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Antimilitarismus

20. Dezember 2021

„Furchtlos und treudoof“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Antimilitarismus

Kein Heldengedenken mehr in der Kasseler Karlsaue

Von einigen Aktiven aus der Antimilitaristischen Aktion Berlin (amab)

Nach einer Plakat-Aktion am kriegsverherrlichenden und Nazi-Mörder ehrenden „Ehrenmal“ an der Kasseler Karlsaue sind die dortigen Reservist*innen stinksauer. Denn die Parkverwaltung sagte daraufhin die jährlich stattfindende Feier zum Volkstrauertag ab. Begründung: Die Gefallenen seien „Täter und Opfer“.

Das Hass-Denkmal in der Karlsaue

Im September eröffnete die Stadt Kassel im Schlosspark in der Karlsaue nach langer Restaurierung feierlich das Ehrenmal. In den drei Stockwerken des Ehrenmals gedenken gleich mehrere Tafeln und große Reliefs der faschistischen Mörderbanden. Die völkischen Gedenktafeln für die im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten bedienen in einigen Fällen auch noch die Dolchstoßlegende. In der obersten Etage stellt sich die Bundeswehr mit einer eigenen Plakette in diese deutsche Tradition. (https://bit.ly/3DBjh1K)

Kein Wort zur Shoa. Außerdem gibt es auf dem Ehrenmal eine besondere weitere Tafel für Deserteur*innen des Zweiten Weltkriegs. Erklärende Schilder an den Eingängen weisen darauf hin, dass das Denkmal „kontrovers“ sei, und verbreiten die blanke Lüge, dass es für Frieden werbe. Von den Millionen von deutschen Soldaten getöteten Menschen findet sich kein Wort. Auch die Shoa, die ohne den Vernichtungskrieg der deutschen Soldaten nicht denkbar wäre, findet mit keinem Wort Erwähnung.

Sachbeschädigung

Zuletzt in den Medien war das Denkmal im September. Fiese Chaot*innen hatten das „Ehrenmal“ eines Nachts ganz schlimm entweiht. Die Chaot*innen kleisterten das Denkmal mit an Tabak-Warnhinweise erinnernde Poster voll. Diese informierten „Soldat*innen sind Mörder*innen“ und „Nationalismus gefährdet Ihre Gesundheit“. Die unerkannt gebliebenen Chaot*innen („Rheinmetall entwaffnen“ solidarisierte sich auf Instagram, bestritt aber eine Urheber*innenschaft) kritisierten, dass die Kasseler Stadtgesellschaft das Hetz- und Hassdenkmal bis heute duldet und schönredet. (https://bit.ly/
3lIpp1R)

Kreative Veränderungen

Mit einigen der als Gefallenen-Gedenken verharmlosten Hass-und Hetzslogans am Denkmal setzten sich die unerkannt gebliebenen Chaot*innen intensiver auseinander. Eine Tafel mit dem Slogan „Die Toten verpflichten die Lebenden“ ergänzten sie mittels Aufklebern um die Worte „zu Antifaschismus und Antimilitarismus.“ Das Zeichen der eigentlich gemeinten uniformierten Mörderbande überklebten sie mit einer Abbildung. Diese zeigt zwei Hände, die – so wie im DFG-VK-Logo – ein Gewehr zerbrechen. Auch die Tafel für die Bundeswehr fand ein besonderes Interesse bei den Chaot*innen. Diese ergänzten sie mit dem Slogan „Nazidenkmal? Hier pass ich hin!“

Volkstrauer-Feier abgesagt

Anlässlich des Volkstrauertags berichteten nun die Hessischen Neuesten Nachrichten (HNA), dass der Chef des Reservist*innenverbands in Kassel stinksauer sei. Er sei aus „allen Wolken gefallen“, als er noch im September erfuhr, dass die Parkverwaltung der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK) die Feierlichkeiten zum Heldengedenktag …
ähh:
 Volkstrauertag abgesagt habe. Begründung: Der HMK sei aufgefallen, dass das Ehrenmal eine „heikle Sache“ ist, weil die Gefallenen „Täter und Opfer“ seien. Außerdem würden mit den Steintafeln am Ehrenmal auch Verbände geehrt, die „eindeutig Täter“ seien. Man wolle jetzt einen „differenzierten Umgang“ … blablabla. (https://bit.ly/3dpUtij)

Auseinandersetzung in der Uni

Die Aktion und das Denkmal waren außerdem Thema an der Universität. Die Vorlesungsreihe „Denkmal-Kontroverse in Kassel“ nutzte für die Bewerbung ein Bild der Denkmal-Aktion. Das Bild zeigt eine der mit einem Aufkleber ergänzten kriegsverherrlichenden Steintafeln. Im Original lautet der Slogan „Furchtlos und treu“. Nach der Ergänzung lautete der Schluss des Slogans „Furchtlos und treudoof.“ (https://bit.ly/336M1CT)

Fazit

Machen wir uns nichts vor: Die Zeiten sind gerade günstig. Dank der aktuell fast wöchentlich öffentlich werdenden „Einzelfälle“ von braunen Soldat*innen, die für ihre Nazi-Netzwerke alles unterhalb der Größe eines Schützenpanzers aus den Kasernen schleppen, steht das Militär so sehr unter Druck wie selten zuvor. Ein offener Protestbrief hätte im aktuell sehr günstigen gesellschaftlichen Klima vermutlich Ähnliches erreicht. 

Doch stellen wir uns vor, wir könnten es schaffen, offene Ansprechbarkeit, inhaltsreiche Öffentlichkeitsarbeit, freche Militanz und andere Aktionsformen lokal vor Ort zu verbinden. Welche Kraft hätten wir, politische Ziele zu erreichen! Stattdessen stellen wir Hauptamtliche ein, die in der Berliner Betonwüste ausgerechnet die grüne Kriegspartei anlobbyieren sollen. 

Eines der wenigen Beispiele, bei dem die Verbindung verschiedener Politikformen in der DFG-VK gut klappt, ist der Denkmalprotest um Wilfried Porwol und die DFG-VK-Gruppe Kleve (siehe ZivilCourage Nr. 1/2021 mit der Titelgeschichte „Krieger.Denk.Mal.“). Falls euch weitere Beispiele einfallen, schreibt bitte einen Leser*innenbrief mit Aktionsbild oder eine Mail an amab@riseup.net. Wir würden uns sehr darüber freuen.

Autor*inneninfo: Einige aus der Antimilitaristischen Aktion Berlin (amab). Die amab ist Teil des U35-Netzwerkes der DFG-VK und arbeitet mit im Landesverband Berlin. 

In der Regel verzichten wir auf allgemeingültige Aussagen und Stellvertretung (deswegen „einige aus der amab“). Wir verzichten meistens auch auf individuelle Namensnennungen. Auf das karrieregeile Publikationen-sammeln haben wir keine Lust, und es sollte um das inhaltliche Argument statt um das Ansehen der schreibenden Personen gehen. Außerdem haben wir mittels Datenschmutz-Anfragen rausgefunden, dass ein Landesamt für Verfassungsschmutz Schreibttischtäter*innen dafür bezahlt, Publikationen nach Artikeln eines unserer Mitglieder zu durchforsten und in Datenbanken zu speichern, und dabei müssen wir ja den Geheimen nicht auch noch Hilfestellung leisten. 

Auch die Streitkultur in der DFG-VK, bei der (z.B. nach dem Niemöller-Text – siehe ZivilCourage Nr. 1/2021, S. 26 ff.) regelmäßig völlig unnötig mit Namen um sich geworfen wird, sagt uns nicht zu, denn wir haben Google-Phobie (deswegen gibts auch kein Bild von uns). Unser Vertrauen, dass es bei Stress und Ärger wegen unseres Engagements Unterstützung gibt, und nicht auch noch irgendwer z.B. eine Liste mit unseren Namen an die Staatsanwaltschaft faxt, ist angesichts der Konfliktgeschichte unseres Landesverbandes mit dem Bundesverband leider nicht besonders hoch. Wir versuchen, aus Geschichte zu lernen, und setzen lieber auf Datensparsamkeit. Mehr Infos zu unserer Arbeit findet sich auf unserem Blog amab.blackblogs.org

Und was ist eine Datenschmutz-Anfrage? https://datenschmutz.de/auskunft

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202104

20. Dezember 2021

Keine  Kampfdrohnen und  Atomkriegsmanöver

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Antimilitarismus

Demonstrationen in Kalkar und Nörvenich

Von Joachim Schramm

Wenige Tage nach der Bundestagswahl fanden  in Nordrhein-Westfalen  zwei Friedensdemonstrationen statt, an denen der DFG-VK-Landesverband maßgeblich beteiligt war. 

Am 3. Oktober protestierte die Friedensbewegung wie schon in den Vorjahren vor den Luftwaffen-Kommandozentralen von Nato und Bundeswehr im niederrheinischen Kalkar. Am folgenden Wochenende fand am Luftwaffenstandort Nörvenich zwischen Köln und Aachen eine Demonstration gegen das bevorstehende Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“ statt.

Obwohl beide Veranstaltungen die Möglichkeit boten, kurz nach der Wahl noch einmal deutlich zumachen, welche Themen im Wahlkampf gefehlt hatten – oder vielleicht gerade wegen der Nähe zum Wahlkampf – blieb die Beteiligung hinter den Erwartungen zurück. In Kalkar demonstrierten bei widrigen Wetterbedingen nur knapp 100 Aktivist:innen, in Nörvenich waren es zwischen 150 und 200. 

Trotzdem war bei beiden Aktionen die Stimmung gut; diejenigen, die gekommen waren, hatten etwas zu sagen: Angesichts der aktuellen Diskussion um die Bewaffnung mit Bundeswehr-Drohnen und der Beschaffung von europäischen Waffensystemen wie Eurodrohne oder FCAS (Future Combat Air Systems) machte die Demonstration in Kalkar auf die Tatsache aufmerksam, dass diese gefährlichen Waffen im Falle der Anschaffung aus den Militäranlagen im beschaulichen Kalkar aus kommandiert würden. 

Der Hauptredner Lühr Henken, DFG-VK-Mitglied und aktiv im Bundesausschuss Friedensratschlag sowie in der bundesweiten Drohnenkampagne, stellte diese Tatsache in den Zusammenhang der allgemeinen Aufrüstung, vor allem auch im Bereich Luftwaffe: „Die Aufrüstung von Heer, Marine und Luftwaffe Deutschlands ist umfassend. Kramp-Karrenbauer kündigte dazu in einer Grundsatzrede vor eineinhalb Jahren an: ,Im Schnitt bekommt die Bundeswehr jede Woche einen neuen Panzer, jeden Monat ein neues Flugzeug und jedes Jahr ein neues Schiff.‘ Die Luftwaffe soll also bis 2031 jeden Monat ein neues Flugzeug erhalten.“

Um die Zusammenhänge zu anderen gesellschaftlichen Themen darzustellen, waren als weitere Redner ein Vertreter von „Aufstehen gegen Rassismus Kleve“ und ein Betriebsratsvorsitzender aus dem Gesundheitsbereich eingeladen. 

Für besondere Aufmerksamkeit sorgte eine Aktion am Ende der Demonstration: Die letzten Meter zum Kundgebungsplatz legte eine Gruppe Demonstranten rückwärts zurück, versehen mit Schildern gegen die rückwärtsgewandte Politik der bisherigen Regierung (von der sich die angekündigte Politik der neuen Regierung in diesem Bereich aber wohl kaum unterscheiden wird).

Die letzte Anmerkung trifft auch auf die nukleare Teilhabe zu, die von keiner der drei Ampelparteien real in Frage gestellt wird. Im Rahmen dieser Teilhabe probt die Nato mit den entsprechenden Mitgliedsstaaten jeweils im Oktober den Atomkrieg! Mit Atombombern aus der Türkei, aus Italien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland wird das Anbringen der Bomben an den Flugzeugen geübt, das Starten und das Abwerfen, um auch auf den realen Einsatz, den atomaren Massenmord, vorbereitet zu sein. Geübt wird mit Attrappen, anders wäre es wohl mitten im dichtbesiedelten Europa etwas zu riskant.

