Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 2/2021 |
Kriegsdienstverweigerung
Wie Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerung mein Leben „reich“ machten
Von Robert Hülsbusch
Donnerstag, 18. Februar 1982, 14 Uhr 30. In Coesfeld tagt im Kreiswehrersatzamt der Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer. Der Vorsitzende schließt die Sitzung mit den Worten: „Der Antragsteller Robert Hülsbusch ist berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern.“ Jetzt hält mich nichts mehr. Ich stehe zügig auf, packe meine sieben Sachen , verlasse auf der Stelle den Saal, springe die paar Treppen herunter, eile durch die Eichentür ins Freie, ab ins Auto und los geht es nach Hause. Unbeschreibliche Gefühle übermannen mich, Erleichterung, Freude, Wut … ein Knoten scheint zu platzen, Tränen laufen über mein Gesicht. Erlösung – nach 10 Jahren aufgestauter Emotionen. Belogen und betrogen. Bedrängt und ausgebremst. Fertig!
Zunächst hielt ich den Bundeswehrdienst für eine gute Möglichkeit
Nach dem Abitur wurde ich am 2. Juli 1973 Soldat in Coesfeld. Damals meinte ich, dies sei eine gute Möglichkeit, die Zeit bis zum Maschinenbau-Studium zu überbrücken. Ja, es gab vereinzelt entfernte Bekannte, die einen Antrag auf KDV gestellt hatten. Für mich war das kein Thema. Aus einem kleinen Dorf kommend, völlig unpolitisch, eher angepasst. Dorfjugend halt. Wie sich dies änderte, steht in der Begründung zu meinem ersten Antrag auf Anerkennung als KDV, drei Monate nach meinem Dienstantritt: „In den ersten zwei Monaten nach meiner Einberufung standen Fernschreibausbildung und der Erwerb des Führerscheins auf dem Dienstplan. Darauf, in den letzten vier Wochen der Grundausbildung, folgte die Schieß- und Infanteriegefechtsausbildung. Den zweiten Tag dieser Ausbildungsperiode werde ich nie vergessen. Morgens im Unterricht wurde uns gelehrt, wie man schießt (Kimme und Korn) und wo man den Gegner treffen soll, um ihn kampfunfähig zu machen, heißt natürlich letztlich, ihn zu vernichten. Uns wurden „Tricks“ beigebracht, wie man möglichst viele Menschen mit möglichst wenig Aufwand tötet (Flankenfeuer).“
Das schrieb ich damals nicht, heute aber sage ich: „Das ist Mord!“ – „Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ (Kurt Tucholsky)
Unvorstellbar meine Betroffenheit, die sich in eine innere Auflehnung gegen den Vorgesetzten steigerte.
Der Nachmittag war für die praktische Zielübung angesetzt. Unsere `Aufgabe´ war es, mit dem Gewehr aus allen Anschlagsarten auf abgebildete Soldaten zu zielen. Zum ersten Mal hielt ich dieses Mordinstrument, das ich bis dahin nur aus Filmen kannte, selbst in der Hand. Auch wenn ich es gewollt hätte, ich konnte auf diese Figuren nicht zielen. Ich werde und will nie in der Lage sein, Menschen zu töten, töten zu müssen oder auch nur eine Waffe gegen Menschen zu richten…“ So war es. Was ich noch anmerkte: Einen Tag später fuhren wir mit dem ganzen Ausbildungszug nach Oberhausen in das Kinderdorf. Dort waren Kinder aus Vietnam untergebracht, die den Krieg dort erlebt und erlitten hatten. Was Krieg anrichtet, was Militär erst recht für die Kleinen bedeutet, konnten wir angehende Soldaten uns anschauen. Wahrlich ein Anschauungsunterricht, der zumindest bei mir seine Wirkung nicht verfehlte.
