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Kriegsdienstverweigerung

25. November 2022

Sich der Kriegslogik entziehen

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

Leitartikel

Deserteure und KDVer brauchen Unterstützung

Von Rudi Friedrich

Kurz nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, forderte EU-Ratspräsident Charles Michel russische Soldaten zur Desertion auf und versprach, darüber nachzudenken, ob sie Asyl bekommen sollen. Sechs Monate später beschließt das Europäische Parlament, dass die Mitgliedstaaten sich bei der Frage des Asyls an Recht und Gesetz halten sollen. Sieht so eine tatkräftige Unterstützung aus? Wohl kaum.

Die Bundesregierung hat immerhin erklärt, dass russische Deserteure Asyl erhalten sollen. Ausgeschlossen von dieser Regelung sind allerdings Militärdienstflüchtige, die so klug waren, sich schon vor der Einberufung abzusetzen. Geflissentlich übersehen wurde, dass von inzwischen wohl 150.000 Militärdienstflüchtigen aus Russland gerade mal zwei- oder dreitausend den Weg in die Europäische Union geschafft haben. Die Grenzen sind weitgehend geschlossen. 

Andere in der Europäischen Union gehen mit diesem Thema noch weit weniger zimperlich um. Desertion? Da werden gleich alle Register gezogen, um diese Tat „ins rechte Licht“ zu rücken. Die einen fabulieren darüber, dass russische Deserteure Spione sein könnten, als ob die Spione aus Russland nicht schon längst hier wären. Egal, erst einmal werden alle Verweigerer unter Generalverdacht gestellt. Andere sinnieren darüber, dass sie doch besser in Russland gegen die eigene Regierung kämpfen sollen. Ist das nun ein Aufruf zum Bürgerkrieg? Auf jeden Fall geht es hier nur darum, die Verweigerer für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Und so haben wir sie wieder: die Denunziation, die Brandmarkung als Verräter oder auch die Instrumentalisierung derjenigen, die sich gegen einen Krieg wenden. Was all diesen Argumenten und Positionen gemein ist: Sie bewegen sich in der Logik des Krieges, dem Denken in Freund und Feind. Was sind wir froh, dass es Menschen auf allen Seiten des Krieges gibt, die dies genau nicht tun.

Es gibt auch Verweigerer auf der anderen Seite des Krieges, in der Ukraine. Dort wurde das ohnehin restriktive KDV-Gesetz ausgesetzt, Verweigerer zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch hier entziehen sich viele der Kriegsdienstpflicht: Schätzungsweise 140.000 halten sich in Westeuropa auf. Sie haben Glück: Aufgrund des befristeten humanitären Aufenthalts können sie vorerst bleiben. Was danach kommt weiß heute noch niemand.

Sie alle mögen ihre privaten, politischen oder auch Gewissensgründe für ihre Entscheidung haben. Auf jeden Fall stehen sie für einen anderen Weg, abseits einer Kriegshysterie, die nur Waffen zählt und die Eroberung von Gebieten als Sieg preist. Ohne diese Idee, dass es anderes als den Kampf gibt, verbleiben wir nur in einer Spirale der Eskalation.

Wir brauchen Menschen, die sich gegen den Krieg stellen und für ihre Gesellschaften andere Optionen aufzeigen. Und sie brauchen unsere Solidarität und Unterstützung: Offene Grenzen, um Länder mit prekärem Status verlassen zu können, einen echten und dauerhaften Schutz und in ihrer Heimat eine Amnestie und ein umfassendes Recht auf KDV.

Rudi Friedrich setzt sich als Mitbegründer von Connection e.V. seit 30 Jahren international für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ein (www.connection-ev.org). Seit Jahrzehnten ist er Mitglied der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202203, Connection, Connection e.V., Deserteure, Friedrich, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Leitartikel, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Dem Krieg die Menschen entziehen

Titel

Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Von Siglinde Cüppers

Wir sind bei den letzten Mahnwachen gegen den Ukraine-Krieg oft gefragt worden, was man denn tun könne. Daraus ist dann dieser Text entstanden zum Thema Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren.

Denn unabhängig von den unterschiedlichen Analysen zur Entstehung der Konflikte in der Ukraine, die in dem Angriffskrieg der russischen Armee eskalierten, kommt es jetzt darauf an, dem Krieg den Boden und die Menschen zu entziehen. Keine Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet und nicht noch mehr Geld für Kriegswaffen zu verschwenden – das fordern wir von der Regierung; die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren – das müssen wir schon selber leisten.

