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Sicherheit neu Denken

19. Dezember 2021

Politik geht anders!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Pazifismus

Kritische Bemerkungen zu „Sicherheit neu denken“

Von Wolfram Scheffbuch

Das Szenario „Sicherheit neu denken“ zeigt auf, wie Deutschland bis zum Jahr 2040 die militärische Aufrüstung überwinden könnte. Erarbeitet wurde es im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Baden von einer Arbeitsgruppe mit Vertretern bundesweiter Friedensorganisationen. Auch die DFG-VK ist Kooperationspartner. „Sicherheit neu denken“ wird von einigen Akteuren in unserem Verband sehr wohlwollend aufgenommen und wird etwa im Landesverband Baden-Württemberg als ein neuer Arbeitsschwerpunkt gesehen.

Ich denke hingegen, unsere Aufgabe als Pazifisten ist eine andere. Wir müssen die sofortige Abschaffung der Bundeswehr fordern, wir müssen den sofortigen Stopp der Rüstungsproduktion fordern. Das ist unsere Aufgabe im politischen Spektrum. Genauso wie die Nato und die Waffenindustrie den weiteren Ausbau des Militärs fordern. Jeder hat seine Rolle im politischen Diskurs. Wenn wir die Rolle der radikalen Pazifisten nicht ausfüllen, wer macht es dann? Ein Szenario wie „Sicherheit neu denken“ kann am Ende eines politischen Prozesses stehen, wenn verschiedene gesellschaftliche und politische Kräfte einen Kompromiss ausgehandelt haben. Wenn aber die radikalste Seite – nämlich die Pazifisten – schon mit einem so weichgespülten Vorschlag ins Rennen gehen, dann kommt im politischen Prozess hinterher garantiert keine Abschaffung des Militärs heraus.

Politik geht anders. „Sicherheit neu denken“ geht davon aus, dass 2025 ein Bundestagsbeschluss gefasst wird, der bis 2040 Bestand hat. So läuft aber Politik nicht. Die Akteure wechseln im Lauf der Jahre, Interessen verschieben sich, Bündnisse zerfallen und werden neu geschlossen, Bedrohungslagen werden neu definiert. Wer hat 1980 gedacht, dass 1995 der Bürgerkrieg in Jugoslawien tobt? Wer hat im Jahr 2006 damit gerechnet, dass 2021 Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist?

Wenn das Szenario für das Jahr 2040 postuliert: „Mit 4 Milliarden Euro jährlich ist Deutschland der größte Beitragszahler des UN-Welternährungsprogramms“, dann ist das naiv. Die Summe suggeriert eine Exaktheit, die es gar nicht geben kann. Was wissen wir heute, wie viel ein Euro im Jahr 2040 wert ist? Wird es den Euro überhaupt noch geben? 

Wenn ein politisches Thema kontrovers ist und wirtschaftliche Interessen mit dem Wohlergehen der Bevölkerung kollidieren, dann wird gern eine Änderung der Verhältnisse in weiter Zukunft beschlossen. Das war schon bei dem rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2001 so, das ist jetzt beim Kohleausstieg und dem Aus für den Verbrennungsmotor zu beobachten. Man bekommt eine breite Zustimmung. Die Gutmenschen bekommen ihre lange geforderten Ziele in Gesetzesform gegossen, die Profiteure des Status Quo hingegen können erst einmal weiterverdienen. Und wenn die Profite tatsächlich in Gefahr kommen, dann ist so ein Beschluss aus der Vergangenheit schnell wieder abgeräumt. 

Tatsächlich besteht aber akuter Handlungsbedarf. Auf unser Thema bezogen: Wir brauchen jetzt Fachkräfte statt Soldaten, wir brauchen jetzt Geld für Katastrophenhilfe statt für Rüstung, wir müssen jetzt Atomwaffen abschaffen, statt Raketen in Bereitschaft zu halten. Wir können doch nicht – wie in „Sicherheit neu denken“ festgelegt – der Bundeswehr eine Bestandsgarantie bis 2040 geben oder im Haushalt 2030 eine Summe von 40 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen. Das steht zwar im Szenario, aber das kann ich als Pazifist niemals gutheißen.

