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Kriegsdienstverweigerung

19. Dezember 2021

Mehr im Hintergrund, aber solide und gut

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Kriegsdienstverweigerung

European Bureau for Conscientious Objection (Ebco) – Europäisches Büro für KDV

Von Guido Grünewald

„Was macht eigentlich das Ebco?“, fragte unser politischer Geschäftsführer, Michi Schulze von Glaßer, vor einigen Wochen in einem Telefongespräch. Eine kurze Antwort könnte lauten: Ebco leistet mit geringen Ressourcen eine gute, solide Arbeit. 

Juristisch eine Körperschaft nach belgischem Recht mit Sitz in Brüssel, was die Erfüllung komplizierter Regularien erfordert, ist Ebco in der Praxis ein Netzwerk von 30 bis 40 Individuen, die größtenteils Mitglied in pazifistischen Organisationen sind und diese teilweise offiziell repräsentieren. Ebco hat kein festes Büro, sondern nur eine Postadresse im Brüsseler Maison de la Paix und keine bezahlten Mitarbeiter:innen; die gesamte Arbeit erfolgt ehrenamtlich mit einem lächerlich geringen Jahresetat von knapp 4 000 Euro. 

Jeweils im Frühjahr und Herbst treffen wir persönlich zusammen, ansonsten kommunizieren wir per E-Mail. Nach mehrmaligen coronabedingt digitalen Zusammenkünften konnten wir Anfang Oktober erstmals wieder ein Präsenztreffen in Brüssel abhalten, bei dem allerdings nur ein kleiner Teilnehmer:innenkreis anwesend war; andere Aktive waren digital zugeschaltet. Wir haben unser Zusammentreffen zu einer Unterstützungsaktion für Ruslan Kozaba vor der Mission der Ukraine bei der Europäischen Union genutzt. 

Während Ebco-Mitgliedsorganisationen häufiger auf der Straße aktiv werden, erfolgt die Arbeit des Büros selbst hauptsächlich im Hintergrund: Recherche und Erstellung des jährlichen Berichts zur Lage der Kriegsdienstverweigerung (KDV) in Europa; Erklärungen zur Unterstützung einzelner Kriegsdienstverweigerer (KDV-er) oder von KDV-Organisationen sowie Unterstützung von Asylanträgen; Lobbyarbeit im Europäischen Jugendforum, in dem Ebco Mitglied ist, im EU-Parlament, beim Europarat und den Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen. 

Dies erfolgt häufig in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Versöhnungsbund (IFOR), der War Resisters‘ International (WRI) und dem Quaker-Büro bei den Vereinten Nationen (QUNO), die alle Mitgliedsorganisationen des Ebco sind; auch mit Amnesty International und Connection e.V. ist die Zusammenarbeit gut. Seit Kurzem hat Ebco außerdem die Befugnis, unter Bezug auf die Europäische Sozialcharta eine Kollektivklage beim Europäischen Ausschuss für Sozialrechte einzureichen. Dies kann eventuell in Bezug auf die Ausgestaltung des Zivildienstes in einzelnen Staaten relevant werden.

Ebco-Aktivitäten im Jahr 2021

Hier einige Ebco-Aktivitäten des laufenden Jahres: internationale Solidaritätserklärung zugunsten israelischer KDVer; diverse Statements und Aktionen zur Unterstützung Ruslan Kozabas; Veröffentlichung des Berichts Conscientious Objection to Military Service in Europe 2020 (https://bit.ly/3CUaVCD); Eingabe beim UN-Menschenrechtsrat gemeinsam mit der Vereinigung griechischer KDV-er anlässlich des Universal Periodic Review zu Griechenland; Erklärung, dass Finnland den Empfehlungen des UN-Menschenrechtsausschusses folgen sollte; Erklärung zur Unterstützung türkischer KDVer am 15. Mai, dem internationalen Tag der KDV; gemeinsame NGO-Erklärung zugunsten des griechischen Verweigerers Charis Vasileou; Erklärung zum Internationalen Friedenstag (21. September), in der auf die Bedeutung der KDV hingewiesen wird.

Im Zentrum der Diskussionen standen im laufenden Jahr die schwierige Situation der KDVer in Griechenland, der Türkei und in der Ukraine. Die ersten beiden Staaten sind leider „Dauerbrenner“, in denen sich nur kleine (Griechenland) oder gar keine Fortschritte abzeichnen. Der Verein für KDV (Vicdani Ret Derneği) in Istanbul hat eine ausführliche Darstellung der schlimmen Lage der KDVer in der Türkei in englischer Sprache veröffentlicht, auch mit einigen Fallbeispielen. Die zusammenfassende Einleitung mit konkreten Empfehlungen an die türkischen Behörden und internationale Menschenrechtsgremien hat Rudi Friedrich von Connection e.V. dankenswerter Weise ins Deutsche übersetzt (https://bit.ly/3kaJbSK; Gesamtstudie in Englisch unter https://bit.ly/3nZfsxr). 

In der Ukraine wurde kürzlich neun protestantischen KDVern die Anerkennung verweigert; im Juli wurde ein Gesetz verabschiedet, das einen patriotischen Unterricht für alle Schüler:innen (Alter: 6-18) sowie eine vormilitärische Ausbildung in den beiden letzten Schuljahren (Alter: 16-18) obligatorisch vorschreibt. 

Sorgen bereitet auch die Entwicklung in beiden Teilen Zyperns, wo die vor einigen Jahren begonnene Initiative für ein KDV-Gesetz folgenlos verpufft ist und durch die Verknüpfung der Datenbanken von Polizei und Militär nun alle, die ihrer Pflicht zu Reserveübungen nicht nachgekommen sind, leichter identifiziert und festgehalten werden können. 

Während in der Schweiz ein Frontalangriff auf den Zivildienst abgewehrt wurde, beendete Finnland die den Zeugen Jehovas bisher zugestandene Befreiung von Militär- und Alternativdienst. Der Alternativdienst weist nach wie vor eine unverhältnismäßige Dauer auf , und es gibt Bestrebungen, ihn in ein Gesamtverteidigungskonzept unter dem Label „umfassende Sicherheit“ zu integrieren. 

Kompliziert ist auch die Lage in Russland. Die Organisation „Soldatenmütter“ in St. Petersburg hat die Abteilung, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Armee sammelte, geschlossen. Ursache ist eine Liste von 60 Themen, die der Föderale Sicherheitsdienst, der größte inländische Geheimdienst, Ende September veröffentlicht hat. Jede Person und jede Organisation, die diese Themenfelder öffentlich berührt, kann als „ausländischer Agent“ eingestuft werden, was u.a. dazu führt, dass dieses Label auf allen Publikationen erscheinen muss. „Die Zeiten sind in der Tat hart in Russland“, schrieb unsere russische Kontaktperson. Eine internationale Solidaritätserklärung sei nicht hilfreich, im Gegenteil, sie bestätige den russischen Behörden, dass es sich tatsächlich um ausländische Agenten handle. „Das muss von der russischen Bevölkerung beendet werden, und ich hoffe, das geschieht noch zu meinen Lebzeiten.“ 

Unter der agilen Präsidentin Alexia Tsouni von der Vereinigung griechischer KDVer und von Amnesty International, die seit einem Jahr Friedhelm Schneider abgelöst hat, wendet sich Ebco auf diversen Kanälen stärker an die Außenwelt. 

Beispiele sind diverse politische Erklärungen u.a. zum Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags, ein Video mit persönlichen Botschaften (https://bit.ly/3o9zPIu und die aktive Teilnahme am Weltkongress des Internationalen Friedensbüros (https://bit.ly/3qaFobY).