Gegen dieses Manöver „Steadfast Noon“ fand in diesem Jahr zum ersten Mal in Deutschland eine Protestaktion statt, und zwar am Luftwaffenstandort Nörvenich zwischen Aachen und Köln. Dort befindet sich der Ausweichflughafen für die Atombomber aus Büchel, die Bunker zur Aufnahme der Atombomben sind dort ebenfalls vorhanden. Ab dem kommenden Jahr sollen die Bundeswehr-Tornados für vier Jahre in Nörvenich stationiert werden, da Büchel dann für die Nachfolge-Flugzeuge und neue Atombomben umgebaut wird. 

Mitten in dem kleinen Ort mit ca. 11 000 Einwohner:innen fand die Auftaktkundgebung statt, an der knapp 200 Menschen teilnahmen. Die Veranstalter, Friedensgruppen aus Aachen, Köln, Bonn und Düren sowie der DFG-VK-Landesverband waren in dieser Konstellation das erste Mal zusammen aktiv. 

Vielleicht um allen gerecht zu werden, nahm die Auftaktkundgebung dann auch einen ziemlichen Umfang ein: Fünf Redner:innen waren geladen: Susanne Rössler (evangelische Pfarrerin, Düren/Nörvenich), Angelika Claußen (Präsidentin der IPPNW Europa), Reiner Braun, (Co-Präsident des International Peace Bureau), Ludo De Brabander, (Vrede.be, belgische Friedensbewegung), Hildegard Slabik-Münter (Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt) nahmen Stellung zu den verschiedenen Aspekten der Atomwaffenpolitik. Dazwischen gab es Musik von einer Gruppe aus Aachen, zum Schluss bereicherte eine Poetry-Slammerin das Programm. Vor allem Angelika Claußen und Ludo De Brabanter betonten die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, um diesem Nato-Manöver auch zukünftig etwas entgegensetzen zu können.

Nur wenige Dutzend Kilometer von Nörvenich entfernt sind auch im belgischen Kleine Brogel und im niederländischen Volkel die B-61-Atombomben stationiert

Nach der Kundgebung setzte sich der Demozug durch das eher verschlafene kleine Örtchen in Bewegung, das sich auf Straßenschildern an mehreren Punkten mit dem Luftwaffenstützpunkt identifiziert. Dieser wurde kurz nach dem Krieg von der britischen Air Force gebaut und schon bald an die neu entstandene Luftwaffe übergeben. Hier war der berüchtigte Starfighter stationiert, mit dem allein an einem Tag 1962 vier Piloten in der Nähe von Nörvenich in den Tod stürzten.

An der Zufahrtstraße zum Stützpunkt machte die Demo Halt. Hier wurde über den Namensgeber des Stützpunktes, den Weltkrieg-1-Jagdflieger Oswald Boelke informiert, der sich durch die Tötung zahlreicher französischer Piloten „auszeichnete“. Symbolisch wurde die Straße nach einem bedeutenden Franzosen, dem Maler Claude Monet umbenannt. Vor dem Tor wurde dann das bekannte Borchert-Gedicht „Dann gibt es nur eins“ vorgetragen, dessen Aufforderung zum Nein-sagen speziell an die Piloten der Atombomber auch auf einem Transparent zu lesen war.

Nach vielen Jahren, in denen Nörvenich von der Friedensbewegung nur noch selten besucht wurde, waren sich die TeilnehmerInnen nun einig, dass sich das wieder ändern muss. Inzwischen gibt es schon Pläne, in Nörvenich im kommenden Jahr einen Ostermarsch abzuhalten. Und beim nächsten Atomkriegsmanöver im Oktober 2022 wird man wieder vor dem Atomkriegs-Stützpunkt protestieren!

Das diesjährige Steadfast-Noon-Manöver startet eine Woche später, am 18. Oktober an einem anderen Stützpunkt der nuklearen Teilhabe, im Ghedi in Italien. Auch deutsche Tornados waren beteiligt. 

Joachim Schramm ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands NRW.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202104, Demonstration, Kampfdrohnen, Steadfast-Noon-Manöver

19. Dezember 2021

Teuer und gefährlich: FCAS

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Antimilitarismus

Informationen zur digital vernetzten Luftkriegsführung der Zukunft

Eine Information der Kampagne „Bundeswehr abschaffen“

Am 23. Juni hat der Haushaltsausschuss des Bundestages 4,6 Milliarden Euro für die Studien und die Erstellung eines Prototyps des Future Combat Air Systems (FCAS) beschlossen. 

Es wird das teuerste Rüstungsprojekt von Staaten der Europäischen Union mit geplanten 100 Milliarden Euro Gesamtkosten.

Was ist FCAS und was gehört dazu?

FCAS ist ein vollkommen neues Kampfflugzeug mit Tarnkappeneigenschaften, neuem Triebwerk, neuer Sensorik und der Möglichkeit, vernetzt mit anderen Systemen zu operieren. Es soll mit einem Drohnenschwarm sowie als System mit anderen Waffensystemen in der Luft, am Boden und auf See sowie im Cyberraum kommunizieren und kooperieren können. Ziel ist ein Gesamtsystem aller Waffensysteme.

Dazu gehören unbemannte Flugobjekte, also Drohnen, die gemeinsam mit dem Kampfflugzeug im Schwarm fliegen können. Sie sollen Fähigkeiten zur Spionage (Aufklärung), elektromagnetischer Störung (Jamming) sowie Täuschung haben. Drohnen sollen bewaffnet werden können für Luft-, Boden- und Seekampf.

Eine sogenannte Combat Cloud soll das System aus Kampfflugzeug und Drohnenschwarm mit anderen Kampfsystemen über eine Datenübertragung in „Echtzeit“ miteinander vernetzen. Dadurch sollen sämtliche Sensoren von Flugzeugen, Schiffen, Landfahrzeugen oder -stationen und Satelliten sowie Waffen dieser Systeme miteinander vernetzt eingesetzt werden. Es geht nicht nur um herkömmliche Waffen, sondern auch um elektromagnetische und den Cyberraum.

Wofür FCAS

Im Luftkrieg sollen bemannte und unbemannte Flugobjekte Daten und Informationen sammeln und untereinander kommunizieren, um die militärischen Absichten des Gegners sicher und schnell zu erkennen. Durch diesen militärischen Vorsprung soll der Gegner ausgeschaltet werden, bevor er reagieren kann. 

Die dabei anfallende Datenmenge sollen in der Combat Cloud verarbeitet werden. Das System besteht aus Großdrohnen, die aus großer Höhe in der Lage sind, das Gesamtgeschehen eines militärischen Kampfgebiets mit Sensorik zu überblicken, Daten und Informationen zu sammeln, zu digitalisieren und allen am Kampfgeschehen Beteiligten zu übermitteln, zusammen mit vielen anderen Waffensystemen. Drohnenschwärme aus kleinen Drohnen sind in der Lage, aus geringer Höhe detaillierte Lagebilder zu erstellen und zu übermitteln. Die Daten und Informationen werden dann als Einsatzbefehl an die Kampfflugzeuge im Kampfgebiet übermittelt, damit diese dann gezielt ihre Bomben und Raketen abwerfen.

Vernetzte Kriegsführung nicht nur in der Luft

In die militärische Vernetzung FCAS sollen perspektivisch auch die neuen Flottendienstboote, das Nachfolgemodell des Panzers Leopard 2, Militärfahrzeuge bis hin zu jedeR SoldatIn eingebunden werden. Die unterschiedlichen militärischen Fähigkeiten einzelner Systeme sollen zu einer Gesamtfähigkeit verschmelzen. 

Das Ziel ist, möglichst alle Daten und Informationen der einzelnen am Kampfgeschehen Beteiligten in Echtzeit zu sammeln, auszuwerten und allen zur Verfügung zu stellen. Damit soll der militärische Gegner frühzeitig erkannt und effizient bekämpft werden, bevor er selbst in der Lage ist zu kämpfen. Für die frühzeitige Erkennung des Gegners, seines Standortes und seiner Kampffähigkeit werden Systeme der signalerfassenden Aufklärung, Systeme, die Informationen und Daten über ein gesamtes Kriegsgebiet sammeln können und Satelliten benötigt, die diese Daten und Informationen in Echtzeit übermitteln können. Je mehr Informationen und Daten über den militärischen Gegner gesammelt werden sollen, desto mehr muss in diesem Bereich aufgerüstet werden.

Verschwendete Steuermittel für Rüstungskonzerne

Beteiligt an FCAS sind die BRD und Frankreich mit dem Konzern Airbus, Frankreich mit dem Konzern Dassault Avion und Spanien mit dem Konzern Indra Sistemas. Airbus hat die Leitung in der Entwicklung des vernetzten Systems für den Luftkrieg. Zusätzliche Partner sind MBDA für Lenkflugkörpersysteme, Thales für Kommunikations-, Informations- und Steuerungssysteme und Safran für Kampfflugzeugtriebwerke. Da die drei beteiligten Staaten sich die Kosten teilen, bedeutet das: Schon der Entwurf des neuen europäischen Kampfjets kostet über 13 Milliarden Euro. Wenn das System FCAS funktionieren soll, müssen alle am System Beteiligten immer auf dem gleichen Ausrüstungsstand sein. Damit ist eine dauerhafte Aufrüstung aller am System beteiligten Teilsysteme verbunden.

Bedenken des Bundesrechnungshofes (BRH)

Der BRH hat den Mitgliedern des Haushaltsausschusses abgeraten, der Vorlage des Bundesministeriums für Verteidigung zuzustimmen. Er kritisiert, dass für das Projekt noch kein Vertragswerk zwischen den beteiligten drei Staaten und den Rüstungskonzernen vorliegt. Die Freigabe der Milliarden soll erfolgen, obwohl das Bundesfinanzministerium einräumt, dass „weder die Konzeptstudie noch die Phase 1A bisher beendet werden konnten und abschließende Ergebnisse insofern nicht vorliegen.“ Es gibt nur eine Absichtserklärung, und dennoch soll Geld bereit gestellt werden. 

Der BRH kritisiert auch, dass die Nutzungsrechte an den Studien, die von den Staaten bezahlt werden sollen, nicht endgültig geklärt sind. Airbus besteht darauf, dass die Studienergebnisse nur mit der Zustimmung der Rüstungskonzerne an die Partnerstaaten weiter gegeben werden. Der BRH kritisiert, dass von 4,6 Milliarden Euro lediglich Studien erstellt und ein Prototyp des Kampfsystems bis 2027 gebaut werden. Es ist nicht planbar, wie teuer das Endprodukt sein wird, das 2040 einsatzbereit sein soll. Er kritisiert auch, dass das Risiko besteht, dass die Drohnen und Kampfflugzeuge keine Zulassung im zivilen Luftraum bekommen. Die Prüfer kritisieren außerdem, dass das Parlament nicht beteiligt wird, etwa bei der Frage, ob die Entwicklung so erfolgreich war, um das Projekt weiter zu verwirklichen. Bei der Entwicklung von FCAS liegen die finanziellen Risiken ausschließlich bei den Steuerzahler*innen der beteiligten Staaten.

Geübt wird schon jetzt in Schleswig-Holstein

Vom Flugplatz Todendorf an der Ostsee übte Airbus bereits 2019 den gemeinsamen Flug von Drohnenschwärmen. Die Erkenntnisse der Übungen über dem Meer sollen in die Entwicklung des FCAS einfließen.

Das „mit anderen Luftstreitkräften vernetzte System“ soll „das gegnerische Luftkriegspotenzial in der Luft und am Boden“ bekämpfen können, hatte ein Bundeswehroffizier im Vorfeld gesagt. Am 24. Juni startete ein Eurofighter im Rahmen einer Luftwaffenübung am Fliegerhorst Jagel. In Todendorf startete gleichzeitig eine unbemannte Drohne. Über der Ostsee übernahm der Eurofighter dann die Lenkung der Drohne. „Wenn das klappt, wäre das ein Riesending“, hatte der Offizier . Bei der Kriegsführung der Zukunft sollen autonom fliegende, eventuell bewaffnete Drohnen mit einer neuen Generation von Kampfjets kontinuierlich kommunizieren. Mit der Übung sollte vor allem die Combat Cloud erprobt werden. Der NDR berichtete auch (https://bit.ly/3EEQE4Y).

