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Wehrpflicht

1. September 2021

„Sich am Unrecht nicht beteiligen“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Kriegsdienstverweigerung

Die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung im eigenen Leben

Von Stefan Philipp

Hermann Brinkmann war Kriegsdienstverweigerer. Und Soldat. 1973 war er im Rahmen der Wehrpflicht zur Bundeswehr eingezogen worden. Sein Antrag auf KDV war abgelehnt worden, und er wurde zum Militärdienst gezwungen. Das konnte der Pazifist nicht lange ertragen und nahm sich am 20. Januar 1974 das Leben, was damals bundesweit durch eine Todesanzeige der Familie in der FAZ Aufmerksamkeit fand und Betroffenheit erzeugte.

Seine 1990 geborene Nichte Hannah Brinkmann hat diese tragische Auseinandersetzung ihres Onkels mit Kriegsdienstzwang und Militär in einer Graphic Novel verarbeitet (Gegen mein Gewissen. Berlin 2020; siehe auch das Interview mit Hannah Brinkmann in ZivilCourage 5/2020, S. 14 f.). Dieses Buch führte auch bei einigen DFG-VK-Mitgliedern zum Nachdenken darüber, welche Bedeutung die eigene Kriegsdienstverweigerung hatte und auch heute noch hat. So hat beispielsweise Robert Hülsbusch diese Erfahrung reflektiert und in der letzten ZivilCourage geschildert, wie Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerung sein Leben „reich“ gemacht hätten (https://bit.ly/3mAHvE6).

Da bis Anfang der 1980er Jahre ausnahmslos alle KDVer das zurecht als Inquisition gebrandmarkte KDV-Anerkennungsverfahren durchlaufen mussten, veranstalteten die DFG-VK, Connection e.V. und die Evang. Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK) Mitte Mai eine offene digitale Gesprächsrunde zum Thema „Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis“. 

Moderiert von Ute Finckh-Krämer, frühere Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und SPD-Bundestagsabgeordnete, berichteten und diskutierten neben Hannah Brinkmann ZeitzeugInnen mit unterschiedlichsten Hintergründen über ihre Entscheidung und ihre Erfahrungen zur KDV vor 50 Jahren. Die Aufzeichnung ist nun im Internet abrufbar unter https://youtu.be/HLX5f5z9J4c

Mehrere Dutzend Interessierte hörten und sahen sich per Zoom die Statements der ReferentInnen an: Hannah Brinkmann, Werner Glenewinkel (früherer Vorsitzender der Zentralstelle KDV), Rudi Friedrich (Mitbegründer und Geschäftsführer von Connection e.V.), Gaby Weiland (langjährige KDV-Beraterin), Michael Zimmermann (KDVer in der DDR), Gernot Lennert (Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Hessen) und Markus Stettner-Ruff (in den 1980er Jahren als Totaler KDVer vor Gericht).

Die Beteiligung am KDV-Verfahren legitimierte die Inquisition

Aus einigen Beiträgen entwickelten sich Diskussionen, auch über die Veranstaltung hinaus. Markus Stettner-Ruff hatte als sich aus der KDV-Entscheidung ergebende Handlungsforderung formuliert: sich nicht an Unrecht beteiligen. Ich griff das auf und konkretisierte dies rückblickend für das KDV-Anerkennungsverfahren.

In den mündlichen Gewissensprüfungen saßen die KDV einem Vorsitzenden gegenüber, der von der Wehrverwaltung kam, sowie von den Landkreisen entsandten BeisitzerInnen, in der Regel also Menschen aus den politischen Parteien. In den Prüfungsausschüssen und -kammern waren damit fast immer auch SozialdemokratInnen vertreten und damit den KDVern tendenziell positiv Gegenüberstehende.

Die Beteiligung an diesen Gremien gab dem Verfahren, das von der DFG-VK und anderen zurecht als Inquisition bezeichnet wurde, einen korrekten und „sauberen“ Anstrich. 