Im Hinblick auf eine Erklärung zum Nakba-Tag, die Alexia Tsouni verfasst hatte und die am 15. Mai ohne vorherige Konsultation veröffentlicht wurde, haben Friedhelm Schneider, die Vertreterin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) und ich für die DFG-VK Protest eingelegt. Wir haben bemängelt, dass die Erklärung in einer Situation einer aktuellen militärischen Auseinandersetzung keinen Aufruf zur sofortigen Beendigung jeglicher Gewaltanwendung seitens aller Seiten enthielt, einseitig als Unterstützung der Palästinenser (keine Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung, den Regierungen in Palästina und bewaffneten Brigaden) verstanden werden konnte und nicht auf die Perspektive hinwies, dass der Konflikt nur mit diplomatischen und gewaltfreien Mitteln und dem Ende der Besatzung gelöst werden kann. Nach einer langen Diskussion wurde im Digitaltreffen Anfang Juni entschieden, Statements künftig erst nach vorheriger Konsultation in der E-Mail-Gruppe zu verabschieden. Die bereits veröffentlichte Erklärung zum Nakba-Tag wurde auf der Webseite durch eine in unserem Sinne überarbeitete Version ersetzt.

Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK, deren Vertreter bei Ebco und dort im Vorstand.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202104, international, KDV

1. September 2021

„Sich am Unrecht nicht beteiligen“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Kriegsdienstverweigerung

Die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung im eigenen Leben

Von Stefan Philipp

Hermann Brinkmann war Kriegsdienstverweigerer. Und Soldat. 1973 war er im Rahmen der Wehrpflicht zur Bundeswehr eingezogen worden. Sein Antrag auf KDV war abgelehnt worden, und er wurde zum Militärdienst gezwungen. Das konnte der Pazifist nicht lange ertragen und nahm sich am 20. Januar 1974 das Leben, was damals bundesweit durch eine Todesanzeige der Familie in der FAZ Aufmerksamkeit fand und Betroffenheit erzeugte.

Seine 1990 geborene Nichte Hannah Brinkmann hat diese tragische Auseinandersetzung ihres Onkels mit Kriegsdienstzwang und Militär in einer Graphic Novel verarbeitet (Gegen mein Gewissen. Berlin 2020; siehe auch das Interview mit Hannah Brinkmann in ZivilCourage 5/2020, S. 14 f.). Dieses Buch führte auch bei einigen DFG-VK-Mitgliedern zum Nachdenken darüber, welche Bedeutung die eigene Kriegsdienstverweigerung hatte und auch heute noch hat. So hat beispielsweise Robert Hülsbusch diese Erfahrung reflektiert und in der letzten ZivilCourage geschildert, wie Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerung sein Leben „reich“ gemacht hätten (https://bit.ly/3mAHvE6).

Da bis Anfang der 1980er Jahre ausnahmslos alle KDVer das zurecht als Inquisition gebrandmarkte KDV-Anerkennungsverfahren durchlaufen mussten, veranstalteten die DFG-VK, Connection e.V. und die Evang. Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK) Mitte Mai eine offene digitale Gesprächsrunde zum Thema „Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis“. 

Moderiert von Ute Finckh-Krämer, frühere Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und SPD-Bundestagsabgeordnete, berichteten und diskutierten neben Hannah Brinkmann ZeitzeugInnen mit unterschiedlichsten Hintergründen über ihre Entscheidung und ihre Erfahrungen zur KDV vor 50 Jahren. Die Aufzeichnung ist nun im Internet abrufbar unter https://youtu.be/HLX5f5z9J4c

Mehrere Dutzend Interessierte hörten und sahen sich per Zoom die Statements der ReferentInnen an: Hannah Brinkmann, Werner Glenewinkel (früherer Vorsitzender der Zentralstelle KDV), Rudi Friedrich (Mitbegründer und Geschäftsführer von Connection e.V.), Gaby Weiland (langjährige KDV-Beraterin), Michael Zimmermann (KDVer in der DDR), Gernot Lennert (Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Hessen) und Markus Stettner-Ruff (in den 1980er Jahren als Totaler KDVer vor Gericht).

Die Beteiligung am KDV-Verfahren legitimierte die Inquisition

Aus einigen Beiträgen entwickelten sich Diskussionen, auch über die Veranstaltung hinaus. Markus Stettner-Ruff hatte als sich aus der KDV-Entscheidung ergebende Handlungsforderung formuliert: sich nicht an Unrecht beteiligen. Ich griff das auf und konkretisierte dies rückblickend für das KDV-Anerkennungsverfahren.

In den mündlichen Gewissensprüfungen saßen die KDV einem Vorsitzenden gegenüber, der von der Wehrverwaltung kam, sowie von den Landkreisen entsandten BeisitzerInnen, in der Regel also Menschen aus den politischen Parteien. In den Prüfungsausschüssen und -kammern waren damit fast immer auch SozialdemokratInnen vertreten und damit den KDVern tendenziell positiv Gegenüberstehende.

Die Beteiligung an diesen Gremien gab dem Verfahren, das von der DFG-VK und anderen zurecht als Inquisition bezeichnet wurde, einen korrekten und „sauberen“ Anstrich. 

Sonnhild Thiel, langjährige Aktivistin, DFG-VK-Ehrenmitglied und damals SPD-Mitglied, schrieb mir danach: „Ich war einige Jahre im Prüfungsausschuss. … Sehe das nicht als Beteiligung am Unrecht.“

Ja, subjektiv war das sicher so, im Gegenteil wollten manche BeisitzerInnen den KDVern helfen und lehnten das Verfahren eigentlich ab. Gleichzeitig wurden sie aber Teil der Gewissensprüfung und legitimierten sie.

Strategisch wäre es auch damals für (linke) SozialdemokratInnen denkbar gewesen, das Verfahren zu brandmarken und eine Beteiligung abzulehnen. Vielleicht wäre diese Form der Gewissensprüfung früher vorbei gewesen und nicht schließlich erst von einer CDU/CSU geführten Regierung abgeschafft worden. Eine Diskussion darüber gab es damals aber nicht. 

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage und hat als Totaler Kriegsdienstverweigerer in den 1980er Jahren alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Auflagen, also Militär- oder Zivildienst verweigert.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202103, KDV, Wehrpflicht

27. Mai 2021

Vernebelungstaktik

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Kommentar zum neuen Rekrutierungsprojekt „Mein Jahr für Deutschland“

Von Dennis Riehle

Und schon wieder ein neuer Freiwilligendienst, der die Möglichkeit für junge Menschen erweitern soll, sich nach Schule oder erster Berufsorientierung einem scheinbar guten Zweck hinzugeben. Die Bundeswehr malt mit ihren professionellen Reklame-Videos das Bild einer sinnvollen und attraktiven Armee. 

Das mag den einen oder die andere InteressentIn für solch einen Dienst täuschen und „einlullen“. Denn in Wahrheit handelt es sich weniger um einen Einsatz für den Heimatschutz, sondern vielmehr um eine Hinführung zum Dienst an der Waffe. Der Deutsche Bundeswehr-Verband hat deshalb auch sogleich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem freiwilligen Engagement nicht um ein „THW light“ handelt, das sich allein auf den Bevölkerungsschutz bei Hochwasser oder in der Bewältigung der Corona-Pandemie fokussieren wird. Wer nämlich das will, sinnvoll helfen, der ist wohl in den vielen sozialen Diensten für junge Leute – die um ein Vielfaches schlechter bezahlt werden, dafür aber für einen uneingeschränkten Friedenseinsatz stehen – deutlich besser aufgehoben. 

Immer wieder Rekrutierung „auf Umwegen“

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass das Militär auf Umwegen versucht, für das Schießmanöver junge Bundesbürger zu rekrutieren. Dabei ist ein Einsatz bei der Bundeswehr weder „cool“ noch „patriotisch“ oder „sinnstiftend“. In einer Welt, in der wir darauf hinarbeiten müssen, kriegerische Konflikte endlich zu reduzieren, ist es kein vernünftiges Zeichen, die Armee durch die Hintertür weiter aufstocken zu wollen. 

Wir leben in einem friedlichen Europa, das nicht durch weitere Aufrüstung animiert werden soll, seine stabilen Strukturen ins Wanken zu bringen. Es ist verantwortungslos, Jugendliche einseitig für Verteidigung und militärische Intervention zu begeistern – und sich dabei des Mittels ziviler Verharmlosung zu bedienen. Es muss klar benannt werden, was die jungen Teilnehmer an diesem Freiwilligendienst erwartet – unverblümt, direkt und rigoros. 