Der endgültige Beschluss steht noch aus

Da der Verteidigungshaushalt für das Haushaltsjahr 2022 zum Ende der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde, unterliegt er der „Diskontinuität“. Das heißt, die neue Bundesregierung muss einen neuen, zweiten Regierungsentwurf beschließen und in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einbringen. Der Bundestag wird den Haushalt dadurch voraussichtlich erst bis Mitte 2022 wohl beraten und beschließen können. Wir können deutlich machen, was wir von dieser Verschwendung von Steuermitteln, die nur den Zweck haben, zu zerstören, halten: Nichts!

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202104, FCAS

8. September 2021

Der endlose und gescheiterte Krieg

Dieser Beitrag ist online erschienen am 11. September 2021

Antimilitarismus

Afghanistan, Irak, Syrien, Mali – und wie weiter?

Von Andreas Zumach

Seit den vom islamistischen Al-Kaida-Netzwerk verübten Anschlägen vom 11. September 2001 gegen Ziele in den USA beteiligt sich die große Mehrheit der 194 Uno-Staaten an dem vom damaligen US-Präsidenten George Bush ausgerufenen „Krieg gegen den Terrorismus“. Sei es mit militärischen Mitteln , mit logistischen, geheimdienstlichen und finanziellen Beiträgen, oder zumindest mit politischer Unterstützung. Doch trotz dieser starken internationalen Beteiligung: Gemessen an dem vor 20 Jahren öffentlich proklamierten ersten Ziel, die Bedrohung durch islamistisch gerechtfertigten Terrorismus aus der Welt zu schaffen, ist dieser Krieg nicht nur gescheitert, sondern sogar kontraproduktiv. Auch die nachgeschobenen Ziele, zerfallene oder diktatorisch regierte Staaten zu stabilisieren und dort Freiheit, Menschenrechte und Demokratie durchzusetzen, wurden verfehlt. Doch selbst nach der schmachvollen Niederlage der Nato-Staaten in Afghanistan, die Mitte August dieses Jahres mit der Rückeroberung der Hauptstadt Kabul durch die Taliban besiegelt wurde, findet keine ehrliche, selbstkritische Bilanz der letzten 20 Kriegsjahre statt. Stattdessen gab es nur gegenseitige Schuldzuweisungen über die eklatanten Fehleinschätzungen der Lage in Afghanistan und das Versagen aller westlichen Geheimdienste und Regierungen seit Beginn dieses Jahres sowie erbärmliche und kleinkarierte Debatten über die Rettung und Aufnahme ehemaliger afghanischer Ortskräfte der westlichen Interventionstruppen und von Flüchtlingen. Und andernorts wird der gescheiterte „Krieg gegen den Terrorismus“ einfach fortgesetzt. 

Afghanistan – die erste Schlacht

In Afghanistan fand die erste, bislang längste und in jeder Hinsicht (Opferzahlen, finanzielle Kosten und andere eingesetzte Ressourcen) aufwendigste und folgenreichte Schlacht dieses Krieges statt. Seine heiße Phase begann am 7. Oktober 2001 mit Luftschlägen der USA gegen Stellungen des Al-Kaida-Netzwerkes in Afghanistan. Ende Dezember 2001 waren die Al-Kaida-Strukturen in dem Land am Hindukusch weitgehend zerschlagen und das Taliban-Regime in Kabul gestürzt. Die Regierungen in Washington und anderen westlichen Hauptstädten feierten den ersten Sieg im Krieg gegen den Terrorismus. 

In der aktuellen Debatte seit der Rückkehr der Taliban an die Macht in Kabul wird vielerorts behauptet, dieser Ausgang der militärischen Intervention in Afghanistan sei nicht vorhersehbar gewesen. Doch „das ist falsch, er war vorhersehbar“, wie die Kolumnistin Bettina Gaus Mitte August im „Spiegel“ völlig zu Recht feststellte. Als Korrespondentin in Ost- und Zentralafrika hatte Gaus bereits in den 90er Jahren die ähnlich gescheiterte Militärintervention westlicher Staaten im Bürgerkrieg in Somalia beobachtet. Diese Intervention war von ähnlicher kolonialer Arroganz und in weitgehender Unkenntnis der Verhältnisse in Somalia betrieben wie die Intervention am Hindukusch. Zu Recht erinnerte Gaus in ihrer Kolumne daran, dass „es auch bereits vor 20 Jahren durchaus Leute gab, die mit guten Argumenten“ – weil in Kenntnis der Geschichte, Kultur und innenpolitischen Verhältnisse in Afghanistan – „vor der Intervention gewarnt hatten“.Die Anschläge vom 11. September mit über 3000 Toten – so die Warner damals – waren ein Verbrechen gegen die Menschheit, und zur Verfolgung der Täter, Hintermänner und Finanziers dieses Verbrechen sei der koordinierte Einsatz aller verfügbaren nationalen und internationalen polizeilichen und juristischen Mittel erforderlich. Aber ein Krieg sei die falsche Antwort, zumal Krieg als Rachefeldzug, wie er von US-Präsident Bush am 12. September 2001 angekündigt wurde. Doch diese Warner wurden damals verhöhnt als „naive Pazifisten“ und „verbohrte Ideologen“, oder ihnen wurde – insbesondere im seinerzeit von einer rot-grünen Koalition regierten Deutschland – „mangelnde Solidarität“ mit den verbündeten USA vorgeworfen. Wer heute an seine Warnungen von damals erinnert, handelt sich häufig den Vorwurf der Besserwisserei ein. Derartige Vorwürfe tragen dazu bei, die überfällige Debatte über die wesentlichen Gründe des Scheiterns der Afghanistan-Intervention auch weiterhin zu verhindern. Gerne wird auch die Moralkeule ausgepackt und den Skeptikern und Kritikern des Militäreinsatzes vorgehalten, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan erreichten Verbesserungen der Lebensbedingungen für Frauen und Mädchen, im Bildungssystem oder in der allgemeinen Menschenrechtslage seien ihnen egal. Denn diese Verbesserungen wären ohne die vorherigen  Zerschlagung der Al-Kaida-Strukturen und den Sturz des Taliban-Regimes mit militärischen Mitteln im Zeitraum von Anfang Oktober bis Ende Dezember 2001 nicht möglich gewesen. Doch selbst, wer diese These vertritt, sollte endlich bereit sein zu einer schonungslosen, selbstkritischen Aufarbeitung all der Fehler und Versäumnisse der Interventionsstaaten, die schließlich die Rückkehr der Taliban an die Macht begünstigt haben, nach der möglicherweise alle in den letzten knapp 20 Jahren erzielten Fortschritte und Verbesserungen für die Menschen in Afghanistan wieder zunichte gemacht werden:

1. Die Kumpanei mit General Abdul Rashid Dostum von der Nordallianz und anderen Warlords und Kriegsverbrechern im Bodenkrieg gegen Al-Kaida und die Taliban 

Dostum und die von ihm geführte Nordallianz sowie andere Milizen und Warlords waren die wichtigsten Verbündeten der US-amerikanischen und britischen Truppen in der Kriegsphase bis Ende 2001. Obwohl die Verstöße dieser Warlords gegen Menschen- und Frauenrechte jenen der Taliban kaum nachstehen. Sie hatten/haben kein Interesse an rechtstaatlichen Strukturen und einer funktionierenden Zentralregierung in Kabul, sondern waren/sind auf Erhaltung ihrer lokalen/regionalen Macht bedacht und auf den ungestörten Profit aus dem Drogenanbau. Auch bei der Afghanistan-Konferenz in Bonn, auf der Anfang Dezember 2001 eine Übergangsregierung sowie freie Wahlen vereinbart wurden, wurden die Interessen dieser Warlords in viel zu starkem Maße berücksichtigt. In den folgenden 19 Jahren taten die Interventionsmächte nichts, um den Einfluss dieser Warlords zurückzudrängen.

2. Zentralistischer Ansatz

Bei der Bonner Konferenz wurde auf Drängen der USA und gegen anfänglich erhebliche Bedenken anderer Teilnehmerstaaten Hamid Karsai als Präsident einer Übergangsregierung bestimmt – ohne Rücksicht auf die realen Verhältnisse in Afghanistan. Dort gab es noch nie eine funktionierende Zentralregierung. Die Macht lag immer und liegt weiterhin bei lokalen und regionalen Stammesführern, Warlords etc. Selbst wenn Karsai nicht oder weniger korrupt gewesen wäre, hätte dieses zentralistische Modell nicht funktioniert. Die USA deckten Karsais massive Wahlfälschung im Vorfeld seiner Wiederwahl zum Präsidenten 2009 und verhinderten, dass die Uno diese Wahlen annulierte.

3. Tatenlos gegen die Drogenökonomie

Mit Ausnahme einer kurzen Phase zwischen 1996 und 2001, in der die Taliban den Anbau und die Verarbeitung von Opium untersagten und mit zum Teil drastischen Mitteln (Abflämmen von Opiumfeldern) auch unterbanden, kamen in den letzten 50 Jahren bis zu 90 Prozent des weltweit konsumierten Heroins aus Afghanistan. Drogenwirtschaft macht über 60 Prozent des Bruttonationalproduktes aus. Solange diese Rahmenbedingungen weiter bestehen und jährlich viele Milliarden Drogengelder in das Land fließen, kann in Afghanistan nichts besser werden. Denn alle Akteure, die kein Interesse an einem funktionierenden Staat sondern nur an der Sicherung ihrer jeweiligen Pfründe und Machtpositionen haben, können sich mit den Einnahmen aus den Drogengeschäften Waffen kaufen, ihre Milizen finanzieren und von der lokalen Ebene bis hin zur Regierung in Kabul nach Belieben Polizisten, Soldaten, Verwaltungsbeamte oder Politiker bestechen. Doch gegen diese Drogenökonomie haben die Interventionsstaaten nie ernsthaft etwas unternommen. Und dies, obwohl in Afghanistan tätige Entwicklungs- und Nichtregierungsorganisationen mehrfach detaillierte Programme vorgeschlagen haben, um den Kleinbauern, die bislang vom Opiumanbau leben, bei der Umstellung auf andere Produkte zu unterstützen und ihnen dafür das gleiche Einkommen zu garantieren. Die Umsetzung dieser Vorschläge hätte einen Promille-Bruchteil der Ausgaben für den Afghanistankrieg gekostet, die allein für die USA von 2001 bis Ende 2020 bereits über zwei Billionen (2000 Milliarden) Dollar betrugen. 

4. Pakistans anhaltende Unterstützung für die Taliban

Die Taliban („Koranschüler“) sind Afghanen, die nach der sowjetischen Invasion ihres Landes Ende 1979 in das Nachbarland Pakistan flohen. Dort wurden sie in Islamschulen ausgebildet und nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen vom pakistanischen Geheimdienst zurück in ihre Heimat geschickt. 1994 gründeten sie sich im südafghanischen Kandahar als Terrororganisation. 1996 bis zu ihrem Sturz Ende 2001 stellten sie die Regierung in Kabul. Von Beginn an und bis heute erhalten sie finanzielle und logistische Unterstützung von der Regierung und dem Geheimdienst Pakistans und konnten während des Krieges mit den Interventionstrupppen der Nato pakistanisches Territorium als Rückzugs- und Ruheraum nutzen. Gegen diese durchgehende Unterstützung der Taliban durch Pakistan in den 20 Jahren des „Krieges gegen den Terror“ haben die USA und ihre Nato-Verbündeten, aber auch Russland und China nie ernsthaft etwas unternommen.