Für Frieden und Abrüstung einzutreten und sich dem Krieg zu verweigern, ist keine neutrale Position. Es bedeutet, die militärische Sichtweise mit der Rechtfertigung von Krieg und Gewalt abzulehnen und stattdessen für Gewaltfreiheit einzutreten. Wenn der Krieg nicht verhindert worden ist, weil er politisch gewollt war, und wenn die Bilder von Not. Leid, Tod und Zerstörung über die Bildschirme gelangen, dann wird das Geschrei laut, mit noch mehr Waffen und Soldat*innen den Krieg angeblich schnell zu beenden. Als gerechter Krieg soll er angeblich Frieden bringen. Aber er führt zu weiterer Aufrüstung, noch mehr Toten und noch mehr Leid und Zerstörung und nutzt nur denjenigen, die von Rüstung und Krieg profitieren und ist die Vorbereitung für den nächsten Krieg.

Grafik: Wilfried Porwol

Den Krieg ablehnen und ihm den Boden entziehen

Als Pazifist*innen stellen wir uns an die Seite der Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen. Es gibt sie immer in allen Kriegen bei jedem Militär, auch jetzt im russischen und ukrainischen Militär.

Der größte Teil der Soldat*innen im russischen und ukrainischen Militär sind Wehrpflichtige zwischen 18 und 60 Jahren. In beiden Gesellschaften ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sehr eingeschränkt. Für den Wehrdienst werden die Daten der wehrpflichtigen Männer erfasst, sie werden aufgefordert, sich in Einberufungsbüros zu melden. Dort wird ihnen der Pass abgenommen, stattdessen erhalten sie einen Wehrpass. Sie dürfen das Land nicht mehr verlassen. Viele von ihnen wollen sich am Krieg nicht beteiligen, haben aber oft keine andere Wahl. Wenn sie versuchen, sich der Einberufung zu entziehen, werden sie zwangsrekrutiert. Das bedeutet, die Wehrpflichtigen werden am Arbeitsplatz, aus ihren Wohnungen und von der Straße geholt und zwangsweise in die Kasernen verbracht. Oft wissen die Angehörigen nicht, wo sie geblieben sind. Familien werden getrennt. Seit dem 4. März findet die Mobilmachung in Weißrussland statt. Auch hier gibt es Wehrpflicht und wehrpflichtige Männer zwischen 18 und 60 Jahren werden massenweise einberufen zur Unterstützung der russischen Armee. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Wenn sie der Einberufung nicht folgen werden auch die weißrussischen Männer zwangsrekrutiert.

Zwangsrekrutierungen sind nach der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen eine massive Menschenrechtsverletzung. 

Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

In der Ukraine gibt es die Ukrainische Pazifistische Bewegung, die sich für ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine einsetzt und Kriegsdienstverweigerer unterstützt. 

In Russland gibt es die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung in Russland. 

Wir können an unseren Wohnorten, bei Infoständen, Mahnwachen und Kundgebungen diese Organisationen bekannt machen. Wir können Mitbürger*innen, die aus der Ukraine, Russland, Belarus kommen darauf hinweisen, dass sie diese Bewegungen in ihren Herkunftsländern bei Bekannten, Verwandten und Freunden, die dort leben bekannt machen, damit darüber Kriegsdienstverweigerer und Deserteure Unterstützung bekommen. 

Wir können sie bitten, Kriegsdienstverweigern und Deserteuren dabei zu helfen, dem Militär zu entkommen, und ihnen unsere Hilfe anbieten.

Offene Grenzen für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer

Wir müssen offen für Kriegsdienstverweigerung und Desertion von allen Armeen und Kampfverbänden eintreten und dafür werben, dass die Grenzen für sie geöffnet werden und sie vor erneuter Einberufung und Verfolgung sicher sind. 

Recht auf politisches Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Kriegsdienstverweigerung und Desertion muss endlich als eigenständiger Grund für politisches Asyl anerkannt werden. Wer glaubwürdig Kriege beenden will, ermöglicht Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Unterstützung und Zuflucht.

Kriegsdienstverweigerung auch hier!

Wir rufen die Soldat*innen der Bundeswehr auf, jetzt den Kriegsdienst zu verweigern. Wenn sie den Befehl für einen Kriegseinsatz in der Ukraine bekämen, müssten sie den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung im Kriegseinsatz stellen, und das ist dann nicht so einfach.

Siglinde Cüppers ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Flensburg.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Ebco-Erklärung zum Ukraine-Krieg

Titel

Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern, Anti-Kriegs-Aktivisten und Zivilisten auf allen Seiten des Krieges

Erklärung des Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung/European Bureau for Conscientious Objection (Ebco)

Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (Ebco) drückt seinen Respekt und seine Solidarität mit allen mutigen Kriegsdienstverweigerern, Kriegsgegnern und Zivilisten aller Kriegsparteien aus und fordert Europa auf, ihnen konkrete Unterstützung zukommen zu lassen:

• Europa sollte aufhören, den Krieg direkt oder indirekt anzuheizen, und sich auf Diplomatie, Konfliktprävention und gewaltfreie Konfliktlösung konzentrieren. Als Bewegung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen beklagen wir die vorbereitenden Handlungen in Friedenszeiten, die den Krieg ermöglichen: die Entwicklung, die Produktion und den Handel mit Waffen – einschließlich Atomwaffen – und die Ausbildung von Soldaten. In dieser Zeit sollten alle europäischen Länder ihre Grenzen öffnen und allen ukrainischen, russischen, weißrussischen und anderen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus gewähren, einschließlich, aber nicht nur, der Kriegsgegner und Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, sowohl Zivilisten als auch Soldaten, die den Dienst in den Streitkräften verweigern oder desertieren. Alle Flüchtlinge sollten uneingeschränkten Zugang zu Gesundheit, Wohnraum, Bildung und Beschäftigung erhalten. Die europäischen Universitäten sollten beispielsweise russische und ukrainische Studenten aufnehmen, die vor dem Krieg fliehen wollen, damit sie ihr Studium in Europa fortsetzen können.

