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Grässlin

19. Dezember 2021

Für eine Welt ohne Waffen und Militär

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Friedenskongress

Der World Peace Congress 2021 des International Peace Bureau in Barcelona“

Von Jürgen Grässlin

Vom 15. bis 17. Oktober fand in Barcelona der zweite World Peace Congress des International Peace Bureau (IPB) statt, fünf Jahre nach der Auftaktveranstaltung in Berlin. Der IPB-Kongress war bestens besucht, diesmal mit 1 000 anwesenden Teilnehmer*innen und 1 500 virtuell zugeschalteten Friedensfreund*innen. Das diesmalige Motto „(Re)Imagine our World: Action for Peace and Justice” war inspiriert von John Lennons Friedenshymne „Imagine“, die der britische Sänger und Songwirter exakt ein halbes Jahrhundert verfasst hatte. 

Stephan Möhrle, Ruth Rohde, Chriss Sotow und ich waren als vierköpfige Delegation des in Freiburg ansässigen RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) für das Global Net – Stop The Arms Trade (GN-STAT) angereist. Vor Ort traf ich mich mit weiteren Aktivist*innen der DFG-VK, seitens des BundessprecherInnenkreises mit Jan Sander. 

Barcelona als Tagungsort war bestens gewählt: Die Bürgermeisterin und der katalonische Regionalpräsident hielten flammende Reden für Frieden und Gerechtigkeit, die weit über bloße Lippenbekenntnisse hinausgingen. Mit Erfahrung und Engagement führten uns die IPB-Co-Präsidenten Lisa Clark und Philip Jennings (virtuell omnipräsent) sowie Reiner Braun, der vormalige IPB-Präsident und jetzige IPB-Generalsekretär, und der spanische Gastgeber Jordi Calvo Rufanges durch den Kongress.

Gelungen waren gleich zur Einführung die vielen Kurzreferate und Greetings, zeigten sie doch die thematische und organisatorische Breite des IPB mit seinen mehr als 300 Mitgliedsorganisationen auf. Über drei Tage hinweg wurde uns Zuhörer*innen mit Nachdruck vermittelt, wie dringlich sofortiges Handeln für Frieden ist. Denn längst wirken die Probleme unserer Zeit existenziell bedrohend: die schier ungebremst voranschreitende Klimakatastrophe, die drohende Atomkatastrophe bei der Modernisierung der Waffensysteme der Atommächte, die mehr als 30 wütenden Kriege und Bürgerkriege, die drastisch gesteigerten Militär- und Rüstungsausgaben bei desaströser Wirkung der Rüstungsexporte, die voranschreitende Entdemokratisierung, die schweren Menschenrechtsverletzungen, die rückschreitende Pressefreiheit in so vielen Ländern, die stetig wachsende Zahl an Flüchtlingen u.v.a.m. 

Den analytisch brisantesten Vortrag hielt m.E. Jeremy Corbyn von der britischen Labour Party, bei dem mir nochmals bewusst wurde, warum Corbyn in seinem Heimatland von den Tories und den Mainstreamedien bewusst diskreditiert und scharf attackiert wurde.  

Trotz des immens dichten Programmes – zwischen Plenary, Video Greetings, musikalischen Performances und den immens vielen Panels – waren in den drei Tagen kaum Pausen eingeplant. Hier galt es für jeden von uns, Prioritäten zu setzen, und gezielt die sich dabei bietenden Gelegenheiten zur Informationsvermittlung und -beschaffung sowie zur Kontaktaufnahme zu nutzen. Einem kongresserfahrenen  Friedensaktivisten fällt dies nicht schwer. Und doch bedauere ich im Nachhinein, nicht noch mehr Workshops besucht zu haben.

Drei Panels seien meinerseits bewusst hervorgehoben. 

Ruth Rohde und Julia Auf dem Brinke gelang in ihrem Workshop „Tracking Corruption in the Arms Trade“, die tiefgreifende Korruption beim weltweiten Waffenhandel aufzuzeigen. Basis dafür ist der von Andrew Feinstein bei aktiver Partizipation des RIB mit dem Global Net ins Leben gerufene Corruption Tracker.