Vielmehr ist unsere Aufgabe als DFG-VK, radikal gegen Krieg und Rüstung die Stimme zu erheben. Sofortige Abschaffung aller Armeen und Einstellung der Rüstungsproduktion. Punkt.

Für eine „klare Linie“

Mit einer klaren Linie können wir auch mehr Menschen gewinnen, bei uns mitzumachen, als mit einem akademischen Projekt wie „Sicherheit neu denken“. Und mit einem eindeutig pazifistischen Profil werden wir auch weiterhin Bündnispartner gewinnen. Vielleicht nicht ganze Landeskirchen, aber durchaus auch Aktive aus dem christlichen Spektrum. Oder Gewerkschaften wie die GEW. Bestes Beispiel hierfür ist die Kampagne „Unter 18 nie“. Hier kooperieren wir mit anderen nichtpazifistischen Akteuren, ohne unsere Grundsatzerklärung aufzugeben. Schließlich sagen wir ja nicht, dass wir den Militärdienst für über 18-jährige befürworten.

Wir haben also genug zu tun. Auch die neue Regierung wird Rüstungsprojekte und Militäreinsätze beschließen. Dagegen müssen wir protestieren, genauso wie gegen Bundeswehrwerbung, für einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag und viele anderen Dinge mehr…

Unsere Vision muss sein: Militär jetzt abschaffen. Nicht auf das Jahr 2040 warten.

Wolfram Scheffbuch ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Ludwigsburg.

Kategorie: Pazifismus Stichworte: 202104, Sicherheit neu Denken

26. Mai 2021

Sicherheit radikal neu denken

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Antimilitarismus

Mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär – hier und weltweit

Von Kathrin Vogler

Hinter der Corona-Pandemie und der aus ihr resultierenden, zum Teil aber schon vorher angelegten Wirtschaftskrise beginnen die Katastrophen der Erderhitzung und des globalen Artensterbens ebenso in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung zu treten wie das Leid der inzwischen 80 Millionen Vertriebenen und Geflüchteten, die meisten in Ländern des globalen Südens. Was bedeutet Sicherheit in dieser Zeit und wie kann der Staat seinen Einwohner*innen größtmögliche Sicherheit garantieren? Muss nicht Sicherheit angesichts der globalen Bedrohungen über nationale und Systemgrenzen hinweg gedacht und global gesichert werden?

Das Militär als Konkurrent der zivilen Krisenbewältigung

Die Herrschenden reagieren auf die Herausforderung durch die Krise mit dem Instrumentarium, das ihnen zur Verfügung steht: mit milliardenschweren Subventionen für Großunternehmen, deren Geschäftsmodell schon vorher fragwürdig war; mit massiven staatlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, deren Ergebnisse und Gewinne dann privatisiert werden; mit drastischen Beschränkungen für Bildung, Freizeit, Kultur und lokalen Handel; und mit dem Einsatz von Militär im Inland zum Ausgleich der desaströsen Personalsituation im öffentlichen Gesundheitsdienst und in den privatisierten Einrichtungen der Alten- und Gesundheitspflege.

Es ist gerade in Krisenzeiten erforderlich, neben der unmittelbaren Krisenbewältigung auch politische Weichen für die Nachkrisenzeit zu stellen. Ein „Weiter so“ wie vor der Pandemie wird es nicht geben. In welche Richtung sich aber die Politik entwickeln soll, darüber muss gestritten werden – und zwar jetzt.

Gewinnt die Bundeswehr diesen Verteilungskampf, dann wird weniger zur Verfügung stehen, um das Gesundheitswesen zu verbessern, die Versorgung mit strategischen Gütern zu sichern, die ökonomischen und sozialen Krisenfolgen zu lindern und die nächsten Katastrophen, die bereits begonnen haben, zu bewältigen: die der Erderwärmung und die des Massenhungers.

Ent-Militarisierung der deutschen Außenpolitik

Tatsächlich halten viele der impliziten Annahmen über Sicherheit, die bislang die Militarisierung der deutschen Außenpolitik vorangetrieben haben, einer genaueren Überprüfung nicht stand. Etwa die Idee, durch EU- oder UN-Militäreinsätze in Krisengebieten eine Sicherheit herstellen zu können, welche die Voraussetzung für Friedenskonsolidierung sei. Die Erfahrungen aus Afghanistan, Libyen, Mali oder Irak belegen, dass die Präsenz internationaler Truppen weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für friedliche Entwicklung ist  oder  auch  nur  dazu  geeignet, die Zivilbevölkerung effektiv zu schützen. 

