Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 2/2021 |
Titel
Die Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition
Nötig: Ein Rüstungsexportkontrollgesetz
Von Jürgen Grässlin
Ende September wird ein neuer Bundestag gewählt und danach eine neue Regierung gebildet. Für den Rüstungsexportbereich wird diese Wahl auf lange Jahre hinaus richtungsweisend sein. Denn ein Weiter-so mit der CDU/CSU oder der SPD wäre der Türföffner für erneute Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten im Nahen und Mittleren Osten und an weitere Staaten weltweit. Damit das Massenmorden mit deutschen Waffen ein Ende findet, bedarf es einer neuen Bundesregierung, die der enthemmten Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition radikal ein Ende setzt.
Allerdings sprechen sich einzig Linke und ÖDP klar gegen den ungebremsten Waffenhandel aus, Die Linke fordert seit Jahren ein umfängliches Rüstungsexportverbot. Jedoch ist die Beteiligung dieser beiden Parteien an der neuen Bundesregierung äußerst unwahrscheinlich. Voraussichtlich werden Bündnis 90/Die Grünen als Teil einer neuen Regierung die Richtung mit vorgeben. Ob in gutem oder schlechtem Sinne, steht noch dahin. Nichts Gutes lässt das Statement des Ko-Vorsitzenden Robert Habeck erwarten, der sich vor Kurzem unverhohlen für Waffenlieferungen an die Ukraine und damit in ein Krisen- und Kriegsgebiet aussprach.
Grundgesetz – Artikel 26: (1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. (2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Wir brauchen neues Denken und eine wirkliche Wende
Was wir aber brauchen, ist neues Denken, eine wirkliche Wende hin zu einer Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung. Im Rahmen dieses Umsteuerungsprozesses bedarf es der Verabschiedung eines neuen und strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace in Absprache mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ für Deutschland vorgelegt worden ist (https://bit.ly/3kkTnrs).
In Ausführung von Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes soll ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten festgeschrieben werden. Dieses neue Gesetz muss dem Menschenrechtsschutz und der Abrüstung und nicht länger den Interessen der Rüstungsindustrie dienen.
Zentrale Ansprüche an ein Rüstungsexportkontrollgesetz sind u.a.:
- Ein Exportverbot von kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition.
- Keine weiteren Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete oder an menschenrechts- und völkerrechtsverletzende Staaten.
- Ein Verbot von Lizenzvergaben sowie der Weitergabe von Waren und Informationen, die den Nachbau und die Weiterentwicklung deutscher Waffen und Rüstungsgüter ermöglichen.
- Zukünftig müssen Exportgenehmigungen begründet und jederzeit widerrufen werden können.
- Keine weiteren Vergaben staatlicher Exportkreditgarantien für Rüstungsgeschäfte (Hermesbürgschaften).
- Schaffung eines Verbandsklagerechts, um Rüstungsexportgenehmigungen gerichtlich überprüfen lassen zu können.
- Wiederbelebung des Rüstungskonversionsfonds zur Förderung der Umstellung von militärischer auf nachhaltige zivile Produktion.
Ein solches neue Rüstungsexportkontrollgesetz sollte das einzige Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Grundgesetz sein und die bisherigen rechtlichen Vorgaben des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Auswirtschaftsgesetzes ersetzen.
Was vor wenigen Jahren noch utopisch geklungen hätte, gewinnt inzwischen an Kontur. Als Konsequenz unserer erfolgreichen Strafanzeige gegen Heckler & Koch wies der Bundesgerichtshof Ende März auf die bestehenden Lücken bei der Kontrolle des Kriegswaffenexports hin. Mit Nachdruck sagte der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats am Bundesgerichtshof in der Urteilbegründung: „Die Rechtslage zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte, auch nicht des Bundesgerichtshofs.“ Der Schwarze Peter liegt also bei der Politik.
Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Rüstungsexporte
Die Zeiten sind günstig für die Rüstungsexportwende. Seit Jahren bereits dokumentieren repräsentative Meinungsumfragen den Mehrheitswillen der Bevölkerung – gegen Rüstungsexporte, für Menschenrechte. So entfachte die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 die Debatte über Waffenexporte nach Saudi-Arabien neu. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen ergab kurz danach ein klares Meinungsbild: Eine deutliche Mehrheit der befragten Bundesbürger*innen sprach sich dafür aus, „dass sich die Bundesregierung in erster Linie an der Menschenrechtslage im Zielland orientieren sollte, wenn sie Rüstungsexporte genehmigt“. Lediglich 15 Prozent der Befragten sahen wirtschaftliche Interessen als prioritär an.
Immerhin sprachen sich bei der Befragung Wähler*innen aller Parteien eindeutig dafür aus, dass Menschenrechte wichtiger als Wirtschaftsinteressen seien. Am größten war der Zuspruch bei Wähler*innen von Bündnis 90/Die Grünen mit 89 Prozent, gefolgt von denen der Linken mit 86 Prozent und der SPD mit 85 Prozent. Selbst bei Wählern der anderen Parteien gab es mehrheitlich Zuspruch: bei der CDU/CSU mit 62, bei der FDP mit 59 und bei der AfD mit 54 Prozent.
Klare Mehrheiten gegen Waffenexporte lassen sich seit Jahren in repräsentativen Meinungsumfragen belegen. Auf die Frage „Einmal grundsätzlich betrachtet, sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Waffen und andere Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?“ antworteten im Januar 2016 erfreuliche 83 Prozent der befragten Bürger*innen mit einem Nein, gerademal 14 Prozent sprachen sich für Rüstungsexporte aus. Bei einer ähnlichen Umfrage fünf Jahre zuvor waren lediglich 78 Prozent dagegen.
In den kommenden Jahren gilt es, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland zur Umsetzung zu verhelfen. Dabei sind Bundestagswahlen ein relevanter Stellhebel, jedoch nicht der einzige. Mit unserer Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ ist es uns gelungen, die Wende hin zur drastischen Reduktion der Exportgenehmigungen bei Kleinwaffen herbeizuführen.
Handlungsansätze für die Friedensbewegung
Sinnvolle und erfolgversprechende Handlungsansätze gibt es genug. Kritische Aktionär*innen bieten die Chance, Rüstungsexportskandale bei Aktiengesellschaften wie Rheinmetall, Daimler oder Heckler & Koch in den Hauptversammlungen anzuprangern und die Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat in Gegenanträgen zu fordern.
Auch gilt es, Strafanzeigen wie die des European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Linkspartei zu fördern. Diese gehen die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden durch Waffentransfers deutscher Rüstungskonzerne juristisch an. Weiterhin gilt es, den offenen Brief von Greenpeace und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und zahlreicher weiterer Organisationen zu unterstützen, der von der Bundesregierung jeweils am Ende eines Jahres nachdrücklich einen völligen Stopp aller Kriegswaffenexporte der Jemen-Kriegsallianz fordert. Bekanntlich wird das Rüstungsexportmoratorium der Bundesregierung jeweils nur für ein Jahr verhängt.
Außerdem müssen wir über den Tellerrand deutscher und auch europäischer Rüstungsexportpolitik hinausdenken. Denn längst haben Konzerne wie Rheinmetall Defence Teile ihrer Produktion nach Italien (RWM Italia) und nach Südafrika (Joint Venture mit Denel) verlagert, um den deutschen Exportrestriktionen zu entgehen. Lasst uns also mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) weltweit aufzeigen, wohin grenzenlos Waffen exportiert werden. Und lasst uns den Tätern Name und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Lasst uns die Werkstore von Waffenschmieden blockieren und vor dem Bundestag und Kanzleramt gegen die Rüstungsexport- und Kriegslobbyisten demonstrieren.
Wir werden mit der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ weiterhin den Finger in die Wunde einer durch und durch inhumanen und ethisch äußerst verwerflichen Rüstungsexportpolitik legen. Konsequent und kreativ werden wir unsere Aktionen zur Demaskierung der Bundesregierung weiterentwickeln – so wie mit der X-Ray-Aktion vor dem Deutschen Bundestag, der „Waffenkammer Deutschlands“ Ende August.