• Russland und die Ukraine sollten allen Zivilisten, die aus den Konfliktgebieten fliehen, Zugang zu sicheren humanitären Korridoren gewähren und sich strikt an das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsbestimmungen halten, einschließlich des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung.

• Russland sollte alle militärischen Operationen einstellen und alle russischen Truppen aus der Ukraine abziehen. Die Zivilbevölkerung stirbt, und die russischen Truppen begehen Kriegsverbrechen. Russland sollte auch das harte Durchgreifen gegen unabhängigen Journalismus, Antikriegsproteste und Andersdenkende in Russland beenden.

• Die Ukraine sollte die Ausreisebeschränkung für alle männlichen Bürger zwischen 18 und 60 Jahren aufheben, die für die Zeit des Kriegsrechts verhängt wurde. Diese diskriminierende und rechtswidrige Beschränkung ist ein eklatanter Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit.

„Ebco verurteilt die russische Invasion in der Ukraine sowie die Nato-Osterweiterung aufs Schärfste. Ebco fordert die Soldaten auf, sich nicht an den Feindseligkeiten zu beteiligen und ruft alle Rekruten auf, den Militärdienst zu verweigern“, erklärte Alexia Tsouni, die Präsidentin des European Bureau for Conscientious Objection, am 15. März.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Global betrachtet

Titel

Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in kriegerischen Zeiten

Von David Scheuing

Es ist geschehen, was viele Pazifist*innen zu verhindern suchten: Erneut herrscht Krieg in der Ukraine, erneut ein Krieg in Europa. Der Wille zur Erklärung, zur Ursachensuche, auch zur Selbstreflexion ist allerseits groß, trotz all des Kriegsgetöses, der dramatisch vertieften Militarisierung der Öffentlichkeit, der Außenpolitik, der „Friedens“politik. 

Auch international beschäftigt der Angriffskrieg auf die Ukraine viele Aktivist*innen – von Einschätzungen des lateinamerikanischen Netzwerk Red Antimilitarista de América Latina y el Caribe (Ramalc) über Solidarität aus den USA bis hin zu ukrainischen Aktivist*innen selbst. 

Ich versuche mich an einer kleinen Darstellung der diversen Stellungnahmen, Positionen und Einschätzungen weltweit.

Vorahnungen, Kriegsgetrommel, Warnungen

In den Tagen vor Beginn der russischen Offensive hatte die Ukrainische Pazifistische Bewegung (UPM) noch dazu aufgerufen, dass beide Seiten sich dringend um die Beilegung der Spannungen bemühen sollten (19. Februar; https://bit.ly/3JXI2Jh).

Die Analysen weiter Teile der europäischen und internationalen Pazifist*innen sahen die gegenseitige Eskalationsdynamik und die drohende Gefahr eines nuklearen Krieges deutlich – seit Jahresbeginn wuchs von Woche zu Woche die Anzahl der Statements, Forderungen und Positionspapiere, das Blätterrauschen war gewaltig. Stellvertretend dafür nur die gemeinsame Stellungnahme der War
Resisters´ International (WRI)
 vom 10. Februar: https://bit.ly/3LhWJHs. In ihr drückt dieses größte Netzwerk der Pazifist*innen seine Verurteilung der Kriegsvorbereitungen der Nato und Russlands aus, „die derzeit militärische Reaktionen auf die aktuelle politische Krise in der Ukraine erwägen. Wenn ein Krieg ausbricht, wird er Tod, Zerstörung, Leid, Massenflucht, eine Wirtschaftskrise und viele andere Folgen mit sich bringen.“ 

Die praktischen Konsequenzen dieser Vorahnungen lassen sich nun betrachten.

Prompte Reaktionen

In den frühen Morgenstunden des 24. Februar begann mein Mobiltelefon zu vibrieren – eine E-Mail folgte der nächsten. 

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hatte ein erstes vorläufiges Statement verfasst, der erste dringende Appell der UPM wurde in viele weitere Sprachen übersetzt (auf Deutsch bei der DFG-VK Hessen: https://bit.ly/3tQ5H8T), ein erstes Statement der WRI erschien (https://bit.ly/3uxySfW). Viele weitere Statements sollten diesen ersten Reaktionen bis in die Abendstunden des ersten Tages folgen; diese sind auch über die Homepage der WRI zu finden. 