Sonnhild Thiel, langjährige Aktivistin, DFG-VK-Ehrenmitglied und damals SPD-Mitglied, schrieb mir danach: „Ich war einige Jahre im Prüfungsausschuss. … Sehe das nicht als Beteiligung am Unrecht.“

Ja, subjektiv war das sicher so, im Gegenteil wollten manche BeisitzerInnen den KDVern helfen und lehnten das Verfahren eigentlich ab. Gleichzeitig wurden sie aber Teil der Gewissensprüfung und legitimierten sie.

Strategisch wäre es auch damals für (linke) SozialdemokratInnen denkbar gewesen, das Verfahren zu brandmarken und eine Beteiligung abzulehnen. Vielleicht wäre diese Form der Gewissensprüfung früher vorbei gewesen und nicht schließlich erst von einer CDU/CSU geführten Regierung abgeschafft worden. Eine Diskussion darüber gab es damals aber nicht. 

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage und hat als Totaler Kriegsdienstverweigerer in den 1980er Jahren alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Auflagen, also Militär- oder Zivildienst verweigert.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202103, KDV, Wehrpflicht

13. April 2021

„… lasst uns drüber reden“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Kriegsdienstverweigerung

Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis

Eine (digitale) Gesprächsrunde zum Internationalen KDV-Tag am Sonntag, 16. Mai, um 17 Uhr

Die sog. Wehrpflicht ist ausgesetzt, die KDV-Entscheidung bleibt – Einladung zu einer Gesprächsrunde mit

  • Hannah Brinkmann, Autorin und Gestalterin der graphischen Erzählungsbuches „Gegen mein Gewissen“ (Berlin 2020) über ihren Onkel, der sich 1974 als zwangsverpflichteter Soldat und staatlich nicht anerkannter Kriegsdienstverweigerer aus Verzweiflung das Leben genommen hatte;
  • Dr. Werner Glenewinkel, letzter Vorsitzender der Zentralstelle KDV, die sich als gemeinsame Einrichtung von über 25 Organisationen von 1957 bis 2011 um das Recht und den Schutz von KDVern kümmerte und sich nach Aussetzung der Wehrpflicht 2011 aufgelöst hat, und als nach der Bundeswehrzeit Verweigernder nicht staatlich anerkannter KDVer;
  • Gaby Weiland, langjährige Aktivistin in der DFG-VK und engagiert in der KDV-Beratung; 
  • Dr. Gernot Lennert, Historiker und Politologe, tätig als Geschäftsführer der DFG-VK für Hessen und Rheinland-Pfalz, dessen KDV-Antrag mehrmals abgewiesen wurde;
  • Rudi Friedrich, Mitbegründer und Geschäftsführer von Connection e.V., einem international zur Kriegsdienstverweigerung arbeitenden Verein mit Sitz in Offenbach;
  • Michael Zimmermann, Kriegsdienstverweigerer in der DDR, Beauftragter für Friedens- und Versöhnungsarbeit der Evang.-Lutherischen Landeskirche Sachsens;
  • Markus Stettner-Ruff, der Anfang der 1980er Jahre den Zivildienst verweigerte und deshalb als Totaler KDVer vor Gericht stand;
  • moderiert von Dr. Ute Finckh-Krämer, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, frühere Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und Tochter des 2019 verstorbenen früheren jahrzehntelangen Vorsitzenden der Zentralstelle KDV Ulrich Finckh.

In der BRD sahen sich bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren Kriegsdienstverweigerer mit einem Prüfungsverfahren konfrontiert, das dazu diente, das im Grundgesetz verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung auszuhebeln. Bis 1983 mussten alle Kriegsdienstverweigerer ihre Gewissensgründe in einem mündlichen Verfahren ausbreiten, das zu Recht als staatliche Inquisition bezeichnet wurde – viele scheiterten in erster, zweiter und manche sogar in der dritten Instanz und wurden daraufhin zur Bundeswehr einberufen oder nicht entlassen, wenn sie während der Dienstzeit verweigert hatten.