Irak – die zweite Schlacht

Im Unterschied zur militärischen Intervention in Afghanistan stimmten beim völkerrechtswidrigen Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak im Frühjahr 2003 noch nicht einmal die Ausgangsbegründungen. Die Behauptung der Regierungen Bush und Blair, der irakische Diktator Saddam Hussein betreibe eine „operative Kooperation“ mit dem Terrornetzwerk von Al-Kaida, war ebenso eine Lüge wie die Behauptung, er verfüge über Massenvernichtungswaffen. Die von Bush und Blair kurz vor Kriegsbeginn nachgeschobene, ebenfalls verlogene Rechtfertigung, man wolle den Irakern die Demokratie bringen, scheiterte ebenso wie in Afghanistan. Und zudem bereiteten die USA in ihrer achtjährigen Besatzungszeit mit der völligen Vertreibung von Sunniten aus Positionen in Regierung, Verwaltung, Militär und Polizei sowie der Bewaffnung zunächst schiitischer Milizen gegen gegen sunnitische Aufständische (sowie ab 2006 umgekehrt) den Boden für das Entstehen der nach Al-Kaida nächsten Terrororganisation „Islamischer Staat“. Auch die Folterverbrechen US-amerikanischer Soldaten und Geheimdienstler in Abu-Ghuraib und anderen Gefängnissen schürten den Hass auf die USA und dienten dem IS und anderen islamistischen Terrororganisationen zur Mobilisierung neuer Anhänger.

Syrien – die dritte Schlacht 

Der schnelle, höchst erfolgreiche militärische Vormasch, bei dem der IS ab März 2014 mit Hilfe der Waffen, die die USA zwischen 2003 bis zum Ende der Besatzungszeit 2011 in den Irak gepumpt hatte, zunächst weite Teile Iraks und danach fast 60 Prozent des syrischen Territoriums eroberten, kam für die Regierungen und Militärs in den westlichen Hauptstädten dann fast ebenso „überraschend“, wie die Rückeroberung Kabuls durch die Taliban im August dieses Jahres. Ab 2016 bekämpften die USA und ihre Verbündeten, aber auch Russland den IS in Syrien. Zu den Widersprüchen gehört hier – wie mit Blick auf Pakistans Rolle bei der Unterstützung -, dass die USA nichts unternahmen gegen die Unterstützung des IS durch verbündete Staaten wie Saudi-Arabien und den Nato-Partner Türkei. Mehr noch: Die Regierungen Obama und Trump unterstützten selbst vermeintlich gemäßigte, in Opposition zum Assad-Regime stehende islamistische Milizen in Syrien, die ihrerseits operative Beziehungen zu Al-Kaida und dem IS unterhielten.

Nach der weitgehenden Vertreibung des IS aus den von ihm eroberten Regionen in Syrien verkündeten die Regierungen in Washington wie in Moskau im Jahr 2018 erneut einen „Sieg“ über den Terrorismus. Doch tatsächlich tauchten zehntausende IS-Kämpfer lediglich unter oder zogen unter Mitnahme ihrer Waffen nach Libyen, Mali, Afghanistan, in den palästinensischen Gaza-Streifen und andere Konfliktländer und -regionen. In Afghanistan verüben IS-Kader seit 2019 gezielt Angriffe auf die schiitische Minderheit der Hazara. Damit eskaliert auch in Afghanistan – ähnlich wie zuvor im Irak und in Syrien – der innerislamische Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.

Mali – die vierte Schlacht

Mali ist ebenfalls zum Schlachtfeld im Krieg gegen den Terrorismus geworden, seit zunächst die Tuareg im Norden Ende 2012 die regulären Streitkräfte des Landes vertrieben und einen eigenen Staat ausriefen und in der Folge islamistische Milizen auf die Hauptstadt Bamako im Süden vorrückten. Möglich wurden die militärischen Erfolge nur dank tausender Fremdenlegionäre aus Libyen, die nach dem Sturz des Herrschers Muammar al-Gaddafi im März 2011 unter Mitnahme ihrer zuvor von den USA, Frankreich und Großbritannien gelieferten Waffen nach Mali zogen. Die seit 2013 in Mail etablierten zivil-militärischen Missionen der Uno (Minusma) und der EU (Eucap und Eutm) sowie die parallel dazu agierende französische Antiterrror-Operation „Barkhane“ stehen vor sehr ähnlichen Problemen wie jenen, die nach dem 11. September 2001 in Afghanistan geschaffen wurden. Auch in Mali ist das Scheitern absehbar.

Parallel zu der auf bestimmte Länder konzentrierten militärischen Terrorismusbekämpfung mit herkömmlichen Mitteln (bemannte Kriegsflugzeuge, Bodenstreitkräfte, Spezialtruppen) führen die USA auch seit mindestens 2004 einen Krieg mit bewaffneten Drohnen. Die Einsätze rich(te)ten sich nicht nur gegen Ziele in Afghanistan, Irak und Syrien, sondern auch in Pakistan und anderen Ländern. Zentrale Leitstelle für die weltweiten Drohneneinsätze ist die US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz. Verlässliche offizielle Informationen über Umfang, Ziele und Opfer dieser Drohneneinsätze gibt es nicht, da sie in Washington größter Geheimhaltung unterliegen. Für diese Einsätze gibt es keine völkerrechtliche Grundlage und auch keine rechtsstaatliches Verfahren. Der US-Präsident, der mutmaßliche Terroristen auf Vorschlag der Geheimdienste zum Abschuss freigibt, ist Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person. Zu Recht werden diese Einsätze daher als völkerrechtswidrige Drohnenmorde kritisiert. Die Bundesregierung in Berlin lässt die Nutzung von Ramstein für diese Morde zu und verstößt damit nicht nur ebenfalls gegen das Völkerrecht, sondern auch gegen die deutsche Verfassung. Es ist davon auszugehen, dass diese Drohnenmorde an den Zielorten und bei den Überlebenden der Ermordeten als eine besonders feige Handlung wahrgenommen werden und daher den Hass auf die USA/den Westen verstärken sowie islamistischer Radikalisierung und Terrorbereitschaft Vorschub leisten.

Krieg ohne völkerrechtliche Grundlage

Die völkerrechtliche Grundlage fehlt nicht nur für die Drohneneinsätze der USA, sondern für den gesamten „Krieg gegen den Terrorismus“. Zum einen konnten sich die Mitgliedsstaaten der Uno trotz jahrelanger Verhandlungen nicht auf eine gemeinsame Definition von Terrorismus einigen. Deshalb gibt es auch bis heute keine verabschiedete Anti-Terrorismusdefinition. Zum zweiten enthält die Resolution 1263, mit der der Uno-Sicherheitsrat am 12. September 2001 auf die Terroranschläge vom Vortag reagierte, entgegen anders lautender Behauptungen kein Mandat für den Einsatz militärischer Mittel. Dennoch wird diese Resolution von den Regierungen in Washington und anderen Hauptstädten als völkerrechtliche Grundlage für den seitdem geführten „Krieg gegen den Terrorismus“ angeführt. Dagegen gab es auch bis heute keinen ernsthaften Widerspruch irgendeines Landes. Denn die Regierungen aller Uno-Staaten – egal ob demokratische oder diktatorische, ob verbündet oder verfeindet mit den USA – haben die Anschläge vom 11. September 2001 damals als einen heimtückischen Angriff und eine Verletzung nationaler Souveränität wahrgenommen, die eines Tages potenziell auch ihr Land treffen könnten. Das erklärt auch die sehr handfeste Unterstützung und Kooperation, die die USA und dann auch die Nato während ihres Einsatzes in Afghanistan von eher gegnerischen Staaten erfahren haben. Der Iran hielt den US-Truppen in den entscheidenden Kriegswochen von Oktober bis Dezember 2001 den Rücken frei im Länderdreieck mit Afghanistan und Pakistan. Zudem lieferte der Iran mehrere hundert Männer an die USA aus, die von der Bush-Administration der Terrorismus-Unterstützung verdächtigt wurden. Die Regierung in Moskau ermöglichte den Nachschub von Waffen und Material für die Nato-Truppen in Afghanistan über russisches Gebiet. China hat trotz aller seit Anfang des Jahrausends zunehmenden geostrategischen Konkurrenz zu den USA den Afghanistan-Einsatz nie kritisiert und auch im Uno-Sicherheitsrat immer alle diesbezüglichen Resolutionen mitgetragen. Denn die US-Präsenz in Afghanistan war für Peking auch eine Gewähr, dass über die gemeinsame Grenze mit dem Nachbarland keine Islamisten in die Grenzregion Xinjiang einsickerten, Heimat der von Peking unterdrückten muslimischen Minderheit der Uiguren.

Instrumentalisierung des Terrorismusvorwurfs

Der Konflikt zwischen Peking und den Uiguren ist zugleich ein Beispiel dafür, wie der Terrorismusbegriff seit Beginn des Krieges vor 20 Jahren von immer mehr Regierungen durch willkürliche Anwendung immer weiter entgrenzt , instrumentalisiert und missbraucht wird zum Vorgehen gegen (tatsächliche oder vermeintliche) innenpolitische Opposition oder außenpolitische Gegner. Und zwar unabhängig davon, ob es sich bei diesen um Muslime/Islamisten handelt oder nicht. Ein aktuelles Beispiel ist der völkerrechtswidrig Krieg der Türkei gegen die Kurden im eigenen Land, in Syrien und im Irak, den Präsident Erdogan stets mit dem Terrorismusvorwurf an die Kurden zu rechtfertigen sucht. In Damaskus brandmarkt das Assad-Regime seit Beginn der innersyrischen Konflikte im März 2011 jegliche Oppositionsgruppe oder Einzelpersonen konsequent als „Terroristen“. Die Militärdiktatur in Ägypten greift ebenfalls gerne zu diesem Mittel, um ihr Vorgehen gegen innenpolitische Gegner zu rechtfertigen. Und auch in Moskau hat die Regierung Putin inzwischen mehrfach unliebsame Kritiker dem Terrorismusverdacht ausgesetzt.

In den USA sowie in den demokratisch verfassten Staaten in Europa oder in Australien wurden in den letzten 20 Jahren mit der Begründung der Terrorabwehr Bürgerrechte eingeschränkt und Überwachungsmaßnahmen verstärkt.

Andreas Zumach ist politischer Korrespondent der taz in Genf und seit Jahrzehnten DFG-VK-Mitglied.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: Afghanistan, Irak, Krieg gegen den Terrorismus, Mali, Pakistan, Syrien, Taliban, Völkerrecht

1. September 2021

Trauer um Willi Hoffmeister

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

Nachruf auf Willi Hoffmeister (25. März 1933 – 3. August 2021)

Von Felix Oekentorp

Der Friedenskämpfer, Gewerkschafter, Antifaschist und Kommunist Willi Hoffmeister ist am 3. August im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine Erfahrungen mit Faschismus und Krieg, die er als Kind in einem kommunistischen Elternhaus machte, und die seines Onkels, der die mehrjährige Haft im KZ überlebt hatte, mündeten bei Willi in der Überzeugung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Diese Überzeugung lebte er konsequent bis zu seinem Tod.

In seiner ostwestfälischen Heimat gründete er als junger Mann eine FDJ-Gruppe und reiste zum Deutschlandtreffen der Jugend Pfingsten 1950 nach Berlin. Westdeutschland hatte seinen Bürgern die Teilnahme verboten, Willis Lehrmeister hatte den Urlaub verweigert. Beides kümmerte Willi nicht, er fuhr und nahm teil. Vom antikommunistischen Verfolgungsdruck hatte er sich niemals beirren lassen. Willi trat 1954 nach dem in Westdeutschland erlassenen Verbot der FDJ der KPD bei. Später wurde auch diese verboten, und so wurde Willi Mitglied der DKP. 

Bei der VVN-BdA war Willi aktiv und in Dortmund kämpfte er gegen das Wiedererstarken von Nazis im Bündnis gegen Rechts. Sein Engagement war weit bekannt und bescherte ihm auch Bedrohungen, von denen er sich aber nicht abschrecken ließ.

Auch gegen die in den 80ern in Dortmund sehr aktive Nazi-Kleinstpartei FAP organisierte Willi den Widerstand, zusammen mit seinen Kollegen von der Westfalenhütte marschierte er zu deren Büro, so dass die geplante Eröffnung nicht stattfinden konnte. 