Hier stellvertretend ein Auszug aus dem Statement des lateinamerikanisch-karibischen Netzwerks Ramalc: „Wir lehnen die zwischenimperialistischen Bestrebungen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) und der Nato ab, das ukrainische Territorium in ein Laboratorium für Zerstörung und Krieg zu verwandeln, und wehren uns dagegen. Wir lehnen die Massenrekrutierung junger Menschen ab, die gegen ihren Willen zur Teilnahme am Krieg gezwungen werden.“ (https://bit.ly/3IPHG6g), auch aus der russischen Zivilgesellschaft. 

Aktivist*innen haben eine beeindruckende Liste der unterschiedlichen Stellungnahmen veröffentlicht, die wirklich zur Lektüre zu empfehlen sind – leider über ein Google-Doc: https://bit.ly/3tSnnk4

Mittlerweile existieren eine ganze Reihe an Sammlungen diverser Stellungnahmen, hier sei auf die Liste des BSV verwiesen: https://bit.ly/3JUOC35

Ziviler Ungehorsam, Soziale Verteidigung und Kriegsdienstverweigerung

Herausgefordert von der Realität eines konkreten Krieges stellte die erschrockene Öffentlichkeit in den kommenden Tagen und Wochen an viele Pazifist*innen die immer wieder gleichen Fragen: Wie könnt ihr Pazifist*innen sein angesichts des Schreckens und der Gewalt? Wie würdet ihr denn den Krieg beenden? 

Sicherlich haben viele irgendwo zwischen introspektiver Reflexion und aufrechter Haltung die Mittel, Wege und Ziele der Sozialen Verteidigung ins Spiel gebracht (viele gelebte Beispiele davon auf den Seiten des BSV: https://bit.ly/3LrODfg) und sich mit denen solidarisch erklärt, die dem Kriege gewaltfrei widerstehen. 

Ganz in diesem Sinne die jüngste Erklärung der WRI „in Solidarität mit all denen, die dem Krieg gewaltfrei widerstehen“ (https://bit.ly/3NAA8Yo; auf Deutsch bei Connection e.V.: htps://bit.ly/3JSENmt). 

Berichte über erste „polizeiliche“ Gängelungen, Festsetzungen u.a. von Aktivist*innen in den besetzten Teilen der Ukraine, auf die ebenso schnell wieder die Freilassungen erfolgten, lassen hoffen, dass dies auch als Stärke der internationalen Vernetzung und dringlicher Alarmaktionen gesehen werden kann, müssen aber vor allem kritisch beobachtet und begleitet werden. Die Beschneidung der Rechte der Zivilgesellschaft durch die Handlungsuntersagung von bestimmten Parteien und die totale Mobilmachung bei gleichzeitig nicht nutzbaren Rechten auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine müssen ebenso unsere Kritik finden. 

Zudem sind die Aufrufe zur Desertion an alle beteiligten Soldat*innen unumgänglich – alles Kernaufgaben und Kernforderungen der DFG-VK. Connection e.V. ruft im Bündnis mit Pro Asyl nun die Bundesregierung auf, hier endlich klare Asylschutzgründe zu etablieren und Asyl zu gewähren (siehe: https://bit.ly/3JSncLv). 

Einen knappen Überblick über die derzeit geltende rechtliche Lage bietet Pro Asyl: https://bit.ly/3LIvRAL

Jenseits des direkten Krieges. 

Die Auswirkungen des Sanktionsregimes (bzw. der unterschiedlichen Regime) sind deutlich zu spüren, und die panischen Diversifizierungsversuche der verschiedenen europäischen Regierungen deuten schon auf die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und diplomatischen Folgen hin, die mit ihnen einhergehen werden. 

Beim Internationalen Friedensbüro (IPB) begann vor Kurzem eine Veranstaltungsreihe der Arbeitsgruppe zu Afrika, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auf den afrikanischen Kontinent beschäftigt. Beim ersten Webinar am 14. März sprachen die Teilnehmenden über die zu erwartenden Auswirkungen im laufenden Jahr und die daraus erwachsenden Instabilitäten, wie beispielsweise den Auswirkungen auf die Agrarmärkte: „Zweifellos rückt diese Situation die Sorge um die Ernährungssicherheit in Afrika in den Vordergrund, das in der Vergangenheit viele Ernährungskrisen erlebt hat“. 

Doch der Krieg betrifft viele weitere Dimensionen des Alltags, daher ist der Bericht sehr lesenswert: https://bit.ly/3tP5RgB

Kurz notiert:

Europa: Enaat, das europäische Netzwerk gegen Waffenhandel, hat Mitte März in Kooperation mit dem Transnational Institute TNIeine größere Studie zum „Neuen Wettrüsten“ der EU veröffentlicht. Der Bericht fasst die größeren Entwicklungen der Militarisierungsbemühungen der EU zusammen und expliziert die Folgen an drei konkreten Fallbeispielen (Irland, Frankreich, Niederlande). 