Rückblick zeigt Notwendigkeit der Wende
Ein Rückblick zeigt, wie notwendig eine Wende ist.
Als die CDU/CSU/SPD-Regierung nach der Bundestagswahl 2017 erneut ihr Amt antrat, schenkten viele Bürger*innen den hehren Versprechungen Glauben, die neue Regierung werde in zentralen Politikbereichen eine Wende zum Guten einleiten.
Im Rüstungsexportbereich hofften viele darauf, dass die hemmungslose Exportpolitik nun beendet und Abrüstung die Agenda bestimmen würde. Immerhin hatte die Vorgängerin, ebenfalls eine Große Koalition, mit Einzelgenehmigungen von Rüstungsexporten im Volumen von rund 24,8 Milliarden Euro so viele Waffentransfers genehmigt, wie keine Regierung zuvor.
Heute, noch vor Ende der Wahlperiode, bleibt eine finale Gesamtbewertung unvollständig. Auf eine Anfrage
der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen bestätigte die Regierung, dass sie in der noch laufenden Periode Rüstungstransfers im Umfang von mehr als 22,5 Milliarden genehmigt habe.
Eine Zahl, die zu niedrig angesetzt sein dürfte. Denn gemäß den Angaben der regierungsamtlichen Rüstungsexportberichte wurden in den Jahren 2018 bis 2020 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,8 (2018), 8,0 (2019) und 5,8 Milliarden Euro (2020) erteilt. Rechnet man anteilig die Monate Oktober bis Dezember für 2017 mit 1,5 hinzu sowie anteilig die ersten neun Monate für 2021 (Datenbasis erstes Halbjahr) mit 3,4 hinzu, so ergibt sich für die 19. Legislaturperiode die finale Summe von rund 23,6 Milliarden Euro. Die zu Ende gehende Wahlperiode ist damit gekennzeichnet von einer Stabilisierung der Waffentransfers auf immens hohem Niveau.
Schlimmer noch: Analysiert man die Einzelgenehmigungen seit der Publikation von Rüstungsexportberichten, beginnend im Jahr 1996, dann waren bisher die Jahre 2015-17 negativ hervorgetreten. Für 2019 allerdings müssen sich die Regierenden in Berlin den Vorwurf gefallen lassen, die Einzelgenehmigungen für Kriegswaffenexporte auf den historisch neuen Negativrekordwert von 8,014 Milliarden Euro hochgeschraubt zu haben.
Von einer funktionierenden Exportkontrolle oder gar einer „restriktiven Exportpolitik“ – wie von CDU/CSU und SPD immer propagiert – kann keine Rede sein. Dies ist umso betrüblicher, als auch die Rüstungsexportrestriktionen auf internationaler Ebene weitgehend versagen.
Rüstungsexport-Rekordhalterin Angela Merkel. Die Gesamtbilanz der Ära Merkel fällt absolut desaströs aus. Als Bundeskanzlerin und Vorsitzende des Bundessicherheitsrats von 2005 bis 2021 verantwortet Angela Merkel in ihrer 16-jährigen Amtszeit Waffenexportgenehmigungen für Einzel- und Sammelausfuhren in Höhe von mehr als 122 Milliarden Euro. Damit ist sie unangefochten Rekordhalterin in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte vor allen anderen Kanzlern – auch vor Helmut Kohl, der ebenfalls 16 Jahre als Kanzler regierte.
Unter Merkels Ägide durfte die deutsche Rüstungsindustrie mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten jahrelang mehrere Staaten der Jemen-Kriegskoalition hochrüsten. Dank ihrer Zustimmung konnten deutsche Waffen zudem im Afghanistankrieg, im Libyenkrieg, im Irakkrieg und im Syrienkrieg zum Einsatz kommen. Angela Merkel verantwortet mit ihren Minister-Kolleg*innen im Bundessicherheitsrat die erzwungene Flucht, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung Abertausender unschuldiger Menschen mit deutschen Waffen in Krisen- und Kriegsgebieten.
Der 26. September bietet die Chance für eine wirkliche Umkehr!
Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG- VK-BundessprecherInnenkreis und einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“