In der DDR gab es nicht einmal ein rudimentäres KDV-Recht, Kriegsdienstverweigerer mussten uniformierten Bausoldatendienst ableisten und waren für diesen Zeitraum kaserniert. Ihr späterer Lebensweg war durch diese Entscheidung stark eingeschränkt.

Außerdem gab es in beiden deutschen Staaten junge Männer, die die Wehrpflicht als staatlich erzwungenen Militär- und Kriegsdienstzwang grundsätzlich ablehnten und total verweigerten – mit der Folge von Strafverfahren und teilweise Gefängnisstrafen.

Wir wollen der Frage nachgehen: Vor welchem Hintergrund wurde die Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung getroffen? Wie hat sie das eigene Leben bestimmt – damals und heute? 

Nach einer ersten Runde sollen andere TeilnehmerInnen an dem Gespräch beteiligen können.

Die Gesprächsrunde findet digital über Zoom am Sonntag, 16. Mai, von 17 bis 19 Uhr als Video-Konferenz statt. Nach Anmeldung versenden wir gerne die Einwahldaten. 

Wir bitten um vorherige Anmeldung bis zum 14. Mai über www.Connection-eV.org/anmeldung-form

Der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung wurde von der War Resisters´ International (WRI; Internationale der KriegsdienstgegnerInnen) 1985 eingeführt. In jedem Jahr wird an ihm zum 15. Mai auf die Situation von KriegsdienstverweigerInnen weltweit hingewiesen.

Die Gesprächsrunde wird veranstaltet von: Connection e.V., Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Evang. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK)

Die Gesprächsrunde wird aufgezeichnet und kann ab Ende Mai auf den Websites von Connection e.V. und der DFG-VK angesehen werden.

ZC-0221-KDV-Gesprächsrunde-160521-V03Herunterladen

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202102, Brinkmann, Connection e.V., Finckh, Glenewinkel, Lennert, Totalverweigerung, Wehrpflicht, Zentralstelle KDV

25. März 2021

KDV bleibt wichtig!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 1/2021

Kriegsdienstverweigerung

Ein Brief an Hannah Brinkmann, die Autorin des Buches „Gegen mein Gewissen“

Von Werner Glenewinkel

Liebe Frau Brinkmann!
Ihr Buch „Gegen mein Gewissen“ – vorgestellt in dem Interview mit Ihnen in der ZivilCourage 5/2020 und in der Connection-Zeitschrift „KDV im Krieg“ 5/2020 – beginnt 1956 mit der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht und endet 2015 mit Ihrer Entscheidung, die Geschichte Ihres Onkels Hermann aufzuarbeiten. Zunächst gegen den Widerstand der Familie, insbesondere Ihres Vaters, Hermanns Bruder Hans. Sein „Was gibt es da noch zu erzählen?“ wandelt sich im Verlauf Ihrer Recherche-Arbeit zu „Toll, dass du Hermanns Geschichte erzählst!“ und endet damit, dass Hermanns Geschichte für alle einen „Sinn“ bekommen hat. 

Damit umspannt Ihr Buch fünf Jahrzehnte politischer Auseinandersetzung – von der Einführung der Wehrpflicht 1956 bis zu Ihrer Aussetzung 2011. Das Besondere an Ihrem Buch ist für mich, dass es Ihnen gelingt, das Individuelle mit dem Gesellschaftlichen zu verknüpfen. Also das traurige Schicksal eines Kriegsdienstverweigerers, Ihres Onkels Hermann, mit der „konservativen Nachkriegspolitik“, d.h. dem ständigen Versuch, Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz auf ein Ausnahmerecht zu reduzieren. Das machen Sie in der Form einer Graphic-Novel-Geschichte mit 230 Seiten und – geschätzt – mehr als tausend Illustrationen. Kein Wunder, dass diese Arbeit Sie über vier Jahre beschäftigt hat. Mit der Art Ihrer Illustrationen – Form und Farbe, Dokumente und Phantasie – gelingt Ihnen auch eine eindringliche Verknüpfung von innen und außen, also von Hermanns realen KDV-Erfahrungen mit seinen Gedanken und Ängsten und Träumen. 

