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202203

27. November 2022

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

Friedensarbeit

Der Göttinger Friedenspreis – ein Kollateralschaden des Ukrainekrieges

Von Andreas Zumach

Am 10. September sollte das deutsch-russische Projekt „Musik für den Frieden“ in einer öffentlichen Feier mit der Verleihung des Göttinger Friedenspreis (GFP) ausgezeichnet werden. Das ursprünglich am Musiktheater in Grenzach-Whylen von den Müllheimer MusikpädagogInnen Ulrike und Thomas Vogt gegründete Ensemble MIR (russisch: Frieden)  kooperiert seit 2018 mit dem Jugendtheater „Premier“ aus der zentralrussischen Stadt Twer. Die gemeinsamen, zunächst via Internet einstudierten Projekte „Musik für den Frieden“ wurden vor der Coronapandemie in Russland und Deutschland als Live-Konzerte aufgeführt. 

Während der Coronazeit wurden von beiden Ensembles in einer intensiven Online-Zusammenarbeit drei Musikvideos produziert und auf dem Youtube-Kanal „Musik für den Frieden“ veröffentlicht. Der zivilgesellschaftlich engagierte künstlerische Austausch der deutschen und russischen Jugendlichen soll zeigen, dass trotz der fatalen politischen Situation in Europa eine freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit über Grenzen hinweg möglich ist. 

Doch Mitte Juni wurde die seit Anfang Januar auf der GFP-Webseite (www.goettinger-friedenspreis.de) angekündigte Verleihungsfeier von der den Preis vergebenden Stiftung ohne jede Begründung abgesagt. Was war geschehen?

Einstimmige Entscheidung für „Musik für den Frieden“. Bereits im September 2021 hatte die unabhängige GFP-Jury das Projekt „Musik für den Frieden“ unter über 30 Vorschlägen einstimmig als Preisträger für das Jahr 2022 ausgewählt. (Zu der Jury gehörten unter dem Vorsitz des Autors dieses Artikels die Friedens-und Konfliktforscherin Dr. Regine Mehl und die renommierte Atomwaffenexpertin und frühere Redakteurin der Zeitschrift „Wissenschaft & Frieden“ Regina Hagen). Die Jury traf ihre Entscheidung angesichts der Spannungen und Konflikte zwischen dem Westen und Russland, die nicht erst seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 ständig zunehmen. 

Zur Begründung ihrer Wahl schrieb sie: „Die Jury würdigt mit diesem Preis den wichtigen zivilgesellschaftlichen Beitrag dieses Projektes zu den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, gerade in Zeiten, in denen diese Beziehungen auf der offiziellen Ebene der Politik geprägt sind durch erhebliche Konflikte sowie zunehmendes gegenseitiges Unverständnis.“

Seit dem zwischenzeitlichen Beginn des Ukrainekrieges wurden in Deutschland törichterweise zahlreiche Beziehungen in die russische Zivilgesellschaft auf Eis gelegt oder gar ganz abgebrochen. Als Signal gegen diesen fatalen Trend wäre die öffentliche Preisverleihung an ein rein zivilgesellschaftliches deutsch-russisches Friedensprojekt umso wichtiger gewesen.

Absage ohne Begründung. Doch stattdessen hatte der Ukrainekrieg genau die gegenteilige Folge: Am 18. Juni teilte der GFP-Stiftungsvorsitzende Hans-Jörg Röhl den völlig überraschten Preisträgern die Absage der für den 10. September geplanten Feier mit. Ohne Begründung. Auch eine nachfolgende Pressemitteilung sowie die gemeinsame Erklärung von Röhl und dem Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung, Götz Neuneck, auf der GFP-Webseite enthalten keine Begründungen. 

Auf Nachfragen von JournalistInnen erklärte der Pressesprecher der Stiftung, Thomas Richter: „Wir geben keinen Grund an.“ (Badische Zeitung, 23.6.2022). Auch stiftungsintern waren und sind bis heute keine triftigen oder gar zwingenden Gründe für die Absage zu erfahren.

Im Mai hatte ein Göttinger Mitglied der Stiftung Ängste vor einer Durchführung der Preisverleihung noch während des Ukrainekrieges geäußert. Doch statt zunächst eine stiftungsinterne Diskussion auch unter Beteiligung der Jurymitglieder über diese Ängste zu führen, vereinbarte das für die Organisation der jährlichen Feier zur Preisverleihung zuständige Komitee der Stiftung ein Gespräch mit dem Leiter der Staatsschutzabteilung der Göttinger Polizei. Dieses Gespräch habe ergeben, „dass mit Sicherheit mit erheblichen Demonstrationen und Störversuchen von den Kriegsgegnern und Russlandbefürwortern zu rechnen ist“, schrieb die Vorsitzende des Organisationskomitees, Carmen Barann, in ihrem Bericht an die Stiftungsmitglieder. Doch diese Formulierung ist eine aufbauschende Verfälschung. 

Tatsächlich hatte der Leiter des Staatsschutzes lediglich gesagt, es „könnte möglicherweise zu Störaktionen, Demonstrationen und sonstigen Missfallenskundgebungen kommen“. Für diese Einschätzung konnte der Leiter des Staatsschutzes in dem Gespräch allerdings keinen einzigen konkreten Anhaltspunkt nennen. 

Dieser wesentliche Umstand wurde in dem Bericht des Organisationskomitees an die Stiftungsmitglieder ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass der Staatsschutzleiter in dem Gespräch ausdrücklich „versicherte, dass die Polizei in jedem Fall einen störungsfreien Ablauf der Preisverleihung gewährleisten würde“. Zusätzlich angeheizt wurde die Hysterie durch die Behauptung des GFP-Pressesprechers Thomas Richter, bei Durchführung der geplanten öffentlichen Feier seien „harsche Reaktionen der Regionalpresse zu erwarten“. Eine Lektüre sämtlicher Berichte und Kommentare der beiden Regionalzeitungen „Göttinger Tageblatt“ und „Hessisch Niedersächsische Allgemeine“ (HNA) zum Ukrainekrieg seit dem 24. Februar ergab jedoch keinerlei Anhaltspunkte für diese Erwartung.

Einzig auf Basis dieser Erwartung sowie des irreführenden und unvollständigen Berichts des Organisationskomitees traf der Präsident der Universität, Professor Dr. Metin Tolan, (qua seiner Funktion Mitglied des Stiftungskuratoriums) die Entscheidung, die Aula der Universität, in der die Preisverleihung seit 1999 traditionell stattgefunden hatte, wegen „Sicherheitsbedenken“ nicht zur Verfügung zu stellen. Diesselbe Entscheidung traf das Stiftungsmitglied Erich Sidler, Intendant des Deutschen Theaters (hier hatte die Veranstaltung 2021 stattgefunden). Und Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (ebenfalls qua Funktion Mitglied des Stiftungskuratoriums, da die Stadt traditionell nach der jährlichen Verleihungsfeier zu einem Empfang im historischen Rathaus der Stadt einlädt) riet von der Durchführung der Feier „in diesem Jahr“ ab. Dieser Empfehlung schloss sich das Organisationskomitee der Stiftung an. 

Auf ausdrückliche Nachfrage an Uni-Präsident Tolan, Theaterintendant Sidler und Oberbürgermeisterin Broistedt, ob es neben dem irreführenden und unvollständigen Bericht über das Gespräch mit dem Leiter des Staatsschutz sowie der völlig unbegründeten Vorverurteilung der Regionalmedien durch Pressesprecher Richter irgendeinen weiteren Anlass oder Grund für ihre Entscheidungen und Empfehlung gegen die Durchführung der Feier gab, erhielt der Autor dieser Zeilen keine Antwort.