„Denn Bundeswehr ist kein Spaß“

Denn Bundeswehr ist kein Spaß. Wiederkehrende Ereignisse zeigen uns, welcher Geist in den Reihen der Soldaten herrscht. Nicht selten bricht der Korps die Psyche der kaum aus der Schule entlassenen Jugendlichen, die in Wahrheit überhaupt keine Vorstellung vom rauen Klima in der Truppe haben. Wir müssen aufhören, Freiwilligendienste der Bundeswehr als Ausflüge auf den Abenteuerspielplatz zu beschönigen. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht durch die Hintertür ist falsch und abzulehnen. Das Signal muss eindeutig sein: Im 21. Jahrhundert ist Stolz auf das Vaterland keine Staatsräson mehr. Stattdessen ist das Eintreten der nächsten Generation für einen schrittweisen Rückzug aus Nato und anderen Bündnissen wegweisend und nachhaltig. 

Unsere Aufgabe ist, dass viele Jugendliche reflektiert erkennen mögen, dass das Locken mit hohen Verdiensten und sicherer Zukunft nur eine Seite der Medaille ist – die Geißel des Unfriedens prägt die andere Seite. Weniger Rüstungsausgaben, keine europäischen Streitkräfte und ein klares „Nein“ zu Atomwaffen – das mag heute zwar noch langweilig klingen, ist aber der Trend von morgen!

Dennis Riehle ist DFG-VK-Mitglied und lebt in Konstanz.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: "Mein Jahr für Deutschland", 202102, Dienstpflicht, Rekrutierung

27. Mai 2021

KDV in der Türkei

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Lebenslange Verfolgung von türkischen Kriegsdienstverweigerern

Von Rudi Friedrich

Arif Hikmet İyidoğan ist inzwischen 60 Jahre alt. 1994 hatte er in der Türkei seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Kurze Zeit später hatte die DFG-VK Nordrhein-Westfalen ihn zu einem Besuch in Deutschland eingeladen, um über die Verfolgung der Verweigerer in der Türkei zu berichten. Inzwischen ist die Türkei der einzige noch verbliebene Mitgliedsstaat des Europarates, der die Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt. 

Und so wird Arif Hikmet İyidoğan nach wie vor als wehrflüchtig angesehen. Bei jeder Kontrolle, auf den Straßen, in Bussen oder wo auch immer wird er festgehalten und dann immer wieder angeklagt. Jedes Mal wird die Geldstrafe erhöht. Außerdem droht ihm eine Haftstrafe.

60 Jahre – und immer noch wehrpflichtig? 

Viele können das gar nicht glauben. Aber in der Tat hat die Türkei in den letzten Jahren selbst 70- oder 80-Jährige zum Militärdienst einberufen. Die für alle Männer geltende Wehrpflicht erlischt erst dann, wenn sie erfüllt ist.

So führt Arif Hikmet İyidoğan ein Leben im Geheimen – eine Situation, die er mit vielen anderen teilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte brandmarkte dies als „zivilen Tod“. Da die Verweigerer ohne Ableistung des Militärdienstes keinen Pass erhalten, können sie keine Wohnung mieten, keinen Führerschein machen, nicht heiraten, keinen legalen Job annehmen. Sie sind nicht sozialversichert und können nicht an Wahlen teilnehmen. Praktisch sind sie ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Mehr als 1 000 haben ihre Kriegsdienstverweigerung in den letzten Jahren öffentlich erklärt, weitere Hunderttausende entziehen sich dem Militärdienst und leben illegal im eigenen Land.

Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung

2013 hatten sich in Istanbul Kriegsdienstverweigerer und -verweigerinnen zusammengefunden, um den Verein für Kriegsdienstverweigerung, Vicdani Ret Derneği, zu gründen. Im Herbst letzten Jahres startete Vicdani Ret Derneği eine neue Kampagne, um endlich das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung durchzusetzen. Schon zu lange verweigert sich die Türkei internationalen Resolutionen und Urteilen europäischer Gerichte. Zuletzt hatte das Ministerkomitee des Europarates, das über die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wacht, 2020 von der Türkei gefordert, die Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen, den Betroffenen Entschädigungen zu zahlen und das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen.

Mit der Kampagne möchte Vicdani Ret Derneği die Motive und Anliegen der Verweigerer durch Veröffentlichungen, Videos und Aktionen bekannter und sichtbarer machen. Zudem baut der Verein systematisch ein Beratungsnetz und rechtliche Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer auf. In einigen Fällen wurden bereits Beschwerden beim türkischen Verfassungsgericht eingelegt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Dokumentation des „zivilen Todes“. Ergänzt wird dies durch internationale Lobbyarbeit.

Regelmäßige Berichte und Informationen

Alle zwei Monate berichtet Vicdani Ret Derneği im „Bulletin Kriegsdienstverweigerung“ über die Arbeit des Vereins, fasst aktuelle Meldungen von Kriegsdienstverweigerern zusammen und veröffentlicht neue Kriegsdienstverweigerungserklärungen. Das in türkischer Sprache erscheinende Bulletin ist in deutscher Sprache erhältlich unter www.Connection-eV.org/CO_Turkey

Aufgrund der Aktivitäten des Vereins wurden inzwischen mehrere Ermittlungen und Strafverfahren gegen Aktive des Vereins eingeleitet. Angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in der Türkei ist es den Aktiven des Vereins wichtig, auf internationale Unterstützung bauen zu können. Eine solch breit angelegte Kampagne kostet auch Geld. Und so bittet Vicdani Ret Derneği um Unterstützung für die Arbeit. Steuerbegünstigte Spenden über www.Connection-eV.org/kdvtuerkei werden von Connection e.V. gerne weitergeleitet. 

Spenden können auch direkt mit dem Stichwort „Kriegsdienstverweigerung Tuerkei“ überwiesen  werden an  IBAN DE48 3702 0500 0007 0857 00

Weitere Informationen unter www.vicdaniret.org, www.Connection-eV.org/CO_Turkey

Rudi Friedrich ist langjähriges Mitglied der DFG-VK und Geschäftsführer von Connection e.V.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202102, Connection, international, KDV, Menschenrecht

14. April 2021

Befragung eines Kriegsdienstverweigerers

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Wie Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerung mein Leben „reich“ machten

Von Robert Hülsbusch

Donnerstag, 18. Februar 1982, 14 Uhr 30. In Coesfeld tagt im Kreiswehrersatzamt der Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer. Der Vorsitzende schließt die Sitzung mit den Worten: „Der Antragsteller Robert Hülsbusch ist berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern.“ Jetzt hält mich nichts mehr. Ich stehe zügig auf, packe meine sieben Sachen , verlasse auf der Stelle den Saal, springe die paar Treppen herunter, eile durch die Eichentür ins Freie, ab ins Auto und los geht es nach Hause. Unbeschreibliche Gefühle übermannen mich, Erleichterung, Freude, Wut … ein Knoten scheint zu platzen, Tränen laufen über mein Gesicht. Erlösung – nach 10 Jahren aufgestauter Emotionen. Belogen und betrogen. Bedrängt und ausgebremst. Fertig!

