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Wehrpflicht

26. Mai 2021

„… und das ist gut so!“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Früherer Vorstand der Zentralstelle KDV zur Wehrpflicht-Aussetzung vor 10 Jahren

Erklärung zur Wehrpflicht der früheren Vorstandsmitglieder  der (2011 aufgelösten) Zentraltelle KDV vom 17. März 2021 mit dem Titel: Vor zehn Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das Ende der Wehrpflicht – und das ist gut so

Vor zehn Jahren, am 24. März 2011, beschloss der Deutsche Bundestag die Aussetzung der Wehrpflicht. Seit dem 1. Juli 2011 kann der Dienst in der Bundeswehr nur noch freiwillig geleistet werden. Durch diese Aussetzung der Wehrpflicht wurde die Bundeswehr von damals rund 255 000 Soldat*innen auf rund 185.000 verkleinert.

Die kurz nach Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1957 gegründete Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. (Zentralstelle KDV), eine gemeinsame Einrichtung von 26 Mitgliedsorganisationen*, feierte im Mai 2011 das Ende der Wehrpflicht und löste sich mit einem Beschluss der Mitgliederversammlung selbst auf.

Zum zehnten Jahrestag dieser „historischen Entscheidung“ des 24. März 2011 erklären die damaligen Mitglieder des letzten Vorstands der Zentralstelle KDV, Dr. Werner Glenewinkel, Michael Germer, Stefan Phi-lipp, Hans-Jürgen Wiesenbach, Eberhard Kunz, Ernst Potthoff und Herbert Schulz sowie die damalige Präsidentin Dr. Margot Käßmann und der damalige Geschäftsführer Peter Tobiassen:

Unwürdige Überprüfungsverfahren für die Gewissensentscheidungen der KDVer

Mit dem Wegfall der Wehrpflicht endete auch das unwürdige und inquisitorische Überprüfungsverfahren für die Gewissensentscheidungen der Kriegsdienstverweigerer, die gegen ihren Willen und ihr Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe einberufen werden sollten. Hunderttausendfach wurden in diesen Verfahren Kriegsdienstverweigerer zu Unrecht abgelehnt, Zehntausende wurden gegen ihr Gewissen zum Waffendienst gezwungen. Tausende gingen daraufhin ins Exil nach Westberlin (bis 1989 ohne Wehrpflicht) oder ins Ausland, einige – wie Hermann Brinkmann – verzweifelten an den Fehlentscheidungen der Wehrbehörden so sehr, dass sie nicht mehr weiterleben konnten. (Comic: Gegen mein Gewissen – Die ganze Doku | ARTE oder Das Schicksal von Hermann Brinkmann als Graphic Novel | NDR.de – Fernsehen – Sendungen A-Z – Hamburg Journal) Wir wissen aber auch: Nach wie vor gibt es diese Gewissensprüfungen für Soldatinnen und Soldaten, die aus der Bundeswehr heraus verweigern.

Die Wehrpflicht zerstörte hunderttausendfach Ausbildungs- und Berufswege

Die Einberufungen zum Wehr- und Zivildienst, oft schon die behördlichen Ankündigungen eines sol-chen Vorhabens, verzögerten, behinderten und zerstörten in vielen Fällen Ausbildungs- und Berufs-wege sowie Lebensplanungen. Die Zentralstelle KDV hat im „Schwarzbuch Wehrpflicht“ zur Jahreswende 2006/2007 zahlreiche Fälle dokumentiert, wie die Wehrpflicht negativ in Lebenswege eingriff. 

Um die Wehrpflicht zu halten, gab es staatliche Willkürregelungen

Aus der durch das Grundgesetz nur als Möglichkeit zugelassenen, dann aber rechtlich zwingend allgemeinen Wehrpflicht formten staatliche Vorgaben sehr schnell eine willkürliche Wehrpflicht. Üblicherweise – so die Erfahrungen in anderen Staaten mit Wehrpflicht – beträgt der Anteil aus gesund-heitlichen Gründen nicht wehrdienstfähiger Männer ca. 10 Prozent am Jahrgang. Das Bundesverteidigungsministerium veränderte die Musterungskriterien willkürlich so, dass in den letzten Jahren der Wehrpflicht hier in Deutschland mehr als die Hälfte der Gemusterten für „nicht wehrdienstfähig“ erklärt wurden. Der Grund: Es konnten in die verkleinerte Bundeswehr immer weniger Rekruten einberufen werden. Um den Schein der Wehrgerechtigkeit zu wahren, wurde die Hälfte eines Jahrgangs willkürlich von der allgemeinen Wehrpflicht befreit. Offensichtliche Willkür untergräbt das Vertrauen in einen Rechtsstaat. 