Auf der Suche nach Arbeit nach seiner Lehre als Schreiner kam Willi 1951 nach Dortmund und war zunächst Hafenarbeiter. 1954 heuerte er bei Hoesch als Stahlarbeiter auf der Westfalenhütte an. Die Belegschaft war politisiert, und der Organisationsgrad bei der Gewerkschaft lag bei 100 Prozent. Willi wechselte von der ÖTV zur IG Metall, der er bis zu seinem Tod treu blieb. 1967 wählten ihn die Kollegen zum Vertrauensmann und 1978 wurde er erstmals in den Betriebsrat gewählt. Die Betriebsratsarbeit gestaltete Willi stets mit Blick über den Tellerrand und immer auch politisch. Hoesch war bekannt für seine betriebliche Friedens-
initiative, die sich den seinerzeitigen Plänen zur atomaren Bewaffnung entgegenstellte.

Bereits 1961 nahm Willi Hoffmeister am ersten Ostermarsch West teil, und bis zu seinem Tod war er mehr und mehr das Gesicht des Ostermarsch Ruhr, der sich mit dem Ostermarsch Rheinland zu einem gemeinsamen starken Ostermarsch verband.

Anfang 1999 trat er der DFG-VK bei. Ohne ein Amt in der DFG-VK zu haben, prägte er die Außendarstellung der Landesgeschäftsstelle mit. Will war maßgeblich beteiligt an den Aktivitäten der DFG-VK im Ruhrgebiet, nicht nur bei Ostermärschen, sondern auch bei den jährlichen Demos gegen das Luft- und Weltraum-Operationszentrum am 3. Oktober und zahlreichen Anlässen wie den Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr in Afghanistan und Ex-Jugoslawien.

Willi war ein Menschenfänger. Mit dem gleichen Ernst mit dem er mit Abgeordneten oder Ministern diskutierte, sprach er mit Passant:innen am Infostand oder mit Mitdemonstrant:innen. Zusammenkünfte in seinem Garten bleiben unvergessen, hier wurden in kleinen und großen Runden ohne Tagesordnung und Redeleitung viele erfolgreiche Aktivitäten geboren und geplant.

Willi, unser Kampf muss weitergehen. Verlass´ dich auf uns!

Felix Oekentorp ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands NRW und war eng mit Willi Hoffmeister befreundet.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Nachruf

31. August 2021

Kreuzzug gegen den Bolschewismus

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

NS-Propaganda zur Rechtfertigung des Überfalls und deren Fortwirkung nach dem Krieg


Von Wolfram Wette

Der nachfolgende und auch in der ZivilCourage abgedruckte Beitrag von Wolfram Wette ist ein Auszug aus einem ausführlicheren Text. Der ungekürzte Beitrag ist hier als PDF abrufbar.

Langfassung des Texts von Prof. WetteHerunterladen

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 setzte europaweit eine antibolschewistische Bewegung in Gang. „Es macht sich so etwas wie eine Kreuzzugsstimmung in Europa breit. Das können wir gut gebrauchen“, notierte  Propagandaminister Goebbels in sein Tagebuch.  Für die deutsche Propaganda ein Anlass, in der Auslandspropaganda verstärkt die europäische Dimension des Krieges Deutschlands und seiner Verbündeten gegen die Sowjetunion zu betonen. Die Idee von einem „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen, kam offenbar aus dem Auswärtigen Amt. Am 29. Juni 1941 erklärte es: „Der Kampf Deutschlands gegen Moskau wird zum Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus. Mit einer über die Erwartungen hinausgehenden Anziehungskraft erfasst die Erkenntnis, dass es hier um die Sache Europas geht, den ganzen Kontinent, Freunde, Neutrale und selbst jene Völker, die noch vor kurzem mit Deutschland die Klingen gekreuzt haben.“  Deutschland beanspruchte fortan „ein europäisches Mandat“ für jenen „Kreuzzug“, der letztlich ein „gesamteuropäischer Freiheitskrieg“ sei. 

Damit vertieften Außenminister Ribbentrops Propagandisten das von der NSDAP in den 1930er Jahren mit seiner Devise „Bolschewismus gleich Weltfeind Nr. 1“ vorgegebene dichotomische Weltbild. Sie rechtfertigten den Krieg als „säkulare Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Zerstörung und denen der Erneuerung“. 

Es ging darum, die deutsche Aggression als einen „gerechten“ Krieg erscheinen zu lassen und ihn mit dem Nimbus der Heiligkeit auszustatten.  Gerade für eine religiöse Sinngebung waren die Deutschen aufgrund der traditionellen Nähe der Kirchen zu deutschnationale Auffassungen in hohem Maße ansprechbar,  

Goebbels wollte sich mit dem Begriff „Kreuzzug“ nicht gerade anfreunden, obwohl er wusste, dass Hitler darauf drängte, den Krieg gegen die Sowjetunion mit dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ zu versehen, um damit eine Beziehung zu den mittelalterlichen Kreuzzügen herzustellen.  Friedrich I., genannt Barbarossa („Rotbart“), führte den dritten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems (1189-1190) an. Seit dem späten 19. Jahrhundert verband sich in Deutschland mit dem Namen des Stauferkaisers der Mythos des Schutzpatrons der abendländischen Kultur.  Goebbels wusste, dass die Kreuzzüge Ströme von Blut gekostet, aber keinen vollen Erfolg gebracht hatten, und dass Barbarossa im dritten Kreuzzug umgekommen war. Würde die Erinnerung daran nicht eher negative Assoziation auslösen? 

Jedenfalls gab der Propagandaminister am 27. Juni 1941 vor, fortan lieber von einem „Aufbruch Gesamteuropas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die britische und die sowjetische Propaganda über den „Hakenfeldkreuzzug“ spotteten und vorhersagten, dass der deutsche Krieg im Osten das Schicksal früherer Kreuzzüge teilen würde. 

Die Truppen der Kreuzzüge setzten sich aus Freiwilligen unterschiedlicher europäischer Nationalitäten zusammen. Seit Sommer 1941 entstanden wiederum in mehreren europäischen Ländern ähnliche Freiwilligen-Formationen – jedoch unter faschistischem Vorzeichen.   Bereitwillig unterstellten sie sich deutschem Oberbefehl, um mit den Deutschen den „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ zu führen.  Solch nationalen Kontingente kamen aus Italien, Finnland, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Spanien, Frankreich, Skandinavien, Niederlande, Luxemburg, Belgien und Kroatien, also aus fast allen Ländern Europas. Der europäische Faschismus erhob sein Haupt. 

Das Fortwirken des aggressiven Antikommunismus im Kalten Krieg

Nach Kriegsende verschwand das Feindbild „jüdischer Bolschewismus“ zunächst in der Versenkung – um alsbald in neuem Gewande wieder aufzuerstehen. Der rassistische Begriff „jüdisch“ verschwand und statt „Bolschewismus“ war jetzt von „Kommunismus“ die Rede. Der Feind blieb der gleiche: die Sowjetunion und ihre angeblichen Handlanger im Inneren, die man als „Fünfte Kolonne Moskaus“ denunzierte.  Im Hinblick auf die Verwendung des traditionsbelasteten Feindbildes gab es keine „Stunde Null“, sondern vielmehr eine bemerkenswerte und wirkmächtige Kontinuität.

Bereits in der Endphase des Weltkrieges traten die unterschiedlichen politischen Vorstellungen der West-
alliierten und der Sowjetunion über die Neuordnung der Welt zutage. Sie führten schließlich zum Bruch der Anti-Hitler-Koalition und zur Entstehung des Kalten Krieges zwischen West und Ost. Europa sah sich in zwei feindliche Machtblöcke geteilt, die sich als Militärbündnisse organisierten (Nato und Warschauer Pakt). Dem Denkmuster der Totalitarismus-Theorie verpflichtet , schätzte die US-amerikanische Administration die Sowjetunion – und im weiteren Sinne den Weltkommunismus – ebenso wie den Nationalsozialismus als antidemokratische, diktatorische Herrschaft und als latent aggressiv ein. Auf dieser Basis entwickelte die westliche Großmacht ihre Eindämmungsstrategie und reaktivierte zur Rechtfertigung ihrer Politik das alte antibolschewistische bzw. antikommunistische Zerrbild.  Das führte zu einer neuerlichen Vergiftung der internationalen Beziehungen. Feinddenken versperrte einmal mehr den analytischen Blick auf das nationale Interesse und Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion, das sich nicht erneuten deutschen oder westlichen Angriffen ausgesetzt sehen wollte und daher durchaus als defensiv zu verstehen war. 

Der Konflikt zwischen Ost und West spiegelte sich im geteilten Deutschland in der Weise wider, dass die sowjetisch besetzte Zone und spätere DDR ein Russland-Freundbild pflegte und sich auf der anderen Seite, in der Bundesrepublik, die politische Elite in dem Gedanken sonnte, am traditionellen Feindbild Sowjetunion festhalten zu können. Auch die Masse der ehemaligen Nationalsozialisten und Wehrmachtsoldaten mögen jetzt gedacht haben: Wir standen eben schon immer „auf der richtigen Seite“ – was es ihnen einmal mehr erleichterte, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu verdrängen und die Verbrechen zu leugnen. Es steht außer Frage: die Bundesrepublik Deutschland war der einzige Staat Europas, der nach dem Krieg an einem zentralen Strang der Nazi-Propaganda festgehalten hat, nämlich dem Antibolschewismus. Der alte Feind Sowjetunion war auch der neue, den man nun zusammen mit den westlichen Siegermächten erneut in die Schranken zu weisen habe.

Längst gefiel diese Kontinuität der Feindbildpropaganda nicht allen Menschen in der Bundesrepublik. Die Oppositionellen organisierten sich in einer breiten Protestbewegung gegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung und der mit antikommunistischen Feindbildern gerechtfertigten Westintegration. Damit einher ging die Vision eines respektvollen Zusammenlebens in Europa, das nicht durch Feindbilddenken und Wettrüsten vergiftet und in dem die Möglichkeit offen gehalten war, Vertrauen zu bilden und mit Leben zu erfüllen. 

Kooperation mit den westlichen Siegermächten im Geiste des Antikommunismus

Die neue Mächtekonstellation führte im westlichen Teil Deutschlands zu erstaunlichen Formen der Zusammenarbeit. Während die Besatzungspolitik noch dem deklarierten Kriegsziel „Ausrottung des deutschen Militarismus und Faschismus“ folgte, streckten die westlichen Alliierten in ihren Besatzungszonen ihre Fühler nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den vormaligen Feinden aus. Ihr Anliegen stieß bei deutschen Antibolschewisten auf einen fruchtbaren Boden, weil es ihnen unverhofft die Gelegenheit eröffnete, aus dem politischen Abseits herauszutreten und ihre antibolschewistische Speerspitze zu reaktivieren.

Kooperation gab es auf der Ebene der Geheimdienste, des Militärischen und der Propaganda.  Die Abteilung „Fremde Heere Ost“ des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) nahm bereits vor der Kapitulation Verbindungen mit der US-Army auf. Der Vorstoß fand den Segen des Interims-Staatsoberhaupts Dönitz. Wes‘ Geistes Kind der Marineoffizier war, ist seinem Aufruf vom 1. Mai 1945 zu entnehmen, in dem er verkündete, Hitler habe bis zu seinem letzten Atemzug gegen den Bolschewismus gekämpft, und diesen „Kampf gegen den Bolschewismus“ wolle er nun weiterführen. 

Die USA interessierten sich besonders für die Kriegserfahrungen des deutschen Feindnachrichtendienstes im Osten, der nun als „Organisation Gehlen“ firmierte und später im Bundesnachrichtendienst (BND) aufging. Die US-Army nahm die Gehlen-Truppe unter ihre Fittiche und versicherte, deren Tätigkeit liege im gemeinsamen deutsch-amerikanischen Interesse „an der Verteidigung gegen den Kommunismus“. Dem gleichen Ziel dienten auch jene 328 höheren Wehrmachtoffiziere, die sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft bereitfanden, in der „Historical Division“ der US-Army auf der Basis der deutschen Operationsakten „studies“ über das militärische Geschehen im Osten zu verfassen. Der vormalige Generaloberst Franz Halder begründete seine Kooperationsbereitschaft und die seiner Kameraden – ebenso wie zuvor schon Dönitz und Gehlen – mit dem Argument, es gehe darum, „den Kampf gegen den Bolschewismus fortzusetzen“. Aus eigenem Antrieb bot der Wehrmacht-Oberst i.G. Graf Kielmansegg der britischen Siegermacht die Aufstellung eines „Deutschen Korps unter englischem Oberbefehl“ in einer Stärke von 50 000 Mann an, um bei einem für möglich gehaltenen neuerlichen Aufflammen des Krieges „gegen den Bolschewismus“ auf der richtigen Seite mit dabei zu sein. 