Mit diesen Vorentscheidungen war die Absage der Veranstaltung besiegelt. An dem gesamten stiftungsinternen Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung wurden die Mitglieder der Jury nicht beteiligt. Neunmal zwischen Anfang und Mitte Juni baten sie vergeblich um die Erläuterung der vorgebrachten „Sicherheitsbedenken“. Sämtliche Fragen der Jury wurden nicht beantwortet. Aus diesem Grund, und weil sie die Absage für einen großen Fehler halten, erklärten die Jurymitglieder am 19. Juni ihren Rücktritt.

Sie kritisierten die Absageentscheidung als „ein Signal von mangelnder Zivilcourage, beschämender Feigheit und vorauseilendem Gehorsam vor einer ganz offensichtlich imaginären Bedrohung.“ Diese Entscheidung spiele „der derzeitigen massiven Feindpropanda der Regierung Putin und der staatlich gelenkten russischen Medien gegen den Westen in die Hände.“

Um die große Enttäuschung insbesondere der an dem Friedensprojekt beteiligten russischen und deutschen Jugendlichen über die Absage zumindest zu begrenzen, schlug die Jury vor, den Preis im Rahmen eines ohnehin für den 11. September geplanten Konzertes in der Berliner Gedächtniskirche zu übergeben. So wurde verfahren. 

Auf der Webseite der GFP verbreiten die Vorsitzenden der Stiftung und ihres Kuratoriums, Röhl und Neuneck, inzwischen die nachweisliche Falschbehautpung, es habe „ein demokratisches Abstimmungsverfahren“ gegeben, bei dem „alle Mitglieder der Stiftung über die gleichen Informationen verfügt“ hätten. Der Jury wird vorgeworfen, sie habe diese angeblich demokratische Mehrheitsentscheidung „nicht akzeptiert“ und damit gegen einen „demokratischen Grundsatz“ verstoßen. Eine Begründung für die Absage der Feier liefern Röhl und Neuneck weiterhin nicht. Die Erklärung vom 19. Juni, in der die Jury ihre Haltung und ihren Rücktritt ausführlich begründet, wird auf der GFP-Webseite unterschlagen.

In Folge dieser stiftungsinternen Kontroverse hat Uni-Präsident Tolan seinen Sitz im Kuratorium der Stiftung inzwischen aufgegeben und damit die seit 1999 bestehende Kooperation zwischen der Göttinger Universität und der Stiftung beendet. Die historische Aula der Uni steht damit als Ort für künftige Verleihfeiern nicht mehr zur Verfügung. Auch Pressesprecher Richter hat seine Mitgliedschaft in der Stiftung und seine dortige Funktion als Beirat für Öffentlichkeitsarbeit aufgegeben.

Andreas Zumach, DFG-VK-Mitglied und freier Journalist in Berlin, ist Träger des Göttinger Friedenspreises 2009 und gehörte seit 2012 der Jury an, seit 2018 als ihr Vorsitzender.

Kategorie: 2022, Friedemsarbeit Stichworte: 202203, Göttinger Friedenspreis, ZUmach

27. November 2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

Friedensarbeit

Die von der Stiftung der DFG-VK in diesem Jahr geförderten Projekte

Von Hauke Thoroe

bertha-von-suttner-stiftung.de

Die Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK unterstützt seit 29 Jahren wissenschaftliche und kulturelle Vorhaben, die sich mit der Erforschung und Überwindung von Kriegsursachen sowie mit Formen gewaltfreier Konfliktbearbeitung befassen. „In diesem Jahr haben wir fast ein Dutzend Projekte unterstützt“, sagt David Scheuing, der Vorsitzende des Stiftungsrats, „und wir hoffen auch in unserem 30. Jahr auf viele interessante neue Einreichungen“. 

Hier soll ein knapper Überblick über die aktuellen Aktivitäten und Förderungen gegeben werden.

Studie: Fehlendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Formell gibt es in der Türkei ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, praktisch eher nicht. Um diese Erfahrung vieler Kriegsdienstgegner wissenschaftlich zu validieren, organisierte Connection e.V. eine Befragung türkischer Kriegsdienstverweigerer. Der Bericht beschreibt detailliert die Menschenrechtsverletzungen und die strafrechtlichen Verfolgungen, denen sich Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ausgesetzt sehen. Mehr zur Studie: https://bit.ly/3CpQcHU

Tagung: Gewaltfreier Widerstand in repressiven Zeiten

Angesichts des Ukraine-Krieges könnte die Arbeit des „Bund für Soziale Verteidigung“ (BSV) nicht aktueller sein: Der BSV entwickelt gewaltfreie Verteidigungskonzepte, mit denen soziale Gemeinschaften geschützt werden sollen anstelle militärischer Territorial-Verteidigung. Die Tagung „Gewaltfreier Widerstand in repressiven Zeiten“ wurde deshalb von der Stiftung unterstützt. Hier findet sich die Tagungsdokumentation: https://bit.ly/3rKZfhB

Protest: Friedenskonferenz 2022

Um aufzuzeigen, dass eine friedliche Welt möglich ist, organisieren Friedensorganisationen parallel zur „Münchner Sicherheitskonferenz“ die „Münchner Friedenskonferenz“. Die Veranstaltung fand im Alten Rathaus und online statt. Eine gute Dokumentation und Aufzeichnungen vieler Talks der Veranstaltung finden sich hier: https://bit.ly/3EEd9tL

Delegation: Vertrag zum Verbot von Atomwaffen

Anlässlich des ersten Treffen der Vertragsstaaten des Vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Wien organisierte Ican Deutschland einen wissenschaftlichen Austausch mit den Konferenzdelegierten und erstellte einen Bericht über Fortschritte, Chancen und künftige Herausforderungen in der Universalisierung des Atomwaffenverbots: https://bit.ly/3g09xIb

Studie: Die Klimakrise und Atomwaffen

Wie trägt die nukleare Teilhabe zum Klimawandel bei? Welchen CO2-Ausstoß verursachen einzelne Elemente der nuklearen Teilhabe Deutschlands? In welchem Kontext muss dieser CO2-Ausstoß betrachtet werden? Diese und andere Fragen versucht Ican Deutschland mit der Studie „Die Klimakrise und Atomwaffen“ aus einer klimagerechten Perspektive zu beantworten. Die Studie wird derzeit noch erarbeitet.

Ausstellung: „DenkMalKrieg – DenkMalFrieden“

Bis heute stehen vielerorts Kriegsdenkmäler. Viel zu oft stellen diese das Morden für deutsche Großmachtpläne als gesellschaftlich „gut“ und „wünschenswert“ dar oder verklären dies gar zu „Heldentaten“. Deshalb versuchen die Künstler Wolfram P. Kastner und Hans Wallner mit ihrem Projekt „DenkMalKrieg – DenkMalFrieden“, diese Denkmäler einerseits zu dokumentieren und andererseits mit künstlerischen Interventionen zu dekonstruieren. Die Stiftung unterstützte 2022 die Ausstellung „Kriegspropaganda oder Trauer und Friedenswille“ in München. Informationen zum Projekt: https://bit.ly/3CLWFye

Forschung: Participatory Action Research Camp in Österreich

Die Bertha-von-Suttner-Privatuniversität St. Pölten veranstaltete diesen Sommer zwei Zertifikatskurse zu partizipativer Aktionsforschung (PAR). Forscher*innen, Studierende oder Praktiker*innen der Sozialwissenschaften, der Sozialen Arbeit oder in gemeinschaftsbezogenen Projekten konnten Kenntnisse und Fähigkeiten in partizipativen Forschungsmethoden entwickeln oder ausbauen und Kapazitäten für kollaborative Aktionsforschung erweitern: https://bit.ly/3Cnzo49