Der Ablehnungsbescheid des Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg, den Hermann 1973 erhielt, versetzt mich – fast automatisch – in meine eigene Geschichte: „Es ist dem Widerspruchsführer nicht gelungen, die Ernsthaftigkeit seiner Gewissenbedenken zu belegen.“ Den Satz kenne ich. Hermann ist an diesem nicht Ernstgenommen-Werden verzweifelt und sah letztlich keinen anderen Ausweg aus seiner Gewissensnot als den Tod. Ich bin neun Jahre älter als Hermann und nach dem Abitur naiv-arglos zwei Jahre zur Bundeswehr gegangen. Danach – im selben Jahr, in dem auch Herman seinen Antrag gestellt hat – habe ich den Kriegsdienst nachträglich verweigert. „Alles, was ich tue, ist abhängig von Menschen; nicht nur von den Personen, mit denen ich lebe und die ich liebe, sondern von allen Menschen und unserer gemeinsamen Geschichte.“ Diesen zutiefst humanistischen Satz aus Hermanns Antrag hätte ich auch schreiben können. 

Vermutlich hat meine nachträgliche Entwicklung zum Kriegsdienstverweigerer mich vor den Nöten bewahrt, die Hermanns Weg bestimmt haben. In der Todesanzeige der Familie vom Januar 1974 heißt es dann am Ende: „Wir fragen uns, warum Hermann diesen Weg gehen musste.“

Mit dieser Todesanzeige in der FAZ wurde aus Hermanns individuellem Schicksal eine Diskussion über das KDV-Grundrecht. Der „Stern“ überschreibt seine kritische Reportage mit „Das Gewehr und das Gewissen“. 

1957 beriefen sich 262 Wehrpflichtigen auf Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz, 1972 gab es über 28 000 Verfahren vor den Prüfungsausschüssen. Im Jahr 1982 gab es fast 60 000 KDV-Anträge von jungen Männern, die dann ihr Gewissen prüfen lassen mussten. 

Als gemeinsame Einrichtung von ca. 30 Organisationen, darunter von Anfang an die DFG-VK bzw. ihre Vorläufer, hatte sich die „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ (www.zentralstelle-KDV.de) immer gegen diese Gewissensprüfungen eingesetzt. Der langjährige Vorsitzende der Zentralstelle KDV, der 2019 verstorbene Ulrich Finckh, hatte diese Prüfungsverhandlungen als Inquisition bezeichnet. Als solche wurde sie zunehmend auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisiert. 

Als kleinen, wenn auch wichtigen Fortschritt brachte der Regierungswechsel 1982/83 zur Kohl-Regierung eine Reform des KDV-Anerkennungsverfahren; die mündlichen Prüfungsverhandlungen fielen für die meisten Kriegsdienstverweigerer weg und wurden durch ein schriftliches Verfahren ersetzt. Bis dahin aber galten aber für alle die mündlichen Gewissensprüfungen

Von Ihnen wunderbar illustriert: Herman fühlt sich während der Befragung vor dem Prüfungsausschuss wie in einem Höllenfeuer: „Das ist ein Inquisitionsverfahren.“

Sie zeigen anschaulich, wie Ihr Onkel sich mit Freunden berät und wohl nicht glauben kann, dass man sich auf diese Verfahren vorbereiten muss, um eine Chance zum „Durchkommen“ zu haben. Der Beratungsbedarf war groß und wurde auf vielfältige Weise befriedigt. 