Eine Schlüsselfigur für das Fortwirken der antibolschewistischen Propaganda über die politische Zäsur des 8. Mai 1945 hinweg war der NS-Funktionär Eberhard Taubert (1907-1978).  Unter Hitler und Goebbels als Ministerialrat im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP)“ tätig, hatte er die „Abteilung Ost“ geleitet, in der 450 Beamte antibolschewistische Propaganda in den besetzten Ostgebieten betrieben. Taubert nahm sozusagen die Rolle des Chefpropagandisten des RMVP gegen den Bolschewismus ein. Wie sein Drehbuch zu dem Film „Der ewige Jude“ belegt, war er zudem ein fanatischer Judenhasser. Nach dem Krieg arbeitete er u. a. für den britischen und den amerikanischen Geheimdienst. In der Bundesrepublik gründete er den – als „Volksbund für Frieden und Freiheit“ getarnten – Zusammenschluss aller antikommunistischen Organisationen in der Bundesrepublik, den man sich als eine Nachbildung der nationalsozialistischen Anti-Komintern vorstellen muss. 1958 holte ihn Verteidigungsminister Franz-Joseph Strauß (CSU) als Berater für das neu eingerichtete Referat „Psychologische Kampfführung“ in sein Ministerium. Somit verkörpert Taubert wie kaum ein anderer ein halbes Jahrhundert antibolschewistische und antikommunistische Propaganda in Deutschland – sowohl vor als auch nach 1945.

Ein deutsches Trauma: „Die Russen kommen!“

Die nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitete deutsche Angst vor „den Russen“ speiste sich zu einem erheblichen Teil aus der NS-Propaganda, insbesondere aus der Gräuelpropaganda der Nazis in der letzten Kriegsphase, die unter Hinweis auf schwere Ausschreitungen und die große Zahl von Vergewaltigungen durch Soldaten der der Roten Armee zum fanatischen Durchhalten aufrief, aber auch das Gegenteil zur Folge haben konnte, wie unter anderem die selbstmörderischen Panikreaktionen in der Stadt Demnin belegen.  Die Kampagnen hinterließen ihre Spuren in den Köpfen der Menschen, ebenso wie andere Kriegsende-Erfahrungen der Deutschen – Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Zusammenbruch der politischen und militärischen Macht. Am Ende betrachteten sich die besiegten Deutschen zunehmend als die „eigentlichen Opfer“, ergingen sich in Selbstmitleid und verdrängten die Tatsache, dass sie selbst ihre Lage verschuldet hatten. 

Der Unwille, sich in die Lage der – von deutscher Aggression überzogenen – Menschen in der Sowjetunion zu versetzen, war auch noch Jahrzehnte später zu beobachten. In Russland stets mit großem Befremden wahrgenommen, wies der russische Deutschland-Kenner und hochrangige sowjetische Politiker Nikolai Portugalow (1928-2008) im Jahre 1989 darauf hin. Die Deutschen, sagte er, hätten eine große, „nicht-anerkannte und unbereute Schuld“ auf sich geladen. Und weiter: „Die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs, dass gerade die Deutschen unermessliches Leid über unser Land gebracht hatten, ist nicht nur an dem materiellen Schaden zu messen, auch nicht nur an den Toten, den Verkrüppelten, an der Verwüstung, der verbrannten Erde und dergleichen mehr. Der Vorgang, schon der Wille, die Sowjetunion zu vernichten, ist ungeheuerlich. Das hätten wir in unserer Geschichte wohl vielleicht von Tartaren erwartet, im frühen Mittelalter, aber doch nicht von den Deutschen!“  

Portugalow, als Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU und als Berater von Parteichef Gorbatschow auf sowjetischer Seite führend an der Wiedervereinigung Deutschlands beteiligt,  gehörte zu jenen Russen, die trotz des Zweiten Weltkrieges auf eine deutsch-russische Symbiose hofften, und leistete dazu unter anderem mit der Übersetzung von Werken von Brecht und Böll in die russische Sprache einen eigenen Beitrag. Hat es wirklich zur Aussöhnung beigetragen?

Im Westdeutschland der 1950er Jahre lebten die Angehörigen der Kriegs- und die Nachkriegsgeneration mit Bedrohungsängsten wie „Die Russen kommen!“ – geschürt von einer antikommunistischen und antisowjetischen Propaganda.  Aber es steckte mehr dahinter: Man befürchtete – nur selten offen ausgesprochen –, die auf Rache sinnenden Russen könnten den Deutschen womöglich das antun, was diese in den Kriegsjahren 1941-1944 den als Untermenschen geltenden Russen angetan hatten – eine zentrale Erkenntnis, die in der historisch-politischen Literatur kaum die nötige Aufmerksamkeit findet. Wir haben es mit dem klassischen Falle einer Projektion zu tun. Sie verdeckte das Wissen der Täter des mehrjährigen deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion. Russenfurcht erlaubte es vielen Deutschen weiterhin, ein gutes Gewissen zu haben und das eigene Böse zu verdrängen.

Mit der kultivierten Russenangst wurde der Spieß einmal mehr umgedreht: Nicht Deutschland war nunmehr schuld an der Feindkonstellation des Kalten Krieges, sondern die Russen von heute, die Westdeutschland und den Westen bedrohten. Mithilfe dieser Schuldabwehr gelang es den Anhängern der Politik Adenauers, in die Rolle des – potenziellen – Opfers sowjetischer Aggression schlüpfen. Die Option, eigene Schuld anzuerkennen und Reue zu zeigen, blieb weitgehend auf der Strecke.

Das Fortwirken der NS-Propaganda im Kalten Krieg zeigte sich auch auf dem Feld der Militärpolitik. Als sich im Sommer 1950 ehemalige hochrangige Offiziere der Wehrmacht auf Geheiß von Bundeskanzler Adenauer (CDU) im Eifelkloster Himmerod trafen, um im Geheimen über die Aufstellung einer „neuen Wehrmacht“ zu beraten , orientierten sich die vormaligen Generäle Hitlers in ihren Planungen bedenkenlos am „Vorbild Wehrmacht“. In Himmerod wurde die Bundeswehr – wie vormals die Wehrmacht – „auf einen den gesamten Kontinent Europa umfassenden Kampf ausgerichtet, […]‚von den Dardanellen bis nach Skandinavien‘“. In der Kontinuität ihres antibolschewistischen und antikommunistischen Weltbildes verknüpften die westdeutschen Militärplaner ihre Erfahrungen im nationalsozialistischen „Ostkrieg“ samt seiner Vernichtungsdoktrin mit dem Kalten Krieg.  

Verbesserungen des internationalen Klimas in Europa brachte die deutsche Entspannungs- und Ostpolitik der 1970er Jahre. Aber in den Köpfen der Gegner lebten und leben die alten Feindbilder fort. Ende der 1980er Jahre, als sich das Ende des Kalten Krieges ankündigte, klang die Idee eines „Friedens mit der Sowjetunion“ für viele wie Zukunftsmusik.  Neuerliche Warnungen, Russland sei eine Bedrohung für den Frieden, lassen leicht vergessen, dass nicht die Russen, sondern die Deutschen den Menschen in zwei Weltkriegen unermessliches Leid zugefügt haben.

Wolfram Wette ist pensionierter Professor für Neueste Geschichte, Friedensforscher und DFG-VK-Mitglied. Für die Veröffentlichung hier wurde sein Beitrag erheblich gekürzt. Der vollständige Text mit Quellenhinweisen findet sich auf der ZivilCourage-Website: https://bit.ly/3seJL4Y Ein inhaltsgleicher Beitrag ist in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Der Hakenkreuzzug“ am 10. Juni 2021 erschienen.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Krieg

31. August 2021

Schreckensbilanz

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Titel

Die Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition
Nötig: Ein Rüstungsexportkontrollgesetz

Von Jürgen Grässlin

Ende September wird ein neuer Bundestag gewählt und danach eine neue Regierung gebildet. Für den Rüstungsexportbereich wird diese Wahl auf lange Jahre hinaus richtungsweisend sein. Denn ein Weiter-so mit der CDU/CSU oder der SPD wäre der Türföffner für erneute Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten im Nahen und Mittleren Osten und an weitere Staaten weltweit. Damit das Massenmorden mit deutschen Waffen ein Ende findet, bedarf es einer neuen Bundesregierung, die der enthemmten Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition radikal ein Ende setzt.

Allerdings sprechen sich einzig Linke und ÖDP klar gegen den ungebremsten Waffenhandel aus, Die Linke fordert seit Jahren ein umfängliches Rüstungsexportverbot. Jedoch ist die Beteiligung dieser beiden Parteien an der neuen Bundesregierung äußerst unwahrscheinlich. Voraussichtlich werden Bündnis 90/Die Grünen als Teil einer neuen Regierung die Richtung mit vorgeben. Ob in gutem oder schlechtem Sinne, steht noch dahin. Nichts Gutes lässt das Statement des Ko-Vorsitzenden Robert Habeck erwarten, der sich vor Kurzem unverhohlen für Waffenlieferungen an die Ukraine und damit in ein Krisen- und Kriegsgebiet aussprach.

Grundgesetz – Artikel 26:
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
(2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Wir brauchen neues Denken und eine wirkliche Wende

Was wir aber brauchen, ist neues Denken, eine wirkliche Wende hin zu einer Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung. Im Rahmen dieses Umsteuerungsprozesses bedarf es der Verabschiedung eines neuen und strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace in Absprache mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ für Deutschland vorgelegt worden ist (https://bit.ly/3kkTnrs).

In Ausführung von Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes soll ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten festgeschrieben werden. Dieses neue Gesetz muss dem Menschenrechtsschutz und der Abrüstung und nicht länger den Interessen der Rüstungsindustrie dienen.

Zentrale Ansprüche an ein Rüstungsexportkontrollgesetz sind u.a.: 

  • Ein Exportverbot von kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition.
  • Keine weiteren Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete oder an menschenrechts- und völkerrechtsverletzende Staaten.
  • Ein Verbot von Lizenzvergaben sowie der Weitergabe von Waren und Informationen, die den Nachbau und die Weiterentwicklung deutscher Waffen und Rüstungsgüter ermöglichen.
  • Zukünftig müssen Exportgenehmigungen begründet und jederzeit widerrufen werden können.
  • Keine weiteren Vergaben staatlicher Exportkreditgarantien für Rüstungsgeschäfte (Hermesbürgschaften).
  • Schaffung eines Verbandsklagerechts, um Rüstungsexportgenehmigungen gerichtlich überprüfen lassen zu können.
  • Wiederbelebung des Rüstungskonversionsfonds zur Förderung der Umstellung von militärischer auf nachhaltige zivile Produktion.

Ein solches neue Rüstungsexportkontrollgesetz sollte das einzige Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Grundgesetz sein und die bisherigen rechtlichen Vorgaben des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Auswirtschaftsgesetzes ersetzen.

Was vor wenigen Jahren noch utopisch geklungen hätte, gewinnt inzwischen an Kontur. Als Konsequenz unserer erfolgreichen Strafanzeige gegen Heckler & Koch wies der Bundesgerichtshof Ende März auf die bestehenden Lücken bei der Kontrolle des Kriegswaffenexports hin. Mit Nachdruck sagte der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats am Bundesgerichtshof in der Urteilbegründung: „Die Rechtslage zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte, auch nicht des Bundesgerichtshofs.“ Der Schwarze Peter liegt also bei der Politik.

Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Rüstungsexporte

Die Zeiten sind günstig für die Rüstungsexportwende. Seit Jahren bereits dokumentieren repräsentative Meinungsumfragen den Mehrheitswillen der Bevölkerung – gegen Rüstungsexporte, für Menschenrechte. So entfachte die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 die Debatte über Waffenexporte nach Saudi-Arabien neu. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen ergab kurz danach ein klares Meinungsbild: Eine deutliche Mehrheit der befragten Bundesbürger*innen sprach sich dafür aus, „dass sich die Bundesregierung in erster Linie an der Menschenrechtslage im Zielland orientieren sollte, wenn sie Rüstungsexporte genehmigt“. Lediglich 15 Prozent der Befragten sahen wirtschaftliche Interessen als prioritär an.