Insgesamt baute ich meine Begründung auf, wie sie wohl Hundertausende junger Männer damals schrieben: Gewissensentscheidung, Erziehung zur friedlichen Konfliktlösung in der Familie, Kriegserlebnisse von Familienmitgliedern, Kriegsfilme, Erfahrungen mit Tod und Abschied, die zeigen: Das menschliche Leben ist das höchste Gut, was niemand zerstören darf. Töten geht gar nicht.
Ich war ca. vier Monate bei der Bundeswehr, als die erste Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss anberaumt wurde. Die Teilnahme am Gelöbnis hatte ich zwischenzeitlich abgelehnt, klar, auch die Teilnahme an weiteren Schießübungen. Und natürlich befand ich mich als „KDVler“ in einer Sonderrolle in der Soldatenwelt. Die unteren Dienstgrade ließen mich ihre „Abscheu“ spüren. Ein „Verräter“. Die meisten Offiziere verstanden zumindest auf der intellektuellen Schiene, was mich bewegen musste. Schikane hatten sie nicht nötig. Im Gegenteil: Bei einer Gefechtsübung, im Wald mit grünen Zweigen auf dem Stahlhelm und mit geschwärztem Gesicht, damit der „Feind“ uns nicht erkennt, und mit dem G3 im Anschlag, geladen mit Platzpatronen – so wurde der Angriff geprobt, sorry, natürlich die „Verteidigung“. Ich wurde vom Hauptmann unserer Kompanie als Wache abgestellt. Während die „Kameraden“ durch Unterholz krochen und mit Platzpatronen aufeinander losgingen, saß ich gemütlich am Waldrand, hörte in Gefechtspausen den Vögeln zu und las in einem Buch. Kämpfen und Schießen – nichts für mich.
Die erste Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss 1973
Vor dem Prüfungsausschuss am 29. November 1973 fand ich kein Erbarmen. Wo kämen wir auch hin, wenn ein Soldat so einfach seine „Flinte ins Korn“ werfen kann. Ich hatte keine Chance. Heute ist mir klar: Ich war 18, unerfahren mit Gerichten und Verfahren, eher ein schüchterner Typ, nicht vor Selbstbewusstsein strotzend. Ohne klare Strategie. Diese Unsicherheit spürte ich schon vor der ersten Verhandlung und versuchte deshalb im Voraus, alles „wasserdicht“ zu machen. Freunde schrieben mir Referenzen, meine Mutter setzte ein Schreiben auf, in dem sie ihre Kriegsgeschichte erzählte und deutlich machte: Meine Kinder erziehe ich zum Frieden, sie werden keine Soldaten. Ein erwachsener Freund kam mit zur Verhandlung, dort jedoch kaum zu Wort. All diese „Vorbereitungen“ machten den Erfolg nicht wahrscheinlicher. Die Prüfer ließen sich nicht beeindrucken:
„Der Prüfungsausschuss hat dem Antragsteller nicht abgenommen, dass ihm die praktische Ausbildung am Gewehr zu der Erkenntnis verholfen hat, dass er nicht in der Lage sei, einen Menschen zu töten. … Dennoch wollte der Prüfungsausschuss dem Antragsteller die Gelegenheit geben, seine Darlegung, keinen Menschen töten zu können und seine innere Bindung an dieses Gebot anhand beispielloser Situationen offen zu legen. Die Versuche des Prüfungsausschusses schlugen fehl. Der Antragsteller antwortete ausweichend und wollte sich nicht festlegen! Der Antrag konnte demnach keinen Erfolg haben.“
Widerspruchsverhandlung vor der Prüfungskammer 1974
Aus der Entlassung aus der Bundeswehr einen Tag später wurde leider nichts. Wieder zum Dienst. 14 Tage später legte ich Widerspruch ein. Die Verhandlung fand am 29. Januar 1974 vor der Prüfungskammer für KDVer bei der Wehrbereichsverwaltung III, Außenstelle Münster, statt. Auch hier hatte ich keine Chance. In der Ablehnung des Widerspruchs führte die Kammer, bestehend aus einem Oberregierungsrat als Vorsitzenden, einem Technischen Bundesbahnoberinspektor, einem Kaufmännischen Angestellten und einem nicht näher bezeichneten Beisitzer, aus:
