypten (801,8 Miliionen Euro), Indonesien (201,8), Indien (92,9), Pakistan (63,3) und Marokko (61,4).

Die beiden Atommächte Indien und Pakistan haben bereits mehrere Kriege gegeneinander geführt und liefern sich permanent gewaltsame Grenzkonflikte. Die Menschenrechtslage in Ägypten, Indonesien und Marokko ist äußerst bedenklich. Die Lage der Flüchtlinge in Marokko beurteilt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International so: „Im Kampf gegen unerwünschte Migration baut die EU die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Transitländern aus. In Marokko setzen Repressionen staatlicher Sicherheitskräfte und Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Migrantinnen und Migranten unter Druck.“

Die Hauptempfänger deutscher Kriegswaffen waren 2019 der EU- und Nato-Partner Ungarn, genehmigt mit rund 1,78 Milliarden Euro, Algerien mit 846,6, Ägypten mit 801,8 und die USA mit 660,1 Millionen Euro. 

Ungarn erhält umfassend Kriegswaffen trotz seiner rechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Die ägyptische Militärregierung wird mit deutschen Kriegswaffen hochgerüstet trotz der Beteiligung Ägyptens an schweren Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg. Die USA werden mit deutschem Kriegsgerät beliefert trotz deren militärischen Interventionen und Menschenrechtsverletzungen im Afghanistan- und im Syrien-Krieg sowie deren Unterstützung der Jemen-Aggressoren Saudi-Arabien und Ägypten – um pars pro toto drei Länderbeispiele zu nennen. Allesamt Rüstungsexporte, die ihren Bezug zur Flüchtlingsthematik haben – sei es als Fluchtgrund, sei es als Beitrag zur Flüchtlingsabwehr.

Die aktive Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden mit deutschen Waffen schreitet voran. Unter den Empfängern deutscher Kriegswaffen befanden sich – für mehr als eine Milliarde Euro – 2020 erneut mehrere Staaten im Nahen Osten, obwohl diese in die kriegerischen Auseinandersetzungen im Jemen und in Libyen verwickelt waren und sind.. Die Opfer der Politik der Bundesregierung sind vielfach Zivilist*innen, allen voran Frauen und Kinder, die des nackten Überlebens wegen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen fliehen müssen.

Europa funktioniert immer besser – bei der Flüchtlingsabwehr

In Zeiten der Corona-Krise ist das Schicksal Geflüchteter weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verwunden. Abertausende von ihnen ertranken und ertrinken bei dem Versuch, Europa zu erreichen. Wem die Überfahrt glückte, der landete und landet vielfach in Auffanglagern. 

Schlimmer noch: Griechische Grenzschützer sollen massenhaft Flüchtlinge aufs offene Meer zurückgeschleppt haben. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll „in illegale Pushbacks von Flüchtlingen verwickelt“ sein, meldeten verschiedene Medien. Auf allen Ebenen formiert die Europäische Union die Festung Europa. Die EU-Kommission „plant eine Reform“ der Migrationspolitik. Asylbewerber, die „ohne Aussicht auf Erfolg“ gelten, „sollen schneller abgeschoben und von den Herkunftsländern zurückgenommen werden“. Zugleich hat die EU „die mehrjährige Stationierung großer Drohnen“ von Firmen aus Israel und Italien beschlossen, die das zentrale Mittelmeer noch besser überwachen sollen. Entsprechende Tests wurden für Frontex bereits durchgeführt. Aus einem aktuellen Bericht zur „technischen Ausrüstung“ geht hervor, dass Frontex-Chef Fabrice Leggeri die EU-Grenzschutzagentur 2021 mit Gummischlagstöcken, Teleskop-Schlagstöcken und Tränengas hochgerüstet hat.“ Flüchtlingshilfe sähe anders aus.

Global Net deckt doppelte Profite von Rüstungskonzernen auf

Geradezu perfide ist die Tatsache, dass Rüstungskonzerne in aller Welt in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod und den Flüchtlingen profitieren: Genau sie sind es, die einerseits Waffen und technisches Know-How an Scheindemokraten und Diktatoren exportieren und somit Konflikte verschärfen. 

Direkt an den Grenzsicherungsanlagen kommen vielfach Kleinwaffen bei staatlichen Sicherheitskräften gegen Migrant*innen zum Einsatz. Militärfahrzeuge dienen u.a. dem Materialtransport an die Grenzen und dem Abtransport von Geflüchteten zurück in Flüchtlingslager, in Folterkammern, Gefängnisse oder in die Wüste. So die Darstellung in „Fall 06“ des GN-STAT.

Für die Überwachungssysteme der sogenannten „Border Security“ benötigen Militärs u.a. Biometrie (Messung an Lebewesen z.B. zur Gesichtserkennung), IKT (Informations- und Kommunikationstechnik), bemannte Fahrzeuge, Boden- und Seesysteme, Schiffe, Luftsysteme wie Helikopter, unbemannte Flugzeuge (meist Überwachungsdrohnen) und Militärsatelliten, zudem physische Infrastruktur, Support und andere Dienstleistungen. Mittels dieser Techniken werden unzählige Menschen bedroht und beschossen, aus ihrer Heimat vertrieben, an Grenzen überwacht und abgefangen. Auch Baufirmen profitieren massiv von der Abschottung. 

In vier Stufen veröffentlicht das Global Net in den letzten Monaten anhand ausgewählter Fallbeispiele, wie Konzerne von Waffenlieferungen und vom Geschäft mit der Abschottung profitieren:

  1. rund um Saudi-Arabien,
  2. rund um Israel,
  3. zwischen den USA und Mexiko,
  4. im Maghreb (im Norden Afrikas).