Jugenddelegation zur Uno nach New York

Die DFG-VK organisierte zur 10. NPT Review Conference des Atomwaffensperrvertrags eine Jugenddelegation nach New York zur Uno. Die jungen Menschen, Aktivist*innen und Studierende besuchten Vorträge, Podiumsdiskussionen und andere Events auf der Konferenz rund um das Thema nukleare Abrüstung, trafen Diplomat*innen und Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Als Höhepunkt verlasen die DFG-VK- Delegierten ein gemeinsam mit Jugenddelegationen aus aller Welt vorbereitetes eigenes Statement vor dem UN-Plenum. Hier blicken die Teilnehmer*innen auf die Reise zurück: https://un-delegation.dfg-vk.de/auf-der-revcon/

Buch: „Hans Paasche – Ein Leben für die Zukunft“

Den Raubbau an der Natur zu kritisieren, die Aufarbeitung kolonialer Verbrechen zu fordern und die Kritik an überbordendem Militarismus sind auch heute noch wichtige Aufgaben der Friedensbewegung – und sie sind das „moderne“ Erbe auch von Hans Paasche. Zum 100. Todestag erschien in Kollaboration des Rostocker Friedensbündnisses und des Donat-Verlags das Buch „Hans Paasche – Ein Leben für die Zukunft“. Paasche war in vielerlei Hinsicht unter anderem auch den bürgerlichen Friedensbewegten seiner Zeit inhaltlich weit voraus – er kritisierte den Kolonialismus grundsätzlich, als andere ihn nur reformieren wollten, er kritisierte das Kaiserreich, als andere es noch in Schutz nahmen. Dies würdigt der Band ausführlich, der mit unserer Unterstützung erschien. Bestellt werden kann das Buch direkt beim Donat Verlag: https://bit.ly/3yxkaZk

Studie: Future combat air system (fcas)

Was ist FCAS? Genau diese Frage beantwortet eine Studie der Informationsstelle Militarisierung und berichtet über das größte Aufrüstungsprojekt der Bundesregierung. Bei diesem Rüstungsprojekt, das irgendwann die gerade beschlossenen F-35-Flugzeuge ersetzen soll, wird es sich um eine Mischung aus Atombomber und begleitenden Drohnen handeln. Und weil das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, unterstützt die Stiftung diese wichtige Studie. Hier die Vorabstudie: https://bit.ly/3erPfXp

Öffentlichkeitsarbeit und Akquise

Der Stiftungsrat hat beschlossen, dass die Bertha-von-Suttner-Stiftung in den nächsten Jahren verstärkt mit Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising in die Öffentlichkeit treten wird. „Dafür hat die Stiftung einen Mitarbeiter eingestellt“, sagt Joachim 
Schramm, langjähriger Kassierer der Stiftung. „Ziel dieser Maßnahme ist, die Sichtbarkeit der Stiftung zu erhöhen und mehr Spenden einzunehmen, um langfristig wissenschaftliche und kulturelle Friedensprojekte noch besser unterstützen zu können.“ 

Hauke Thoroe ist seit diesem Sommer mit wenigen Wochenstunden für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising bei der Bertha-von-Suttner-Stiftung beschäftigt. Ehrenamtlich ist er als Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis aktiv.

Bertha-von-Suttner Stiftung der DFG-VK

Kategorie: 2022, Suttner-Stiftung Stichworte: 202203, Bertha-von-Suttner-Stiftung, Friedensarbeit, Suttner

27. November 2022

Weiterhin gebremste Atomwaffen-Abrüstung

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

atomwaffenfrei

Der Atomwaffenverbots-Vertrag muss weiter vorangetrieben werden

Von Marian Losse

Es ist ein Desaster, dass die NVV-Konferenz in einer Zeit scheitert, in der die Gefahr einer atomaren Katastrophe größer ist als seit Jahrzehnten und es dringend Zeichen der Entspannung gebraucht hätte. Das Fehlen einer noch so unbedeutenden gemeinsamen Grundlage der Atomwaffenstaaten zeigt uns einmal mehr, dass wir nicht auf sie vertrauen können.

Es ist einerseits anzuerkennen, dass es ohne den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) vermutlich einige mehr als die bestehenden neun Atomwaffenstaaten geben würde, und die Gefahr eines Atomkrieges damit noch höher wäre. Der fehlende Minimalkonsens bedeutet aber andererseits, dass die Vertragsstaaten sich nicht einig darin sind, wie der Vertrag an manchen Stellen zu verstehen ist, wie sie weiterarbeiten wollen, oder geschweige denn welche Themen überhaupt relevant sind für die Arbeit an einer Welt ohne Atomwaffen. 

Es ist keine Auflösung des Vertrages, dass es kein Abschlussdokument gibt. Dieser besteht und wird weiter als Rahmen für internationale Bemühungen zur atomaren Abrüstung dienen. Aber dass es nun seit 12 Jahren keine Einigkeit der Vertragsstaaten gibt, bedeutet auch, dass dieses Forum nicht fähig oder willens ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Die Spielregeln für den Umgang mit der immerwährenden Gefahr atomarer Weltvernichtung sind nicht mehr aktuell. Die Technik hat sich weiterentwickelt, neue Trägersysteme sind geschaffen worden, Allianzen und politische Rahmensysteme haben sich verschoben. Die Grundaufgabe des Vertrages, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und sie über gegenseitiges Vertrauen und Kontrolle überflüssig zu machen, kann er nicht mehr zeitgemäß erfüllen. Mit Einigungen von vor 12 Jahren (die außerdem nie umgesetzt wurden) finden wir keine Antworten auf die aktuell mögliche Ausweitung der nuklearen Teilhabe, die Aufrüstung der Atomwaffenstaaten oder die Weiterverbreitung von nuklearer Technik auf Kriegswaffen. Der Vertrag und das Gesprächsforum bleiben bestehen und relevant, das haben alle Akteur:innen betont. Aber ihre Relevanz sinkt deutlich, die Atomwaffenstaaten schaufeln mit ihrer Renitenz ihr eigenes und unser aller Grab.

Das vorgeschlagene Abschlussdokument enthielt zwar aufgrund der mutigen und beharrlichen Arbeit der Mehrheit aller Staaten weltweit einige gute Absätze zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen, die selbst in ihrer Einfachheit leider schon Forschritte gewesen wären. Für unsere menschliche Sicherheit und unsere Zukunft brauchen wir aber auch Verpflichtungen und konkrete Schritte der Atomwaffenstaaten, die zur Abrüstung führen. Solche waren auch in dem Entwurf des Abschlussdokumentes nicht enthalten, selbst eine Annahme dessen wäre also nicht genug gewesen.

Das NVV-Regime ist schon vorher gescheitert. Das Fehlen eines Abschlussdokumentes der Konferenz ist kein Scheitern, es ist ein Offenbaren. Scheitern tut das NVV-Regime, wenn es die Atomwaffenstaaten immer wieder darin bestätigt, nicht über Abrüstung reden zu müssen. Scheitern tut der NVV, wenn es keine gemeinsamen Antworten auf nukleare Drohungen gibt, wenn die Sicherheit der Menschen weltweit nicht berücksichtigt wird, wenn wiederholt die Realitäten der Opfer nuklearer Tests zurückgewiesen werden. Gescheitert ist der NVV in dem Moment, als er es geschafft hat, die rhetorische, quantitative und qualitative Aufrüstung aller Atomwaffenstaaten zu legitimieren, anstatt sie zu stoppen. 

All das hätte mit einem Konsens der Staaten und einzuhaltenden Selbstverpflichtungen gerettet werden können. Dieser August war die Möglichkeit, einen Raum für Deeskalation und Abrüstung zu schaffen. Es war ein Zeitfenster, sich auf die einfache Botschaft zu besinnen, dass es nichts Gefährlicheres und Unrealistischeres gibt als den Wunderglauben, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden.