„Bloße verstandesmäßige, politische, weltanschauliche oder sonstige rationale Erwägungen gewähren als solche ebenso wenig ein Recht auf KDV wie eine rein gefühlsmäßige Abneigung gegen den Krieg und die Beteiligung daran. Rationale Erwägungen oder auch eine gefühlsmäßige Abneigung gegen eine Beteiligung am Kriegsdienst sind nur insofern von Bedeutung, als sich auf ihrer Grundlage eine Gewissensentscheidung gebildet hat. d.h., dass sich die ursprünglich nur rational oder gefühlsmäßig begründete Einstellung später zu einer sittlich verpflichtenden Überzeugung vertieft.“ So war das also. Und wer diesen Schritt zur Gewissensbildung vollzogen hat, das bestimmten vor Prüfungsausschuss und Prüfungskammer die vier Herren. Im Zentrum dieser Vergewisserung und Bestimmung stand wieder die zentrale Frage: Wie entscheiden Sie sich in einer Notwehrsituation? Die Prüfungskammer entwickelte für mich die Szene: Abends im Dunkeln kommt ein Mann auf Sie zu. Er will das Geld. Er drängt sie zurück gegen einen Zaun. Sie bemerken, dass eine Latte locker ist… Na, was machen Sie…“
In einem hatte die Prüfungskammer in ihrer Begründung recht: „Der Wehrpflichtige hätte unter Berücksichtigung seines Bildungsstandes mehr und überzeugender vortragen können und müssen, wenn er sich ernsthaft aus echten Gewissensgründen gegen den Kriegswaffendienst entschieden hätte.“ Die Ernsthaftigkeit lasse ich mir nicht absprechen. Dass ich nicht sehr überzeugend argumentierte und auftrat – das will ich gerne zugeben. Mit 18 Jahren war ich dazu nicht in der Lage – trotz Abiturs. So fühlte ich mich noch zusätzlich gedemütigt. Zu Recht. Die Erwartung der Prüfungskammer war Unrecht.
Bereits 1958 warnte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Grundsatzurteil vom 3. Oktober vor dieser Erwartung: „Nicht außer Acht gelassen werden darf bei dieser Prüfung, dass es sich bei den Wehrpflichtigen in der Regel um junge, geistig nicht ausgereifte Persönlichkeiten handelt, denen es vielfach schwerfällt, das, was sie im Innern bewegt, und die Erkenntnis, die sie zur Verweigerung des Dienstes mit der Waffe veranlasste, in bestimmter und klarer Forum wiederzugeben und derartige, der konkreten Darstellung sich entziehende seelische Regungen in Worte zu kleiden.“
Genau. So war es bei mir. Und nicht nur bei mir: „Kann der Betreffende“, so ein anderes Urteil des BVerwG vom 11.2.1966 (VII C 41.64), „wie in den meisten Fällen dies mit Worten nicht klarmachen und bestehen nach Lage der Sache keine schwerwiegenden gegen das Vorliegen dieser Voraussetzungen sprechende Anzeichen, so muss die Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit den Ausschlag geben.“ Dass diese „Würdigung“ nicht zu meinen Gunsten geschah, dass auch die Aussagen meiner Mutter und die Referenzen meiner Freunde kaum Berücksichtigung fanden, das ist nicht verwunderlich. In diesen Jahren war das Verfahren zur Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern eindeutig dem Rekrutierungsbedarf der Bundeswehr untergeordnet. Von wegen Grundrecht Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes!
„Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz! Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen sie mal: Sind sie eigentlich Kommunist? Na ja…“ (Franz Josef Degenhardt)
Also wieder zurück in die Kaserne, wieder zurück zum Kriegsdienst, wieder zurück zur Ausbildung, zur Abrichtung zum Töten. Wenige Wochen später war die Zeit des Grundwehrdienstes vorbei. Drei Kreuzzeichen. Die Sachen gepackt und raus aus der Kaserne. Diese werde ich nie, nie wieder betreten. Das stand fest. Und auch: Den KDV-Antrag werde ich noch mal stellen. Da ist noch eine Rechnung offen, eine emotionale Wunde, die geschlossen werden muss.
Friedenspolitik wurde mein Lebensmittelpunkt
Die 15 Monate bei der Bundeswehr und die Erfahrungen mit dem Verfahren für die KDV-Anerkennung hatten Konsequenzen. Die erste: Das beabsichtigte Studium des Maschinenbaus wurde gestrichen. Meine Zukunft war nun eine andere. Ich wollte mit Menschen arbeiten, helfen, dass alle eine Chance bekommen für ein lebenswertes Leben. So begann ich ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Münster und ließ mich zum Grund- und Hauptschullehrer ausbilden. Gerade den Kindern, die nicht einen „goldenen Start“ ins Leben haben, galt mein Interesse. Parallel studierte ich noch Sozialpädagogik. Und natürlich politisierten mich die Erfahrungen der letzten Monate. Ich trat den Jungsozialisten bei und belegte an der PH Seminare über Friedenserziehung. Es waren zu diesem Thema damals, 1975, die ersten Uni-Angebote. Über mehrere Semester befassten wir uns mit dem Thema Frieden und Friedenerziehung, dachten über Krieg und Frieden nach, analysierten die politischen Voraussetzungen für eine friedliche Welt. Die ersten theoretischen Erkenntnisse damals: „Die Welt ist nicht mehr unbegrenzt. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden wir Grenzprobleme erreichen, deren Bewältigung das Schicksal der Menschheit entscheidet: Die bekannten Rohstoffquellen sind endlich. Die Belastung der Umwelt steigt ins Unermessliche. Der Hunger und die Armut in der Welt werden größer. Die Rüstung nähert sich einer Schallmauer. Und nur wenn die Menschen fähig und willens sind, diese Probleme gemeinsam anzufassen und friedlich zu regeln, haben wir eine Chance zu überleben… Ohne Frieden ist alles nichts. Wenn wir dieses Ziel nicht im Auge haben, können wir alle anderen vergessen.“ So stand es einige Jahre später in meiner Begründung für einen erneuten KDV-Antrag. Die Erfahrung bei der Bundeswehr und das anschließende Studium der Pädagogik sollten mein ganzes Leben prägen. Schon bei den Jungsozialisten galt ab 1977 mein Interesse der Friedenspolitik. Und als Anfang der 1980er Jahre die sogenannte „Nato-Nachrüstungsdebatte“ begann, war ich dabei. 1981 gründete ich in Nottuln die Friedensinitiative, die noch heute sehr aktiv ist. In der SPD leitete ich viele Jahre auf Unterbezirksebene einen Friedenskreis. Bis ich die SPD nach der Zustimmung zum Jugoslawien- und später zum Afghanistankrieg verließ. Einige Jahre war ich auch auf Bundesebene aktiv, eine kurze Zeit als einer der Bundessprecher der DFG-VK, lange Jahre als Mitglied im Koordinationsausschuss der Kooperation für den Frieden. Friedenspolitik wurde mein Lebensmittelpunkt – privat, beruflich, politisch. Bis heute. Und durch das friedenspolitische Engagement wurde mein Leben nicht nur bestimmt, sondern auch sehr bereichert.
„Reserve hat keine Ruh´“
Aber da war noch eine „Rechnung“ offen: Am 8. April 1981 stellte ich – wieder – einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Der Anlass und Anstupser: Am 27. März 1981 erhielt ich vom Kreiswehrersatzamt Coesfeld die Aufforderung, „soldatische Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke aus Bundeswehrbeständen zu übernehmen, jederzeit erreichbar sorgfältig aufzubewahren und zu pflegen.“ Das fehlte noch!