Es ist eine Frage des politischen Willens. So sind UN-Militäreinsätze z.B. vor allem deshalb das entscheidende Stabilisierungselement der Uno, weil allein sie eine verbindliche Finanzierung haben. Selbst einzelne Stellen für die UN-Abteilung zur Unterstützung von Mediation sind schwieriger zu bekommen als ein paar Hundert Blauhelme. Und so ähnlich ist es hier: Ein paar Milliarden mehr für die Bundeswehr gehen viel leichter durchs Parlament als ein paar hundert Millionen Investitionsmittel für marode Krankenhäuser oder den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Bedrohungs- und Verteidigungskonzepte wie aus der Zeit gefallen

Auf falschen Voraussetzungen basiert auch die Annahme, dass die Nato-Staaten einer militärischen Bedrohung durch Russland oder China ausgesetzt seien, die sich mit militärischen Mitteln eindämmen oder abschrecken ließe. Und auch die Idee, die Bundeswehr in eine Verteidigungsarmee umzubauen und ihre Ausstattung und Ausrüstung an den Bedürfnissen der Landesverteidigung zu orientieren, erweist sich bei genauerer Betrachtung als aus der Zeit gefallen. 

Militärische Landesverteidigung geht davon aus, dass ein (potenzieller) Gegner das Territorium besetzen und sich die Bevölkerung unterwerfen will. Dies will sie verhindern, indem diesem Gegner durch den Einsatz eigener Mittel so viel Schaden angedroht wird, dass er im besten Fall davon absieht (Abschreckung) oder eben selbst das Risiko eines Gegenangriffs eingehen muss. 

Zu einer glaubwürdigen Abschreckung gehört also nicht nur die Bereitstellung von hinreichenden Gewaltmitteln zur Erzeugung dieses Schadens, sondern auch die Bereitschaft, diese einzusetzen, mit allen zu erwartenden Folgen. In unserem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Folge, dass zerstört wird, was verteidigt werden sollte.

Moderne Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts, die hoch komplex und digital vernetzt sind und eine konstante Energieversorgung benötigen, sind militärisch selbst gegen unterlegene Gegner nicht wirksam zu verteidigen. Einem entschlossenen, gut geplanten Angriff auf kritische Infrastrukturen, also Strom, Wasser, Verkehr, Information und Kommunikation, würden sie nicht standhalten können.

Dominanzstrategien oder internationale Kooperationen – die Pandemie als Herausforderung

Die Corona-Krise zeigt aber auch, dass eine kooperative, friedliche Welt für alle Menschen bessere Lebensbedingungen schafft. Positiv betrachtet kann sie die Kräfte freisetzen, die für die Bewältigung jener anderen, sehr viel anspruchsvolleren und obendrein menschengemachten Katastrophe nötig sind. 

Dass anfangs, in der akuten Not, Staaten um Hilfe gebeten wurden und zur Hilfe bereit waren, mit denen man in einer Konfrontation steht, war ein gutes Zeichen. Inzwischen wird aber Entwicklung und Verteilung von Impfstoff fast schon zu einem zivilen Krieg um Macht und Einflusssphären. 

Statt also für ein globales Problem nach gemeinsamen Lösungen und kooperativen Konzepten zu suchen, werden selbst Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen für die Bevölkerung zum Bestandteil einer Konkurrenz- und Dominanzstrategie erklärt. Statt chinesische oder russische Impfstoffe ohne Vorbehalt nach rein wissenschaftlichen Kriterien daraufhin zu prüfen, ob sie bei der Bewältigung der gigantischen Herausforderungen hilfreich sein könnten, wird selbstherrlich und fröhlich der Eurozentrismus gefeiert.

Dabei könnte eine kooperative Strategie erheblich mehr Sicherheit schaffen – nicht nur für die privilegierte Bevölkerung in den Industriestaaten, sondern gerade in den Entwicklungsländern, die unter den Folgen der Corona-Eindämmungsversuche deutlich mehr leiden als unter dem Virus selbst.