Zunächst hielt ich den Bundeswehrdienst für eine gute Möglichkeit

Nach dem Abitur wurde ich am 2. Juli 1973 Soldat in Coesfeld. Damals meinte ich, dies sei eine gute Möglichkeit, die Zeit bis zum Maschinenbau-Studium zu überbrücken. Ja, es gab vereinzelt entfernte Bekannte, die einen Antrag auf KDV gestellt hatten. Für mich war das kein Thema. Aus einem kleinen Dorf kommend, völlig unpolitisch, eher angepasst. Dorfjugend halt. Wie sich dies änderte, steht in der Begründung zu meinem ersten Antrag auf Anerkennung als KDV, drei Monate nach meinem Dienstantritt: „In den ersten zwei Monaten nach meiner Einberufung standen Fernschreibausbildung und der Erwerb des Führerscheins auf dem Dienstplan. Darauf, in den letzten vier Wochen der Grundausbildung, folgte die Schieß- und Infanteriegefechtsausbildung. Den zweiten Tag dieser Ausbildungsperiode werde ich nie vergessen. Morgens im Unterricht wurde uns gelehrt, wie man schießt (Kimme und Korn) und wo man den Gegner treffen soll, um ihn kampfunfähig zu machen, heißt natürlich letztlich, ihn zu vernichten. Uns wurden „Tricks“ beigebracht, wie man möglichst viele Menschen mit möglichst wenig Aufwand tötet (Flankenfeuer).“

Das schrieb ich damals nicht, heute aber sage ich: „Das ist Mord!“ – „Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ (Kurt Tucholsky)

Unvorstellbar meine Betroffenheit, die sich in eine innere Auflehnung gegen den Vorgesetzten steigerte. 
Der Nachmittag war für die praktische Zielübung angesetzt. Unsere `Aufgabe´ war es, mit dem Gewehr aus allen Anschlagsarten auf abgebildete Soldaten zu zielen. Zum ersten Mal hielt ich dieses Mordinstrument, das ich bis dahin nur aus Filmen kannte, selbst in der Hand. Auch wenn ich es gewollt hätte, ich konnte auf diese Figuren nicht zielen. Ich werde und will nie in der Lage sein, Menschen zu töten, töten zu müssen oder auch nur eine Waffe gegen Menschen zu richten…“ So war es. Was ich noch anmerkte: Einen Tag später fuhren wir mit dem ganzen Ausbildungszug nach Oberhausen in das Kinderdorf. Dort waren Kinder aus Vietnam untergebracht, die den Krieg dort erlebt und erlitten hatten. Was Krieg anrichtet, was Militär erst recht für die Kleinen bedeutet, konnten wir angehende Soldaten uns anschauen. Wahrlich ein Anschauungsunterricht, der zumindest bei mir seine Wirkung nicht verfehlte. 

Insgesamt baute ich meine Begründung auf, wie sie wohl Hundertausende junger Männer damals schrieben: Gewissensentscheidung, Erziehung zur friedlichen Konfliktlösung in der Familie, Kriegserlebnisse von Familienmitgliedern, Kriegsfilme, Erfahrungen mit Tod und Abschied, die zeigen: Das menschliche Leben ist das höchste Gut, was niemand zerstören darf. Töten geht gar nicht. 

Ich war ca. vier Monate bei der Bundeswehr, als die erste Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss anberaumt wurde. Die Teilnahme am Gelöbnis hatte ich zwischenzeitlich abgelehnt, klar, auch die Teilnahme an weiteren Schießübungen. Und natürlich befand ich mich als „KDVler“ in einer Sonderrolle in der Soldatenwelt. Die unteren Dienstgrade ließen mich ihre „Abscheu“ spüren. Ein „Verräter“. Die meisten Offiziere verstanden zumindest auf der intellektuellen Schiene, was mich bewegen musste. Schikane hatten sie nicht nötig. Im Gegenteil: Bei einer Gefechtsübung, im Wald mit grünen Zweigen auf dem Stahlhelm und mit geschwärztem Gesicht, damit der „Feind“ uns nicht erkennt, und mit dem G3 im Anschlag, geladen mit Platzpatronen – so wurde der Angriff geprobt, sorry, natürlich die „Verteidigung“. Ich wurde vom Hauptmann unserer Kompanie als Wache abgestellt. Während die „Kameraden“ durch Unterholz krochen und mit Platzpatronen aufeinander losgingen, saß ich gemütlich am Waldrand, hörte in Gefechtspausen den Vögeln zu und las in einem Buch. Kämpfen und Schießen – nichts für mich.

Die erste Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss 1973

Vor dem Prüfungsausschuss am 29. November 1973 fand ich kein Erbarmen. Wo kämen wir auch hin, wenn ein Soldat so einfach seine „Flinte ins Korn“ werfen kann. Ich hatte keine Chance. Heute ist mir klar: Ich war 18, unerfahren mit Gerichten und Verfahren, eher ein schüchterner Typ, nicht vor Selbstbewusstsein strotzend. Ohne klare Strategie. Diese Unsicherheit spürte ich schon vor der ersten Verhandlung und versuchte deshalb im Voraus, alles „wasserdicht“ zu machen. Freunde schrieben mir Referenzen, meine Mutter setzte ein Schreiben auf, in dem sie ihre Kriegsgeschichte erzählte und deutlich machte: Meine Kinder erziehe ich zum Frieden, sie werden keine Soldaten. Ein erwachsener Freund kam mit zur Verhandlung, dort jedoch kaum zu Wort. All diese „Vorbereitungen“ machten den Erfolg nicht wahrscheinlicher. Die Prüfer ließen sich nicht beeindrucken:

„Der Prüfungsausschuss hat dem Antragsteller nicht abgenommen, dass ihm die praktische Ausbildung am Gewehr zu der Erkenntnis verholfen hat, dass er nicht in der Lage sei, einen Menschen zu töten. … Dennoch wollte der Prüfungsausschuss dem Antragsteller die Gelegenheit geben, seine Darlegung, keinen Menschen töten zu können und seine innere Bindung an dieses Gebot anhand beispielloser Situationen offen zu legen. Die Versuche des Prüfungsausschusses schlugen fehl. Der Antragsteller antwortete ausweichend und wollte sich nicht festlegen! Der Antrag konnte demnach keinen Erfolg haben.“ 

Widerspruchsverhandlung vor der Prüfungskammer 1974

Aus der Entlassung aus der Bundeswehr einen Tag später wurde leider nichts. Wieder zum Dienst. 14 Tage später legte ich Widerspruch ein. Die Verhandlung fand am 29. Januar 1974 vor der Prüfungskammer für KDVer bei der Wehrbereichsverwaltung III, Außenstelle Münster, statt. Auch hier hatte ich keine Chance. In der Ablehnung des Widerspruchs führte die Kammer, bestehend aus einem Oberregierungsrat als Vorsitzenden, einem Technischen Bundesbahnoberinspektor, einem Kaufmännischen Angestellten und einem nicht näher bezeichneten Beisitzer, aus:

„Bloße verstandesmäßige, politische, weltanschauliche oder sonstige rationale Erwägungen gewähren als solche ebenso wenig ein Recht auf KDV wie eine rein gefühlsmäßige Abneigung gegen den Krieg und die Beteiligung daran. Rationale Erwägungen oder auch eine gefühlsmäßige Abneigung gegen eine Beteiligung am Kriegsdienst sind nur insofern von Bedeutung, als sich auf ihrer Grundlage eine Gewissensentscheidung gebildet hat. d.h., dass sich die ursprünglich nur rational oder gefühlsmäßig begründete Einstellung später zu einer sittlich verpflichtenden Überzeugung vertieft.“ So war das also. Und wer diesen Schritt zur Gewissensbildung vollzogen hat, das bestimmten vor Prüfungsausschuss und Prüfungskammer die vier Herren. Im Zentrum dieser Vergewisserung und Bestimmung stand wieder die zentrale Frage: Wie entscheiden Sie sich in einer Notwehrsituation? Die Prüfungskammer entwickelte für mich die Szene: Abends im Dunkeln kommt ein Mann auf Sie zu. Er will das Geld. Er drängt sie zurück gegen einen Zaun. Sie bemerken, dass eine Latte locker ist… Na, was machen Sie…“

In einem hatte die Prüfungskammer in ihrer Begründung recht: „Der Wehrpflichtige hätte unter Berücksichtigung seines Bildungsstandes mehr und überzeugender vortragen können und müssen, wenn er sich ernsthaft aus echten Gewissensgründen gegen den Kriegswaffendienst entschieden hätte.“ Die Ernsthaftigkeit lasse ich mir nicht absprechen. Dass ich nicht sehr überzeugend argumentierte und auftrat – das will ich gerne zugeben. Mit 18 Jahren war ich dazu nicht in der Lage – trotz Abiturs. So fühlte ich mich noch zusätzlich gedemütigt. Zu Recht. Die Erwartung der Prüfungskammer war Unrecht.