Argumente für den Wegfall der Wehrpflicht sorgfältig geprüft

Im Vorwort zum „Schwarzbuch Wehrpflicht“ schrieb Margot Käßmann als damalige Präsidentin der Zentralstelle KDV Anfang 2007:

„Die Zentralstelle KDV hat sich in den vergangenen 15 Jahren nicht nur mit der Forderung nach dem Wegfall der Wehrpflicht befasst, sondern auch mit den möglichen Folgen: Ist eine Freiwilligenbundeswehr demokratieverträglich? Was wird aus dem berühmten „Bürger in Uniform“? Bricht der Sozialbereich zusammen, wenn es keine Zivis mehr gibt? Was wird aus Diakonie und Caritas? Kann eine allgemeine Dienstpflicht die Wehrpflicht gerechter machen? Gründlich und breit diskutiert und wohlüberlegt können wir nach all den Debatten sagen: Wir können auf die Wehrpflicht verzichten! Freiwillig ist besser und einer freiheitlichen Demokratie ohnehin angemessener. Zudem gibt eine Gesellschaft ein deutliches Signal ihres Friedenswillens, wenn sie ihren Bürgern keine Pflicht zum Waffendienst mehr auferlegt. Das würde uns in Deutschland gut anstehen.“ 

Heute wissen wir,

  • dass es nach wie vor rechtsradikales Gedankengut unter den Soldat*innen gibt, in der Wehr-pflicht-Bundeswehr bis vor zehn Jahren waren aber 70 % der überführten Täter bzw. noch Tat-verdächtigen Grundwehrdienstleistende und freiwillig länger Wehrdienst Leistende (so z.B. Angaben im Bericht des Wehrbeauftragten, BT-Drucksache 16/4700, Seite 45);
  • dass der Sozialbereich nicht zusammengebrochen ist, als die letzten Zivis aus dem Dienst ausge-schieden sind. Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigten bei den Wohlfahrtsverbänden von 2008 bis 2016 sogar von 1,5 auf 1,9 Millionen Mitarbeitende gestiegen. (BAGFW, Gesamtstatistik 2016);
  • dass der Wunsch nach einer „allgemeinen Dienstpflicht“ jedes Jahr erneut durch das Presse-sommerloch getrieben wird, ohne dass diejenigen, die das fordern, sagen können, wie es denn praktisch gehen soll, mehr als 700 000 Männer und Frauen eines Jahrgangs jedes Jahr neu in Dienstpflichteinrichtungen zwangsweise unterzubringen.

Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen

Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen. Der damalige Generalsekretär der aej, Mike Corsa, fügte in dem Vorwort zum „Schwarzbuch Wehr-pflicht“ hinzu: „Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (aej) setzt auf diese Freiwilligkeit. Erzwungene Dienste behindern Engagement und Identifikation. Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom freiwilligen Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger eines Lan-des. Dafür kann und muss natürlich geworben und motiviert werden – wer sich engagiert, sollte dadurch auch Vorteile haben. Politische Konzepte werden so eine „Abstimmung mit den Füßen“ erleben. Menschen entscheiden durch ihr freiwilliges Mitmachen, was sie für unterstützenswert halten.“

Gefährlicher und falscher Glaube an die friedensschaffende Wirkung von Militär

Zehn Jahre nach dem Ende der Wehrplicht wissen wir, dass die Entscheidung des Deutschen Bundestages ein erfreuliches Ereignis war, deren positive Wirkung für Millionen junger Männer, die ab 2011 18 Jahre alt wurden und werden, nicht hoch genug geschätzt werden kann. Wir wissen aber auch, dass mit dem Wegfall der Wehrpflicht der gefährliche und falsche Glaube an die friedensschaffende Wirkung von Militär nicht vom Tisch ist. Nach wie vor prägen Stichworte wie Erreichen des 2-%-Zieles, Bewaffnung von Drohnen, Festhalten an Waffenexporten die sicherheitspolitischen Diskussionen, statt – wie es eigentlich richtig wäre – Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung deutlich in den Vordergrund zu stellen und „Sicherheit neu zu denken“. 