Für einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff

Dass aber auf der anderen Seite weiter geplant wird, mit zig Milliarden Euro neue Fregatten, Kampfflugzeuge und Atombomber für die Bundeswehr anzuschaffen, ist ein Relikt alten Denkens. 

Wir brauchen das Geld für Gesundheit, soziale Sicherheit und Klimagerechtigkeit, aber auch für die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Jeder Euro für Aufrüstung fehlt im Zivilen, für die wirklichen Herausforderungen. Wenn wir gut aus der Krise herauskommen wollen, dann müssen wir uns jetzt mit voller Wucht in den Verteilungskampf mit dem Militär hineinbegeben, in Deutschland, in Europa und weltweit.

Es gibt dafür gute Ansatzpunkte aus der Zivilgesellschaft: etwa das Szenario „Sicherheit neu denken“ aus der Evangelischen Landeskirche in Baden, das eine Herausforderung zu grundsätzlichem Umdenken und konkrete Schritte zum vollständigen Ausstieg aus der militärischen Sicherheitspolitik bis zum Jahr 2040 formuliert (und das die DFG-VK personell und organisatorisch unterstützt). Natürlich gibt es auch an diesem Konzept aus linker Sicht das eine oder andere auszusetzen, aber es bietet eine weit realistischere Analyse und Diskussionsgrundlage als so manches Positionspapier, das mit dem kurzfristigen Blick allein auf die nächste Wahlperiode verfasst wurde.

Konversion

Mehr als einen Gedanken müssen wir dabei auf Konversion verwenden, weil das der größte Stolperstein für die Akzeptanz radikaler Abrüstung ist. Der Umbau der Rüstungsindustrie ist technisch kein größeres Problem, denn die Arbeiter*innen in den Rüstungsbetrieben sind in der Regel hoch qualifiziert und in der Lage, nützliche Produkte herzustellen. Zudem sind nur wenige Betriebe bloße Waffenschmieden. Allerdings ist es eine Machtfrage, private Unternehmen dazu zu bringen, die hoch profitable Rüstungsindustrie zugunsten nützlicher Produktion aufzugeben. 

Dabei helfen drei Instrumente: Die umfassende Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften, die systematische Reduzierung der staatlichen Aufträge und die Rückbesinnung auf das Grundgesetz, das Rüstungsexporte eigentlich verbietet.

Auch die Reintegration der Soldat*innen und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ins zivile Arbeitsleben will gut geplant werden, bietet aber auch Chancen, da bereits in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und in technischen Berufen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Marinesoldaten können staatliche zivile Seenotretter werden, und Pioniere im Natur- und Umweltschutz eingesetzt werden. Das Cyber-Abwehrzentrum wird dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unterstellt und so weiter.

Was ist dafür zu tun?

  • Es braucht vor allem andere politische Mehrheiten. Und damit meine ich nicht rechnerische Zahlenspiele oder bloß irgendeine Regierungskoalition unter Einschluss der Linken. Vielmehr geht es um eine Konstellation, in der signifikante Mehrheiten zumindest in den Mitte-Links-Parteien einen neuen, zivilen Sicherheitsbegriff zur Grundlage ihrer Politik machen. Gründe dafür gäbe es viele: 
  • Eine zivile Sicherheitspolitik eröffnet ungeahnten Gestaltungsspielraum in anderen Politikfeldern. 
  • Sie schafft einen neuen Zusammenhalt zwischen der Politik und den Menschen, die in ihrer übergroßen Mehrheit Krieg als Mittel der Politik ablehnen. 
  • Sie wäre ein Beitrag zum inneren Frieden und zur globalen Gerechtigkeit. 
  • Sie wäre ein Ausdruck wirklicher Verantwortungsübernahme durch unser Land und eine Chance zur Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit.

Was spricht eigentlich dagegen?

