![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Friedenskongress
Der World Peace Congress 2021 des International Peace Bureau in Barcelona“
Von Jürgen Grässlin
Vom 15. bis 17. Oktober fand in Barcelona der zweite World Peace Congress des International Peace Bureau (IPB) statt, fünf Jahre nach der Auftaktveranstaltung in Berlin. Der IPB-Kongress war bestens besucht, diesmal mit 1 000 anwesenden Teilnehmer*innen und 1 500 virtuell zugeschalteten Friedensfreund*innen. Das diesmalige Motto „(Re)Imagine our World: Action for Peace and Justice” war inspiriert von John Lennons Friedenshymne „Imagine“, die der britische Sänger und Songwirter exakt ein halbes Jahrhundert verfasst hatte.
Stephan Möhrle, Ruth Rohde, Chriss Sotow und ich waren als vierköpfige Delegation des in Freiburg ansässigen RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) für das Global Net – Stop The Arms Trade (GN-STAT) angereist. Vor Ort traf ich mich mit weiteren Aktivist*innen der DFG-VK, seitens des BundessprecherInnenkreises mit Jan Sander.
Barcelona als Tagungsort war bestens gewählt: Die Bürgermeisterin und der katalonische Regionalpräsident hielten flammende Reden für Frieden und Gerechtigkeit, die weit über bloße Lippenbekenntnisse hinausgingen. Mit Erfahrung und Engagement führten uns die IPB-Co-Präsidenten Lisa Clark und Philip Jennings (virtuell omnipräsent) sowie Reiner Braun, der vormalige IPB-Präsident und jetzige IPB-Generalsekretär, und der spanische Gastgeber Jordi Calvo Rufanges durch den Kongress.
Gelungen waren gleich zur Einführung die vielen Kurzreferate und Greetings, zeigten sie doch die thematische und organisatorische Breite des IPB mit seinen mehr als 300 Mitgliedsorganisationen auf. Über drei Tage hinweg wurde uns Zuhörer*innen mit Nachdruck vermittelt, wie dringlich sofortiges Handeln für Frieden ist. Denn längst wirken die Probleme unserer Zeit existenziell bedrohend: die schier ungebremst voranschreitende Klimakatastrophe, die drohende Atomkatastrophe bei der Modernisierung der Waffensysteme der Atommächte, die mehr als 30 wütenden Kriege und Bürgerkriege, die drastisch gesteigerten Militär- und Rüstungsausgaben bei desaströser Wirkung der Rüstungsexporte, die voranschreitende Entdemokratisierung, die schweren Menschenrechtsverletzungen, die rückschreitende Pressefreiheit in so vielen Ländern, die stetig wachsende Zahl an Flüchtlingen u.v.a.m.
Den analytisch brisantesten Vortrag hielt m.E. Jeremy Corbyn von der britischen Labour Party, bei dem mir nochmals bewusst wurde, warum Corbyn in seinem Heimatland von den Tories und den Mainstreamedien bewusst diskreditiert und scharf attackiert wurde.
Trotz des immens dichten Programmes – zwischen Plenary, Video Greetings, musikalischen Performances und den immens vielen Panels – waren in den drei Tagen kaum Pausen eingeplant. Hier galt es für jeden von uns, Prioritäten zu setzen, und gezielt die sich dabei bietenden Gelegenheiten zur Informationsvermittlung und -beschaffung sowie zur Kontaktaufnahme zu nutzen. Einem kongresserfahrenen Friedensaktivisten fällt dies nicht schwer. Und doch bedauere ich im Nachhinein, nicht noch mehr Workshops besucht zu haben.
Drei Panels seien meinerseits bewusst hervorgehoben.
Ruth Rohde und Julia Auf dem Brinke gelang in ihrem Workshop „Tracking Corruption in the Arms Trade“, die tiefgreifende Korruption beim weltweiten Waffenhandel aufzuzeigen. Basis dafür ist der von Andrew Feinstein bei aktiver Partizipation des RIB mit dem Global Net ins Leben gerufene Corruption Tracker.
Beim Workshop „Defund the Military. Defend People and the Planet“ hielt ich meinen gleichlautenden Vortrag. Wir sechs Referent*innen ergänzten uns inhaltlich bestens, diskutierten zukunftsgewandt und vertieften unsere Kontakte. Auch beim Workshop „Why EU Arms Export Keeps Fueling War and Repression“ konnten die Zuhörer*innen auf den aktuellen Informationsstand zum europäischen Waffenhandel gebracht werden.
Bleibend auch das Erlebnis der Verleihung des Seán-MacBride-Peace-Prize an Aktivist*innen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Mit ihnen hat sich in kleiner Runde am Abend ein weiterer wichtiger Kontakt ergeben.
Besonders gefreut haben mich zudem persönliche Begegnungen wie der gemeinsame Abend mit Malalai Joya, der vormaligen Parlamentarierin in Afghanistan, die heute als Geflüchtete nahe Barcelona lebt. Vermittelt wurde dieser Kontakt durch Heike Hänsel, bis zur Wahl Linke-Bundestagsabgeordnete, und Henning Zierock von der „Kultur des Friedens“. Malalai Joya .
Hinterlässt dieser World Peace Congress einen bleibenden Eindruck? Als Teilnehmer und Referent antworte ich mit einem klaren Ja – bleibend und positiv.
Denn dieser globale Friedenskongress hat es dank seiner thematisch versierten und friedenspolitisch engagierten Redner*innen und Aktivist*innen geschafft, den Finger zielgenau in die Wunden weltweiter Problemlagen zu legen, die Krisen im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts kritisch zu analysieren, konkrete Handlungsansätze aufzuzeigen und Konfliktlösungen mit dem gebotenen Nachdruck einzufordern. Grundlage unserer kommenden Zusammenarbeit wird der „Action Plan 2021-2023“ darstellen, der für 2023 eine internationale Konferenz zum Verbot von Rüstungsexporten vorsieht.
Wollte man etwas kritisieren, so könnte man sicherlich eine größere Aktionsorientierung einfordern, sowohl seitens des Kongresses als auch in den Workshops – zu viele Vorträge, kaum gewaltfreie Aktionen, beispielsweise für die vielen Flüchtlinge am Straßenrand, selbst in den Seiteneingängen der Ramblas. Ich habe dieses Manko dennoch nicht als entscheidendes Defizit empfunden – dank des hohen inhaltlichen Niveaus der Panels und der Redebeiträge und dank der vielen neuen Kontakte in andere Länder und Kontinente, die es jetzt zu intensivieren gilt.
Erfreulicherweise konnte ich zahlreiche Kontakte knüpfen, die dem Aufbau des GN-Stat dienlich sein werden. Mein virtueller Vortrag Mitte November an der Universität Accra in Ghana zur weltweit katastrophalen Wirkung von Kleinwaffen ist ein Resultat eines IPB-Kontaktes. Viele weitere gilt es im Networking für die DFG-VK, für Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel und für das Global Net zu nutzen.
Schade, dass wieder fünf lange Jahre vergehen werden, ehe der dritte IPB-World-Congress, dann in Asien, stattfinden wird. Bis dahin gibt es richtig viel zu tun, wollen wir eine Welt ohne Waffen und Militär schaffen.
Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.