Beim Workshop „Defund the Military. Defend People and the Planet“ hielt ich meinen gleichlautenden Vortrag. Wir sechs Referent*innen ergänzten uns inhaltlich bestens, diskutierten zukunftsgewandt und vertieften unsere Kontakte. Auch beim Workshop „Why EU Arms Export Keeps Fueling War and Repression“ konnten die Zuhörer*innen auf den aktuellen Informationsstand zum europäischen Waffenhandel gebracht werden. 

Bleibend auch das Erlebnis der Verleihung des Seán-MacBride-Peace-Prize an Aktivist*innen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Mit ihnen hat sich in kleiner Runde am Abend ein weiterer wichtiger Kontakt ergeben. 

Besonders gefreut haben mich zudem persönliche Begegnungen wie der gemeinsame Abend mit Malalai Joya, der vormaligen Parlamentarierin in Afghanistan, die heute als Geflüchtete nahe Barcelona lebt. Vermittelt wurde dieser Kontakt durch Heike Hänsel, bis zur Wahl Linke-Bundestagsabgeordnete, und Henning Zierock von der „Kultur des Friedens“. Malalai Joya .

Hinterlässt dieser World Peace  Congress einen bleibenden Eindruck? Als Teilnehmer und Referent antworte ich mit einem klaren Ja – bleibend und positiv. 

Denn dieser globale Friedenskongress hat es dank seiner thematisch versierten und friedenspolitisch engagierten Redner*innen und Aktivist*innen geschafft, den Finger zielgenau in die Wunden weltweiter Problemlagen zu legen, die Krisen im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts kritisch zu analysieren, konkrete Handlungsansätze aufzuzeigen und Konfliktlösungen mit dem gebotenen Nachdruck einzufordern. Grundlage unserer kommenden Zusammenarbeit wird der „Action Plan 2021-2023“ darstellen, der für 2023 eine internationale Konferenz zum Verbot von Rüstungsexporten vorsieht. 

Wollte man etwas kritisieren, so könnte man sicherlich eine größere Aktionsorientierung einfordern, sowohl seitens des Kongresses als auch in den Workshops – zu viele Vorträge, kaum gewaltfreie Aktionen, beispielsweise für die vielen Flüchtlinge am Straßenrand, selbst in den Seiteneingängen der Ramblas. Ich habe dieses Manko dennoch nicht als entscheidendes Defizit empfunden – dank des hohen inhaltlichen Niveaus der Panels und der Redebeiträge und dank der vielen neuen Kontakte in andere Länder und Kontinente, die es jetzt zu intensivieren gilt.

Erfreulicherweise konnte ich zahlreiche Kontakte knüpfen, die dem Aufbau des GN-Stat dienlich sein werden. Mein virtueller Vortrag Mitte November an der Universität Accra in Ghana zur weltweit katastrophalen Wirkung von Kleinwaffen ist ein Resultat eines IPB-Kontaktes. Viele weitere gilt es im Networking für die DFG-VK, für Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel und für das Global Net zu nutzen. 

Schade, dass wieder fünf lange Jahre vergehen werden, ehe der dritte IPB-World-Congress, dann in Asien, stattfinden wird. Bis dahin gibt es richtig viel zu tun, wollen wir eine Welt ohne Waffen und Militär schaffen.

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

Kategorie: International Stichworte: 202104, Barcelona, Grässlin, IPB

25. Mai 2021

Fluchtgrund Waffenhandel

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Titel

Von Jürgen Grässlin

Sind Rüstungsexporte aus Deutschland und aus anderen Industrieländern ein Grund, das eigene Heimatland zu verlassen und eine oftmals lebensgefährliche Flucht ins Unbekannte zu wagen? Stellen Waffentransfers in Krisen- und Kriegsgebiete einen maßgeblichen Fluchtgrund dar? Und zählt Deutschland gar zu den Waffenexporteuren, die selbst Diktatoren und Despoten hochrüsten? Solche Fragen sind leider rein rhetorischer Natur. Denn die Faktenlage ist fatal.

