![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 2/2021 |
Antimilitarismus
Mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär – hier und weltweit
Von Kathrin Vogler

Hinter der Corona-Pandemie und der aus ihr resultierenden, zum Teil aber schon vorher angelegten Wirtschaftskrise beginnen die Katastrophen der Erderhitzung und des globalen Artensterbens ebenso in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung zu treten wie das Leid der inzwischen 80 Millionen Vertriebenen und Geflüchteten, die meisten in Ländern des globalen Südens. Was bedeutet Sicherheit in dieser Zeit und wie kann der Staat seinen Einwohner*innen größtmögliche Sicherheit garantieren? Muss nicht Sicherheit angesichts der globalen Bedrohungen über nationale und Systemgrenzen hinweg gedacht und global gesichert werden?
Das Militär als Konkurrent der zivilen Krisenbewältigung
Die Herrschenden reagieren auf die Herausforderung durch die Krise mit dem Instrumentarium, das ihnen zur Verfügung steht: mit milliardenschweren Subventionen für Großunternehmen, deren Geschäftsmodell schon vorher fragwürdig war; mit massiven staatlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, deren Ergebnisse und Gewinne dann privatisiert werden; mit drastischen Beschränkungen für Bildung, Freizeit, Kultur und lokalen Handel; und mit dem Einsatz von Militär im Inland zum Ausgleich der desaströsen Personalsituation im öffentlichen Gesundheitsdienst und in den privatisierten Einrichtungen der Alten- und Gesundheitspflege.
Es ist gerade in Krisenzeiten erforderlich, neben der unmittelbaren Krisenbewältigung auch politische Weichen für die Nachkrisenzeit zu stellen. Ein „Weiter so“ wie vor der Pandemie wird es nicht geben. In welche Richtung sich aber die Politik entwickeln soll, darüber muss gestritten werden – und zwar jetzt.
Gewinnt die Bundeswehr diesen Verteilungskampf, dann wird weniger zur Verfügung stehen, um das Gesundheitswesen zu verbessern, die Versorgung mit strategischen Gütern zu sichern, die ökonomischen und sozialen Krisenfolgen zu lindern und die nächsten Katastrophen, die bereits begonnen haben, zu bewältigen: die der Erderwärmung und die des Massenhungers.
Ent-Militarisierung der deutschen Außenpolitik
Tatsächlich halten viele der impliziten Annahmen über Sicherheit, die bislang die Militarisierung der deutschen Außenpolitik vorangetrieben haben, einer genaueren Überprüfung nicht stand. Etwa die Idee, durch EU- oder UN-Militäreinsätze in Krisengebieten eine Sicherheit herstellen zu können, welche die Voraussetzung für Friedenskonsolidierung sei. Die Erfahrungen aus Afghanistan, Libyen, Mali oder Irak belegen, dass die Präsenz internationaler Truppen weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für friedliche Entwicklung ist oder auch nur dazu geeignet, die Zivilbevölkerung effektiv zu schützen.
Es ist eine Frage des politischen Willens. So sind UN-Militäreinsätze z.B. vor allem deshalb das entscheidende Stabilisierungselement der Uno, weil allein sie eine verbindliche Finanzierung haben. Selbst einzelne Stellen für die UN-Abteilung zur Unterstützung von Mediation sind schwieriger zu bekommen als ein paar Hundert Blauhelme. Und so ähnlich ist es hier: Ein paar Milliarden mehr für die Bundeswehr gehen viel leichter durchs Parlament als ein paar hundert Millionen Investitionsmittel für marode Krankenhäuser oder den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Bedrohungs- und Verteidigungskonzepte wie aus der Zeit gefallen
Auf falschen Voraussetzungen basiert auch die Annahme, dass die Nato-Staaten einer militärischen Bedrohung durch Russland oder China ausgesetzt seien, die sich mit militärischen Mitteln eindämmen oder abschrecken ließe. Und auch die Idee, die Bundeswehr in eine Verteidigungsarmee umzubauen und ihre Ausstattung und Ausrüstung an den Bedürfnissen der Landesverteidigung zu orientieren, erweist sich bei genauerer Betrachtung als aus der Zeit gefallen.
Militärische Landesverteidigung geht davon aus, dass ein (potenzieller) Gegner das Territorium besetzen und sich die Bevölkerung unterwerfen will. Dies will sie verhindern, indem diesem Gegner durch den Einsatz eigener Mittel so viel Schaden angedroht wird, dass er im besten Fall davon absieht (Abschreckung) oder eben selbst das Risiko eines Gegenangriffs eingehen muss.
Zu einer glaubwürdigen Abschreckung gehört also nicht nur die Bereitstellung von hinreichenden Gewaltmitteln zur Erzeugung dieses Schadens, sondern auch die Bereitschaft, diese einzusetzen, mit allen zu erwartenden Folgen. In unserem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Folge, dass zerstört wird, was verteidigt werden sollte.
Moderne Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts, die hoch komplex und digital vernetzt sind und eine konstante Energieversorgung benötigen, sind militärisch selbst gegen unterlegene Gegner nicht wirksam zu verteidigen. Einem entschlossenen, gut geplanten Angriff auf kritische Infrastrukturen, also Strom, Wasser, Verkehr, Information und Kommunikation, würden sie nicht standhalten können.