Mitgliedsverbände der Zentralstelle KDV im Jahr 2011

• Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden 
• Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland 
• Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung 
• Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands 
• Deutsche Friedensgesellschaft – Internationale der KriegsdienstgegnerInnen 
• Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen 
• Deutscher Bundesjugendring 
• Deutscher Gewerkschaftsbund, Abt. Jugend (DGB-Jugend) 
• Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee 
• Eirene – Internationaler Christlicher Friedensdienst 
• Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden 
• Evangelische Jugend Thüringen 
• Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland 
• Grüne Jugend – Bundesverband 
• Internationale der KriegsdienstgegnerInnen 
• Internationaler Versöhnungsbund – deutscher Zweig 
• Jungsozialisten in der SPD 
• Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär 
• Komitee für Grundrechte und Demokratie 
• Pax Christi – internationale katholische Friedensbewegung, deutsche Sektion 
• Pfarramt für Friedensarbeit, Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende 
• Religiöse Gesellschaft der Freunde, Deutsche Jahresversammlung 
• Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein 
• Service Civil International, Deutscher Zweig 
• Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken 
• Vereinigung Evangelischer Freikirchen, AG Betreuung der KDV und ZDL

Kategorie: Wehrpflicht Stichworte: 202102, KDV, Zentralstelle

20. Dezember 2020

„Es  ist  ein  Skandal  der  Nachkriegsgeschichte“

Interview mit Hannah Brinkmann, die ein grafisches Erzählungsbuch über ihren
Onkel gemacht hat. Er hatte sich 1974 als abgelehnter KDVer das Leben genommen.

Ausgabe 5/2020

Du erzählst in Deinem Buch die Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers, der nach vergeblichen Versuchen, anerkannt zu werden, Suizid begangen hat. Warum hast Du das Thema aufgegriffen?

Hermann Brinkmann war mein Onkel. Ich bin 1990 geboren und habe ihn nicht kennengelernt. Erst als meine Großmutter starb und ich in ihrem Nachlass eine Todesanzeige von ihm fand, bin ich darauf gestoßen. In der Todesanzeige hat die Familie damals den Fall öffentlich gemacht und die einzelnen Daten sehr genau aufgelistet. Als ich das sah, habe ich mich das erste Mal gefragt, was das überhaupt bedeutet. Ich hatte vorher noch nie von Kriegsdienstverweigerung gehört, wusste nichts von der Problematik.

Wie hat Deine Familie reagiert, als Du ihr von Deinem Projekt erzählt hast?

Hermanns Geschichte ist sehr politisch. Aber für die Teile meiner Familie, die damals dabei waren, ist es auch eine sehr private. Sie hatten sich damals entschieden, mit der Todesanzeige an die Öffentlichkeit zu gehen und diese Anzeige in der FAZ zu veröffentlichen.

Und doch: Nach so langer Zeit sich wieder damit auseinanderzusetzen, das war für einige schwierig. Andere waren sehr offen und bereit, darüber zu sprechen und mir viel zu erzählen. Insgesamt habe ich viel Unterstützung aus meiner Familie erhalten. Dafür bin ich sehr dankbar.

Überraschend zu hören, dass die Familie damals an die Öffentlichkeit ging, Du aber so wenig darüber gehört hattest.

Zum einen, denke ich, ist viel Zeit vergangen. Zum anderen waren die Folgen der Veröffentlichung auch relativ traumatisch. Da standen dann Journalisten der Bild-Zeitung kurz nach der Beerdigung im Garten. Der Fall hat viel Aufsehen erregt.

Aber auch der Umgang damit war sehr unterschiedlich. Von einem Onkel weiß ich, dass er viel mit seinen Töchtern darüber gesprochen hat. Mein Vater hingegen hat eher wenig darüber geredet. Er hat es wohl anders verarbeitet.

Warum war es Dir so wichtig, das Thema aufzugreifen und ein Buch daraus zu machen?

Irgendwie war mein Onkel in der Familie immer präsent. Ich wusste, dass er Suizid begangen hatte. Aber die Entscheidung, ein Buch zu machen, entstand erst, als ich mich mit den politischen Dimensionen auseinandersetzte, erfahren habe, was KDVern in Deutschland in dieser Zeit passiert ist. Es war Unrecht. Und umso mehr ich herausgefunden habe, desto sicherer war ich mir, dass das nicht nur eine persönliche Geschichte ist, die unsere Familie betrifft. Mein Onkel Hermann steht als ein Beispiel dafür, was meines Erachtens ein Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Das muss erzählt werden.