Die Atomwaffenstaaten sind nicht erst jetzt am 26. August daran gescheitert, das einzusehen. Sie haben lediglich wieder einmal offenbart, dass sie das gar nicht wollen. Dass sie diesen Raum der potenziellen Deeskalation für gegenseitige Angriffe und Provokationen nutzen, dass sie alle Menschen immer noch als Geiseln ihrer Machtphantasien halten, dass es keinen Sinn ergibt, einfach auf den guten Willen der Atomwaffenstaaten zu warten. 

Und genau aus dieser Offenbarung erwächst die Stärke des Atomwaffenverbotsvertrages (AVV). Ein Ort internationaler Diplomatie, an dem Kooperation Drohung und Provokation überwiegt, und das obwohl die Vertragsstaaten bei vielen Themen überkreuz liegen. Es ist ein Ort, an dem verstanden wurde, dass es um das Überleben von Millionen Menschen geht und nicht um die geschädigten Egos einiger Machthungriger. Die Arbeitsweise und die Sprache sowie auch die Taten, die daraus folgen, sind beim Atomwaffenverbot konstruktiver, partizipativer, menschenfreundlicher und emanzipatorischer, als es die des NVV je sein werden. Aus der Offenbarung, dass der NVV nicht mehr angemessen und allein in der Lage ist, auf die nuklearen Bedrohungen unserer Zeit zu reagieren, ergibt sich die Dringlichkeit, den AVV zu stärken. Deutschland muss einen Erstschlag von seinem Territorium ausschließen, den AVV finanziell und politisch unterstützen, ihm beitreten und die eigene nukleare Teilhabe beenden. Das würde neuen Raum zur Deeskalation des zweiten Kalten Krieges öffnen, der sich mit dem Ende der NVV-Konferenz erstmal geschlossen hat. Sicherheit vor Atomwaffen gibt es nur ohne Atomwaffen.

In der Konferenz sollten alle Themen behandelt werden, bei denen es um nukleare Sicherheit in Verbindung mit Außenpolitik und Militär geht. Deswegen war es berechtigt und absolut notwendig, die besorgniserregenden Vorgänge rund um Europas größtes AKW Saporischschja anzusprechen. Doch die anwesenden Staaten konnten sich nicht einmal auf eine gemeinsame Realität hinsichtlich der Bedrohungslage einigen und deswegen auch keine Schritte zur Sicherung unternehmen. Dass der Konsens am Ende an einer Formulierung gescheitert sein soll, die eine ukrainische Kontrolle über das AKW fordert, ist eine vorgeschobene, aber vorhersehbare Ausrede. Nun darüber zu reden, dass dies der Stein des Anstoßes gewesen sein soll, verschleiert, dass die Atomwaffenstaaten und der Rest der Welt zu viel grundlegenderen Fragen auch keinen Konsens finden und sie nicht bereit sind, ihre atomare Gewalt von allein aufzugeben. 

Der Verweis auf die Situation im AKW Saporischschja war richtig, weil sie der Gefahr einer Atombombe gleicht und damit gelöst werden muss. Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, hat der Gefahr rund um das AKW jedoch nicht geholfen. Russland ist allein verantwortlich dafür, dass überhaupt eine Gefahrenlage entstanden ist, und kann sich der Verantwortung darum nicht entziehen. Mit Opferumkehr und Gaslighting versuchen es aber immer wieder, der Öffentlichkeit einen Streitapfel hinzuwerfen, an dem unser Protest gegen die gemeinsame Geiselnahme der Atomwaffenstaaten gespalten werden soll. Solches Verhalten sehen wir aktuell vermehrt, aber nicht nur von Russland. Solche Äpfel ermöglichen es den westlichen Atomwaffenstaaten auch, sich als verantwortungsbewusst und besorgt um das Gemeinwohl aller darzustellen, nur weil die russische Regierung sich so unglaublich verachtend gegenüber Regeln der Menschlichkeit und Vernunft verhält, dass die fortwährende atomare Drohung der westlichen Staaten vor diesem Hintergrund als legitim und gut erscheint. Das müssen wir zurückweisen, denn jede Art von atomarer Gewalt ist unmenschlich, egal, von wem sie kommt.

Alle Atomwaffen sind menschenverachtend. Die Verantwortung für die mangelnde Umsetzung des NVV-Vertrages in den vergangenen Jahren und das Scheitern des Konferenzkonsens tragen alle Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten. Sie verletzen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag massiv, indem sie atomar wieder aufrüsten. 

Die Bundesregierung ist dabei Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Kaum im Amt, hat die Ampelkoalition den Kauf des neuen Atombombers F-35 beschlossen, mit dem die deutsche Luftwaffe im Ernstfall Atombomben abwerfen können soll. Sie lässt die qualitative Aufrüstung der hier lagernden US-Atombomben zu, deckt ihre Verbündeten auf dem internationalen Parkett und verweigert sich der umfassenden Zusammenarbeit im Atomwaffenverbotsvertrag.

Marian Losse war Teil der DFG-VK-Jugenddelegation zur NPT Review Conference im August in New York City. Er studiert Friedens- und Konfliktforschung in Marburg.

Kategorie: 2022, atomwaffenfrei Stichworte: 202203, Atomwaffen, atomwaffenfrei, Atomwaffensperrvertrag, Atomwaffenverbotsvertrag

27. November 2022

Feldpost

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ZivilCourage 3/2022

Satire

TAGESBEFEHL

Soldatinnen und Soldaten!

Wir haben sie noch nicht; aber die ukrainischen Kameraden bekommen die Iris, also das Luftabwehrsystem IRIS-T – und zwar in diesen Tagen. High-Tech von der feinsten Sorte, gut gegen alles, was einem aus der Luft Ärger machen könnte – Marschflugkörper, Raketen. Und dabei extrem beweglich. Ja, manche von uns werden jetzt olivgrün vor Neid, aber es sind nun einmal die Ukrainer, die jetzt in der Zeitenwende auch unsere Freiheit verteidigen. So wie das früher einmal unsere ISAF-Kameraden am Hindukusch getan haben. ISAF gegen den Terrorismus, IRIS gegen Putin – und alles für unsere Freiheit.

Alex von Lingua, Feldpostmeister

Kategorie: 2022, Satire Stichworte: 202203, Satire

27. November 2022

Karikatur

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ZivilCourage 3/2022

Die ZivilCourage-Karikatur

Kategorie: 2022, Karikatur Stichworte: 202203, Karikatur

26. November 2022

Von Wien über Büchel bis nach New York

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ZivilCourage 3/2022

atomwaffenfrei

Ein Überblick über die Aktivitäten zur Abschaffung der Atomwaffen

Von Marion Küpker

In diesem Artikel werden die aktuellen Entwicklungen der Proteste gegen die Atomwaffen in Büchel im Zusammenhang mit der bundesweiten Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt und Ican Germany vorgestellt. Aus den Protesten unserer Friedensbewegung resultiert der Erfolg der Koalitionsvertrags-Zusage der Ampel-Regierung den Beobachterstatus in der 1. Staatenkonferenz zum Atomwaffen-Verbotsvertrag (1. MSP) im Juni als erstes Nato-Land in Wien einzunehmen. Im Vorfeld zur Staatenkonferenz fand das Ican-Forum gefolgt von der Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen statt. Im Juli folgten Protestaktionen am Atomwaffenstützpunkt Büchel von IPPNW und Ican sowie die internationale Woche. Ende Juli folgte bereits die internationale Peace&Planet Netzwerk-Konferenz der Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld der einmonatigen 10. Nichtverbreitungsvertrags-Konferenz (NVV/engl. NPT) in New York. 

Stand der nuklearen Aufrüstung in Büchel

Seit Juni und bis Januar 2026 wird der Atomwaffen-Stützpunkt Büchel für 259 Millionen Euro ausgebaut. Der Bauplan beinhaltet den Ausbau der Startbahn sowie die Modernisierung der Atomwaffen-Infra-
struktur. So sollen die Spezialbehälter in den Flugzeug-Hangars, wo die Atombomben gelagert sind, erneuert werden. 