Gerade diese drei, für deutschsprachige Leser*innen eher ungewohnten Beispiele eignen sich sehr gut für ein besseres Verständnis der immer weiter ausgreifenden Militarisierungstendenzen der EU. (enaat.org)

Global: Unter den Schatten des Krieges sollte nicht vergessen werden, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch an vielen anderen Orten dieser Erde dramatisch eingeschränkt ist. 

Alljährlich erinnert die WRI mit einer Liste aller ihr bekannten verknasteten KDVler*innen an dieses Unrecht. Die Liste ist einsehbar und soll dazu animieren, sich für diese Menschen einzusetzen – in Wort (durch Briefeschreiben, Appelle unterzeichnen u.a.) und Tat (durch aktive Arbeit für die Rechte der KDVler*innen). Die aktuelle Liste findet sich hier: https://bit.ly/3r9gV6T

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

25. März 2021

KDV bleibt wichtig!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 1/2021

Kriegsdienstverweigerung

Ein Brief an Hannah Brinkmann, die Autorin des Buches „Gegen mein Gewissen“

Von Werner Glenewinkel

Liebe Frau Brinkmann!
Ihr Buch „Gegen mein Gewissen“ – vorgestellt in dem Interview mit Ihnen in der ZivilCourage 5/2020 und in der Connection-Zeitschrift „KDV im Krieg“ 5/2020 – beginnt 1956 mit der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht und endet 2015 mit Ihrer Entscheidung, die Geschichte Ihres Onkels Hermann aufzuarbeiten. Zunächst gegen den Widerstand der Familie, insbesondere Ihres Vaters, Hermanns Bruder Hans. Sein „Was gibt es da noch zu erzählen?“ wandelt sich im Verlauf Ihrer Recherche-Arbeit zu „Toll, dass du Hermanns Geschichte erzählst!“ und endet damit, dass Hermanns Geschichte für alle einen „Sinn“ bekommen hat. 

Damit umspannt Ihr Buch fünf Jahrzehnte politischer Auseinandersetzung – von der Einführung der Wehrpflicht 1956 bis zu Ihrer Aussetzung 2011. Das Besondere an Ihrem Buch ist für mich, dass es Ihnen gelingt, das Individuelle mit dem Gesellschaftlichen zu verknüpfen. Also das traurige Schicksal eines Kriegsdienstverweigerers, Ihres Onkels Hermann, mit der „konservativen Nachkriegspolitik“, d.h. dem ständigen Versuch, Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz auf ein Ausnahmerecht zu reduzieren. Das machen Sie in der Form einer Graphic-Novel-Geschichte mit 230 Seiten und – geschätzt – mehr als tausend Illustrationen. Kein Wunder, dass diese Arbeit Sie über vier Jahre beschäftigt hat. Mit der Art Ihrer Illustrationen – Form und Farbe, Dokumente und Phantasie – gelingt Ihnen auch eine eindringliche Verknüpfung von innen und außen, also von Hermanns realen KDV-Erfahrungen mit seinen Gedanken und Ängsten und Träumen. 

Der Ablehnungsbescheid des Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg, den Hermann 1973 erhielt, versetzt mich – fast automatisch – in meine eigene Geschichte: „Es ist dem Widerspruchsführer nicht gelungen, die Ernsthaftigkeit seiner Gewissenbedenken zu belegen.“ Den Satz kenne ich. Hermann ist an diesem nicht Ernstgenommen-Werden verzweifelt und sah letztlich keinen anderen Ausweg aus seiner Gewissensnot als den Tod. Ich bin neun Jahre älter als Hermann und nach dem Abitur naiv-arglos zwei Jahre zur Bundeswehr gegangen. Danach – im selben Jahr, in dem auch Herman seinen Antrag gestellt hat – habe ich den Kriegsdienst nachträglich verweigert. „Alles, was ich tue, ist abhängig von Menschen; nicht nur von den Personen, mit denen ich lebe und die ich liebe, sondern von allen Menschen und unserer gemeinsamen Geschichte.“ Diesen zutiefst humanistischen Satz aus Hermanns Antrag hätte ich auch schreiben können. 

Vermutlich hat meine nachträgliche Entwicklung zum Kriegsdienstverweigerer mich vor den Nöten bewahrt, die Hermanns Weg bestimmt haben. In der Todesanzeige der Familie vom Januar 1974 heißt es dann am Ende: „Wir fragen uns, warum Hermann diesen Weg gehen musste.“

Mit dieser Todesanzeige in der FAZ wurde aus Hermanns individuellem Schicksal eine Diskussion über das KDV-Grundrecht. Der „Stern“ überschreibt seine kritische Reportage mit „Das Gewehr und das Gewissen“. 