In den vergangenen Jahrzehnten leisteten die Bundesregierungen – gleich welcher parteipolitischen Couleur – aktiv Beihilfe zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Machthaber. Zentrales Element der Stabilisierung sogenannter „befreundeter Staaten“ stellen Kriegswaffenexporte in Milliardenhöhe dar. 

Mit ihren Genehmigungen für Rüstungstransfers an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen und Regimes trugen und tragen Bundesregierungen massiv dazu bei, dass sowohl Kleinwaffen, also Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehre etc., als auch Großwaffensysteme wie Kampfpanzer, Militärhelikopter und Kampfflugzeuge etc. ganz legal und in immensem Umfang in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert werden durften.

Die Folgen dieser ebenso verantwortungslosen wie menschenverachtenden Regierungspolitik waren und sind fatal. Denn Waffenlieferungen an Staaten, in denen Bürgerkriege toben oder die Kriege mit anderen Staaten führen, zeitigen dramatische Folgen. So gelangte über lange Jahre hinweg in Deutschland produziertes Kriegsgerät an staatliche Kriegstreiber in Libyen, Saudi-Arabien oder die Türkei. 

Gerade beim Nato-Partner Türkei können die Bundesregierungen auf eine Jahrzehnte währende Tradition deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft zurückblicken. 

Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes – zumeist mit Waffen von Heckler & Koch (H&K). Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehren des Typs G3 und HK33, in Lizenz von H&K bzw. der Bundesregierung (beim G3) gefertigt bei der staatlichen Waffenschmiede MKEK in Ankara. 

Die allermeisten der Geflüchteten kamen nach Deutschland, vielfach nicht wissend, dass sie in einem Land von Unterdrücker- und Diktatorenfreunden Schutz suchten. 

Allein vom Leopard-2-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann hatte Deutschland der Türkei 354 Stück geliefert. Leo-2 wurden seitens der Truppen von Recep Tayyip Erdoğan u.a. bei der völkerrechtswidrigen Intervention im November 2019 in Nordsyrien eingesetzt. Ein weiterer Grund für die Flucht zahlreicher Menschen. Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung neuerlichen Rüstungsexporten in die Türkei zugestimmt. Allein für 2020 hatte sie Kriegswaffentransfers im Gesamtwert von 22,9 Millionen Euro an das Militär in Ankara genehmigt.

Auch andere Regierungen, deren staatliche Sicherheitskräfte Menschenrechte massiv verletzen, wie die in Ägypten und Algerien, erhielten bzw. erhalten in großen Mengen Waffen aus Deutschland. Waffen, die in den Empfängerländern eingesetzt werden: zur Unterdrückung und Vertreibung Andersdenkender und Andersgläubiger, gegen missliebige Oppositionelle und die Demokratiebewegung oder gegen feindliche Kombattanten. Wer um sein Leben fürchtet und überleben will, muss fliehen. 

Immerhin erreichten in vergangenen Jahren – als die Festung Europa noch lückenhafter war – mehr als zwei Millionen Menschen Mitteleuropa, viele von ihnen Deutschland. Manche Geflüchtete strandeten gar in Städten, in denen die Waffen produziert wurden und werden, mit denen sie und ihre Angehörigen in die Flucht getrieben wurden: in München, Oberndorf, Friedrichshafen, Düsseldorf oder Kassel. An Orten wie diesen wird besonders augenscheinlich: Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten.

Was aber hat die seit 2013 von der CDU/CSU und der SPD geführte Bundesregierung aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Augenscheinlich nichts: Schließlich hat die Große Koalition 2019 ihre Exportgenehmigungen für Rüstungsexporte auf ein neues Rekordniveau gesteigert – zum Wohle der Rüstungsindustrie.