Bereits 1958 warnte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Grundsatzurteil vom 3. Oktober vor dieser Erwartung: „Nicht außer Acht gelassen werden darf bei dieser Prüfung, dass es sich bei den Wehrpflichtigen in der Regel um junge, geistig nicht ausgereifte Persönlichkeiten handelt, denen es vielfach schwerfällt, das, was sie im Innern bewegt, und die Erkenntnis, die sie zur Verweigerung des Dienstes mit der Waffe veranlasste, in bestimmter und klarer Forum wiederzugeben und derartige, der konkreten Darstellung sich entziehende seelische Regungen in Worte zu kleiden.“

Genau. So war es bei mir. Und nicht nur bei mir: „Kann der Betreffende“, so ein anderes Urteil des BVerwG vom 11.2.1966 (VII C 41.64), „wie in den meisten Fällen dies mit Worten nicht klarmachen und bestehen nach Lage der Sache keine schwerwiegenden gegen das Vorliegen dieser Voraussetzungen sprechende Anzeichen, so muss die Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit den Ausschlag geben.“ Dass diese „Würdigung“ nicht zu meinen Gunsten geschah, dass auch die Aussagen meiner Mutter und die Referenzen meiner Freunde kaum Berücksichtigung fanden, das ist nicht verwunderlich. In diesen Jahren war das Verfahren zur Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern eindeutig dem Rekrutierungsbedarf der Bundeswehr untergeordnet. Von wegen Grundrecht Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes!

„Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz! Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen sie mal: Sind sie eigentlich Kommunist? Na ja…“ (Franz Josef Degenhardt)

Also wieder zurück in die Kaserne, wieder zurück zum Kriegsdienst, wieder zurück zur Ausbildung, zur Abrichtung zum Töten. Wenige Wochen später war die Zeit des Grundwehrdienstes vorbei. Drei Kreuzzeichen. Die Sachen gepackt und raus aus der Kaserne. Diese werde ich nie, nie wieder betreten. Das stand fest. Und auch: Den KDV-Antrag werde ich noch mal stellen. Da ist noch eine Rechnung offen, eine emotionale Wunde, die geschlossen werden muss.

Friedenspolitik wurde mein Lebensmittelpunkt

Die 15 Monate bei der Bundeswehr und die Erfahrungen mit dem Verfahren für die KDV-Anerkennung hatten Konsequenzen. Die erste: Das beabsichtigte Studium des Maschinenbaus wurde gestrichen. Meine Zukunft war nun eine andere. Ich wollte mit Menschen arbeiten, helfen, dass alle eine Chance bekommen für ein lebenswertes Leben. So begann ich ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Münster und ließ mich zum Grund- und Hauptschullehrer ausbilden. Gerade den Kindern, die nicht einen „goldenen Start“ ins Leben haben, galt mein Interesse. Parallel studierte ich noch Sozialpädagogik. Und natürlich politisierten mich die Erfahrungen der letzten Monate. Ich trat den Jungsozialisten bei und belegte an der PH Seminare über Friedenserziehung. Es waren zu diesem Thema damals, 1975, die ersten Uni-Angebote. Über mehrere Semester befassten wir uns mit dem Thema Frieden und Friedenerziehung, dachten über Krieg und Frieden nach, analysierten die politischen Voraussetzungen für eine friedliche Welt. Die ersten theoretischen Erkenntnisse damals: „Die Welt ist nicht mehr unbegrenzt. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden wir Grenzprobleme erreichen, deren Bewältigung das Schicksal der Menschheit entscheidet: Die bekannten Rohstoffquellen sind endlich. Die Belastung der Umwelt steigt ins Unermessliche. Der Hunger und die Armut in der Welt werden größer. Die Rüstung nähert sich einer Schallmauer. Und nur wenn die Menschen fähig und willens sind, diese Probleme gemeinsam anzufassen und friedlich zu regeln, haben wir eine Chance zu überleben… Ohne Frieden ist alles nichts. Wenn wir dieses Ziel nicht im Auge haben, können wir alle anderen vergessen.“ So stand es einige Jahre später in meiner Begründung für einen erneuten KDV-Antrag. Die Erfahrung bei der Bundeswehr und das anschließende Studium der Pädagogik sollten mein ganzes Leben prägen. Schon bei den Jungsozialisten galt ab 1977 mein Interesse der Friedenspolitik. Und als Anfang der 1980er Jahre die sogenannte „Nato-Nachrüstungsdebatte“ begann, war ich dabei. 1981 gründete ich in Nottuln die Friedensinitiative, die noch heute sehr aktiv ist. In der SPD leitete ich viele Jahre auf Unterbezirksebene einen Friedenskreis. Bis ich die SPD nach der Zustimmung zum Jugoslawien- und später zum Afghanistankrieg verließ. Einige Jahre war ich auch auf Bundesebene aktiv, eine kurze Zeit als einer der Bundessprecher der DFG-VK, lange Jahre als Mitglied im Koordinationsausschuss der Kooperation für den Frieden. Friedenspolitik wurde mein Lebensmittelpunkt – privat, beruflich, politisch. Bis heute. Und durch das friedenspolitische Engagement wurde mein Leben nicht nur bestimmt, sondern auch sehr bereichert. 

„Reserve hat keine Ruh´“

Aber da war noch eine „Rechnung“ offen: Am 8. April 1981 stellte ich – wieder – einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Der Anlass und Anstupser: Am 27. März 1981 erhielt ich vom Kreiswehrersatzamt Coesfeld die Aufforderung, „soldatische Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke aus Bundeswehrbeständen zu übernehmen, jederzeit erreichbar sorgfältig aufzubewahren und zu pflegen.“ Das fehlte noch!

1982: Endlich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt

Am 18. Februar 1982 war es dann soweit. Morgens unterrichtete ich noch in der Schule. Dann ab ins Auto nach Coesfeld zum Kreiswehrersatzamt, wo der Prüfungsausschuss auf mich wartet. Diesmal fuhr ich mit einem anderen Gefühl zur Verhandlung. Ich war nicht mehr 18, sondern 27 Jahre alt, hatte ein Standing als Lehrer und Erfahrungen in der Friedensarbeit. Außerdem belastete mich nicht der Druck, unbedingt anerkannt werden zu müssen, um nicht wieder einen Tag später in die Kaserne zu müssen. Ohne viel Vorbereitung ging ich diese Verhandlung an, keine „wasserdichten“ Referenzen, keine Unterstützung durch einen Freund, ganz allein auf mich gestellt und mich auf mich verlassend, selbstsicher und authentisch. Auch ohne Respekt vor den Herren mir am Tisch gegenüber. Die einzige Unterstützung, die ich mir nahm: Zur Einstimmung hörte ich auf der Autofahrt – von der Kassette – Hannes Wader, laut aufgedreht, mitsingend, von einem jungen Mann, der als Soldat im Ersten Weltkrieg sterben musste: „Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur, von deinem Leben, doch hör meinen Schwur, Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein, fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein. Dann kann es geschehen dass bald niemand mehr lebt, niemand der die Milliarden von Toten begräbt. Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit, diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit…“ Es ist höchste Zeit!