Dies geschieht mit allen europäischen Atomwaffen-Standorten, die zur nuklearen Teilhabe der Nato gehören; das sind Belgien, Niederlande, Italien, und z.T. die Türkei, die nie eigene Piloten und Trägerflugzeuge stellte. Diese Baumaßnahmen dienen der Vorbereitung der Stationierung der neuen US-Atombomben vom Typ B61-12, deren Produktion Ende letzten Jahres in den USA begonnen hat. 

Für diese vier Jahre zog das Luftwaffengeschwader 33 im Juni mit den Tornado-Kampfjets in die Nähe auf die Militärbasis Nörvenich um. 

Die neue B61-12 soll eine kleinere Sprengkraft haben, maximal die ca. dreifache Sprengkraft der Hiroshimabombe, und nun satellitengesteuert und mit kleinen Heckflügeln ausgestattet im freien Fall genauer ins Ziel nachgesteuert werden können. Es ist eine erdeindringende Bombe, deren neuen Fähigkeiten die Hemmschwelle für einen nuklearen Einsatz senkt. 

Nukleare Teilhabe im Nuclear Posture Review

Die Nukleardoktrin des Nuclear Posture Review vom Februar 2018 – unter US-Präsident Trump – vertritt den frühzeitigen und flexiblen Einsatz von kleinen Nuklearwaffen sowie die Verkoppelung von konventionellen und kleineren nuklearen Waffen in der Kriegführung. Im aktuellen Nuclear Posture Review – unter US- Präsident Biden – wurde diese Doktrin nicht zurückgenommen und auch nicht der Verzicht auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen, wie es von der US-Friedensbewegung seit Langem gefordert wird. 

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich erläuterte in einem Interview 2020, dass das Thema der nuklearen Teilhabe symbolisch überladen bleibe, da sie stellvertretend für die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Nuklearschirms stehe. Auch wenn man der Meinung sei, die Abschreckung durch amerikanische Atomwaffen bleibe angesichts der neuen Bedrohungslagen unerlässlich, wäre diese bereits durch US-Interkontinentalraketen, die US-Bomberflotte und die nuklear bestückte U-Bootflotte (vor Europas Küste) garantiert.

Neue Atomwaffenträger-Kampfjets. Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, entschied die Ampel-Koalition im Juni über das zu kaufende neue Atomwaffenträger-Kampfflugzeug: 35 Stück des US-amerikanischen F35-Tarnkappenjets des Herstellers Lockheed Martin sollen als Tornado-Nachfolgemodell für die neuen Atombomben des Militärflugplatzes Büchel gekauft werden. 

Bisher wurde die Anschaffung neuer Atomwaffen-Trägerflugzeuge mit 10 Milliarden Euro veranschlagt. Das beschlossene 100-Milliarden-„Sondervermögen“ soll auch dazu dienen, die geplanten Atombomber-Ausgaben für Büchel sowie das für das Jahr 2040 mit Frankreich geplante Future Combat Air System (FCAS) mit nuklearfähigem EU-Kampfflugzeug zu finanzieren. Auch Italien, Belgien und die Niederlande haben sich für den F35 als neuen Atomwaffenträger entschieden.

Widerstandsaktionen in Büchel

Seit dem Jahr 2020 verringerte die Corona-Pandemie die Größe und Anzahl der Proteste. Die regionalen Behörden nutzten die Corona-Zeit, um unsere Bedingungen vor Ort weiter zu verschlechtern: Ein Grundstückspächter, der uns seit über 14 Jahren unterstützte, wurde vertrieben (zwangsgeräumt). Campflächen am Haupttor wurden in Blüten-/Insektenschutz-Wiesen umgewidmet, Parkmöglichkeiten extrem eingeschränkt.

Gruppen werden jetzt ca. 20 Kilometer entfernt auf privaten Campingplätzen an der Mosel, an Vulkanseen oder in regionalen Tagungshäusern untergebracht und organisierten ihre Aktionen von dort aus. 

Das Anmelden von Mahnwachen ist zum jetzigen Zeitpunkt am Verkehrskreisel nach wie vor möglich, und auch die in 100 Meter vom Haupttor entfernte Friedenswiese wird bisher geduldet. 

Auf www.buechel-atombombenfrei.de finden sich alle teilnehmenden Friedensgruppen und Büchel-Aktionen sowie sonstige wichtige Informationen.

Gerichtsprozesse der Go-in-Aktionen

In den letzten drei Jahre wurden über 60 Gerichtsprozesse geführt. Viele davon aus den Jahren 2017, 2018 und 2019, als die meisten Go-in-Aktionen stattfanden. Alle Prozesse wurden von den friedenspolitischen Soligruppen im Amtsgericht Cochem und im Landgericht Koblenz mit Mahnwachen und Prozessbeobachtungen begleitet. 

Europäische Vernetzung

Nuclear-Free Europe (nukefreeeurope.eu) heißt unsere europäische Kampagne zur Beendigung der nuklearen Teilhabe in Europa. Eine Welt frei von Atomwaffen, die Eindämmung der Klimakrise samt Klimagerechtigkeit und unser Recht auf Leben und Gesundheit – alle diese Ziele gehören zusammen! So wird die internationale Woche im kommenden Jahr am niederländischen Atomwaffen-Stützpunkt Volkel stattfinden. Auch dort werden Go-in-Aktionen durchgeführt.

Warum die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes

Das europäische Gericht in Straßburg wurde angerufen, da unser aller Recht auf Verteidigung bisher in allen deutschen Gerichtsinstanzen verletzt wurde: Auch völker- und verfassungsrechtliche Fragen sind zu prüfen, anstatt nur reduziert der Sachverhalt von „Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung“. In keinem Verfahren wurden unsere VölkerrechtsexpertInnen und Sachverständige als ZeugInnen zugelassen, die die illegale Atomwaffen-Stationierung und auch die illegale nukleare Teilhabe hätten belegen können und womit wir unser Recht auf Notwehr begründen. 

Uns ist bewusst, dass das Bundesverfassungsgericht dafür bekannt ist, sich nicht mit rechtlichen Fragen zur Außenpolitik unserer Regierung beschäftigen zu wollen. Der Europäische Gerichtshof hat hier u.a. die Möglichkeit, die Verletzung des Rechtes auf Verteidigung anzuerkennen und das Verfahren an das deutsche Verfassungsgericht mit der Aufforderung zurück zu geben. Letztendlich verteidigen wir damit das internationale Recht. Ohne unsere Beschwerdeklagen hätte der Europäische Gerichtshof gar nicht erst die Chance, seine Gesetze anzuwenden. 

Mahnwachen hinter Gittern

Seit Mai, und damit auch während der erhöhten Atomkriegsgefahr durch den Ukrainekrieg, haben bisher drei Personen ihre Geldstrafe wegen „Hausfriedensbruch“ und „Sachbeschädigung“ in eine 30-tägige Ersatzfreiheitsstrafe als Mahnwache hinter Gittern umgewandelt. 

Für das kommende Jahr arbeiten Prozessierende aktuell an einer neuen Strategie, wie wir unsere Proteste stärker gemeinsam gegen die Gerichte anwenden könn(t)en. 

Prozesskosten werden immer wieder aus der Friedensbewegung und von engagierten AnwältInnen mitgetragen. Wir freuen uns jederzeit über nötige weitere Spenden auf unser Konto der GAAA (Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen), die eine Mitgliedsgruppe der DFG-VK ist: DE57 4306 0967 8019 1512 00, Verwendungszweck: Prozesskosten

Atomwaffen-Verbotsvertrag – Druck aus der Zivilgesellschaft 

Der Druck auf unsere Regierung wurde über „Lobbyarbeit von unten“ durch den Städte- und Abgeordnetenappell und die Organisation der „BürgermeisterInnen für den Frieden“ immer weiter ausgebaut, damit ein Beitritt Deutschlands zum Atomwaffen-Verbotsvertrag endlich erfolgen kann. 