Besonders zynisch ist dabei die Tatsache, dass verschiedene Rüstungskonzerne in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod profitieren. Indem sie einerseits Waffen und technisches Know-How in Gebiete liefern, in denen Kriege oder Bürgerkriege toben und die damit die tobende Gewaltaustragung dramatisch verschärfen. Und andererseits liefern sie Rüstungsgüter, Überwachungselektronik oder Drohnen- bzw. Satellitentechnik, mit denen Grenzen abgeschottet und Menschen an der Flucht in ein sicheres Nachbarland gehindert werden. Zu ihnen zählen Unternehmen in aller Welt, auch deutsche Unternehmen, wie der „Fall 06“ des GlobalNet Stop The Arms Trade (GN-STAT; www.gn-stat.org)dokumentiert.

Militärausgaben und Rüstungsexporte auf Rekordniveau

Weltweit wurden 2019 die Militärausgaben um 3,6 Prozent angehoben, schlimm genug. Noch negativer verlief die Entwicklung hierzulande. Im weltweiten Vergleich des Stockholm Peace Research International Institute (Sipri) stieg Deutschland, wohlgemerkt als einziges Land unter den Top 15, gleich um zwei Plätze – von Rang 9 auf 7 (von 2018 auf 2019). Mit Investitionen in Höhe von 49,3 US-Dollar steigerte die Große Koalition von CDU, CSU und SPD das Volumen der Militärausgaben in nur einem Jahr um zehn Prozent, berechnet auf den Zehnjahres-Zeitraum von 2010 bis 2019 gar um 15 Prozent.

Vergleichbar wüst sind die Werte beim Waffenhandel. Laut Fünf-Jahres-Bericht von Sipri wurde Deutschlands Exportwert für Großwaffensysteme für den Zeitraum von 2015 bis 2019 (im Vergleich zu 2010 bis 2014) von der christlich-sozialen Koalition sogar um 17 Prozent gesteigert. Auch hier der Vergleich: Weltweit wurde das Volumen um weitere 5 Prozent angehoben. 

Auch der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2019 ergibt ein bedrückendes Bild: Die Einzelgenehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern wurden von 2018 auf 2019 von vormals 4,82 auf nunmehr 8,01 Milliarden Euro auf einen neuen Negativrekord in der bundesdeutschen Historie hochkatapultiert. Höchst bedenklich auch die Entwicklung bei den sogenannten „Drittländern“ (außerhalb von Nato und EU): Hier wurde der Gesamtwert der Genehmigungen von 2,55 (2018) auf 3,53 Milliarden Euro (2019) gesteigert. 

Auch Entwicklungsländer wurden üppig mit deutschen Kriegswaffen versorgt. So wurde der Wert der Einzelgenehmigungen innerhalb nur eines Jahres nahezu vervierfacht: von 365,7 Millionen (2018) auf 1,35 Milliarden Euro (2019). Die meistbelieferten Entwicklungsländer waren im Jahr 2019 Ägypten (801,8 Miliionen Euro), Indonesien (201,8), Indien (92,9), Pakistan (63,3) und Marokko (61,4).

Die beiden Atommächte Indien und Pakistan haben bereits mehrere Kriege gegeneinander geführt und liefern sich permanent gewaltsame Grenzkonflikte. Die Menschenrechtslage in Ägypten, Indonesien und Marokko ist äußerst bedenklich. Die Lage der Flüchtlinge in Marokko beurteilt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International so: „Im Kampf gegen unerwünschte Migration baut die EU die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Transitländern aus. In Marokko setzen Repressionen staatlicher Sicherheitskräfte und Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Migrantinnen und Migranten unter Druck.“

Die Hauptempfänger deutscher Kriegswaffen waren 2019 der EU- und Nato-Partner Ungarn, genehmigt mit rund 1,78 Milliarden Euro, Algerien mit 846,6, Ägypten mit 801,8 und die USA mit 660,1 Millionen Euro. 

Ungarn erhält umfassend Kriegswaffen trotz seiner rechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Die ägyptische Militärregierung wird mit deutschen Kriegswaffen hochgerüstet trotz der Beteiligung Ägyptens an schweren Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg. Die USA werden mit deutschem Kriegsgerät beliefert trotz deren militärischen Interventionen und Menschenrechtsverletzungen im Afghanistan- und im Syrien-Krieg sowie deren Unterstützung der Jemen-Aggressoren Saudi-Arabien und Ägypten – um pars pro toto drei Länderbeispiele zu nennen. Allesamt Rüstungsexporte, die ihren Bezug zur Flüchtlingsthematik haben – sei es als Fluchtgrund, sei es als Beitrag zur Flüchtlingsabwehr.