1982: Endlich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt
Am 18. Februar 1982 war es dann soweit. Morgens unterrichtete ich noch in der Schule. Dann ab ins Auto nach Coesfeld zum Kreiswehrersatzamt, wo der Prüfungsausschuss auf mich wartet. Diesmal fuhr ich mit einem anderen Gefühl zur Verhandlung. Ich war nicht mehr 18, sondern 27 Jahre alt, hatte ein Standing als Lehrer und Erfahrungen in der Friedensarbeit. Außerdem belastete mich nicht der Druck, unbedingt anerkannt werden zu müssen, um nicht wieder einen Tag später in die Kaserne zu müssen. Ohne viel Vorbereitung ging ich diese Verhandlung an, keine „wasserdichten“ Referenzen, keine Unterstützung durch einen Freund, ganz allein auf mich gestellt und mich auf mich verlassend, selbstsicher und authentisch. Auch ohne Respekt vor den Herren mir am Tisch gegenüber. Die einzige Unterstützung, die ich mir nahm: Zur Einstimmung hörte ich auf der Autofahrt – von der Kassette – Hannes Wader, laut aufgedreht, mitsingend, von einem jungen Mann, der als Soldat im Ersten Weltkrieg sterben musste: „Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur, von deinem Leben, doch hör meinen Schwur, Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein, fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein. Dann kann es geschehen dass bald niemand mehr lebt, niemand der die Milliarden von Toten begräbt. Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit, diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit…“ Es ist höchste Zeit!
PS: Viele Jahre später – 2016 – wurde ich für mein friedenspolitisches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Staat, der im internationalen Konzert der militärisch basierten Außenpolitiken gut mitmischt, der mich in meinen jungen Jahren mit der „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ so bedrängte, ehrte mich – mit staatlichem Symbol. In meiner Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes formulierte ich damals dialektisch den Widerspruch so: „Wer ehrt, wer gar Orden verteilt, der übernimmt auch Verantwortung, der outet sich. Der Orden ehrt nicht nur ein gesellschaftliches Engagement. Untrennbar damit verbunden sind inhaltliche Positionen. Das bedeutet in meinem Fall: Der Orden ehrt auch eine zutiefst pazifistische Einstellung…“ Und zurückblickend: „Wie ich zu dieser Einstellung kam, musste ich 1974 in Coesfeld im damaligen Kreiswehrersatzamt vor dem Prüfungsausschuss für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer darlegen. Zu guter Letzt bekam ich den staatlichen Stempel, die Anerkennung dessen, was ich vortrug: Es gibt für mich keinen Grund, Gewalt anzuwenden, erst recht nicht, mit der Waffe in der Hand. Gewalt ist nicht nur unmenschlich, nicht nur ethisch verwerflich. Gewalt war und ist auch nie ein erfolgreicher Lösungsansatz für Konflikte…“
Viele Jahre später schrieb das der Theologe und Publizist Eugen Drewermann in seinem Buch „Krieg ist Krankheit, keine Lösung“ so: „Gewaltfreiheit ist keine Utopie, sondern eine Notwendigkeit im Zusammenleben der Menschen, bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Welt“. Und so halte ich es mit der War Resisters´ International: „Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“
Und dies war und ist mir auch und ganz besonders als Vater ein Anliegen. Reinhard Mey inspirierte mich schon vor Jahren, noch einmal an das Kreiswehrersatzamt Coesfeld zu schreiben:
Ich denk´, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab –
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten
Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab‘! (Moritz und Malte)Wir haben nur dies eine kurze Leben –
Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb´ ich nicht (1986)
Ich schwör’s und sag’s euch g’rade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Und meine Tochter Lea erst recht nicht!