1957 beriefen sich 262 Wehrpflichtigen auf Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz, 1972 gab es über 28 000 Verfahren vor den Prüfungsausschüssen. Im Jahr 1982 gab es fast 60 000 KDV-Anträge von jungen Männern, die dann ihr Gewissen prüfen lassen mussten. 

Als gemeinsame Einrichtung von ca. 30 Organisationen, darunter von Anfang an die DFG-VK bzw. ihre Vorläufer, hatte sich die „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ (www.zentralstelle-KDV.de) immer gegen diese Gewissensprüfungen eingesetzt. Der langjährige Vorsitzende der Zentralstelle KDV, der 2019 verstorbene Ulrich Finckh, hatte diese Prüfungsverhandlungen als Inquisition bezeichnet. Als solche wurde sie zunehmend auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisiert. 

Als kleinen, wenn auch wichtigen Fortschritt brachte der Regierungswechsel 1982/83 zur Kohl-Regierung eine Reform des KDV-Anerkennungsverfahren; die mündlichen Prüfungsverhandlungen fielen für die meisten Kriegsdienstverweigerer weg und wurden durch ein schriftliches Verfahren ersetzt. Bis dahin aber galten aber für alle die mündlichen Gewissensprüfungen

Von Ihnen wunderbar illustriert: Herman fühlt sich während der Befragung vor dem Prüfungsausschuss wie in einem Höllenfeuer: „Das ist ein Inquisitionsverfahren.“

Sie zeigen anschaulich, wie Ihr Onkel sich mit Freunden berät und wohl nicht glauben kann, dass man sich auf diese Verfahren vorbereiten muss, um eine Chance zum „Durchkommen“ zu haben. Der Beratungsbedarf war groß und wurde auf vielfältige Weise befriedigt. 

1980 schrieb Hansjörg Martin das Jugendbuch: „Der Verweigerer“, in dem er die Geschichte von Wolfgang Bieber erzählte, der vor dem Prüfungsausschuss ganz ähnliche Erfahrungen macht wie Hermann einige Jahre vor ihm. Ihm wird bescheinigt, dass er nicht darlegen konnte, eine „gewissensgebundene Entscheidung“ getroffen zu haben. Ein Widerspruch bei der Prüfungskammer sei zulässig. Die Geschichte endet damit, dass Wolfgang empfohlen wird, Widerspruch einzulegen. „Das ist eine gute Übung in Demokratie! Außerdem bin ich fest überzeugt, dass Wolfgang es beim nächstenmal schafft!“ Hermann hat es, wie ich auch, nicht geschafft. Hermanns Klage vor dem Verwaltungsgericht war bereits terminiert. Er hat die Entscheidung nicht abwarten wollen. 

Ich bin durch eine negative Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem nicht staatlich anerkannten KDVer geworden. Wahrscheinlich war das der Grund, Herrn Martin zu schreiben, dass dieses Ende seiner Geschichte zu optimistisch sei. Meine eigenen Erfahrungen später als Beisitzer in einer Prüfungskammer hatten mir gezeigt, dass die Ablehnung mehr Regel als Ausnahme war. 

Am Ende gab es eine Fortsetzung der Geschichte von Wolfgang Bieber: „Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf“. Am Ende dieser Geschichte ist nicht alles gut, aber Wolfgang hat sich von dem Gefühl, versagt zu haben und durchgefallen zu sein, befreit. Er ist sogar ein wenig stolz, dass er sich als KDVer positioniert hat. (Hinweis der Redaktion auf das Buch: Werner Glenewinkel: Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf. Mit einem Nachwort von Hansjörg Martin. Reinbek bei Hamburg 1985)

Sie haben Hermanns Geschichte wieder ans Licht geholt. In dem ZivilCourage-Interview haben Sie darauf hingewiesen, dass Ihre Generation nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist; dennoch möchten Sie, dass ein Bewusstsein darüber entsteht, dass bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren „Opfer gebracht wurden“ und dass die fehlende Anerkennung der KDV immer noch ein Problem sei, unter dem viele junge Männer und auch Frauen in anderen Ländern leiden. 

In Ihrem Buch gibt es das Bild von einer Mauer, auf das Hermann und sein Freund mit roter Farbe geschrieben haben: Frieden schaffen ohne Waffen

Das könnte nicht nur als Vermächtnis von Hermann gelesen werden, sondern auch als Auftrag für die Zukunft, den Sie mit Ihrem Buch in die heutige (noch) wehrpflichtfreie Gegenwart transportiert haben. Für mich bedeutet das konkret dreierlei: 

Kriegsdienstverweigerung muss zum allgemeinen Menschenrecht werden. Das ist ein langer Weg, der bei Connection e.V. in guten Händen ist, aber viel mehr zivilgesellschaftliche Unterstützung braucht. 

Militärlogik muss durch eine Friedenslogik ersetzt werden, denn: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“ Die Grundsatzerklärung der DFG-VK braucht Vervielfältigung.