Immerhin sprachen sich bei der Befragung Wähler*innen aller Parteien eindeutig dafür aus, dass Menschenrechte wichtiger als Wirtschaftsinteressen seien. Am größten war der Zuspruch bei Wähler*innen von Bündnis 90/Die Grünen mit 89 Prozent, gefolgt von denen der Linken mit 86 Prozent und der SPD mit 85 Prozent. Selbst bei Wählern der anderen Parteien gab es mehrheitlich Zuspruch: bei der CDU/CSU mit 62, bei der FDP mit 59 und bei der AfD mit 54 Prozent.

Klare Mehrheiten gegen Waffenexporte lassen sich seit Jahren in repräsentativen Meinungsumfragen belegen. Auf die Frage „Einmal grundsätzlich betrachtet, sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Waffen und andere Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?“ antworteten im Januar 2016 erfreuliche 83 Prozent der befragten Bürger*innen mit einem Nein, gerademal 14 Prozent sprachen sich für Rüstungsexporte aus. Bei einer ähnlichen Umfrage fünf Jahre zuvor waren lediglich 78 Prozent dagegen.

In den kommenden Jahren gilt es, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland zur Umsetzung zu verhelfen. Dabei sind Bundestagswahlen ein relevanter Stellhebel, jedoch nicht der einzige. Mit unserer Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ ist es uns gelungen, die Wende hin zur drastischen Reduktion der Exportgenehmigungen bei Kleinwaffen herbeizuführen.

Handlungsansätze für die Friedensbewegung

Sinnvolle und erfolgversprechende Handlungsansätze gibt es genug. Kritische Aktionär*innen bieten die Chance, Rüstungsexportskandale bei Aktiengesellschaften wie Rheinmetall, Daimler oder Heckler & Koch in den Hauptversammlungen anzuprangern und die Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat in Gegenanträgen zu fordern.

Auch gilt es, Strafanzeigen wie die des European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Linkspartei zu fördern. Diese gehen die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden durch Waffentransfers deutscher Rüstungskonzerne juristisch an. Weiterhin gilt es, den offenen Brief von Greenpeace und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und zahlreicher weiterer Organisationen zu unterstützen, der von der Bundesregierung jeweils am Ende eines Jahres nachdrücklich einen völligen Stopp aller Kriegswaffenexporte der Jemen-Kriegsallianz fordert. Bekanntlich wird das Rüstungsexportmoratorium der Bundesregierung jeweils nur für ein Jahr verhängt.

Außerdem müssen wir über den Tellerrand deutscher und auch europäischer Rüstungsexportpolitik hinausdenken. Denn längst haben Konzerne wie Rheinmetall Defence Teile ihrer Produktion nach Italien (RWM Italia) und nach Südafrika (Joint Venture mit Denel) verlagert, um den deutschen Exportrestriktionen zu entgehen. Lasst uns also mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) weltweit aufzeigen, wohin grenzenlos Waffen exportiert werden. Und lasst uns den Tätern Name und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Lasst uns die Werkstore von Waffenschmieden blockieren und vor dem Bundestag und Kanzleramt gegen die Rüstungsexport- und Kriegslobbyisten demonstrieren.

Wir werden mit der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ weiterhin den Finger in die Wunde einer durch und durch inhumanen und ethisch äußerst verwerflichen Rüstungsexportpolitik legen. Konsequent und kreativ werden wir unsere Aktionen zur Demaskierung der Bundesregierung weiterentwickeln – so wie mit der X-Ray-Aktion vor dem Deutschen Bundestag, der „Waffenkammer Deutschlands“ Ende August. 

Rückblick zeigt Notwendigkeit der Wende

Ein Rückblick zeigt, wie notwendig eine Wende ist.

Als die CDU/CSU/SPD-Regierung nach der Bundestagswahl 2017 erneut ihr Amt antrat, schenkten viele Bürger*innen den hehren Versprechungen Glauben, die neue Regierung werde in zentralen Politikbereichen eine Wende zum Guten einleiten. 

Im Rüstungsexportbereich hofften viele darauf, dass die hemmungslose Exportpolitik nun beendet und Abrüstung die Agenda bestimmen würde. Immerhin hatte die Vorgängerin, ebenfalls eine Große Koalition, mit Einzelgenehmigungen von Rüstungsexporten im Volumen von rund 24,8 Milliarden Euro so viele Waffentransfers genehmigt, wie keine Regierung zuvor.

Heute, noch vor Ende der Wahlperiode, bleibt eine finale Gesamtbewertung unvollständig. Auf eine Anfrage
der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen bestätigte die Regierung, dass sie in der noch laufenden Periode Rüstungstransfers im Umfang von mehr als 22,5 Milliarden genehmigt habe. 

Eine Zahl, die zu niedrig angesetzt sein dürfte. Denn gemäß den Angaben der regierungsamtlichen Rüstungsexportberichte wurden in den Jahren 2018 bis 2020 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,8 (2018), 8,0 (2019) und 5,8 Milliarden Euro (2020) erteilt. Rechnet man anteilig die Monate Oktober bis Dezember  für 2017 mit 1,5 hinzu sowie anteilig die ersten neun Monate für 2021 (Datenbasis erstes Halbjahr) mit 3,4 hinzu, so ergibt sich für die 19. Legislaturperiode die finale Summe von rund 23,6 Milliarden Euro. Die zu Ende gehende Wahlperiode ist damit gekennzeichnet von einer Stabilisierung der Waffentransfers auf immens hohem Niveau.

Schlimmer noch: Analysiert man die Einzelgenehmigungen seit der Publikation von Rüstungsexportberichten, beginnend im Jahr 1996, dann waren bisher die Jahre 2015-17 negativ hervorgetreten. Für 2019 allerdings müssen sich die Regierenden in Berlin den Vorwurf gefallen lassen, die Einzelgenehmigungen für Kriegswaffenexporte auf den historisch neuen Negativrekordwert von 8,014 Milliarden Euro hochgeschraubt zu haben. 

Von einer funktionierenden Exportkontrolle oder gar einer „restriktiven Exportpolitik“ – wie von CDU/CSU und SPD immer propagiert – kann keine Rede sein. Dies ist umso betrüblicher, als auch die Rüstungsexportrestriktionen auf internationaler Ebene weitgehend versagen.

Rüstungsexport-Rekordhalterin Angela Merkel. Die Gesamtbilanz der Ära Merkel fällt absolut desaströs aus. Als Bundeskanzlerin und Vorsitzende des Bundessicherheitsrats von 2005 bis 2021 verantwortet Angela Merkel in ihrer 16-jährigen Amtszeit Waffenexportgenehmigungen für Einzel- und Sammelausfuhren in Höhe von mehr als 122 Milliarden Euro. Damit ist sie unangefochten Rekordhalterin in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte vor allen anderen Kanzlern – auch vor Helmut Kohl, der ebenfalls 16 Jahre als Kanzler regierte. 

Unter Merkels Ägide durfte die deutsche Rüstungsindustrie mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten jahrelang mehrere Staaten der Jemen-Kriegskoalition hochrüsten. Dank ihrer Zustimmung konnten deutsche Waffen zudem im Afghanistankrieg, im Libyenkrieg, im Irakkrieg und im Syrienkrieg zum Einsatz kommen. Angela Merkel verantwortet mit ihren Minister-Kolleg*innen im Bundessicherheitsrat die erzwungene Flucht, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung Abertausender unschuldiger Menschen mit deutschen Waffen in Krisen- und Kriegsgebieten.

Der 26. September bietet die Chance für eine wirkliche Umkehr!

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG- VK-BundessprecherInnenkreis und einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Rüstungsexport, Waffenhandel

31. August 2021

„Das Trauerspiel von Afghanistan“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Antimilitarismus

20 Jahre Kriegspolitik von Bundeswehr und Nato sind gescheitert

Von Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers

Nach fast 20 Jahren Kriegsbeteiligung ist die Bundeswehr fluchtartig aus Afghanistan abgezogen und hinterlässt ein zerstörtes Land. Die formulierten und heimlichen Kriegsziele wurden alle nicht erreicht. Der Einsatz war sinnlos, die Soldat*innen wurden von den Bundesregierungen missbraucht. Konflikte können mit Militär nicht gelöst werden. 

Am 1. Dezember 2001 trafen die ersten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Afghanistan ein. Ihr vorgeblicher Auftrag war, die afghanische Regierung im Kampf gegen den Terrorismus von Al Kaida und der Taliban zu unterstützen. Zusammen mit den Soldat*innen aus anderen Nato-Staaten sollte angeblich der Terrorismus erfolgreich bekämpft und demokratische Strukturen aufgebaut werden. 

Der Militäreinsatz wurde als „Friedensmission“ verharmlost und sollte für ein Afghanistan sein, „das für sich sorgen kann“, hieß es 2001 aus dem Verteidigungsministerium. Der damalige Bundeskanzler Schröder teilte in einer Regierungserklärung im Dezember 2001 mit: „Der Afghanistaneinsatz ist unsere Antwort auf den Terror“. 

Als unausgesprochenes hintergründiges Ziel strebten Schröder (SPD) und sein Außenminister Fischer (Grüne) einen ständigen Sitz im UN Sicherheitsrat an. 

Nicht Aufbauhilfe, sondern Besatzung

Dargestellt wurde der Krieg der Nato in Afghanistan als „Aufbauhilfe, Beitrag zur Demokratisierung“. Dafür wurden immer mehr Soldat*innen und Kriegsgerät ins Land geschafft. 2003 übernahmen die Nato-Armeen Besatzungsfunktionen in den Provinzen, die Bundeswehr im Norden mit Stützpunkten in Mazar, Kunduz und 2004 in Faizabad. 

Am 4. September 2009 wurden auf Befehl des Bundeswehroberst Klein Zivilist*innen, darunter auch Kinder, bombardiert, die sich von einem festgefahrenen LKW Benzin abgezapft hatten. Bei dem Bombenangriff kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Für dieses Kriegsverbrechen wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Der Staatsanwalt stellte fest, dass die Bombardierung alle subjektiven und objektiven Tatmerkmale des Mordparagraphen enthält, die Ermittlungen gegen Oberst Klein wurden dennoch eingestellt, und er wurde zum General befördert. 

2014 wurde schon einmal ein Abzug aus Afghanistan angekündigt. Die Bundeswehr ist damals für die Unterstützung und Ausbildung der afghanischen Armee beauftragt geblieben, Kunduz und Faizabad waren schon geräumt. 

Es sollte ihr Beitrag zur Niederschlagung der Aufständischen sein. Soldat*innen, die von der Bundeswehr ausgebildet wurden sind, desertierten und flohen oder schlossen sich den Taliban oder anderen Aufständischen an. Die Bundeswehr hat diejenigen ausgebildet, die sie eigentlich bekämpfen wollte. 

Ausbau des Drogenanbaus und -handels, Zerstörung der Infrastruktur, Verelendung und Hunger, die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in der Welt, ein zerstörtes Bildungssystem, eine zerstrittene Regierung mit steigender Korruption, haben das Ziel der sogenannten „Friedensmission“ ins Gegenteil verkehrt. Die Taliban konnten Kabul und die Macht im Land im August 2021 wieder übernehmen. 

Kapitulation 

Von Januar bis April 2021 stieg der Anteil der getöteten Zivilist*innen um 30 Prozent oder um 10.439 Menschen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind im fast zwanzigjährigen Krieg in Afghanistan mindestens 300 .000 Menschen getötet worden. Die Soldat*innen der Bundeswehr lassen mit ihrem Krieg, der nicht Krieg genannt werden sollte, ein zerstörtes Land zurück. Die Islamisten sind stärker als zuvor. Die Bundeswehrsoldat*innen sind in den 20 Jahren ihres Militäreinsatzes Opfer von Selbsttäuschung geworden, sie wurden von den Bundesregierungen und der Parlamentsmehrheit missbraucht. Mit ihrem Abzug besiegeln sie das Scheitern. 