Hierfür machten sich unsere Trägerkreisorganisationen gemeinsam mit Ican stark: Unsere Forderung an unsere Regierung unterstützen bereits über 837 BürgermeisterInnen für den Frieden (Mayors for Peace – weltweit sind es über 8 206 Städte), 650 Landtags-, Bundestags- und Europa-Abgeordnete (davon 180 MdBs) sowie über 137 Städte, die dem Ican-Städteappell beigetreten sind. Damit werden 29 Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentiert. Deutschland steht beim Städteappell weltweit auf Platz 1 und steht bei der Anzahl der Mayors for Peace auf Platz 3, nach Japan und den Iran. 

Bis heute haben bereits 68 Staaten den Verbotsvertrag ratifiziert und 92 weitere Staaten haben ihn bisher unterzeichnet. Zum jetzigen Zeitpunkt hat immer noch kein einziger Atomwaffenstaat und auch kein einziges Nato-Mitgliedsland diesen Verbotsvertrag unterzeichnet. 

Internationale Konferenzen

Unsere Proteste und die Wiener und New Yorker-Abrüstungskonferenzen standen alle vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine und auch der weiter eskalierenden Beteiligung vieler westlicher Länder, z.B. durch Waffenlieferungen an die Ukraine. Es ist ein Krieg, der sich jederzeit in einen regionalen oder auch globalen Atomkrieg ausweiten kann bzw. in eine atomare Katastrophe durch die sechs AKWs im Kriegsgebiet. 

Überdeutlich zeigt es das Scheitern der nuklearen Abschreckungspolitik, die diesen Krieg nicht verhindern konnte. Dieses haben alle Atommächte mit zu verantworten, da sie seit Jahrzehnten ihrer Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung nicht nachgekommen sind, sondern stattdessen weiter aufrüsten.

Ican-Forum in Wien

Im Juni fuhren insgesamt ca. 50 Friedensbewegte aus verschiedenen Gruppen und Organisationen nach Wien. Das Ican-Forum war eine großartige Möglichkeit für internationale Nichtregierungsorganisationen und AktivistInnen, sich über unser Netzwerk zu informieren und sich über unsere gemeinsame Strategie auszutauschen: 40 organisierte Workshops mit über 100 internationalen ReferentInnen. 

Wir inspirierten uns gegenseitig mit guten Argumenten und knüpften neue Kontakte. Ich habe bei diesem ersten Treffen nach der langen Corona-Isolierung stark gespürt, wie wichtig unsere physischen Treffen sind, die die individuelle Vernetzung auch in Einzelgesprächen ermöglichen. Dafür können Videokonferenzen kein vollständiger Ersatz sein. 

Die Workshops finden sich hier: https://vienna.icanw.org/forum

Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen. Am 20. Juni haben in der 4. Konferenz zu den „Humanitären Auswirkungen von Atomwaffen“, die vom österreichischem Außenministerium organisiert wurde, viele RegierungsvertreterInnen teilgenommen. Wir hatten exzellente wissenschaftliche Präsentationen zu Klima und Atomwaffen, die uns allen den Wahnsinn diverser Atombomben-Einsatzstrategien vorführten. Die Ergebnisse der atomaren Einsatzszenarien machten deutlich, dass die nukleare Abschreckung eine Sackgasse ist. Und auch die Atomgefahren zeigen unser bisheriges Glück bei den Atomwaffen-Unfällen. Diese Gefahr vergrößert sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. 

Ich war überrascht, mit welcher Stärke dieser Wahnsinn von vielen Regierungsvertretern der Nichtatomwaffen-Staaten wahrgenommen und formuliert wurde. Trotzdem wurde demgegenüber der Bedarf an Atomkraftwerken von vielen Nicht-Atomwaffenstaaten immer wieder bekräftigt. 

Mary Olsen aus den USA referierte über die Gefahren durch radioaktive Niedrigstrahlung und sprach über Gender & Radioaktivität. Als Biologin belegte sie in Studien, dass Mädchen und Frauen um ein Vielfaches mehr durch radioaktive Strahlung geschädigt werden als Jungen und Männer. (https://childrenofatomicveterans.org/)

Erste Staatenkonferenz zum Atomwaffen-Verbotsvertrag (AVV). Die 1. MSP-Konferenz (Meeting of States Parties) fand direkt im Anschluss Ende Juni in Wien statt. Überraschend war, dass neben dem deutschen Vertreter nun doch mehrere Nato-Länder mit Beobachterstatus vertreten waren; darunter mit den Niederlanden und mit Belgien zwei weitere Länder mit der „nukleare Teilhabe in der Nato“ sowie die Nicht-Nato-Länder Schweden, Norwegen, Australien und die Schweiz. 

In der 1. MSP-Abschlusserklärung wurde Russland nicht namentlich und alleinstehend bezüglich der nuklearen Abschreckungspolitik verurteilt, sondern alle Atomwaffenstaaten, da sie alle auf die nukleare Abschreckung setzen und die Welt damit in Geiselhaft halten. Sie alle rüsten nicht ab, sondern rüsten sogar ihre Atomwaffenarsenale mit ganz neuen Waffensystemen auf. 

Einzelne Delegierte der Nato-Staaten haben diese fehlende Verurteilung Russlands mit Alleinstellungscharakter im Anschluss stark kritisiert. Dabei zeigt dies, warum 122 Nichtatomwaffenstaaten nach jahrzehntelangen NVV-Überprüfungskonferenzen,
in denen den Weg Richtung Verbotsvertrag eingeschlagen haben. Es war ihre Frustration gegenüber diesen NVV-Überprüfungskonferenzen, in denen die westlichen Atommächte nicht zu vollständigen und gleichzeitigen Abrüstungsschritten bereit waren und die Verantwortung dafür ausschließlich China, Nordkorea, Iran und Russland zugewiesen werden sollte. Diese Doppelmoral, bzw. dieser Doppelstandard wird durch die jetzigen Atomwaffen-Verbotsvertrags- Konferenzen immer offensichtlicher und für die Atomwaffenstaaten zur vermehrten Blamage, zumal immer mehr Nicht-Atomwaffenstaaten dem Verbotsvertrag beitreten. 

Beim Atomwaffen-Verbotsvertrag haben die Atommächte kein Vetorecht, von dem sie regelmäßig beim Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag Gebrauch gemacht haben. So wurde und wird die Welt weiter unter dem nuklearen Damoklesschwert gehalten. 

Als eines der ersten Ziele der AVV-Konferenz wurde erreicht: Viele Staaten, die z.B. von den humanitären Auswirkungen der Atomtests schwer getroffen sind, sollen zukünftig Gelder für einen Opferhilfefonds erhalten, woran sich auch Deutschland beteiligen möchte. Unsere Regierung kommt nicht ganz am Verbotsvertrag vorbei, ohne das Gesicht zu verlieren – ein erstes kleines Zugeständnis, das mit dem öffentlichen Druck aus unserer Zivilgesellschaft zu tun hat. 

Vom 1. bis 26. August fand die NVV-Konferenz in der UN statt. In der ersten Woche wurden Berichte der einzelnen Länder vorgetragen. Am 2. August hielt Außenministerin Baerbock ihre Rede, in der sie kein Wort über die Verletzungen des NVV/NPT durch Deutschland oder andere westliche Atommächte oder Nato-Staaten verlor. Kein Wort über die vertragsbrüchige nukleare Teilhabe, die laut der International Lawyers Against Nuclear Arms gegen Artikel I und II des NVV verstößt, da der Vertrag die unmittelbare sowie die mittelbare Weitergabe/Annahme der Verfügungsgewalt von Atomwaffen – also die Mitwirkung – verbietet.