Kathrin Vogler ist seit Jahrzehnten Mitglied der DFG-VK, war Mitglied im BundessprecherInnenkreis und Bundesgeschäftsführerin. Seit 2009 ist sie Bundestagsabgeordnete für Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Im April wurde sie für eine weitere Kandidatur zum Bundestag auf den aussichtsreichen Platz 5 der nordrhein-westfälischen Landesliste gewählt.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202102, Sicherheit neu Denken

20. Dezember 2020

„Corona und Sicherheit“

Referat bei der NRW-Delegiertenkonferenz: Falsche Prioritätem, falsche Sicherheit

Ausgabe 5/2020

Von Joachim Schramm

Corona und Sicherheit“ ist ein Begriffspaar, das uns in diesem Jahr auf vielfältige Art und Weise begegnet ist. Daher haben wir das bei unserer Landesdelegiertenkonferenz in Nordrhein-Westfalen Mitte September zum Thema einer Diskussion gemacht. „Corona und Sicherheit – falsche Prioritäten, falsche Sicherheit“ lautete der Titel. Am Beginn stand ein Input von mir, an den sich eine lebhafte Diskussion anschloss.

In dem Einführungsvortrag wurden drei Aspekte dieses Themas angesprochen: Die Prioritätensetzung des Staates bei der Gesundheitsversorgung als Teil der inneren Sicherheit einerseits und dem Militär als Bestandteil der äußeren Sicherheit andererseits, dann die Frage der Grundrechtseinschränkungen im Zuge der Bekämpfung von Corona und schließlich die Frage, wie der sogenannte erweiterte Sicherheitsbegriff des militärischen Systems dazu führt, viele Sicherheitsbereiche dem Militär unterzuordnen.

Gesundheitsvorsorge oder Aufrüstung? Ein wesentliches Ziel der Maßnahmen gegen Corona ist die Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems, vor allem der Krankenhäuser.

Die Bilder und Berichte im Frühjahr aus Ländern wie Spanien und Italien, wo es zu wenig Intensivbetten für Tod-
kranke oder zu wenig Beatmungsgeräte gab oder wo über die Triage, die aus der Kriegsmedizin stammende Behandlung nach Heilungschancen, nachgedacht wurde, beeinflusste auch die Diskussion hier.

Und es wurde deutlich, dass trotz der internationalen Erfahrungen, die ja über Pandemien wie Ebola oder Cholera vorlagen, auch in Deutschland zu wenig Kapazitäten für solche Situationen vorhanden waren, zu wenig Pflegepersonal, zu wenig Konzepte, wie man mit einer solchen Situation umzugehen habe.

Das ist umso skandalöser, als bereits vor acht Jahren, nämlich 2012, eine Risikoanalyse für eine Pandemie erstellt wurde. Dazu im März das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe:

„Die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz auf Bundesebene dient der vorsorglichen Beschäftigung mit möglichen bundesrelevanten Gefahren und den zu erwartenden Auswirkungen auf die Bevölkerung, ihre Lebensgrundlagen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland. Ihre Ergebnisse sollen als Informations- und Entscheidungsgrundlage dienen und somit eine risiko- und bedarfsorientierte Vorsorge- und Abwehrplanung im Zivil- und Katastrophenschutz ermöglichen. (…) Bei dem analysierten Pandemieszenario aus 2012 handelt es sich um ein (…) hypothetisches Szenario, das einen hypothetischen Verlauf einer Pandemie in Deutschland beschreibt. Der damals modellierte Pandemie-Verlauf erfolgte durch die fachlich federführende Behörde, das Robert-Koch-Institut (RKI). (…) Ob und welche Maßnahmen in den Ländern auf Grundlage der Risikoanalyse 2012 getroffen wurden, entzieht sich unserer Kenntnis.“ (https://bit.ly/2Tjjx0s)

Während also im militärischen Bereich laufend Manöver und Übungen stattfinden, Bedrohungsszenarien durchgespielt und entsprechende (kostenintensive) Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, sind offenbar die Ergebnisse dieser Risikoanalyse einer Pandemie in irgendwelchen Schubladen verschwunden. Denn eine Berücksichtigung hätte ja Geld gekostet. Geld, das auf staatlicher Ebene nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, da man dort im Gesundheitsbereich vergleichsweise wenig investiert.