P.P.S: Meine Erfahrungen mit der Kriegsdienstverweigerung konnte ich in den 1980er Jahren vielen jungen Freunden mitteilen. Viele bereitete ich auf ihre Verhandlungen zur Anerkennung als KDV vor. Wie man scheitert und wie man durch dieses Verfahren kommt, hatte ich erfahren. Der Ergebnis: Insgesamt wurden ca. 20 junge Menschen, die ich beraten hatte, schon in der ersten Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss anerkannt. Die Rechnung war aufgegangen. Die Wunde geschlossen.
Robert Hülsbusch ist jahrzehntelanges DFG-VK-Mitglied und war 1981 Gründer der Friedensinitiative Nottuln, die auch heute noch aktiv ist. (https://www.fi-nottuln.de)
Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist in der Printausgabe der ZivilCourage 2/2021 erschienen.
Nachfolgend die Texte der Lieder
Franz Josef Degenhardt: Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers (1972)
Hannes Wader: Es ist an der Zeit (1980)
Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht (1986)
Franz Josef Degenhardt
Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers (1972)Dies ist die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers
Franz Josef Degenhardt (1931 – 2011; war ein deutscher Liedermacher, Schriftsteller, promovierter Jurist und Rechtsanwalt)
Durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden
Also sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
Sagen sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?
Ja sie dürfen sitzen bleiben
Überhaupt wir sind hier ziemlich liberal
Lange Haare, Bärte, Ketten, Ringe
Ha’m wir alles schon gehabt
Aber in die Akten scheißen mögen wir hier nicht
Marx und Engels haben sie gelesen sagen sie uns
Sagen sie, verstehen sie das denn?
Sie ha’m doch bloß die Volksschule besucht
Na, nu‘ regen sie sich nicht gleich auf
Dafür können sie ja nichts
Lesen dürfen sie ja was sie wollen, überhaupt
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Ja, Soldat sein das will heute keiner mehr
Kann ich auch verstehen
Und ich selber hätte keine Lust, aber
Gründe haben müssen wir dafür
Na, nu‘ fangen sie nicht wieder an
Mit Imperialismus, den zwei Kriegen
Und die alte Klasse ist noch immer an der Macht
Und sie wollten nicht für die
Kastanien aus dem Feuer holen
Das versteh’n wir ja
Mag auch alles richtig sein
Interessiert uns aber nicht
Das ist nämlich Politik
Hier interessieren nur Gewissensgründe
Was das ist?
Hört sich zwar sehr grausam an
Trifft den Nagel aber auf den Kopf, nämlich
Ob sie töten können oder nicht
Ja hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Also fangen wir mal an!
In ’ner Kirche sind sie nicht?
Auch nicht in ’ner anerkannten Sekte?
Sehen sie, da wird’s schon schwierig mit Gewissensgründen
Einen haben wir ‚mal hier gehabt
Und der machte auf Buddhist
War so’n Typ mit Glatze, aber
Durchgekommen ist er. Schlaues Kerlchen!
Also passen sie mal auf
Ich werd jetzt ihr Gewissen prüfen
Nehmen wir mal an, sie geh’n spazieren
Mit ihrer Freundin nachts im Park
Plötzlich kommt ’ne Horde Russen
Stockbes… Halt!
Sagen wir ’n Trupp Amerikaner
Schwer betrunken und bewaffnet nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben ’ne MP dabei!
Na, was machen sie?
Was sagen sie uns da?
Sie verbitten sich dies Beispiel?
Meinetwegen, bitte schön
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Schön die Russen und Amerikaner fallen also weg
Die Chinesen sicher auch
Und mit Negern brauch‘ ich gar nicht erst zu kommen
Lassen wir das eben
Nehm‘ wir einfach ein paar ganz normale Kriminelle
Schwer betrunken und bewaffnet
Nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben wieder die MP dabei
Na, was machen sie?