Du schilderst in Deinem Buch sehr eindrücklich das Prüfungsverfahren.

Es war für mich eines der wichtigsten Punkte darzustellen, was da passiert ist. Vorsitzende der Prüfungsausschüsse waren Juristen aus der Bundeswehrverwaltung. Und auch viele Beisitzer waren total voreingenommen. Ich wollte die Verhandlung im Buch so darstellen, dass sie auch den Stress und die Demütigung zeigt, denen der Verweigerer in diesem Moment ausgesetzt war. Gerade wenn der Verweigerer dann noch jemanden vor sich hat, der unberechtigte Konfliktfragen stellt, sein Amt missbraucht, war er diesem hilflos ausgeliefert.

Hattest Du die Chance, die Akten des Verfahrens einzusehen?

Die Akten der Verhandlungsprotokolle aus den 70er Jahren wurden 2004 vernichtet – unter ihnen war vermutlich auch Hermanns Akte.

Wie lange arbeitest Du an so einem Buch?

An diesem Buch habe ich seit Anfang 2016 gearbeitet, immer mal mit kleinen Unterbrechungen. Seit Ende 2018 habe ich mich dann ausschließlich damit beschäftigt.

Das ist eine lange Zeit. Warum hat es so lange gedauert?

Ich bin keine Historikerin, und der Stoff spielt 1973 und 1974. Ich bin Comic-Zeichnerin und Autorin. So musste ich erst einmal recherchieren, mich in das Thema einarbeiten. Ich musste herausfinden, was wichtig ist und was nicht.

Hast Du jedes Bild gezeichnet, oder konntest Du Vorlagen für andere Teile wiederverwenden?

In jedem Bild ist die Gestaltung eine andere, die Gesichtsausdrücke sind anders. Nur Grundstrukturen z.B. von Gesichtern konnte ich wiederverwenden. Das heißt, dass ich tatsächlich jedes Bild in dem Buch gezeichnet habe.

In Deutschland tun wir uns ja schwer, einen eingängigen Begriff zu finden, um das zu beschreiben, was Du gemacht hast. Du nennst es grafische Erzählung, der Verlag Graphic Novel. Warum hast Du diese Form gewählt?

Ich komme eigentlich aus der Malerei. Während meines Studiums bin ich in die Illustration gegangen. Aber als Kind und als Teenager habe ich schon viel geschrieben. Das Schreiben, das Erzählen von Geschichten war immer Teil meiner Identität. Im Studium hatte ich dann Gelegenheit, bei Anke Feuchtenberger grafische Erzählung zu studieren. Das hat für mich sehr viel Sinn gemacht, weil hier beides zusammenkam. Ich konnte zeichnen und zugleich erzählen. Da wurden mir ganz neue Welten eröffnet.

Zum Beispiel in diesem Buch. Das Haus, in dem Hermann lebt, ist das Haus meiner Großmutter gewesen. Das gibt es noch heute. Als Kind verbrachte ich viel Zeit dort. Und in der grafischen Erzählung habe ich die Möglichkeit, das Haus so darzustellen, dass andere wirklich wissen, wie und wo das alles stattfindet. Es eröffnet eine neue Erzählebene.

Was ich auch so gerne mag: Wer das Buch liest, kann in einem Raum, auf einer Seite verweilen, solange er oder sie das will. Das geht beim Film nicht. Eine grafische Erzählung ist eine ruhige Art, eine Geschichte darzustellen, die Raum lässt. Aber sie ist auch sehr eindrücklich. Das gefällt mir daran so sehr.

Welche Hoffnung verbindest Du mit der Veröffentlichung des Buches?

Ich wünsche mir gerade für meine Generation, die nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist, dass ein Bewusstsein zu diesem Thema entsteht. Die Wehrpflicht wurde nicht einfach abgeschafft und weg ist sie. Vielmehr ist es etwas, was wir uns, was die Generationen vor uns, erkämpft haben. Es wurden auch Opfer gebracht, dass wir jetzt keine Wehrpflicht mehr haben.