Wenn unsere Welt für Ihre Generation und meine Enkelkinder erhalten bleiben soll, dann müssen wir uns von einer militärischen Sicherheitspolitik verabschieden und Sicherheit neue denken. Dazu gibt es ein Szenario bis zum Jahr 2040, das viele Chancen und Möglichkeiten enthält, sich mit dem eigenen zivilgesellschaftlichen Engagement einzubringen (www.sicherheitneudenken.de).

Ihr Buch war für mich eine Einladung zu einem anregenden und berührenden Rückblick auf fünf Jahrzehnte KDV-Geschichte. Vielen Dank und herzliche Grüße von Werner Glenewinkel

Dr. Werner Glenewinkel ist Jurist und langjähriges Mitglied der DFG-VK. Von 2007 bis zu ihrer Auflösung nach Aussetzung der Wehrpflicht war er Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Kontakt: werner.glenewinkel@t-online.de

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202101, Brinkmann, Glenewinkel, Inquisition, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Prüfungsausschuss, Wehrpflicht

20. Dezember 2020

„Es  ist  ein  Skandal  der  Nachkriegsgeschichte“

Interview mit Hannah Brinkmann, die ein grafisches Erzählungsbuch über ihren
Onkel gemacht hat. Er hatte sich 1974 als abgelehnter KDVer das Leben genommen.

Ausgabe 5/2020

Du erzählst in Deinem Buch die Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers, der nach vergeblichen Versuchen, anerkannt zu werden, Suizid begangen hat. Warum hast Du das Thema aufgegriffen?

Hermann Brinkmann war mein Onkel. Ich bin 1990 geboren und habe ihn nicht kennengelernt. Erst als meine Großmutter starb und ich in ihrem Nachlass eine Todesanzeige von ihm fand, bin ich darauf gestoßen. In der Todesanzeige hat die Familie damals den Fall öffentlich gemacht und die einzelnen Daten sehr genau aufgelistet. Als ich das sah, habe ich mich das erste Mal gefragt, was das überhaupt bedeutet. Ich hatte vorher noch nie von Kriegsdienstverweigerung gehört, wusste nichts von der Problematik.

Wie hat Deine Familie reagiert, als Du ihr von Deinem Projekt erzählt hast?

Hermanns Geschichte ist sehr politisch. Aber für die Teile meiner Familie, die damals dabei waren, ist es auch eine sehr private. Sie hatten sich damals entschieden, mit der Todesanzeige an die Öffentlichkeit zu gehen und diese Anzeige in der FAZ zu veröffentlichen.

Und doch: Nach so langer Zeit sich wieder damit auseinanderzusetzen, das war für einige schwierig. Andere waren sehr offen und bereit, darüber zu sprechen und mir viel zu erzählen. Insgesamt habe ich viel Unterstützung aus meiner Familie erhalten. Dafür bin ich sehr dankbar.

Überraschend zu hören, dass die Familie damals an die Öffentlichkeit ging, Du aber so wenig darüber gehört hattest.

Zum einen, denke ich, ist viel Zeit vergangen. Zum anderen waren die Folgen der Veröffentlichung auch relativ traumatisch. Da standen dann Journalisten der Bild-Zeitung kurz nach der Beerdigung im Garten. Der Fall hat viel Aufsehen erregt.

Aber auch der Umgang damit war sehr unterschiedlich. Von einem Onkel weiß ich, dass er viel mit seinen Töchtern darüber gesprochen hat. Mein Vater hingegen hat eher wenig darüber geredet. Er hat es wohl anders verarbeitet.

Warum war es Dir so wichtig, das Thema aufzugreifen und ein Buch daraus zu machen?

Irgendwie war mein Onkel in der Familie immer präsent. Ich wusste, dass er Suizid begangen hatte. Aber die Entscheidung, ein Buch zu machen, entstand erst, als ich mich mit den politischen Dimensionen auseinandersetzte, erfahren habe, was KDVern in Deutschland in dieser Zeit passiert ist. Es war Unrecht. Und umso mehr ich herausgefunden habe, desto sicherer war ich mir, dass das nicht nur eine persönliche Geschichte ist, die unsere Familie betrifft. Mein Onkel Hermann steht als ein Beispiel dafür, was meines Erachtens ein Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Das muss erzählt werden.

Du schilderst in Deinem Buch sehr eindrücklich das Prüfungsverfahren.

Es war für mich eines der wichtigsten Punkte darzustellen, was da passiert ist. Vorsitzende der Prüfungsausschüsse waren Juristen aus der Bundeswehrverwaltung. Und auch viele Beisitzer waren total voreingenommen. Ich wollte die Verhandlung im Buch so darstellen, dass sie auch den Stress und die Demütigung zeigt, denen der Verweigerer in diesem Moment ausgesetzt war. Gerade wenn der Verweigerer dann noch jemanden vor sich hat, der unberechtigte Konfliktfragen stellt, sein Amt missbraucht, war er diesem hilflos ausgeliefert.

Hattest Du die Chance, die Akten des Verfahrens einzusehen?