Die aktive Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden mit deutschen Waffen schreitet voran. Unter den Empfängern deutscher Kriegswaffen befanden sich – für mehr als eine Milliarde Euro – 2020 erneut mehrere Staaten im Nahen Osten, obwohl diese in die kriegerischen Auseinandersetzungen im Jemen und in Libyen verwickelt waren und sind.. Die Opfer der Politik der Bundesregierung sind vielfach Zivilist*innen, allen voran Frauen und Kinder, die des nackten Überlebens wegen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen fliehen müssen.

Europa funktioniert immer besser – bei der Flüchtlingsabwehr

In Zeiten der Corona-Krise ist das Schicksal Geflüchteter weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verwunden. Abertausende von ihnen ertranken und ertrinken bei dem Versuch, Europa zu erreichen. Wem die Überfahrt glückte, der landete und landet vielfach in Auffanglagern. 

Schlimmer noch: Griechische Grenzschützer sollen massenhaft Flüchtlinge aufs offene Meer zurückgeschleppt haben. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll „in illegale Pushbacks von Flüchtlingen verwickelt“ sein, meldeten verschiedene Medien. Auf allen Ebenen formiert die Europäische Union die Festung Europa. Die EU-Kommission „plant eine Reform“ der Migrationspolitik. Asylbewerber, die „ohne Aussicht auf Erfolg“ gelten, „sollen schneller abgeschoben und von den Herkunftsländern zurückgenommen werden“. Zugleich hat die EU „die mehrjährige Stationierung großer Drohnen“ von Firmen aus Israel und Italien beschlossen, die das zentrale Mittelmeer noch besser überwachen sollen. Entsprechende Tests wurden für Frontex bereits durchgeführt. Aus einem aktuellen Bericht zur „technischen Ausrüstung“ geht hervor, dass Frontex-Chef Fabrice Leggeri die EU-Grenzschutzagentur 2021 mit Gummischlagstöcken, Teleskop-Schlagstöcken und Tränengas hochgerüstet hat.“ Flüchtlingshilfe sähe anders aus.

Global Net deckt doppelte Profite von Rüstungskonzernen auf

Geradezu perfide ist die Tatsache, dass Rüstungskonzerne in aller Welt in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod und den Flüchtlingen profitieren: Genau sie sind es, die einerseits Waffen und technisches Know-How an Scheindemokraten und Diktatoren exportieren und somit Konflikte verschärfen. 

Direkt an den Grenzsicherungsanlagen kommen vielfach Kleinwaffen bei staatlichen Sicherheitskräften gegen Migrant*innen zum Einsatz. Militärfahrzeuge dienen u.a. dem Materialtransport an die Grenzen und dem Abtransport von Geflüchteten zurück in Flüchtlingslager, in Folterkammern, Gefängnisse oder in die Wüste. So die Darstellung in „Fall 06“ des GN-STAT.

Für die Überwachungssysteme der sogenannten „Border Security“ benötigen Militärs u.a. Biometrie (Messung an Lebewesen z.B. zur Gesichtserkennung), IKT (Informations- und Kommunikationstechnik), bemannte Fahrzeuge, Boden- und Seesysteme, Schiffe, Luftsysteme wie Helikopter, unbemannte Flugzeuge (meist Überwachungsdrohnen) und Militärsatelliten, zudem physische Infrastruktur, Support und andere Dienstleistungen. Mittels dieser Techniken werden unzählige Menschen bedroht und beschossen, aus ihrer Heimat vertrieben, an Grenzen überwacht und abgefangen. Auch Baufirmen profitieren massiv von der Abschottung. 