Wichtig ist dieses Thema aber auch im Hinblick darauf, dass einige Politiker*innen wieder eine Wehrpflicht einführen wollen.

Und auch das: Die fehlende Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung ist ein Problem, unter dem viele junge Männer – und auch Frauen – in anderen Ländern leiden. Sie werden dort dazu gezwungen, einen Dienst an der Waffe abzuleisten, den sie nicht wollen. Sie werden dort politisch und strafrechtlich verfolgt. Mir ist wichtig, dass an dieser Stelle Bewusstsein geschaffen wird für ein Grundrecht, das im Falle meines Onkels mit Füßen getreten wurde, das auch noch heute allzu oft nicht gewährt wird.

Hannah Brinkmann arbeitet in ihrem für den Leibinger-Preis nominierten Debüt „Gegen mein Gewissen“ das Schicksal ihres Onkels Hermann Brinkmann auf, das in den 1970er Jahren bundesweit Schlagzeilen machte und eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Gewissensprüfungen für Kriegsdienstverweigerer auslöste. Sie wählte dafür die Form einer grafischen Erzählung, eine bebilderte Geschichte.

Für die ZivilCourage sprach Rudi Friedrich, DFG-VK-Mitglied und seit Jahrzehnten bei Connection e.V. aktiv in der Unterstützungsarbeit für KDVer und Deserteure, mit Hannah Brinkmann (de.connection-ev.org).

Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen. Avant-Verlag GmbH, Berlin 2020, 232 Seiten, 30,00 Euro; ISBN 978-3-96445-040-1

Kategorie: Pazifismus, Wehrpflicht Stichworte: 202005, Kriegsdienstverweigerung

20. Dezember 2020

Freiheit statt Dienstzwang

Die verfassungswidrigen Überlegungen zu einer allgemeinen Dienstpflicht

Ausgabe 5/2020

Von Stefan Philipp

Nein, eigentlich muss niemand Sorge haben, dass in Deutschland irgendwann eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt wird. Nationale und internationale Bestimmungen verbieten das ganz eindeutig. Warum also die Beschäftigung mit diesem Thema?

Die Erfahrung zeigt, dass aus verschiedenen politischen Ecken die Forderung nach einer solchen Dienstpflicht immer wieder erhoben wird. Vor allem die für Krieg und Militär zuständige Bundesministerin und (Noch-)CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bringt eine solche Dienstverpflichtung seit Jahren immer wieder ins Gespräch. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Wehrpflicht als eine spezielle Form der staatlichen Indienstnahme keineswegs endgültig abgeschafft, sondern seit Mitte 2011 lediglich ausgesetzt ist.

Aber nicht nur von „ganz oben“ wird die Forderung nach einem Pflichtjahr erhoben. Nach den „Jugend-Krawallen“ im Juli in Stuttgart schrieben die Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), Schorndorf, und Matthias Klopfer (SPD), einen gemeinsamen Brief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und den Innenminister Thomas Strobl (CDU). Darin forderten sie die beiden auf, in Berlin bei der Bundesregierung oder über den Bundesrat eine „Dienstpflicht für alle Menschen in unseren Städten und Gemeinden anzuregen“. Eine solche solle, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, für alle jungen Menschen eingeführt werden, die hier leben und in sozialen und kuturellen Einrichtungen abgeleistet werden können oder auch bei der Bundeswehr.

Bis in die schwäbische Provinz reicht also die Vorstellung, eine Dienstpflicht könnte viele Probleme lösen, vom Pflegenotstand über den mangelnden gesellschaftlichen Zusammenhalt bis zur ungenügenden Zahl freiwilliger Bewerbungen zur Bundeswehr.

Und fragt man im Bekanntenkreis herum, dann gibt es nicht wenige, die ein Pflichtjahr erstmal für eine gute Idee halten.

Die Idee einer Dienstpflicht steckt in vielen Köpfen und ist so etwas wie ein Dauerbrenner, der je nach Problemlage jede Diskussion befeuern kann. Dabei steckt dahinter die verbreitete Vorstellung, der Staat dürfe selbstverständlich auf seine BürgerInnen zugreifen und sie zu einer Dienstleistung verpflichten.

Bei allem, was der bundesdeutsche Staat macht und fordert, muss man aber zunächst fragen, worin die Rechtfertigung dafür liegt. Was der Staat darf und was nicht, das ist vor allem eine Frage der Machtbegrenzung und der BürgerInnenfreiheit.