Sagen sie uns bloß jetzt nicht
Sie fallen auf die Knie und beten
Denn mit so ‚was kommt hier keiner durch
Der Marx und Engels liest
Was sagen sie uns da?
Ich red die ganze Zeit von Politik
Das ist aber wirklich komisch
Bilde einen Fall
So richtig auf sie zugeschnitten
Baue ihnen auch noch goldene Brücken
Aber Sie, aber!
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
So nun woll’n wir aber wirklich wissen, was sie tun
Also, noch mal
Ein paar schwere Jungen
Schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben wieder die MP dabei
Na, was machen sie?
Was sagen sie uns da?
Sie wehren sich
Weil sie ja in Notwehr sind?
Ätsch
Das ist aber falsch
Durften sie nicht sagen
Richtig ist die Antwort, nämlich die
Ich werfe meine Waffe fort
Und dann bitte ich die Herr’n
Mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhör’n
Was sagen sie uns da?
Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?
Fangen sie schon wieder an?
Ist doch Politik!
Hat doch mit Gewissen nichts zu tun
Ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz!
Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
Sagen sie mal
Sind sie eigentlich Kommunist? Na ja
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Hannes Wader
Es ist an der Zeit (1980)Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
Hannes Wader (*1942; ist ein deutscher Liedermacher und Musiker)
Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühen.
Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
Im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
Deinen Namen nicht nur Ziffern und jemand hat
Die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht ein mal
19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns
Heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Hast du toter Soldat mal ein Mädchen geliebt?
Sicher nicht, denn nur dort wo es Frieden gibt,
Können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihen,
Warst Soldat um zu sterben nicht um jung zu sein.
Vielleicht dachtest du dir, ich falle schon bald,
Nehme mit mein Vergnügen wie es kommt mit Gewalt.
Dazu warst du entschlossen hast dich aber dann,
Vor dir selber geschämt und es doch nie getan.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Soldat gingst du gläubig und gern in den Tod?
Oder hast du verzweifelt, verbittert, verroht?
Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluss,
Ich hoffe es traf dich ein sauberer Schuss.
Oder hat ein Geschoss dir die Glieder zerfetzt,
Hast du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt?
Bist du auf deinen Beinstümpfen weiter gerannt?
Und dein Grab, birgt es mehr als ein Bein, eine Hand.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur,
Von deinem Leben, doch hör meinen Schwur,
Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein,
Fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein.
Dann kann es geschehen dass bald niemand mehr lebt,
Niemand der die Milliarden von Toten begräbt.
Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit,
Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Reinhard Mey
Nein, meine Söhne geb’ ich nicht (1986)Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Reinhard Mey (*1942; ist ein deutscher Musiker und Liedermacher)
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab –
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten
Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab‘!
Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht
Und die, die werden keine Waffen tragen!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert –
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt!
Nun werdet ihr sie nicht mit Hass verderben
Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht
Sind’s wert, dafür zu töten und zu sterben –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter
Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht –
Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter
Nicht für euch hab‘ ich manche Fiebernacht
Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden
Und kühlt‘ ein kleines glühendes Gesicht
Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Sie werden nicht in Reih‘ und Glied marschieren
Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt
Auf einem gottverlass’nen Feld erfrieren
Während ihr euch in weiche Kissen setzt!
Die Kinder schützen vor allen Gefahren
Ist doch meine verdammte Vaterpflicht
Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich werde sie den Ungehorsam lehren
Den Widerstand und die Unbeugsamkeit –
Gegen jeden Befehl aufzubegehren
Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit!
Ich werd‘ sie lehr’n, den eig’nen Weg zu gehen
Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht
Vor keinem als sich selber g’radzustehen!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Und eher werde ich mit ihnen fliehen
Als dass ihr sie zu euren Knechten macht –
Eher mit ihnen in die Fremde ziehen
In Armut und wie Diebe in der Nacht!
Wir haben nur dies eine kurze Leben –
Ich schwör’s und sag’s euch g’rade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!