1980 schrieb Hansjörg Martin das Jugendbuch: „Der Verweigerer“, in dem er die Geschichte von Wolfgang Bieber erzählte, der vor dem Prüfungsausschuss ganz ähnliche Erfahrungen macht wie Hermann einige Jahre vor ihm. Ihm wird bescheinigt, dass er nicht darlegen konnte, eine „gewissensgebundene Entscheidung“ getroffen zu haben. Ein Widerspruch bei der Prüfungskammer sei zulässig. Die Geschichte endet damit, dass Wolfgang empfohlen wird, Widerspruch einzulegen. „Das ist eine gute Übung in Demokratie! Außerdem bin ich fest überzeugt, dass Wolfgang es beim nächstenmal schafft!“ Hermann hat es, wie ich auch, nicht geschafft. Hermanns Klage vor dem Verwaltungsgericht war bereits terminiert. Er hat die Entscheidung nicht abwarten wollen. 

Ich bin durch eine negative Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem nicht staatlich anerkannten KDVer geworden. Wahrscheinlich war das der Grund, Herrn Martin zu schreiben, dass dieses Ende seiner Geschichte zu optimistisch sei. Meine eigenen Erfahrungen später als Beisitzer in einer Prüfungskammer hatten mir gezeigt, dass die Ablehnung mehr Regel als Ausnahme war. 

Am Ende gab es eine Fortsetzung der Geschichte von Wolfgang Bieber: „Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf“. Am Ende dieser Geschichte ist nicht alles gut, aber Wolfgang hat sich von dem Gefühl, versagt zu haben und durchgefallen zu sein, befreit. Er ist sogar ein wenig stolz, dass er sich als KDVer positioniert hat. (Hinweis der Redaktion auf das Buch: Werner Glenewinkel: Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf. Mit einem Nachwort von Hansjörg Martin. Reinbek bei Hamburg 1985)

Sie haben Hermanns Geschichte wieder ans Licht geholt. In dem ZivilCourage-Interview haben Sie darauf hingewiesen, dass Ihre Generation nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist; dennoch möchten Sie, dass ein Bewusstsein darüber entsteht, dass bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren „Opfer gebracht wurden“ und dass die fehlende Anerkennung der KDV immer noch ein Problem sei, unter dem viele junge Männer und auch Frauen in anderen Ländern leiden. 

In Ihrem Buch gibt es das Bild von einer Mauer, auf das Hermann und sein Freund mit roter Farbe geschrieben haben: Frieden schaffen ohne Waffen

Das könnte nicht nur als Vermächtnis von Hermann gelesen werden, sondern auch als Auftrag für die Zukunft, den Sie mit Ihrem Buch in die heutige (noch) wehrpflichtfreie Gegenwart transportiert haben. Für mich bedeutet das konkret dreierlei: 

Kriegsdienstverweigerung muss zum allgemeinen Menschenrecht werden. Das ist ein langer Weg, der bei Connection e.V. in guten Händen ist, aber viel mehr zivilgesellschaftliche Unterstützung braucht. 

Militärlogik muss durch eine Friedenslogik ersetzt werden, denn: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“ Die Grundsatzerklärung der DFG-VK braucht Vervielfältigung.

Wenn unsere Welt für Ihre Generation und meine Enkelkinder erhalten bleiben soll, dann müssen wir uns von einer militärischen Sicherheitspolitik verabschieden und Sicherheit neue denken. Dazu gibt es ein Szenario bis zum Jahr 2040, das viele Chancen und Möglichkeiten enthält, sich mit dem eigenen zivilgesellschaftlichen Engagement einzubringen (www.sicherheitneudenken.de).

