Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 2/2021 |
Kriegsdienstverweigerung
Lebenslange Verfolgung von türkischen Kriegsdienstverweigerern
Von Rudi Friedrich
Arif Hikmet İyidoğan ist inzwischen 60 Jahre alt. 1994 hatte er in der Türkei seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Kurze Zeit später hatte die DFG-VK Nordrhein-Westfalen ihn zu einem Besuch in Deutschland eingeladen, um über die Verfolgung der Verweigerer in der Türkei zu berichten. Inzwischen ist die Türkei der einzige noch verbliebene Mitgliedsstaat des Europarates, der die Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt.
Und so wird Arif Hikmet İyidoğan nach wie vor als wehrflüchtig angesehen. Bei jeder Kontrolle, auf den Straßen, in Bussen oder wo auch immer wird er festgehalten und dann immer wieder angeklagt. Jedes Mal wird die Geldstrafe erhöht. Außerdem droht ihm eine Haftstrafe.
60 Jahre – und immer noch wehrpflichtig?
Viele können das gar nicht glauben. Aber in der Tat hat die Türkei in den letzten Jahren selbst 70- oder 80-Jährige zum Militärdienst einberufen. Die für alle Männer geltende Wehrpflicht erlischt erst dann, wenn sie erfüllt ist.
So führt Arif Hikmet İyidoğan ein Leben im Geheimen – eine Situation, die er mit vielen anderen teilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte brandmarkte dies als „zivilen Tod“. Da die Verweigerer ohne Ableistung des Militärdienstes keinen Pass erhalten, können sie keine Wohnung mieten, keinen Führerschein machen, nicht heiraten, keinen legalen Job annehmen. Sie sind nicht sozialversichert und können nicht an Wahlen teilnehmen. Praktisch sind sie ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Mehr als 1 000 haben ihre Kriegsdienstverweigerung in den letzten Jahren öffentlich erklärt, weitere Hunderttausende entziehen sich dem Militärdienst und leben illegal im eigenen Land.
Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung
2013 hatten sich in Istanbul Kriegsdienstverweigerer und -verweigerinnen zusammengefunden, um den Verein für Kriegsdienstverweigerung, Vicdani Ret Derneği, zu gründen. Im Herbst letzten Jahres startete Vicdani Ret Derneği eine neue Kampagne, um endlich das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung durchzusetzen. Schon zu lange verweigert sich die Türkei internationalen Resolutionen und Urteilen europäischer Gerichte. Zuletzt hatte das Ministerkomitee des Europarates, das über die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wacht, 2020 von der Türkei gefordert, die Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen, den Betroffenen Entschädigungen zu zahlen und das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen.
Mit der Kampagne möchte Vicdani Ret Derneği die Motive und Anliegen der Verweigerer durch Veröffentlichungen, Videos und Aktionen bekannter und sichtbarer machen. Zudem baut der Verein systematisch ein Beratungsnetz und rechtliche Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer auf. In einigen Fällen wurden bereits Beschwerden beim türkischen Verfassungsgericht eingelegt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Dokumentation des „zivilen Todes“. Ergänzt wird dies durch internationale Lobbyarbeit.
Regelmäßige Berichte und Informationen
Alle zwei Monate berichtet Vicdani Ret Derneği im „Bulletin Kriegsdienstverweigerung“ über die Arbeit des Vereins, fasst aktuelle Meldungen von Kriegsdienstverweigerern zusammen und veröffentlicht neue Kriegsdienstverweigerungserklärungen. Das in türkischer Sprache erscheinende Bulletin ist in deutscher Sprache erhältlich unter www.Connection-eV.org/CO_Turkey
Aufgrund der Aktivitäten des Vereins wurden inzwischen mehrere Ermittlungen und Strafverfahren gegen Aktive des Vereins eingeleitet. Angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in der Türkei ist es den Aktiven des Vereins wichtig, auf internationale Unterstützung bauen zu können. Eine solch breit angelegte Kampagne kostet auch Geld. Und so bittet Vicdani Ret Derneği um Unterstützung für die Arbeit. Steuerbegünstigte Spenden über www.Connection-eV.org/kdvtuerkei werden von Connection e.V. gerne weitergeleitet.
Spenden können auch direkt mit dem Stichwort „Kriegsdienstverweigerung Tuerkei“ überwiesen werden an IBAN DE48 3702 0500 0007 0857 00
Weitere Informationen unter www.vicdaniret.org, www.Connection-eV.org/CO_Turkey
Rudi Friedrich ist langjähriges Mitglied der DFG-VK und Geschäftsführer von Connection e.V.