Es gab auch kein Wort über die nukleare Aufrüstung durch die geplante Neustationierung der B61-12 US-Atombomben in Deutschland, die gegen den Artikel VI, Weiterverbreitung von Atomwaffen gegenüber der Verpflichtung zur Abrüstung, verstößt. Stattdessen wurden namentlich alleine China, Nordkorea, Iran und Russland von Baerbock verurteilt. Nachdem China einen Tag später in der Rede die nukleare Teilhabe der Nato in Europa kritisierte (was notwendig ist, damit daraus kein Gewohnheitsrecht wird), reichte Annalena Baerbock am 4. August eine schriftliche Erwiderung in der UN-Generalversammlung ein. Sie erklärte darin, dass die nukleare Teilhabe nicht gegen den Vertrag verstoße, weil – sinngemäß – diese bereits vor der Unterzeichnung des Vertrages bestanden habe. Dieser Rechtsauffassung wird allerdings von internationalen RechtsexpertInnen widersprochen. 

Saubere Atomenergie als Klimaretter?! Für das Scheitern des Nichtzustandekommens des NVV-Abschlussdokuments kann und darf nicht allein Russland verantwortlich gemacht werden. Der Text des Abschlussdokumentes ist unabhängig von der AKW-Katastrophengefahr im Ukrainekrieg eine inhaltliche Katastrophe, was die Rettung des Klimas betrifft, woran Deutschland mitbeteiligt ist. 

Beim Lesen des 35-seitigen NVV-Abschluss-Dokumentes wird deutlich, dass es sich hier eher um ein reines Werbedokument für „Atoms for Peace“ durch die IAEO (Internationale Atomaufsichtsorganisation) handelt, die die Nicht-Atomwaffenstaaten auf die Rettung der Welt und des Klimas mit ziviler Atomtechnologie festnageln will. Die Hälfte der Paragrafen befasst sich damit, die Wissenschaft der Atomtechnologie auszubauen, weitere Staaten zu ermutigen, Atomtechnologie zu erwerben, sie darin umfassend zu unterstützen und vertraglich darauf zu verpflichten und einzuschwören.

Dabei ist gerade der Einmarsch Russlands in die Ukraine mit der gefährlichen Besetzung von Kernkraftwerken ein sehr deutliches Beispiel, wohin die Gefahren der Nukleartechnologie gerade unter Kriegsbedingungen führen kann. 

Stattdessen wurde in der EU-Taxonomie die Atomenergie aktuell als nachhaltige Energieform aufgenommen und die IAEO spricht offen von „Mit Atomstrom gegen den Klimawandel“ bzw. die USA vom weltweiten Export von kleineren mobilen Atomreaktoren. 

Auch wenn Deutschland sich hier vorerst bedeckt gehalten hat: Es ist Mitglied einer Gruppe von Staaten, die sich unter dem Namen „Non-Proliferation and Disarmament Initiative“ zusammengeschlossen haben. Für die Vorbereitungskonferenz zur NVV (NPT PrepCom) im Jahr 2019 erarbeiteten sie ein Arbeitspapier mit dem Titel „Förderung der friedlichen Nutzung der Kerntechnik: ein Instrument zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung“. 

International Renewable Energy Agency (Irena). Während der NVV auf Atomenergie setzt, wurde bereits im Jahr 2009 Irena von 75 Staaten als Alternative gegründet. Irena unterhält ein Büro eines ständigen Beobachters bei den Vereinigten Nationen in New York, ein weiteres Büro in Bonn und hat ihre Zentrale in Abu Dhabi. Um den weltweiten Einsatz erneuerbarer Energien zu erzielen bekundeten die Regierungen ihr Engagement für einen Wandel des globalen Energieparadigmas. Sie entwickelten einen Fahrplan zur Verdoppelung der weltweiten Nutzung erneuerbarer Energien bis 2030. Es lohnt sich, dazu die Irena-Webseite anzusehen: www.irena.org/aboutirena

Das Nichtzustandekommen des Abschlussdokumentes ist zwar eine Enttäuschung, aber auch ein Zeichen für den erfolgreicheren Weg des Atomwaffen-Verbotsvertrages, der einen Aktionsplan verabschiedet hat. Die AVV-Folgekonferenz findet bereits im November nächsten Jahres in der UN in New York statt. 

Mein Fazit: Nukleare Abrüstung geht nur gemeinsam mit allen Atommächten und ohne Atomenergie!

Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen.

Kategorie: 2022, atomwaffenfrei Stichworte: 202203, Atomwaffen, atomwaffenfrei

26. November 2022

„Solidaritätskonto auf der Anklagebank“

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ZivilCourage 3/2022

atomwaffenfrei

Strafverfahren gegen Atomwaffengegner eingestellt

Von Ariane Dettloff

Ein weiterer Einschüchterungsversuch der Bundeswehr gegen Anti-Atomwaffen-Aktivist*innen am Atomwaffen-Stationierungsort Büchel konnte am 8. September in Korbach (Hessen) abgewehrt werden. Dort wurde die Strafanzeige des Büchel-Kommandanten gegen Uwe Lutz-Scholten verhandelt. Das Verfahren wurde vom Amtsgericht wegen Geringfügigkeit eingestellt. Lutz-Scholten war seitens der Bundeswehr vorgeworfen worden, durch die Verwaltung eines Solidaritätskontos für Prozesskosten zivil Ungehorsamer am Fliegerhorst Büchel „Beihilfe zu einer öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat“ geleistet zu haben. 

Der Hintergrund: Auf der Website der Aktion „Digging for Life“ war das Konto genannt worden. „Stoppt die nächste Katastrophe – Atomwaffen abschaffen!“ hieß es da neben einem Foto von rosa Schaufeln vor einer Rolle Nato-Stacheldraht, verbunden mit zwei Zielsetzungen: Die CO2-Emissionen des Militärs sollten bei der Berechnung der Klimaziele einbezogen und Widerstand gegen die Pläne, eine neue Atombomben-Generation – die US-amerikanischen B61-12 – in Europa zu stationieren, organisiert werden. 

Bisher üben deutsche Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 in der Eifel täglich mit Attrappen den Abwurf dort lagernder frei fallender Wasserstoffbomben. In Zukunft sollen es Bomben mit Präzisionssteuerung und variabler Sprengkraft sein – ausdrücklich, um sie „besser einsetzbar“ zu machen. 

In seiner Verteidigungsrede, mit der er die Zahlung eines Strafbefehls über 200 Euro ablehnte, erklärte Lutz-Scholten: „Die Anzeige des Kasernenkommandanten des Atomwaffenlagers Büchel (…) gegen mich (…) scheint mir auch nicht in einem rechten Verhältnis zu stehen zu dem, was er selbst und die dort eingesetzten Bundeswehrsoldaten mit ihrem Handeln zu verantworten haben. Denn in Büchel wird täglich der Einsatz von Atomwaffen durch die Bundeswehr geübt, damit diese im sogenannten Ernstfall, auch tatsächlich eingesetzt werden können. (…) Auf diesem Hintergrund haben sich einige engagierte Menschen entschlossen, durch Regelverstöße in Form des gewaltfreien zivilen Ungehorsams mehr öffentliches Interesse zu erregen und durch ihr Handeln die permanente atomare Bedrohung zumindest zeitweise zu stoppen. In den anschließenden Prozessen ist dann auch die Justiz aufgefordert, zwei Rechtsgüter miteinander abzuwägen: Das Recht auf das Nicht-Betreten einer militärischen Anlage mit dem Recht auf die Unversehrtheit des Lebens, das durch diese Anlage ständig bedroht wird.“

Diese Abwägung fand auch diesmal wie schon in 99 Prozessen um den gewaltfreien Widerstand in Büchel nicht statt. Die Richterin befand, ein Solidaritätskonto für Aktivist*innen könne „Straftaten begünstigen“. Anwalt Christoph Weltecke beantragte schließlich die Einstellung des Verfahrens nach Paragraph 153 Strafprozessordnung wegen Geringfügigkeit, und Richterin und Staatsanwältin stimmten zu. Somit können kriminalisierte Atomwaffengegner*innen weiterhin Prozesskostenhilfe erhalten. Die Waldeckische Landeszeitung berichtete ausführlich unter der Überschrift „Gerichtsverhandlung wird zur Friedensdemo“ (https://bit.ly/3TXuPFe).