Mit diesem „Fall 06“ gibt das Global Net den Opfern eine Stimme und den Verantwortlichen in Täterprofilen Name und Gesicht. GN-STAT erstellt Firmenprofile, um die beteiligten Unternehmen als das zu entlarven, was sie sind: rein profitorientierte skrupellos agierende Rüstungs-, Fahrzeug- oder Baukonzerne , die von der Abschottung profitieren. 

Pars pro toto sei an dieser Stelle aufgezeigt, wie die Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsgebieten im Osten Afrikas an der Flucht über Saudi-Arabien in den Nahen Osten und später nach Europa gehindert werden (siehe Kasten „Saudi-Arabien).

Fazit

Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Unzählige Menschen mussten und müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen – in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen – fliehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Vizekanzler Olaf Scholz, im Bundesicherheitsrat die maßgeblichen Entscheidungsträger bei besonders brisanten Waffentransfers in Drittländer, wissen das. Dessen ungeachtet genehmigen sie weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebieten. Diese Politik der Bundesregierung ist weder christlich, demokratisch noch sozial. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman. 

Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten – impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung.

2021: Widerstand gegen Waffenhandel, Engagement für Geflüchtete

Politischer Druck wirkt. Mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, einem Bündnis von weit mehr als 100 Organisationen der Friedens- und Entwicklungsbewegung mit der DFG-VK, von Kirchen und Gewerkschaften, ist es gelungen, einen Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien zu erwirken. Somit können zumindest keine neuen Waffen aus Deutschland im Jemen-Krieg zum Einsatz kommen.

Welche Handlungsoptionen stehen uns für 2021 zur Verfügung? Im Herbst findet die Bundestagswahl statt. Bis dahin offenbaren sich verstärkt Chancen, die in Coronazeiten weitgehend unbeachteten Themen der Rüstungsexport-, Abschottungs- und Flüchtlingspolitik zum Thema machen, indem wir

  • Kandidat*innen für den Bundestag in Bürgersprechstunden und bei Podiumsdiskussionen informieren und befragen;
  • Mitstreiter*innen informieren, eigene Handlungsansätze entwickeln und propagieren;
  • Friedens- und Flüchtlingsorganisationen unterstützen, sei es als Mitglied oder durch aktives Handeln;
  • mitmachen bei Kritischen Aktionär*innen von Rüstungs- bzw. Fahrzeugkonzernen, wie z.B. bei Airbus, Rheinmetall, Heckler & Koch und Daimler (wegen deren Lieferungen von Kriegswaffen bzw. Mercedes-Military-Fahrzeugen an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten);
  • uns bei Global Net – Stop The Arms Trade (GN-STAT) des RIB e.V. engagieren durch – steuerlich absetzbare – finanzielle Zuwendungen (denn die weltweiten Recherchen kosten das RIB e.V. viel Geld) oder durch Mitgliedschaft,  durch Reiseberichte, Filme und Fotos aus Krisenregionen, durch eigene Recherchen über Grenzsicherungsanlagen zur Flüchtlingsabwehr (bestehende Berichte in „Fall 06“ erweitern oder neue Fälle von Border Security aufzeigen) oder beispielsweise durch Übersetzungen vorhandener Textpassagen in andere Sprachen;
  • Strafanzeigen unterstützen, die beispielsweise bei illegalem Waffenhandel gestellt wie seitens des RIB e.V. oder der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ bereits bei Heckler & Koch und Sig Sauer mit Erfolg praktiziert (siehe Fall 02 und Fall 04 des GN-STAT);
  • enger kooperieren in der Friedens- und Flüchtlingsbewegung.

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis, einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros und Initiator des Global Net – Stop The Arms Trade.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202102, Aktion Aufschrei, Grässlin, Rüstungsexport, Waffenhandel

24. Mai 2021

ZivilCourage-Heft 2/2021

Das Heft 2/2021 als PDF zum kostenfreien Download

Inhalt:

Editorial

TITEL Jürgen Grässlin: Fluchtgrund Waffenhandel

ANTIMILITARISMUS Kathrin Vogler: Sicherheit radikal neu denken • Aktionen • Ernst Rattinger: Vom Rassismus in der Friedensbewegung

PAZIFISMUS Stefanie Intveen: Corona-Krise: Der Versuch einer Ermutigung • Wolfram Wette: Aus der Geschichte lernen!

KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG Robert Hülsbusch: Befragung eines Kriegsdienstverweigerers • Früherer Vorstand der Zentralstelle KDV zur Wehrpflicht-Aussetzung vor 10 Jahren • Veranstaltung „… lasst uns drüber reden“ – Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis • KDV in der Türkei • Vernebelungstaktik: Kommentar zum neuen Rekrutierungsprojekt „Mein Jahr für Deutschland“

DFG-VK-INFO DFG-VK-Bundeskassierer Christoph Neeb: Weniger Geld für die Post, mehr für Politik! – Die ZivilCourage im Digital-Bezug • „Was macht eigentlich unser politischer Geschäftsführer?“ • Ralf Buchterkirchen und Jérôme Drees: Informationen „aus dem Maschinenraum“

DFG-VK INTERN Detlef Mielke: Aktivistische
Basisorganisation oder NGO?
 • Christoph Neeb und Michael Schulze von Glaßer: Erhöhung des DFG-VK-Mitgliedsbeitrags

atomwaffenfrei Marion Küpker: Deutschland will Atommacht sein

International David Scheuing: Global betrachtet: 100 Jahre War Resisters´ International: Leider notwendig wie nie!

Impressum • Briefe • Literatur (Beyer • Findus) • Satire • Karikatur

Kategorie: 2021 Stichworte: 202102

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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