Für alles staatliche Handeln in der Bundesrepublik gilt, dass es an Recht und Gesetz gebunden ist, also nicht willkürlich sein darf. Und für die BürgerInnen gilt dem Staat gegenüber, dass sie Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe haben, die ihre Freiheit schützen und garantieren. Verbindlich festgelegt sind diese Grundrechte im ersten Kapitel des Grundgesetzes in den Artikeln 1 bis 19.

Für die Frage einer allgemeinen Dienstpflicht zentral bedeutsam ist der Artikel 12 des Grundgesetzes. In dessen Absatz 2 ist bestimmt: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

Das Grundgesetz und insbesondere der Grundrechtekatalog wurden 1949 als bewusste Antwort auf den bzw. Abkehr von dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat geschaffen.

Während der NS-Zeit gab es eine ganze Reihe von Dienstpflichten, vor allem die 1935 für Männer eingeführte Reichsarbeitsdienstpflicht und das für Frauen 1938 eingeführte Pflichtjahr in Land- und Hauswirtschaft und ab 1939 ebenfalls die Reichsarbeitsdienstpflicht.

Mit dem Begriff der „Herkömmlichkeit“ in Art. 12 Abs. 2 sind gerade solche Dienstleistungspflichten gemeint,[nbsp] die vor der NS-Zeit üblich waren. Neben Feuerwehrpflichten oder Deichdiensten an den Meeresküsten gab es aber keine öffentlichen Dienstleistungspflichten, an die sich für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht anknüpfen ließe. Solche Pflichtdienste, wie sie in der Nazi-Zeit obligatorisch waren, sollten mit Art. 12 Abs. 2 GG gerade ausgeschlossen werden.

Auch der „vaterländische Hilfsdienst“, der im Deutschen Reich 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg, eingeführt wurde, eignet sich nicht als Anknüpfungspunkt für eine Dienstpflicht in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts. Der Hilfsdienst unter Kaiser Wilhelm II. war als Reaktion auf den Arbeitskräftemangel in der Rüstungsproduktion infolge des riesigen militärischen Personalbedarfs während des Krieges eingeführt worden. Zu leisten hatten ihn nach dem Gesetz alle deutschen Männer zwischen 17 und 60 Jahren, die nicht zum Militär eingezogen waren.

Schon diese kurze rechtliche und historische Betrachtung ergibt, dass das Grundgesetz die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht nicht erlaubt, sondern im Gegenteil sogar verbietet.

Es gab doch aber den Zivildienst,[nbsp] den viele der „Zivis“ mit persönlichem Gewinn für sich selbst gemacht haben. Wäre das kein Anknüpfungspunkt?

Tatsächlich gab es von der Einführung 1961 des zunächst ziviler Ersatzdienst genannten, ab 1973 dann als Zivildienst bezeichneten Dienstes bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 weit über zweieinhalb Millionen Zivildienstleistende. Und viele von denen haben für sich dabei positive Erfahrungen gemacht. Der ursprüngliche Name weist aber auf die rechtliche Konstruktion hin: Der Zivildienst war nie ein Projekt mit eigenen Zielen aus sich selbst heraus, sondern immer abgeleitet von der Wehrpflicht als Ersatz für die Kriegsdienstverweigerer, die den Dienst bei der Bundeswehr verweigert hatten.

Als das Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde, gab es kein deutsches Militär (mehr), entsprechend keine Regelungen dazu in der Verfassung, dafür den Artikel 4 Absatz 3, der bestimmte: „Niemand darf gegen sein Gewissen zu Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Beides eine Konsequenz aus dem 1939 begonnenen verbrecherischen deutschen Angriffskrieg.

Als Bundeskanzler Adenauer seine schon lange bestehenden Remilitarisierungspläne Mitte der 1950er Jahre umsetzte und die Bundeswehr aufgebaut wurde, war klar: Eine Armee mit fast 500 000 Soldaten war nur über die Wehrpflicht rekrutierbar.