Von 2015 bis 2019 stieg der Gesundheitsetat im Bundeshaushalt von 12 auf 15,3 Milliarden Euro an, in fünf Jahren immerhin um 3,2 Milliarden. Gleichzeitig stieg jedoch der Militäretat um das Dreifache, von 32,9 auf 43,2, also um 10,3 Milliarden Euro. Von 2019 auf 2020 sollte der Gesundheitsetat sogar schrumpfen, durch die inzwischen beschlossenen Nachtragshaushalte ist er angesichts von Corona auf außergewöhnliche 41 Milliarden Euro erhöht worden. Erst jetzt sieht man sich gezwungen, mehr in den Gesundheitsbereich zu investieren. Vorher war das Militär wichtiger. Andersherum hätten viele von den derzeit über 9 000 Corona-Toten vielleicht überlebt.

Der angeblichen militärischen Sicherheit wird also staatlicherseits deutlich Priorität vor der gesundheitlichen eingeräumt – mit entsprechenden dramatischen Folgen.

Grundrechte und Gesundheits-Sicherheit. Die Frage, wie stark die Bekämpfung von Corona in die demokratischen Grundrechte in unserem Land eingreifen darf, hat im Sommer neue Aktualität gewonnen. Wir als Friedensbewegung waren mit dieser Frage allerdings schon zu Beginn der Pandemie konfrontiert.

Schon kurz nach den ersten Verboten von größeren Menschenansammlungen stand in NRW die Frage im Raum, ob wir im Bündnis mit anderen eine Anti-Defender-Demonstration in Duisburg durchführen. Erst nachdem feststand, dass das Manöver nicht in ursprünglicher Form fortgeführt wurde, und als uns Signale erreichten, dass viele potenzielle Teilnehmer aus Angst vor einer Ansteckung wohl nicht teilnehmen würden, haben wir im März beschlossen, die Demo abzusagen. Hier stand also nicht im Raum, sich unwidersprochen staatlichen Anordnungen zu beugen, sondern die Abwägung verschiedener Aspekte.

Ähnlich verhielt es sich mit der Entscheidung, den Ostermarsch Rhein/Ruhr nur in abgewandelter Form durchzuführen. Gleichzeitig haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass zeitgleich die Anti-AKW-Gruppen im Münsterland ihr Recht auf Protest gerichtlich durchsetzten, und nur die zu kurze Frist hat vielleicht verhindert, dass auch die Kölner Friedensbewegung gerichtlich gegen das Verbot eines Osterspaziergangs vorging.

Zu Recht kritisierte die Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, dass zur Einschränkung von Versammlungsfreiheit und weiteren Grundrechten eine schlichte Rechtsverordnung ausreiche, also keine Diskussion und Beschlussfassung mit einfacher oder gar Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig sei. Doch dies hat lange kaum jemanden gestört, und erst, als mit Maskenpflicht und Lockdown Beschränkungen größere Kreise der Bevölkerung betrafen, wurden das zum Thema. Und statt sich nun kritisch mit sinnvollen und nicht sinnvollen Beschränkungen sachlich auseinanderzusetzen, haben wir einen Streit darüber erlebt, ob es Corona überhaupt gibt oder nicht, ob es eine Pandemie ist oder nicht, ob man an oder mit Corona stirbt.

Die im Sommer gut beherrschte Situation in Deutschland mit wenigen Krankheitsausbrüchen und wenigen Toten wurde zum Anlass genommen, geflissentlich über das dramatische Infektionsgeschehen in Ländern wie USA, Indien, Brasilien etc. hinwegzusehen, als würde es sich um unterschiedliche Krankheiten handeln. Diese besorgniserregende Diskussion reicht in linke und Kreise der Friedensbewegung hinein, und nicht zufällig waren Ende August bei der Corona-Demo in Berlin auch Friedensfahnen zu sehen.

Nun ist es ja nicht gefährlich, dass sich Menschen für Freiheitsrechte einsetzen. Und es ist berechtigt, die einzelnen Maßnahmen der Regierung und der Behörden kritisch zu hinterfragen. Nachdenklich stimmt es jedoch, dass sich dieser Freiheitsdrang oder die Sorge um unser Grundgesetz in diesem Ausmaß nicht z.B. am Bruch des Friedensgebotes durch Auslands-
einsätze und Rüstungsexporte oder an dem durch Hartz IV konterkarierten Sozialstaatsgebot festmachte, sondern offenbar bei vielen am eigenen Wohlbefinden. „Ich muss Maske tragen, ich darf nicht in die Disco oder ins Konzert, ich darf nicht in Urlaub fahren, wohin ich will.“