Ihr Buch war für mich eine Einladung zu einem anregenden und berührenden Rückblick auf fünf Jahrzehnte KDV-Geschichte. Vielen Dank und herzliche Grüße von Werner Glenewinkel

Dr. Werner Glenewinkel ist Jurist und langjähriges Mitglied der DFG-VK. Von 2007 bis zu ihrer Auflösung nach Aussetzung der Wehrpflicht war er Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Kontakt: werner.glenewinkel@t-online.de

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202101, Brinkmann, Glenewinkel, Inquisition, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Prüfungsausschuss, Wehrpflicht

20. Dezember 2020

Freiheit statt Dienstzwang

Die verfassungswidrigen Überlegungen zu einer allgemeinen Dienstpflicht

Ausgabe 5/2020

Von Stefan Philipp

Nein, eigentlich muss niemand Sorge haben, dass in Deutschland irgendwann eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt wird. Nationale und internationale Bestimmungen verbieten das ganz eindeutig. Warum also die Beschäftigung mit diesem Thema?

Die Erfahrung zeigt, dass aus verschiedenen politischen Ecken die Forderung nach einer solchen Dienstpflicht immer wieder erhoben wird. Vor allem die für Krieg und Militär zuständige Bundesministerin und (Noch-)CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bringt eine solche Dienstverpflichtung seit Jahren immer wieder ins Gespräch. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Wehrpflicht als eine spezielle Form der staatlichen Indienstnahme keineswegs endgültig abgeschafft, sondern seit Mitte 2011 lediglich ausgesetzt ist.

Aber nicht nur von „ganz oben“ wird die Forderung nach einem Pflichtjahr erhoben. Nach den „Jugend-Krawallen“ im Juli in Stuttgart schrieben die Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), Schorndorf, und Matthias Klopfer (SPD), einen gemeinsamen Brief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und den Innenminister Thomas Strobl (CDU). Darin forderten sie die beiden auf, in Berlin bei der Bundesregierung oder über den Bundesrat eine „Dienstpflicht für alle Menschen in unseren Städten und Gemeinden anzuregen“. Eine solche solle, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, für alle jungen Menschen eingeführt werden, die hier leben und in sozialen und kuturellen Einrichtungen abgeleistet werden können oder auch bei der Bundeswehr.

Bis in die schwäbische Provinz reicht also die Vorstellung, eine Dienstpflicht könnte viele Probleme lösen, vom Pflegenotstand über den mangelnden gesellschaftlichen Zusammenhalt bis zur ungenügenden Zahl freiwilliger Bewerbungen zur Bundeswehr.

Und fragt man im Bekanntenkreis herum, dann gibt es nicht wenige, die ein Pflichtjahr erstmal für eine gute Idee halten.

Die Idee einer Dienstpflicht steckt in vielen Köpfen und ist so etwas wie ein Dauerbrenner, der je nach Problemlage jede Diskussion befeuern kann. Dabei steckt dahinter die verbreitete Vorstellung, der Staat dürfe selbstverständlich auf seine BürgerInnen zugreifen und sie zu einer Dienstleistung verpflichten.

Bei allem, was der bundesdeutsche Staat macht und fordert, muss man aber zunächst fragen, worin die Rechtfertigung dafür liegt. Was der Staat darf und was nicht, das ist vor allem eine Frage der Machtbegrenzung und der BürgerInnenfreiheit.

Für alles staatliche Handeln in der Bundesrepublik gilt, dass es an Recht und Gesetz gebunden ist, also nicht willkürlich sein darf. Und für die BürgerInnen gilt dem Staat gegenüber, dass sie Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe haben, die ihre Freiheit schützen und garantieren. Verbindlich festgelegt sind diese Grundrechte im ersten Kapitel des Grundgesetzes in den Artikeln 1 bis 19.

Für die Frage einer allgemeinen Dienstpflicht zentral bedeutsam ist der Artikel 12 des Grundgesetzes. In dessen Absatz 2 ist bestimmt: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

Das Grundgesetz und insbesondere der Grundrechtekatalog wurden 1949 als bewusste Antwort auf den bzw. Abkehr von dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat geschaffen.