PS: Viele Jahre später – 2016 – wurde ich für mein friedenspolitisches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Staat, der im internationalen Konzert der militärisch basierten Außenpolitiken gut mitmischt, der mich in meinen jungen Jahren mit der „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ so bedrängte, ehrte mich – mit staatlichem Symbol. In meiner Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes formulierte ich damals dialektisch den Widerspruch so: „Wer ehrt, wer gar Orden verteilt, der übernimmt auch Verantwortung, der outet sich. Der Orden ehrt nicht nur ein gesellschaftliches Engagement. Untrennbar damit verbunden sind inhaltliche Positionen. Das bedeutet in meinem Fall: Der Orden ehrt auch eine zutiefst pazifistische Einstellung…“ Und zurückblickend: „Wie ich zu dieser Einstellung kam, musste ich 1974 in Coesfeld im damaligen Kreiswehrersatzamt vor dem Prüfungsausschuss für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer darlegen. Zu guter Letzt bekam ich den staatlichen Stempel, die Anerkennung dessen, was ich vortrug: Es gibt für mich keinen Grund, Gewalt anzuwenden, erst recht nicht, mit der Waffe in der Hand. Gewalt ist nicht nur unmenschlich, nicht nur ethisch verwerflich. Gewalt war und ist auch nie ein erfolgreicher Lösungsansatz für Konflikte…“ 

Viele Jahre später schrieb das der Theologe und Publizist Eugen Drewermann in seinem Buch „Krieg ist Krankheit, keine Lösung“ so: „Gewaltfreiheit ist keine Utopie, sondern eine Notwendigkeit im Zusammenleben der Menschen, bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Welt“. Und so halte ich es mit der War Resisters´ International: „Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Und dies war und ist mir auch und ganz besonders als Vater ein Anliegen. Reinhard Mey inspirierte mich schon vor Jahren, noch einmal an das Kreiswehrersatzamt Coesfeld zu schreiben: 

Ich denk´, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab –
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten
Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab‘! (Moritz und Malte)

Wir haben nur dies eine kurze Leben –
Ich schwör’s und sag’s euch g’rade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Und meine Tochter Lea erst recht nicht!

Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb´ ich nicht (1986)

P.P.S: Meine Erfahrungen mit der Kriegsdienstverweigerung konnte ich in den 1980er Jahren vielen jungen Freunden mitteilen. Viele bereitete ich auf ihre Verhandlungen zur Anerkennung als KDV vor. Wie man scheitert und wie man durch dieses Verfahren kommt, hatte ich erfahren. Der Ergebnis: Insgesamt wurden ca. 20 junge Menschen, die ich beraten hatte, schon in der ersten Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss anerkannt. Die Rechnung war aufgegangen. Die Wunde geschlossen. 

Robert Hülsbusch ist jahrzehntelanges DFG-VK-Mitglied und war 1981 Gründer der Friedensinitiative Nottuln, die auch heute noch aktiv ist. (https://www.fi-nottuln.de)
Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist in der Printausgabe der ZivilCourage 2/2021 erschienen.

Nachfolgend die Texte der Lieder
Franz Josef Degenhardt: Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers (1972)
Hannes Wader: Es ist an der Zeit (1980)
Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht (1986)

Franz Josef Degenhardt
Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers (1972)

Dies ist die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers
Durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden
Also sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
Sagen sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?
Ja sie dürfen sitzen bleiben
Überhaupt wir sind hier ziemlich liberal
Lange Haare, Bärte, Ketten, Ringe
Ha’m wir alles schon gehabt
Aber in die Akten scheißen mögen wir hier nicht
Marx und Engels haben sie gelesen sagen sie uns
Sagen sie, verstehen sie das denn?
Sie ha’m doch bloß die Volksschule besucht
Na, nu‘ regen sie sich nicht gleich auf
Dafür können sie ja nichts
Lesen dürfen sie ja was sie wollen, überhaupt
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Ja, Soldat sein das will heute keiner mehr
Kann ich auch verstehen
Und ich selber hätte keine Lust, aber
Gründe haben müssen wir dafür
Na, nu‘ fangen sie nicht wieder an
Mit Imperialismus, den zwei Kriegen
Und die alte Klasse ist noch immer an der Macht
Und sie wollten nicht für die
Kastanien aus dem Feuer holen
Das versteh’n wir ja
Mag auch alles richtig sein
Interessiert uns aber nicht
Das ist nämlich Politik
Hier interessieren nur Gewissensgründe
Was das ist?
Hört sich zwar sehr grausam an
Trifft den Nagel aber auf den Kopf, nämlich
Ob sie töten können oder nicht
Ja hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Also fangen wir mal an!
In ’ner Kirche sind sie nicht?
Auch nicht in ’ner anerkannten Sekte?
Sehen sie, da wird’s schon schwierig mit Gewissensgründen
Einen haben wir ‚mal hier gehabt
Und der machte auf Buddhist
War so’n Typ mit Glatze, aber
Durchgekommen ist er. Schlaues Kerlchen!
Also passen sie mal auf
Ich werd jetzt ihr Gewissen prüfen
Nehmen wir mal an, sie geh’n spazieren
Mit ihrer Freundin nachts im Park
Plötzlich kommt ’ne Horde Russen
Stockbes… Halt!
Sagen wir ’n Trupp Amerikaner
Schwer betrunken und bewaffnet nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben ’ne MP dabei!
Na, was machen sie?
Was sagen sie uns da?
Sie verbitten sich dies Beispiel?
Meinetwegen, bitte schön
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
Schön die Russen und Amerikaner fallen also weg
Die Chinesen sicher auch
Und mit Negern brauch‘ ich gar nicht erst zu kommen
Lassen wir das eben
Nehm‘ wir einfach ein paar ganz normale Kriminelle
Schwer betrunken und bewaffnet
Nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben wieder die MP dabei
Na, was machen sie?
Sagen sie uns bloß jetzt nicht
Sie fallen auf die Knie und beten
Denn mit so ‚was kommt hier keiner durch
Der Marx und Engels liest
Was sagen sie uns da?
Ich red die ganze Zeit von Politik
Das ist aber wirklich komisch
Bilde einen Fall
So richtig auf sie zugeschnitten
Baue ihnen auch noch goldene Brücken
Aber Sie, aber!
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich
So nun woll’n wir aber wirklich wissen, was sie tun
Also, noch mal
Ein paar schwere Jungen
Schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park
Machen sich an ihre Freundin ‚ran
Sie haben wieder die MP dabei
Na, was machen sie?
Was sagen sie uns da?
Sie wehren sich
Weil sie ja in Notwehr sind?
Ätsch
Das ist aber falsch
Durften sie nicht sagen
Richtig ist die Antwort, nämlich die
Ich werfe meine Waffe fort
Und dann bitte ich die Herr’n
Mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhör’n
Was sagen sie uns da?
Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?
Fangen sie schon wieder an?
Ist doch Politik!
Hat doch mit Gewissen nichts zu tun
Ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz!
Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
Sagen sie mal
Sind sie eigentlich Kommunist? Na ja
Hier darf jeder machen, was er will
Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich

Franz Josef Degenhardt (1931 – 2011; war ein deutscher Liedermacher, Schriftsteller, promovierter Jurist und Rechtsanwalt)

Hannes Wader
Es ist an der Zeit
(1980)

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühen.
Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
Im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
Deinen Namen nicht nur Ziffern und jemand hat
Die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht ein mal
19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns
Heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Hast du toter Soldat mal ein Mädchen geliebt?
Sicher nicht, denn nur dort wo es Frieden gibt,
Können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihen,
Warst Soldat um zu sterben nicht um jung zu sein.
Vielleicht dachtest du dir, ich falle schon bald,
Nehme mit mein Vergnügen wie es kommt mit Gewalt.
Dazu warst du entschlossen hast dich aber dann,
Vor dir selber geschämt und es doch nie getan.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Soldat gingst du gläubig und gern in den Tod?
Oder hast du verzweifelt, verbittert, verroht?
Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluss,
Ich hoffe es traf dich ein sauberer Schuss.
Oder hat ein Geschoss dir die Glieder zerfetzt,
Hast du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt?
Bist du auf deinen Beinstümpfen weiter gerannt?
Und dein Grab, birgt es mehr als ein Bein, eine Hand.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur,
Von deinem Leben, doch hör meinen Schwur,
Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein,
Fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein.
Dann kann es geschehen dass bald niemand mehr lebt,
Niemand der die Milliarden von Toten begräbt.
Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit,
Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Hannes Wader (*1942; ist ein deutscher Liedermacher und Musiker)