Diese Ich-Bezogenheit mischt sich mit der Bereitschaft, mit allen zusammenzugehen, die in dieser Sicht der Dinge übereinstimmen. Die Bilder von friedlichen Demonstranten, die ungestört an Nazi-Trupps mit Reichsflaggen vorbeizogen, haben mich erschrecken lassen. Die Tatsache, dass keine sinnvolle Erklärung für die angeprangerten Grundrechtseinschränkungen geliefert wird (wenn sie denn nicht dem Gesundheitsschutz dienen) außer dem Verweis auf dunkle Mächte und einzelne Krisengewinnler, zeigt die Politikferne vieler der Corona-Protestler. Doch diejenigen, die aus diesen unklaren, nebulösen Verdächtigungen und der Kritik an allem und jedem ihren Vorteil ziehen wollen, lauern schon in den Startlöchern. Wenn die Initiative „Querdenken 711“ im August Neuwahlen forderte, war damit ja die Hoffnung verbunden, andere Kräfte würden an die Regierung kommen, nämlich die, die ihre Ansichten teilen. Das sind im Moment aber nur die Rechten. Diese profitieren immer, wenn nicht das rationale Denken und die überdachte politische Analyse das Handeln der Menschen bestimmt, sondern wirre Theorien, Ängste vor dem Unbekannten und die Entsolidarisierung. Dagegen sollten wir uns als Friedensbewegung zur Wehr setzen!

Erweiterter Sicherheitsbegriff in falschen Händen. In den 1980er Jahren wurde aus der Zivilgesellschaft darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der staatlichen Sicherheitsvorsorge auf die militärische Abwehr von möglichen Angriffen zu kurz greife. Bei der Sicherheit müsse es auch um Fragen von sozialer Sicherheit, Umweltschutz usw. gehen. Diese Argumentation wurde leider von der falschen Seite aufgegriffen, der militärfreundlichen Politik.

Heute wird dort von einem „erweiterten Sicherheitsbegriff“ gesprochen, wird im Weißbuch der Bundeswehr ein Sicherheitskatalog aufgemacht, der von militärischen Angriffen über terroristische Attacken, Umweltkatastrophen und Migrationsströmen bis zu Pandemien reicht. Wenn dies im Weißbuch steht, ist klar, dass die Bundeswehr sich mit diesen Dingen befassen soll und somit eine breite Berechtigung ihrer Existenz erhält.

Obwohl die Bundeswehr gar nicht in der Lage ist, die Ursachenbekämpfung von Migration oder die Bekämpfung einer Pandemie zu leisten, und auch für die anderen Sicherheitsfragen die falsche Antwort ist, täuscht die Bundesregierung so vor, sie sei auf alle Bedrohungen vorbereitet und die Milliarden für die Armee würden an der richtigen Stelle ausgegeben.

Das Gegenteil ist der Fall. Prof. Lothar Brock, damals bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung tätig, hat schon in den 2000er Jahren auf die Problematik dieses „erweiterten Sicherheitsbegriffs“ hingewiesen:

„An die Stelle einer Analyse des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Marginalisierung, Diskriminierung, Staatszerfall, kultureller Fremdbestimmung, Aufkommen neuer Krankheiten und Gewalt tritt die rhetorische Gleichschaltung der einschlägigen Politikfelder. (…) Und nicht nur das: Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ist gleichbedeutend mit einer Erweiterung des Spektrums von Bedrohungen, mit denen die Menschen konfrontiert werden. Die Ausweitung von Bedrohungsgefühlen aber fördert nach aller Erfahrung eher die Akzeptanz militärischer Vorsorge oder militärischer Eingriffe in akute Konflikte als die politische Bereitschaft, sich auf langwierige zivile Formen der Konfliktbearbeitung einzulassen.“

Der erweiterte Sicherheitsbegriff dient also nicht zur besseren Vorsorge vor Bedrohungen, sondern vorrangig dazu, die Existenz des Militärs und seiner Kosten zur rechtfertigen. Dies ist am Beispiel der Corona-Pandemie deutlich zu beobachten.