Während der NS-Zeit gab es eine ganze Reihe von Dienstpflichten, vor allem die 1935 für Männer eingeführte Reichsarbeitsdienstpflicht und das für Frauen 1938 eingeführte Pflichtjahr in Land- und Hauswirtschaft und ab 1939 ebenfalls die Reichsarbeitsdienstpflicht.

Mit dem Begriff der „Herkömmlichkeit“ in Art. 12 Abs. 2 sind gerade solche Dienstleistungspflichten gemeint,[nbsp] die vor der NS-Zeit üblich waren. Neben Feuerwehrpflichten oder Deichdiensten an den Meeresküsten gab es aber keine öffentlichen Dienstleistungspflichten, an die sich für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht anknüpfen ließe. Solche Pflichtdienste, wie sie in der Nazi-Zeit obligatorisch waren, sollten mit Art. 12 Abs. 2 GG gerade ausgeschlossen werden.

Auch der „vaterländische Hilfsdienst“, der im Deutschen Reich 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg, eingeführt wurde, eignet sich nicht als Anknüpfungspunkt für eine Dienstpflicht in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts. Der Hilfsdienst unter Kaiser Wilhelm II. war als Reaktion auf den Arbeitskräftemangel in der Rüstungsproduktion infolge des riesigen militärischen Personalbedarfs während des Krieges eingeführt worden. Zu leisten hatten ihn nach dem Gesetz alle deutschen Männer zwischen 17 und 60 Jahren, die nicht zum Militär eingezogen waren.

Schon diese kurze rechtliche und historische Betrachtung ergibt, dass das Grundgesetz die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht nicht erlaubt, sondern im Gegenteil sogar verbietet.

Es gab doch aber den Zivildienst,[nbsp] den viele der „Zivis“ mit persönlichem Gewinn für sich selbst gemacht haben. Wäre das kein Anknüpfungspunkt?

Tatsächlich gab es von der Einführung 1961 des zunächst ziviler Ersatzdienst genannten, ab 1973 dann als Zivildienst bezeichneten Dienstes bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 weit über zweieinhalb Millionen Zivildienstleistende. Und viele von denen haben für sich dabei positive Erfahrungen gemacht. Der ursprüngliche Name weist aber auf die rechtliche Konstruktion hin: Der Zivildienst war nie ein Projekt mit eigenen Zielen aus sich selbst heraus, sondern immer abgeleitet von der Wehrpflicht als Ersatz für die Kriegsdienstverweigerer, die den Dienst bei der Bundeswehr verweigert hatten.

Als das Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde, gab es kein deutsches Militär (mehr), entsprechend keine Regelungen dazu in der Verfassung, dafür den Artikel 4 Absatz 3, der bestimmte: „Niemand darf gegen sein Gewissen zu Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Beides eine Konsequenz aus dem 1939 begonnenen verbrecherischen deutschen Angriffskrieg.

Als Bundeskanzler Adenauer seine schon lange bestehenden Remilitarisierungspläne Mitte der 1950er Jahre umsetzte und die Bundeswehr aufgebaut wurde, war klar: Eine Armee mit fast 500 000 Soldaten war nur über die Wehrpflicht rekrutierbar.

Eine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gab es nicht, sondern vielmehr die Berufsfreiheit und das Verbot einer Dienstpflicht in Artikel 12 Grundgesetz. Also musste das Grundgesetz so geändert werden, dass die eigentlich verbotene Wehrpflicht möglich wurde. Letztlich wurde das mit dem auch heute noch gültigen Artikel 12a erreicht, der in seinen ersten beiden Absätzen lautet: „(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zu einem Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.“

Manche JuristInnen bezeichnen das mit guten Gründen als verfassungswidriges Verfassungsrecht. Klar ist aber: Die Wehrpflicht ist eine Sonderregelung, die den allgemeinen Bestimmungen und Freiheiten vorgeht mit der Begründung, dass es dabei um Krieg und Frieden, Verteidigung und die Existenz des Staates gehe. Nur dieses Argument kann in der juristischen Logik die Ausnahme von der ansonsten geltenden Freiheit bzw.[nbsp] dem Verbot eines Zwangsdienstes rechtfertigen.