Verantwortungslose Militärpolitik

Soldat*innen sind Opfer verantwortungsloser Militärpolitik. Etwa 150 .000 Soldat*innen der Bundeswehr waren in Afghanistan im Krieg. 59 kamen dabei ums Leben, 35 bei Kampfhandlungen. Ihnen wurde posthum der Orden für besondere Tapferkeit verliehen. 

Die Zahl der psychisch traumatisierten Soldat*innen steigt, für deren Behandlung in Bundeswehrkrankenhäusern beträgt die Wartezeit bis zu acht Monaten. Wie viele Soldat*innen aufgrund ihrer Kriegserlebnisse traumatisiert sind, ist aufgrund der Dunkelziffer ungewiss. 

Sie haben im Kriegsalltag hilflos mitansehen müssen, wie Zivilist*innen, darunter auch Kinder, Kamerad*innen, auch die der anderen Nato-Armeen getötet oder verletzt worden sind oder wurden auch selbst verletzt. Der Schaden, den sie an ihrer Seele genommen haben, ist auf den ersten Blick nicht sichtbar. 

Unter der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familienangehörigen und ihr soziales Umfeld. Für Soldat*innen mit PTBS hört der Krieg nie auf, er geht im Kopf und den Nerven weiter. 

Gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit. Bei Meinungsumfragen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung gab es durchgängig mindestens eine Zweidrittelmehrheit gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan. Rückhalt in der Bevölkerung hat es für die Soldat*innen in Afghanistan nie gegeben. 

Die Mehrheitsmeinung ignorierend haben die Mitglieder des Bundestages mehrheitlich für Krieg gestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“. 12,156 Milliarden Euro, dazu sogenannte Aufbauhilfen und Entwicklungshilfen in Höhe von 430 Millionen Euro, die größtenteils für Militär und Polizei eingesetzt wurden, sind sinnlos für den Krieg verschwendet worden. 

Abschiebestopp und offene Grenzen 

In Afghanistan gibt es keine Sicherheit für Menschen. Während die Bundeswehr für ihre Soldat*innen einen sicheren Abzug aus Afghanistan organisierte, ließen sie die Menschen in Afghanistan hilflos zurück. 

Noch im August 2021 wurde von rassistischen deutschen Politiker*innen behauptet, es gebe in Afghanistan sichere Gebiete, in die Menschen abgeschoben werden können. 

Alle Menschen, die aus Afghanistan schon geflüchtet sind, und auch diejenigen, die das misshandelte Land verlassen und sich hier bei uns in Sicherheit bringen wollen, brauchen ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht. Das gilt für alle, nicht nur für die Kollaborateure der Besatzer. Das ist unsere humanitäre und politische Verantwortung. 

Afghanistan ist der Friedhof für Imperialisten und Invasoren. Vor 2 300 Jahren scheiterte Alexander der Große daran, Afghanistan zu erobern. 1839 versuchten die Briten, das Land zu besetzen und scheiterten. 12 000 Zivilisten, 690 britische und 2.840 indische Soldaten mussten drei Jahre später nach militärischer Niederlage abziehen. Nur der Militärarzt Bryder überlebte den Abzug. 

1858 schrieb Theodor Fontane das Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“, dessen letzte Zeile lautet: „Mit 13.000 der Zug begann – einer kam heim aus Afghanistan“. 

Von 1979 bis 1989 intervenierte die Sowjetarmee in Afghanistan und musste am Ende erfolglos abziehen. Afghanistan wurde zu einem Sargnagel der Sowjetunion. 

Nun haben USA und Nato ihren Afghanistankrieg verloren. 

Aus dem Afghanistankrieg lernen. Der Malieinsatz ist ebenso desaströs. Auch dort destabilisiert der Kriegseinsatz eine ganze Region, und der Krieg weitet sich auf die Nachbarstaaten im Sahel aus. 

Menschenrechte, Demokratie, Wohlstand und Sicherheit können nicht durch Soldat*innen und Krieg erreicht werden. Der Einsatz von Militär ist keine Geopolitik sondern Kriegsführung und verschlimmert das Elend.

Die Bundeswehr ist gefährlich, sinnlos, teuer und gehört abgeschafft. 

Politiker*innen, die Krieg als Friedensmission deklarieren, sich an der Vorbereitung von Kriegshandlungen durch Zustimmung beteiligen und Krieg als politische Strategie gut heißen, sind nicht wählbar. 

Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers sind aktiv im DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein.

Den Text dieses Artikels gibt es als Faltblatt zum Verteilen. Das „Tornado-Motiv“ ist erhältlich als Plakat im Format A1 (0,20 Euro/Stück; für Versand gefaltet). Bestellung über: https://shop.dfg-vk.de/

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Afghanistan, Auslandseinsatz, Bundeswehr, Kriegspolitik, Nato

31. August 2021

„Tag ohne Bundeswehr“ war ein voller Erfolg

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

Bundesweite „Adbusting“-Aktionen gegen Militär-Reklame

Von der antimilitaristischen Kommunikationsguerilla

So lief der (digitale) Tag der Bundeswehr 2021 am 12. Juni: Während die Bundeswehr drinnen Video-Konserven für 6.000 Hardcore-Fans im Internet streamt, kapert draußen eine Kommunikationsguerilla republikweit Werbevitrinen. Bundesweit beteiligten sich an dem Aktionstag Kommunikationsguerilla-Gruppen aus 13 Städten. In Berlin, Potsdam, Dresden, Erlangen, Stuttgart, Frankfurt/Main, Bonn, Köln, Essen, Hannover, Hamburg und Rostock feierten Aktivist*innen den Tag ohne Bundeswehr mit Adbustings. 

In Witzenhausen fanden Bannerdrops statt. In Kiel feierte der DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein den „Tag ohne Bundeswehr“ mit einer Kundgebung vor dem Liegeplatz des Marine-Schulschiffes Gorch Fock. Eine namenlose Berliner Gruppe hängte Wandzeitungen in der Umgebung des Impfzentrums am Erika-Heß-Stadion auf, die den Inlandseinsatz der Bundeswehr in der Coronapandemie aufgreifen und davon ausgehend die Normalisierung von Militärpräsenz in der Gesellschaft kritisieren. Auch das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (Junepa) beteiligte sich am Aktionstag. 

„Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldat*innen“

Die gefälschten Plakate in den Werbevitrinen zeigen das Tarnfleck-Polygon der Bundeswehr. Doch die Sprüche machen keine Werbung für die Truppe, sondern kritisieren das Militär. Die unerlaubt angebrachten Plakate verwendeten den Polygon-Flecktarn-Hintergrund der Bundeswehr, kombinierten diesen jedoch mit Sprüchen wie „Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldat*innen“, „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“ oder „Munition und Menschenleben: Ein bisschen Schwund ist immer.“ In Fachkreisen wird diese Aktionsform „Adbusting“ genannt, und die Behörden gehen sehr hart dagegen vor, da Adbusting laut Landeskriminalamt Berlin die Bundeswehr „gar lächerlich“ mache. 

Viele Reaktionen von Passant*innen. Das Aufhängen von gefälschten Werbeplakaten und die Umgestaltung von Werbung zu einer anderen politischen Botschaft nennt man „Adbusting“. 

Beim Fotografieren eines „Soldaten-Nazis-Plakats am“ Bahnhof wurde eine Aktivist*in von einer Passant*in gefragt wurde, ob sie auch Züge fotografiert. Nachdem die Aktivist*in auf das Plakat hingewiesen hatte, bekam sie von der Person Zustimmung: „Es ist aber auch echt der Wahnsinn, aus was für einem rechten Gesocks die Bundeswehr besteht.“

Auf einem anderen Motiv heißt es: „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“. Dieser Spruch sorgte in mehreren Fällen zu höhnischem Lachen auf den Straßen der Städte. Eine Gruppe, die vor dem Plakat versammelt war, rätselte: „Ist das echte Bundeswehrwerbung?“ – „Nein. So ehrlich sind die nicht.“

Reichweite in den sozialen Medien. Auch medial stahl der „Tag ohne Bundeswehr“ dem „Tag der Bundeswehr“ klar die Show. Zeitungen berichteten, von Passant*innen hochgeladene Bilder der Adbustings sammelten Tausende Likes, die beteiligten Kollektive feierten Reichweiten-Rekorde. Von Freitag auf Sonntag war #Adbusting zeitweilig auf Platz 9 in den Trending-Charts bei Twitter. 

Über den CSU-Bundestagsabgeordneten Florian Hahn („das ist unfassbar scheußlich“) schwappten die Bilder auch in die Military-Community. Hier zeigte sich deutlich eine demoralisierende Wirkung. Auf Twitter schreibt eine Soldat*in: „Man dieses ganze Adbusting zeigt einfach wie niedrig der Rückhalt in der Bevölkerung für die Bundeswehr ist.“ (https://bit.ly/3CVw7bE)

Eine andere Soldat*in schreibt: „Der Moment, wo man als Soldat vor so einer Wand steht und sich fragt, für was und wen man diesen Job eigentlich macht!“ (https://bit.ly/3sjzpRm)

Sogar Zuspruch findet sich unter den Soldat*innen: „Als Soldat bin ich Antifaschist. Ich fühle mich hier nicht angesprochen, weil Nazis in der Bw nicht meine Kamerad:innen sind (so wie Ihre bestimmt auch nicht). Ich bin froh um den Druck von außen, weil von alleine wird nichts gegen die Demokratiefeinde in unseren Reihen getan.“ (https://bit.ly/3iMMHCF)

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, angebliche Expert*in für Digitales, hält die Adbustings für autorisiert: „Was zum Teufel?? Maybe @JCDecauxGlobal can explain why they show ads like this in Germany?“ Ihre Follower spekulieren daraufhin, ob der „französische Großkonzern“ einen „dritten Weltkrieg“ anzetteln wolle.

Oberstleutnant Marcel Bohnert bläst zum Gegenangriff. Angesichts der wehrkraftzersetzenden Wirkung dieser Störpropaganda gegen die Bundeswehr bläst Oberstleutnant Marcel Bohnert zum Gegenangriff. Der wegen Nazikontakten aus dem Kriegsministerium entlassene Offizier ruft mit einer Woche Verspätung seine Follower*innen zu Aktionen auf. Das Ziel: Die Sperrung von Accounts, die die Adbusting-Bilder zeigen. 

Doch es gibt auch Soldat*innen, die dies kritisieren. Die ehemalige Fallschirmjäger*in @Patrick_J_Bln, die viele Nazis in der Bundeswehr meldete und deshalb entlassen wurde, sagt: „(…) das ist ein signifikanter Angriff auf die #Meinungsfreiheit.“ (https://bit.ly/3xSyNDx)

Die Nutzer*in @Fabana84 schreibt: „Derzeit auf Insta: 1. #SocialMediaDivison-Größen hetzen ihre Follower auf Accounts die die jüngsten #Adbusting-Ergebnisse teilen 2. die wackeren #SocialMedia-Recken sehen argumentativ kein Land 3. man ruft dazu auf missliebige Accounts zu reporten. #CancelCulture?“ (https://bit.ly/3AMHy3Q)

Gut auf den Punkt bringt es die Nutzer*in @wimipolis, die an der Bundeswehr-Uni in München arbeitet: „Linke: machen Ad-Busting, unter anderem mit „Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldaten.“ Übliche Verdächtige: regen sich auf, „Generalverdacht“, „Propaganda“, „Verleumdung“. Panzergrenadiere in Rukla: HOLD MY FUCKING NAZI-BEER!“ (https://bit.ly/3ga8Zg5)

Der Tag gegen die Bundeswehr 2021 stellte nicht nur den Tag der Bundeswehr in den Schatten. Er trug die Diskussion über Nazis in der Bundeswehr in ein breites Publikum einschließlich der „military community“. Mehr Informationen gibt’s auf dem Kampagnenblog tob21.noblogs.org

Die AutorIn aus der „antimilitaristischen Kommunikationsguerilla“ will anonym bleiben, ist der ZivilCourageaber bekannt.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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