Dominanzstrategien oder internationale Kooperationen – die Pandemie als Herausforderung
Die Corona-Krise zeigt aber auch, dass eine kooperative, friedliche Welt für alle Menschen bessere Lebensbedingungen schafft. Positiv betrachtet kann sie die Kräfte freisetzen, die für die Bewältigung jener anderen, sehr viel anspruchsvolleren und obendrein menschengemachten Katastrophe nötig sind.
Dass anfangs, in der akuten Not, Staaten um Hilfe gebeten wurden und zur Hilfe bereit waren, mit denen man in einer Konfrontation steht, war ein gutes Zeichen. Inzwischen wird aber Entwicklung und Verteilung von Impfstoff fast schon zu einem zivilen Krieg um Macht und Einflusssphären.
Statt also für ein globales Problem nach gemeinsamen Lösungen und kooperativen Konzepten zu suchen, werden selbst Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen für die Bevölkerung zum Bestandteil einer Konkurrenz- und Dominanzstrategie erklärt. Statt chinesische oder russische Impfstoffe ohne Vorbehalt nach rein wissenschaftlichen Kriterien daraufhin zu prüfen, ob sie bei der Bewältigung der gigantischen Herausforderungen hilfreich sein könnten, wird selbstherrlich und fröhlich der Eurozentrismus gefeiert.
Dabei könnte eine kooperative Strategie erheblich mehr Sicherheit schaffen – nicht nur für die privilegierte Bevölkerung in den Industriestaaten, sondern gerade in den Entwicklungsländern, die unter den Folgen der Corona-Eindämmungsversuche deutlich mehr leiden als unter dem Virus selbst.
Für einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff
Dass aber auf der anderen Seite weiter geplant wird, mit zig Milliarden Euro neue Fregatten, Kampfflugzeuge und Atombomber für die Bundeswehr anzuschaffen, ist ein Relikt alten Denkens.
Wir brauchen das Geld für Gesundheit, soziale Sicherheit und Klimagerechtigkeit, aber auch für die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Jeder Euro für Aufrüstung fehlt im Zivilen, für die wirklichen Herausforderungen. Wenn wir gut aus der Krise herauskommen wollen, dann müssen wir uns jetzt mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär hineinbegeben, in Deutschland, in Europa und weltweit.
Es gibt dafür gute Ansatzpunkte aus der Zivilgesellschaft: etwa das Szenario „Sicherheit neu denken“ aus der Evangelischen Landeskirche in Baden, das eine Herausforderung zu grundsätzlichem Umdenken und konkrete Schritte zum vollständigen Ausstieg aus der militärischen Sicherheitspolitik bis zum Jahr 2040 formuliert (und das die DFG-VK personell und organisatorisch unterstützt). Natürlich gibt es auch an diesem Konzept aus linker Sicht das eine oder andere auszusetzen, aber es bietet eine weit realistischere Analyse und Diskussionsgrundlage als so manches Positionspapier, das mit dem kurzfristigen Blick allein auf die nächste Wahlperiode verfasst wurde.
Konversion
Mehr als einen Gedanken müssen wir dabei auf Konversion verwenden, weil das der größte Stolperstein für die Akzeptanz radikaler Abrüstung ist. Der Umbau der Rüstungsindustrie ist technisch kein größeres Problem, denn die Arbeiter*innen in den Rüstungsbetrieben sind in der Regel hoch qualifiziert und in der Lage, nützliche Produkte herzustellen. Zudem sind nur wenige Betriebe bloße Waffenschmieden. Allerdings ist es eine Machtfrage, private Unternehmen dazu zu bringen, die hoch profitable Rüstungsindustrie zugunsten nützlicher Produktion aufzugeben.
Dabei helfen drei Instrumente: Die umfassende Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften, die systematische Reduzierung der staatlichen Aufträge und die Rückbesinnung auf das Grundgesetz, das Rüstungsexporte eigentlich verbietet.
Auch die Reintegration der Soldat*innen und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ins zivile Arbeitsleben will gut geplant werden, bietet aber auch Chancen, da bereits in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und in technischen Berufen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Marinesoldaten können staatliche zivile Seenotretter werden, und Pioniere im Natur- und Umweltschutz eingesetzt werden. Das Cyber-Abwehrzentrum wird dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unterstellt und so weiter.
Was ist dafür zu tun?
- Es braucht vor allem andere politische Mehrheiten. Und damit meine ich nicht rechnerische Zahlenspiele oder bloß irgendeine Regierungskoalition unter Einschluss der Linken. Vielmehr geht es um eine Konstellation, in der signifikante Mehrheiten zumindest in den Mitte-Links-Parteien einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff zur Grundlage ihrer Politik machen. Gründe dafür gäbe es viele:
- Eine zivile Sicherheitspolitik eröffnet ungeahnten Gestaltungsspielraum in anderen Politikfeldern.
- Sie schafft einen neuen Zusammenhalt zwischen der Politik und den Menschen, die in ihrer übergroßen Mehrheit Krieg als Mittel der Politik ablehnen.
- Sie wäre ein Beitrag zum inneren Frieden und zur globalen Gerechtigkeit.
- Sie wäre ein Ausdruck wirklicher Verantwortungsübernahme durch unser Land und eine Chance zur Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit.
Was spricht eigentlich dagegen?
Kathrin Vogler ist seit Jahrzehnten Mitglied der DFG-VK, war Mitglied im BundessprecherInnenkreis und Bundesgeschäftsführerin. Seit 2009 ist sie Bundestagsabgeordnete für Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Im April wurde sie für eine weitere Kandidatur zum Bundestag auf den aussichtsreichen Platz 5 der nordrhein-westfälischen Landesliste gewählt.