Schnell war die Bundeswehr mit dabei, aus Corona Kapital zu schlagen, indem sie medizinisches Personal und Logistik zur Verfügung stellt. Auch die Übernahme der Kontrolle von Ausgangssperren war schon im Gespräch, wurde dann aber fallengelassen. Der Einsatz der Armee für originäre Polizeiaufgaben ist dann doch noch zu heikel.

Nach Artikel 35 Absatz 1 Grundgesetz ist ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren nur auf Anfrage um Amtshilfe erlaubt. Allerdings sind nur nicht-hoheitliche Aufgaben zulässig, im Wesentlichen also technische oder logistische Amtshilfe, bei denen auch keine privatwirtschaftlichen Aufgabenfelder beeinträchtigt werden dürfen. In der Corona-Krise wurden diese Grenzen immer wieder überschritten.

So kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, André Hahn: „Wenn Bundeswehrsoldaten im Saarland in privaten Seniorenresidenzen eines bundesweit tätigen Altenheimbetreibers eingesetzt werden, um dort pressewirksam Einlasskontrollen durchzuführen, habe ich ernsthafte Zweifel, ob die Grenzen der behördlichen Amtshilfe noch gewahrt sind.“

Und die Nordwestzeitung zieht am 5. September die Bilanz: „Sie helfen bei den Coronatests der Urlaubsrückkehrer, machen Registrierungen an Infektions-Hotspots und beschaffen medizinisches Material und Schutzkleidung: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern war umstritten – läuft aber reibungslos.“

Auch für die Nachwuchswerbung wurde Corona genutzt: Auf Werbeplakaten zeigte sich die Armee im Pandemie-Einsatz.

Natürlich beschäftigte sich auch die Nato mit Corona. Im März appellierte Generalsekretär Stoltenberg an die Mitglieder, trotz Pandemie nur ja am 2-Prozent-Aufrüstungsziel festzuhalten, als gäbe es keine anderen Sorgen. Und im April hielt das Militärbündnis eine Tagung zu Corona ab. Hier ging es um die Aufrechterhaltung der Kriegsführungsfähigkeit auch unter Pandemie-Bedingungen.

Und damit sind wir beim Hauptproblem des militärorientierten Sicherheitsdenkens: Nicht die weitreichende internationale Zusammenarbeit zur Entwicklung von Strategien gegen die reale Gefahr Pandemie steht im Fokus, sondern die Abwehr einer wenig wahrscheinlichen militärischen Bedrohung. Dieser militärischen Sichtweise auf die Welt soll alles untergeordnet werden, sei es die Gesundheit, soziale Probleme oder auch der Klimaschutz.

Diese Sichtweise, die in der Gesellschaft durchaus auf Akzeptanz trifft bzw. nicht hinterfragt wird, gilt es aus friedensbewegter Sicht zu bekämpfen.

Das Szenario „Sicherheit neu denken“ oder auch die Ersetzung der Sicherheitslogik durch eine Friedenslogik sind hier Konzepte, die Friedensbewegung und Friedensforschung in letzter Zeit erarbeitet haben. Es gilt, diese stärker in die gesellschaftliche Debatte zu bringen!

Aber auch der stärkere Schulterschluss mit anderen Bewegungen, die ebenfalls unter dieser falschen Prioritätensetzung zu leiden haben, ist notwendig. Unser DFG-VK-Aufkleber „Geld für Gesundheit statt für Atombomber“ ist ein erster Ansatz. Wir müssen z.B. aber auch gemeinsam mit der Klimaschutzbewegung deutlich machen, dass das Militär ein nicht unwichtiger Teil des Problems Klimawandel ist, sondern auch, dass die Milliardenausgaben das Geld fressen, das für die Schaffung von mehr Klimagerechtigkeit dringend nötig ist.

Corona erschüttert nicht nur unser aller Privatleben oder die Wirtschaft. Die Pandemie erschüttert das demokratische Gefüge unseres Staates, erschüttert aber auch den Zusammenhalt innerhalb der Friedensbewegung und anderer demokratischer Bewegungen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass nicht die Rechten und das Militär diejenigen sind, die als Gewinner aus dieser Erschütterung hervorgehen.

Joachim Schramm ist Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen DFG-VK-Landesverbands.

Kategorie: Pazifismus Stichworte: 202005, Sicherheit neu Denken

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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