Die Akten der Verhandlungsprotokolle aus den 70er Jahren wurden 2004 vernichtet – unter ihnen war vermutlich auch Hermanns Akte.

Wie lange arbeitest Du an so einem Buch?

An diesem Buch habe ich seit Anfang 2016 gearbeitet, immer mal mit kleinen Unterbrechungen. Seit Ende 2018 habe ich mich dann ausschließlich damit beschäftigt.

Das ist eine lange Zeit. Warum hat es so lange gedauert?

Ich bin keine Historikerin, und der Stoff spielt 1973 und 1974. Ich bin Comic-Zeichnerin und Autorin. So musste ich erst einmal recherchieren, mich in das Thema einarbeiten. Ich musste herausfinden, was wichtig ist und was nicht.

Hast Du jedes Bild gezeichnet, oder konntest Du Vorlagen für andere Teile wiederverwenden?

In jedem Bild ist die Gestaltung eine andere, die Gesichtsausdrücke sind anders. Nur Grundstrukturen z.B. von Gesichtern konnte ich wiederverwenden. Das heißt, dass ich tatsächlich jedes Bild in dem Buch gezeichnet habe.

In Deutschland tun wir uns ja schwer, einen eingängigen Begriff zu finden, um das zu beschreiben, was Du gemacht hast. Du nennst es grafische Erzählung, der Verlag Graphic Novel. Warum hast Du diese Form gewählt?

Ich komme eigentlich aus der Malerei. Während meines Studiums bin ich in die Illustration gegangen. Aber als Kind und als Teenager habe ich schon viel geschrieben. Das Schreiben, das Erzählen von Geschichten war immer Teil meiner Identität. Im Studium hatte ich dann Gelegenheit, bei Anke Feuchtenberger grafische Erzählung zu studieren. Das hat für mich sehr viel Sinn gemacht, weil hier beides zusammenkam. Ich konnte zeichnen und zugleich erzählen. Da wurden mir ganz neue Welten eröffnet.

Zum Beispiel in diesem Buch. Das Haus, in dem Hermann lebt, ist das Haus meiner Großmutter gewesen. Das gibt es noch heute. Als Kind verbrachte ich viel Zeit dort. Und in der grafischen Erzählung habe ich die Möglichkeit, das Haus so darzustellen, dass andere wirklich wissen, wie und wo das alles stattfindet. Es eröffnet eine neue Erzählebene.

Was ich auch so gerne mag: Wer das Buch liest, kann in einem Raum, auf einer Seite verweilen, solange er oder sie das will. Das geht beim Film nicht. Eine grafische Erzählung ist eine ruhige Art, eine Geschichte darzustellen, die Raum lässt. Aber sie ist auch sehr eindrücklich. Das gefällt mir daran so sehr.

Welche Hoffnung verbindest Du mit der Veröffentlichung des Buches?

Ich wünsche mir gerade für meine Generation, die nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist, dass ein Bewusstsein zu diesem Thema entsteht. Die Wehrpflicht wurde nicht einfach abgeschafft und weg ist sie. Vielmehr ist es etwas, was wir uns, was die Generationen vor uns, erkämpft haben. Es wurden auch Opfer gebracht, dass wir jetzt keine Wehrpflicht mehr haben.

Wichtig ist dieses Thema aber auch im Hinblick darauf, dass einige Politiker*innen wieder eine Wehrpflicht einführen wollen.

Und auch das: Die fehlende Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung ist ein Problem, unter dem viele junge Männer – und auch Frauen – in anderen Ländern leiden. Sie werden dort dazu gezwungen, einen Dienst an der Waffe abzuleisten, den sie nicht wollen. Sie werden dort politisch und strafrechtlich verfolgt. Mir ist wichtig, dass an dieser Stelle Bewusstsein geschaffen wird für ein Grundrecht, das im Falle meines Onkels mit Füßen getreten wurde, das auch noch heute allzu oft nicht gewährt wird.

Hannah Brinkmann arbeitet in ihrem für den Leibinger-Preis nominierten Debüt „Gegen mein Gewissen“ das Schicksal ihres Onkels Hermann Brinkmann auf, das in den 1970er Jahren bundesweit Schlagzeilen machte und eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Gewissensprüfungen für Kriegsdienstverweigerer auslöste. Sie wählte dafür die Form einer grafischen Erzählung, eine bebilderte Geschichte.

Für die ZivilCourage sprach Rudi Friedrich, DFG-VK-Mitglied und seit Jahrzehnten bei Connection e.V. aktiv in der Unterstützungsarbeit für KDVer und Deserteure, mit Hannah Brinkmann (de.connection-ev.org).

Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen. Avant-Verlag GmbH, Berlin 2020, 232 Seiten, 30,00 Euro; ISBN 978-3-96445-040-1

Kategorie: Pazifismus, Wehrpflicht Stichworte: 202005, Kriegsdienstverweigerung

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
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16. Januar 2023

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Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

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Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

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„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
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… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

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… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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