Reinhard Mey
Nein, meine Söhne geb’ ich nicht (1986)

Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab –
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten
Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab‘!
Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht
Und die, die werden keine Waffen tragen!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert –
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt!
Nun werdet ihr sie nicht mit Hass verderben
Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht
Sind’s wert, dafür zu töten und zu sterben –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter
Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht –
Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter
Nicht für euch hab‘ ich manche Fiebernacht
Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden
Und kühlt‘ ein kleines glühendes Gesicht
Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Sie werden nicht in Reih‘ und Glied marschieren
Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt
Auf einem gottverlass’nen Feld erfrieren
Während ihr euch in weiche Kissen setzt!
Die Kinder schützen vor allen Gefahren
Ist doch meine verdammte Vaterpflicht
Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich werde sie den Ungehorsam lehren
Den Widerstand und die Unbeugsamkeit –
Gegen jeden Befehl aufzubegehren
Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit!
Ich werd‘ sie lehr’n, den eig’nen Weg zu gehen
Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht
Vor keinem als sich selber g’radzustehen!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Und eher werde ich mit ihnen fliehen
Als dass ihr sie zu euren Knechten macht –
Eher mit ihnen in die Fremde ziehen
In Armut und wie Diebe in der Nacht!
Wir haben nur dies eine kurze Leben –
Ich schwör’s und sag’s euch g’rade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht –
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!

Reinhard Mey (*1942; ist ein deutscher Musiker und Liedermacher)

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202102

13. April 2021

„… lasst uns drüber reden“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis

Eine (digitale) Gesprächsrunde zum Internationalen KDV-Tag am Sonntag, 16. Mai, um 17 Uhr

Die sog. Wehrpflicht ist ausgesetzt, die KDV-Entscheidung bleibt – Einladung zu einer Gesprächsrunde mit

  • Hannah Brinkmann, Autorin und Gestalterin der graphischen Erzählungsbuches „Gegen mein Gewissen“ (Berlin 2020) über ihren Onkel, der sich 1974 als zwangsverpflichteter Soldat und staatlich nicht anerkannter Kriegsdienstverweigerer aus Verzweiflung das Leben genommen hatte;
  • Dr. Werner Glenewinkel, letzter Vorsitzender der Zentralstelle KDV, die sich als gemeinsame Einrichtung von über 25 Organisationen von 1957 bis 2011 um das Recht und den Schutz von KDVern kümmerte und sich nach Aussetzung der Wehrpflicht 2011 aufgelöst hat, und als nach der Bundeswehrzeit Verweigernder nicht staatlich anerkannter KDVer;
  • Gaby Weiland, langjährige Aktivistin in der DFG-VK und engagiert in der KDV-Beratung; 
  • Dr. Gernot Lennert, Historiker und Politologe, tätig als Geschäftsführer der DFG-VK für Hessen und Rheinland-Pfalz, dessen KDV-Antrag mehrmals abgewiesen wurde;
  • Rudi Friedrich, Mitbegründer und Geschäftsführer von Connection e.V., einem international zur Kriegsdienstverweigerung arbeitenden Verein mit Sitz in Offenbach;
  • Michael Zimmermann, Kriegsdienstverweigerer in der DDR, Beauftragter für Friedens- und Versöhnungsarbeit der Evang.-Lutherischen Landeskirche Sachsens;
  • Markus Stettner-Ruff, der Anfang der 1980er Jahre den Zivildienst verweigerte und deshalb als Totaler KDVer vor Gericht stand;
  • moderiert von Dr. Ute Finckh-Krämer, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, frühere Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und Tochter des 2019 verstorbenen früheren jahrzehntelangen Vorsitzenden der Zentralstelle KDV Ulrich Finckh.

In der BRD sahen sich bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren Kriegsdienstverweigerer mit einem Prüfungsverfahren konfrontiert, das dazu diente, das im Grundgesetz verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung auszuhebeln. Bis 1983 mussten alle Kriegsdienstverweigerer ihre Gewissensgründe in einem mündlichen Verfahren ausbreiten, das zu Recht als staatliche Inquisition bezeichnet wurde – viele scheiterten in erster, zweiter und manche sogar in der dritten Instanz und wurden daraufhin zur Bundeswehr einberufen oder nicht entlassen, wenn sie während der Dienstzeit verweigert hatten.

In der DDR gab es nicht einmal ein rudimentäres KDV-Recht, Kriegsdienstverweigerer mussten uniformierten Bausoldatendienst ableisten und waren für diesen Zeitraum kaserniert. Ihr späterer Lebensweg war durch diese Entscheidung stark eingeschränkt.

Außerdem gab es in beiden deutschen Staaten junge Männer, die die Wehrpflicht als staatlich erzwungenen Militär- und Kriegsdienstzwang grundsätzlich ablehnten und total verweigerten – mit der Folge von Strafverfahren und teilweise Gefängnisstrafen.

Wir wollen der Frage nachgehen: Vor welchem Hintergrund wurde die Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung getroffen? Wie hat sie das eigene Leben bestimmt – damals und heute? 

Nach einer ersten Runde sollen andere TeilnehmerInnen an dem Gespräch beteiligen können.

Die Gesprächsrunde findet digital über Zoom am Sonntag, 16. Mai, von 17 bis 19 Uhr als Video-Konferenz statt. Nach Anmeldung versenden wir gerne die Einwahldaten. 

Wir bitten um vorherige Anmeldung bis zum 14. Mai über www.Connection-eV.org/anmeldung-form

Der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung wurde von der War Resisters´ International (WRI; Internationale der KriegsdienstgegnerInnen) 1985 eingeführt. In jedem Jahr wird an ihm zum 15. Mai auf die Situation von KriegsdienstverweigerInnen weltweit hingewiesen.

Die Gesprächsrunde wird veranstaltet von: Connection e.V., Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Evang. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK)

Die Gesprächsrunde wird aufgezeichnet und kann ab Ende Mai auf den Websites von Connection e.V. und der DFG-VK angesehen werden.

ZC-0221-KDV-Gesprächsrunde-160521-V03Herunterladen

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202102, Brinkmann, Connection e.V., Finckh, Glenewinkel, Lennert, Totalverweigerung, Wehrpflicht, Zentralstelle KDV

25. März 2021

KDV bleibt wichtig!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 1/2021

Kriegsdienstverweigerung

Ein Brief an Hannah Brinkmann, die Autorin des Buches „Gegen mein Gewissen“

Von Werner Glenewinkel

Liebe Frau Brinkmann!
Ihr Buch „Gegen mein Gewissen“ – vorgestellt in dem Interview mit Ihnen in der ZivilCourage 5/2020 und in der Connection-Zeitschrift „KDV im Krieg“ 5/2020 – beginnt 1956 mit der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht und endet 2015 mit Ihrer Entscheidung, die Geschichte Ihres Onkels Hermann aufzuarbeiten. Zunächst gegen den Widerstand der Familie, insbesondere Ihres Vaters, Hermanns Bruder Hans. Sein „Was gibt es da noch zu erzählen?“ wandelt sich im Verlauf Ihrer Recherche-Arbeit zu „Toll, dass du Hermanns Geschichte erzählst!“ und endet damit, dass Hermanns Geschichte für alle einen „Sinn“ bekommen hat. 

Damit umspannt Ihr Buch fünf Jahrzehnte politischer Auseinandersetzung – von der Einführung der Wehrpflicht 1956 bis zu Ihrer Aussetzung 2011. Das Besondere an Ihrem Buch ist für mich, dass es Ihnen gelingt, das Individuelle mit dem Gesellschaftlichen zu verknüpfen. Also das traurige Schicksal eines Kriegsdienstverweigerers, Ihres Onkels Hermann, mit der „konservativen Nachkriegspolitik“, d.h. dem ständigen Versuch, Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz auf ein Ausnahmerecht zu reduzieren. Das machen Sie in der Form einer Graphic-Novel-Geschichte mit 230 Seiten und – geschätzt – mehr als tausend Illustrationen. Kein Wunder, dass diese Arbeit Sie über vier Jahre beschäftigt hat. Mit der Art Ihrer Illustrationen – Form und Farbe, Dokumente und Phantasie – gelingt Ihnen auch eine eindringliche Verknüpfung von innen und außen, also von Hermanns realen KDV-Erfahrungen mit seinen Gedanken und Ängsten und Träumen. 