Eine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gab es nicht, sondern vielmehr die Berufsfreiheit und das Verbot einer Dienstpflicht in Artikel 12 Grundgesetz. Also musste das Grundgesetz so geändert werden, dass die eigentlich verbotene Wehrpflicht möglich wurde. Letztlich wurde das mit dem auch heute noch gültigen Artikel 12a erreicht, der in seinen ersten beiden Absätzen lautet: „(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zu einem Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.“

Manche JuristInnen bezeichnen das mit guten Gründen als verfassungswidriges Verfassungsrecht. Klar ist aber: Die Wehrpflicht ist eine Sonderregelung, die den allgemeinen Bestimmungen und Freiheiten vorgeht mit der Begründung, dass es dabei um Krieg und Frieden, Verteidigung und die Existenz des Staates gehe. Nur dieses Argument kann in der juristischen Logik die Ausnahme von der ansonsten geltenden Freiheit bzw.[nbsp] dem Verbot eines Zwangsdienstes rechtfertigen.

Und wegen des von der Verfassung geforderten Schutzes der Kriegsdienstverweigerung wurde einerseits ein höchst umstrittenes Prüfungsverfahren geschaffen und andererseits ein Ersatzdienst für diejenigen, die die Gewissensinquisition erfolgreich überstanden hatten.

Auch dieser erst Ersatz-, dann Zivildienst war rechtlich die Erfüllung der Wehrpflicht – ein Grund für viele Totalverweigerer, die dem Staat das Recht zur Kriegsdienstverpflichtung grundsätzlich absprachen und von denen manche wegen ihrer Entscheidung ins Gefängnis mussten.

Von der Funktion her war der Zivildienst ein Abschreckungsinstrument vor der Kriegsdienstverweigerung und zur Aufrechterhaltung des Kriegsdienstzwangs. Denn hätte es keine erzwungene und letztlich mit der Androhung von Gefängnisstrafen durchgesetzte Ersatzleistung gegeben, dann wären vermutlich sehr viel weniger junge Männer „freiwillig“ in die Kasernen eingerückt und die Zahl der Kriegsdienstverweigerer noch sehr viel höher gewesen. Ein eigenes Ziel hat der Zivildienst nie gehabt, auch wenn natürlich die Trägerorganisationen vor allem aus den Wohlfahrtsverbänden sich bemüht haben, ihn unter den gegebenen Bedingungen so sinnvoll wie möglich zu gestalten.

All diese Aspekte sollte man bei den Forderungen nach Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht im Hinterkopf haben und auch aussprechen: Dienstpflicht ist das Gegenteil von Freiheit und von der Verfassung verboten.

Natürlich könnte das Grundgesetz geändert werden – mit jeweils einer Mehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat. Es ist aber nicht ansatzweise erkennbar, wie eine nachvollziehbare, überzeugende und auch vor dem Verfassungsgericht bestehende Begründung für die Einführung eines Pflichtjahres aussehen könnte.

Die Wehrpflicht ist letztlich daran gescheitert und 2011 ausgesetzt worden, weil sie nicht mehr „gerecht“ durchgeführt werden konnte – bezogen darauf, dass sie „allgemein“ hätte sein müssen und auch wegen des Gleichheitsgrundsatzes nach Artikel 3. Bei damals sinkendem Personal-Bedarf der Bundeswehr wegen Verkleinerung der Truppe mit der Folge, dass nur noch ein Teil der eigentlich zur Verfügung Stehenden einberufen wurde, gleichzeitig aber alle Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst, war die Wehrpflicht politisch, gesellschaftlich, juristisch nicht mehr länger zu halten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon vorher festgestellt, dass es von der Verfassung her zwar eine Entscheidung zur Landesverteidigung gebe, es dem Gesetzgeber aber freigestellt sei, ob er das Militär über eine Wehrpflicht oder aber durch die Einstellung von Profis organisieren wolle.

Ähnliche Probleme einer gerechten Heranziehung im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht würden sich auch heute stellen. Schon die Frage, ob auch Frauen Dienst leisten müssten   –  vermutlich ja  –, dürfte strittig sein. Wohin mit Hundertausenden von jungen Menschen jedes Jahr? Warum überhaupt die Jungen und nicht die Alten? Welcher volkswirtschaftliche Schaden entsteht, wenn Hundertausende ein Jahr später ins Berufsleben einsteigen? Was mit denen machen, die den staatlichen Dienstzwang verweigern? Ins Gefängnis? Fragen über Fragen, die die meisten Dienstpflicht-Rufer sich weder gestellt haben noch eine Antwort wüssten.

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage.

Kategorie: Wehrpflicht Stichworte: 202005, Wehrpflicht

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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