Und wegen des von der Verfassung geforderten Schutzes der Kriegsdienstverweigerung wurde einerseits ein höchst umstrittenes Prüfungsverfahren geschaffen und andererseits ein Ersatzdienst für diejenigen, die die Gewissensinquisition erfolgreich überstanden hatten.

Auch dieser erst Ersatz-, dann Zivildienst war rechtlich die Erfüllung der Wehrpflicht – ein Grund für viele Totalverweigerer, die dem Staat das Recht zur Kriegsdienstverpflichtung grundsätzlich absprachen und von denen manche wegen ihrer Entscheidung ins Gefängnis mussten.

Von der Funktion her war der Zivildienst ein Abschreckungsinstrument vor der Kriegsdienstverweigerung und zur Aufrechterhaltung des Kriegsdienstzwangs. Denn hätte es keine erzwungene und letztlich mit der Androhung von Gefängnisstrafen durchgesetzte Ersatzleistung gegeben, dann wären vermutlich sehr viel weniger junge Männer „freiwillig“ in die Kasernen eingerückt und die Zahl der Kriegsdienstverweigerer noch sehr viel höher gewesen. Ein eigenes Ziel hat der Zivildienst nie gehabt, auch wenn natürlich die Trägerorganisationen vor allem aus den Wohlfahrtsverbänden sich bemüht haben, ihn unter den gegebenen Bedingungen so sinnvoll wie möglich zu gestalten.

All diese Aspekte sollte man bei den Forderungen nach Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht im Hinterkopf haben und auch aussprechen: Dienstpflicht ist das Gegenteil von Freiheit und von der Verfassung verboten.

Natürlich könnte das Grundgesetz geändert werden – mit jeweils einer Mehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat. Es ist aber nicht ansatzweise erkennbar, wie eine nachvollziehbare, überzeugende und auch vor dem Verfassungsgericht bestehende Begründung für die Einführung eines Pflichtjahres aussehen könnte.

Die Wehrpflicht ist letztlich daran gescheitert und 2011 ausgesetzt worden, weil sie nicht mehr „gerecht“ durchgeführt werden konnte – bezogen darauf, dass sie „allgemein“ hätte sein müssen und auch wegen des Gleichheitsgrundsatzes nach Artikel 3. Bei damals sinkendem Personal-Bedarf der Bundeswehr wegen Verkleinerung der Truppe mit der Folge, dass nur noch ein Teil der eigentlich zur Verfügung Stehenden einberufen wurde, gleichzeitig aber alle Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst, war die Wehrpflicht politisch, gesellschaftlich, juristisch nicht mehr länger zu halten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon vorher festgestellt, dass es von der Verfassung her zwar eine Entscheidung zur Landesverteidigung gebe, es dem Gesetzgeber aber freigestellt sei, ob er das Militär über eine Wehrpflicht oder aber durch die Einstellung von Profis organisieren wolle.

Ähnliche Probleme einer gerechten Heranziehung im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht würden sich auch heute stellen. Schon die Frage, ob auch Frauen Dienst leisten müssten   –  vermutlich ja  –, dürfte strittig sein. Wohin mit Hundertausenden von jungen Menschen jedes Jahr? Warum überhaupt die Jungen und nicht die Alten? Welcher volkswirtschaftliche Schaden entsteht, wenn Hundertausende ein Jahr später ins Berufsleben einsteigen? Was mit denen machen, die den staatlichen Dienstzwang verweigern? Ins Gefängnis? Fragen über Fragen, die die meisten Dienstpflicht-Rufer sich weder gestellt haben noch eine Antwort wüssten.

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage.

Kategorie: Wehrpflicht Stichworte: 202005, Wehrpflicht

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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