In vier Stufen veröffentlicht das Global Net in den letzten Monaten anhand ausgewählter Fallbeispiele, wie Konzerne von Waffenlieferungen und vom Geschäft mit der Abschottung profitieren:

  1. rund um Saudi-Arabien,
  2. rund um Israel,
  3. zwischen den USA und Mexiko,
  4. im Maghreb (im Norden Afrikas).

Mit diesem „Fall 06“ gibt das Global Net den Opfern eine Stimme und den Verantwortlichen in Täterprofilen Name und Gesicht. GN-STAT erstellt Firmenprofile, um die beteiligten Unternehmen als das zu entlarven, was sie sind: rein profitorientierte skrupellos agierende Rüstungs-, Fahrzeug- oder Baukonzerne , die von der Abschottung profitieren. 

Pars pro toto sei an dieser Stelle aufgezeigt, wie die Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsgebieten im Osten Afrikas an der Flucht über Saudi-Arabien in den Nahen Osten und später nach Europa gehindert werden (siehe Kasten „Saudi-Arabien).

Fazit

Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Unzählige Menschen mussten und müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen – in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen – fliehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Vizekanzler Olaf Scholz, im Bundesicherheitsrat die maßgeblichen Entscheidungsträger bei besonders brisanten Waffentransfers in Drittländer, wissen das. Dessen ungeachtet genehmigen sie weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebieten. Diese Politik der Bundesregierung ist weder christlich, demokratisch noch sozial. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman. 

Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten – impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung.

2021: Widerstand gegen Waffenhandel, Engagement für Geflüchtete

Politischer Druck wirkt. Mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, einem Bündnis von weit mehr als 100 Organisationen der Friedens- und Entwicklungsbewegung mit der DFG-VK, von Kirchen und Gewerkschaften, ist es gelungen, einen Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien zu erwirken. Somit können zumindest keine neuen Waffen aus Deutschland im Jemen-Krieg zum Einsatz kommen.

Welche Handlungsoptionen stehen uns für 2021 zur Verfügung? Im Herbst findet die Bundestagswahl statt. Bis dahin offenbaren sich verstärkt Chancen, die in Coronazeiten weitgehend unbeachteten Themen der Rüstungsexport-, Abschottungs- und Flüchtlingspolitik zum Thema machen, indem wir

  • Kandidat*innen für den Bundestag in Bürgersprechstunden und bei Podiumsdiskussionen informieren und befragen;
  • Mitstreiter*innen informieren, eigene Handlungsansätze entwickeln und propagieren;
  • Friedens- und Flüchtlingsorganisationen unterstützen, sei es als Mitglied oder durch aktives Handeln;
  • mitmachen bei Kritischen Aktionär*innen von Rüstungs- bzw. Fahrzeugkonzernen, wie z.B. bei Airbus, Rheinmetall, Heckler & Koch und Daimler (wegen deren Lieferungen von Kriegswaffen bzw. Mercedes-Military-Fahrzeugen an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten);
  • uns bei Global Net – Stop The Arms Trade (GN-STAT) des RIB e.V. engagieren durch – steuerlich absetzbare – finanzielle Zuwendungen (denn die weltweiten Recherchen kosten das RIB e.V. viel Geld) oder durch Mitgliedschaft,  durch Reiseberichte, Filme und Fotos aus Krisenregionen, durch eigene Recherchen über Grenzsicherungsanlagen zur Flüchtlingsabwehr (bestehende Berichte in „Fall 06“ erweitern oder neue Fälle von Border Security aufzeigen) oder beispielsweise durch Übersetzungen vorhandener Textpassagen in andere Sprachen;
  • Strafanzeigen unterstützen, die beispielsweise bei illegalem Waffenhandel gestellt wie seitens des RIB e.V. oder der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ bereits bei Heckler & Koch und Sig Sauer mit Erfolg praktiziert (siehe Fall 02 und Fall 04 des GN-STAT);
  • enger kooperieren in der Friedens- und Flüchtlingsbewegung.

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis, einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros und Initiator des Global Net – Stop The Arms Trade.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202102, Aktion Aufschrei, Grässlin, Rüstungsexport, Waffenhandel

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