Der Ablehnungsbescheid des Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg, den Hermann 1973 erhielt, versetzt mich – fast automatisch – in meine eigene Geschichte: „Es ist dem Widerspruchsführer nicht gelungen, die Ernsthaftigkeit seiner Gewissenbedenken zu belegen.“ Den Satz kenne ich. Hermann ist an diesem nicht Ernstgenommen-Werden verzweifelt und sah letztlich keinen anderen Ausweg aus seiner Gewissensnot als den Tod. Ich bin neun Jahre älter als Hermann und nach dem Abitur naiv-arglos zwei Jahre zur Bundeswehr gegangen. Danach – im selben Jahr, in dem auch Herman seinen Antrag gestellt hat – habe ich den Kriegsdienst nachträglich verweigert. „Alles, was ich tue, ist abhängig von Menschen; nicht nur von den Personen, mit denen ich lebe und die ich liebe, sondern von allen Menschen und unserer gemeinsamen Geschichte.“ Diesen zutiefst humanistischen Satz aus Hermanns Antrag hätte ich auch schreiben können. 

Vermutlich hat meine nachträgliche Entwicklung zum Kriegsdienstverweigerer mich vor den Nöten bewahrt, die Hermanns Weg bestimmt haben. In der Todesanzeige der Familie vom Januar 1974 heißt es dann am Ende: „Wir fragen uns, warum Hermann diesen Weg gehen musste.“

Mit dieser Todesanzeige in der FAZ wurde aus Hermanns individuellem Schicksal eine Diskussion über das KDV-Grundrecht. Der „Stern“ überschreibt seine kritische Reportage mit „Das Gewehr und das Gewissen“. 

1957 beriefen sich 262 Wehrpflichtigen auf Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz, 1972 gab es über 28 000 Verfahren vor den Prüfungsausschüssen. Im Jahr 1982 gab es fast 60 000 KDV-Anträge von jungen Männern, die dann ihr Gewissen prüfen lassen mussten. 

Als gemeinsame Einrichtung von ca. 30 Organisationen, darunter von Anfang an die DFG-VK bzw. ihre Vorläufer, hatte sich die „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ (www.zentralstelle-KDV.de) immer gegen diese Gewissensprüfungen eingesetzt. Der langjährige Vorsitzende der Zentralstelle KDV, der 2019 verstorbene Ulrich Finckh, hatte diese Prüfungsverhandlungen als Inquisition bezeichnet. Als solche wurde sie zunehmend auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisiert. 

Als kleinen, wenn auch wichtigen Fortschritt brachte der Regierungswechsel 1982/83 zur Kohl-Regierung eine Reform des KDV-Anerkennungsverfahren; die mündlichen Prüfungsverhandlungen fielen für die meisten Kriegsdienstverweigerer weg und wurden durch ein schriftliches Verfahren ersetzt. Bis dahin aber galten aber für alle die mündlichen Gewissensprüfungen

Von Ihnen wunderbar illustriert: Herman fühlt sich während der Befragung vor dem Prüfungsausschuss wie in einem Höllenfeuer: „Das ist ein Inquisitionsverfahren.“

Sie zeigen anschaulich, wie Ihr Onkel sich mit Freunden berät und wohl nicht glauben kann, dass man sich auf diese Verfahren vorbereiten muss, um eine Chance zum „Durchkommen“ zu haben. Der Beratungsbedarf war groß und wurde auf vielfältige Weise befriedigt. 

1980 schrieb Hansjörg Martin das Jugendbuch: „Der Verweigerer“, in dem er die Geschichte von Wolfgang Bieber erzählte, der vor dem Prüfungsausschuss ganz ähnliche Erfahrungen macht wie Hermann einige Jahre vor ihm. Ihm wird bescheinigt, dass er nicht darlegen konnte, eine „gewissensgebundene Entscheidung“ getroffen zu haben. Ein Widerspruch bei der Prüfungskammer sei zulässig. Die Geschichte endet damit, dass Wolfgang empfohlen wird, Widerspruch einzulegen. „Das ist eine gute Übung in Demokratie! Außerdem bin ich fest überzeugt, dass Wolfgang es beim nächstenmal schafft!“ Hermann hat es, wie ich auch, nicht geschafft. Hermanns Klage vor dem Verwaltungsgericht war bereits terminiert. Er hat die Entscheidung nicht abwarten wollen. 

Ich bin durch eine negative Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem nicht staatlich anerkannten KDVer geworden. Wahrscheinlich war das der Grund, Herrn Martin zu schreiben, dass dieses Ende seiner Geschichte zu optimistisch sei. Meine eigenen Erfahrungen später als Beisitzer in einer Prüfungskammer hatten mir gezeigt, dass die Ablehnung mehr Regel als Ausnahme war. 

Am Ende gab es eine Fortsetzung der Geschichte von Wolfgang Bieber: „Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf“. Am Ende dieser Geschichte ist nicht alles gut, aber Wolfgang hat sich von dem Gefühl, versagt zu haben und durchgefallen zu sein, befreit. Er ist sogar ein wenig stolz, dass er sich als KDVer positioniert hat. (Hinweis der Redaktion auf das Buch: Werner Glenewinkel: Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf. Mit einem Nachwort von Hansjörg Martin. Reinbek bei Hamburg 1985)

Sie haben Hermanns Geschichte wieder ans Licht geholt. In dem ZivilCourage-Interview haben Sie darauf hingewiesen, dass Ihre Generation nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist; dennoch möchten Sie, dass ein Bewusstsein darüber entsteht, dass bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren „Opfer gebracht wurden“ und dass die fehlende Anerkennung der KDV immer noch ein Problem sei, unter dem viele junge Männer und auch Frauen in anderen Ländern leiden. 

In Ihrem Buch gibt es das Bild von einer Mauer, auf das Hermann und sein Freund mit roter Farbe geschrieben haben: Frieden schaffen ohne Waffen

Das könnte nicht nur als Vermächtnis von Hermann gelesen werden, sondern auch als Auftrag für die Zukunft, den Sie mit Ihrem Buch in die heutige (noch) wehrpflichtfreie Gegenwart transportiert haben. Für mich bedeutet das konkret dreierlei: 

Kriegsdienstverweigerung muss zum allgemeinen Menschenrecht werden. Das ist ein langer Weg, der bei Connection e.V. in guten Händen ist, aber viel mehr zivilgesellschaftliche Unterstützung braucht. 

Militärlogik muss durch eine Friedenslogik ersetzt werden, denn: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“ Die Grundsatzerklärung der DFG-VK braucht Vervielfältigung.

Wenn unsere Welt für Ihre Generation und meine Enkelkinder erhalten bleiben soll, dann müssen wir uns von einer militärischen Sicherheitspolitik verabschieden und Sicherheit neue denken. Dazu gibt es ein Szenario bis zum Jahr 2040, das viele Chancen und Möglichkeiten enthält, sich mit dem eigenen zivilgesellschaftlichen Engagement einzubringen (www.sicherheitneudenken.de).

Ihr Buch war für mich eine Einladung zu einem anregenden und berührenden Rückblick auf fünf Jahrzehnte KDV-Geschichte. Vielen Dank und herzliche Grüße von Werner Glenewinkel

Dr. Werner Glenewinkel ist Jurist und langjähriges Mitglied der DFG-VK. Von 2007 bis zu ihrer Auflösung nach Aussetzung der Wehrpflicht war er Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Kontakt: werner.glenewinkel@t-online.de

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202101, Brinkmann, Glenewinkel, Inquisition, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Prüfungsausschuss, Wehrpflicht

Haupt-Sidebar

„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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