Damit ist eine weitere Zielsetzung der gewaltfrei Aktiven in Büchel erreicht: den Skandal der völkerrechtswidrigen Stationierung von Atomwaffen und Drohung, sie einzusetzen, einer breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen. Im Gerichtssaal blieb die Öffentlichkeit auf die Präsenz von zehn Beobachtenden beschränkt. Weitere zehn Unterstützende mussten vor der Tür bleiben, was sie jedoch im Nachhinein positiv werteten, konnten sie doch die Zeit für Diskussionen mit dem als Zeugen geladenen Fliegerhorst-Kommandanten nutzen. 

Auch die dem Prozess vorhergehende Mahnwache hatte Passanten und Straßencafé-Gäste der nordhessischen Kreisstadt erreicht, unter anderem mit einem Zitat des Arztes und Philosophen Albert Schweitzer. Er erklärte schon 1962: „Wir, die wir den Kampf gegen die Atomwaffen führen, treten nicht als Ankläger, sondern als Richter auf. Wir richten im Namen der Vernunft und der Menschlichkeit und wollen eine öffentliche Meinung schaffen, die richtet wie wir und zuletzt die Abschaffung der Atomwaffen erzwingen soll.“

Ariane Dettloff ist langjähriges DFG-VK-Mitglied und aktiv gegen Atomwaffen in Büchel.

Kategorie: 2022, atomwaffenfrei Stichworte: 202203, Atomwaffen, atomwaffenfrei

26. November 2022

Feministische Außenpolitik

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ZivilCourage 3/2022

Strategie

Alternativer Politikansatz jenseits eines parteipolitischen Schlagworts

Von Ralf Buchterkirchen

Seit Beginn der Ampelkoalition im Bund geistert ein Begriff durch die sicherheitspolitischen Debatten, der vorher nur Insider*innen bekannt war: feministische Außenpolitik. Zeit also, einmal nachzufragen: Was heißt das für eine pazifistische Politik, und warum sollte eine Außenpolitik feministisch sein? Und: Ist die Politik der Ampel-Regierung überhaupt feministische Außenpolitik?

Ausgangspunkt ist die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates „Women, Peace and Security“ (WPS) aus dem Jahr 2000, der weitere Resolutionen folgten. Die Ursprungserklärung geht zurück auf eine Anregung von Netumbo Nandi-Ndaitwah, der damaligen Frauenministerin Namibias. 

Diese Resolution 1325 war geradezu revolutionär und hat insbesondere sicherheitspolitische Debatten massiv beeinflusst. Erstmals wurde anerkannt, dass die Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen sowie geschlechtsbezogene Themen als relevant für Frieden und Sicherheit angesehen werden müssen. Das war vorher nicht der Fall. Die WPS-Agenda basiert auf vier Säulen: 

• Partizipation an Friedensförderung; 

• Prävention – Einbeziehung geschlechterspezifischer Sichtweisen in Konfliktprävention; 

• Schutz von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten und geschlechtergerechte Hilfe; 

• Wiederaufbau und Wiedereingliederung. 

Damit ist diese Resolution eine wesentliche historische Grundlage für feministische Außenpolitik. Allerdings reichen die Ursprünge weiter zurück. Ideen lassen sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden, bis hin zu den ersten Frauenfriedenskonferenzen. Anita Augspurg, Lida Gustava Heynemann und Bertha von Suttner sind hier frühe Ideengeberinnen. Es ist bedauerlich, dass ihre Schriften bis heute kaum rezipiert werden.

Umgesetzt wurde und wird die UN-Resolution 1325 durch nationale Aktionspläne. Davon gibt es weltweit bereits über 100. Spannend ist, dass die Länder des globalen Nordens WPS eher außenpolitisch verstehen, in dem Sinne, wie sie den WPS-Ansatz gegenüber dem globalen Süden einsetzen können, während der globale Süden eher innenpolitisch agiert. Hintergrund des Unterschieds: Die Länder des globalen Nordens sehen in ihren eigenen Ländern keinen feministischen Handlungsbedarf, sondern nur bei den anderen, also den Ländern des globalen Südens. So ähnlich argumentierte schon der Kolonialismus, gerade auch der deutsche, – die aktuelle Politik der Länder des globalen Nordens, wiederum auch Deutschlands, setzt diese Politik fort.

Ein weiterer Punkt: Feministische Außenpolitik ist nicht klar definiert. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich vor allem auf die 2017 gegründete Forschungs- und Beratungsorganisation  „Centre for Feminist Foreign Policy“ (CFFP; https://centreforfeministforeignpolicy.org), das seit Jahren thematisch aktiv ist und grundlegende Einsichten für die deutsche Debatte geliefert hat und international sehr gut vernetzt ist.

Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht zwar eine feministische Außenpolitik, schränkt diese aber gleichzeitig ein, weil sie sich nur auf die UN-Resolution 1325 bezieht und sich auf Repräsentanz, Ressourcen und Rechte für Frauen, ergänzt um Diversität, beschränkt – und das eben vor allem mit einem Blick auf andere.

Feministische Außenpolitik kann jedoch mehr

Was feministische Außenpolitik tatsächlich ist. Sie soll verändern. Es geht um eine globale Sicherheitspolitik, die Menschen – nicht Staaten – in den Mittelpunkt rückt und marginalisierten Gruppen eine Stimme gibt (Lunz, S. 53).  Dazu gehören der Abbau von patriarchalen Strukturen und Gewaltverhältnissen. 

Vorhaben der Ampel-Regierung

„Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern. Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln.“ (Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP; Seite 144; abrufbar unter: https://bit.ly/3Vvur1T)

Geschlechtergerechtigkeit ist zentrale Voraussetzung für Frieden. „Für feministische Außenpolitik ist die Überwindung struktureller Gewalt, die aufgrund von Geschlecht, Herkunft, ‚Race‘, sexueller Orientierung, Behinderungen und anderen mehrfach ineinandergreifenden Diskriminierungskategorien ausgeübt wird, Voraussetzung für Frieden und menschliche Sicherheit.“ – so versucht sich die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung an einer Definition (Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung).

Das CFFP ergänzt: „Feministische Außenpolitik … [ist ein] politisches Rahmenwerk, das für das Wohlergehen marginalisierten Menschen nötig ist. Feministische Außenpolitik lässt die Betonung von militärischer Gewalt, Gewalt und Dominanz hinter sich und formuliert ein alternatives und intersektionales Verständnis von Sicherheit aus der Perspektive der Schwächsten.“ (Lunz, S. 201)

Feministische Außenpolitik und – daher auch der Begriff feministisch – geht also davon aus, dass die großen Krisen unserer Zeit nicht nationalstaatlich, sondern nur international gelöst werden können und dass alle Versuche ohne feministischen Ansatz Machtgefälle vergrößern und damit einer Lösung selbst im Weg stehen würden. Die bisherige bekannte Außenpolitik ist stark männlich dominiert, was dazu geführt hat, dass männliche Sichtweisen und Privilegien die Politik dominieren. Die Welt, wie sie heute ist, ist ein Resultat patriarchaler Struktur und beruht auf diesem Machtgefälle, daher ist intersektional gedachter Feminismus der Ansatz, diese Strukturen zu hinterfragen und zu durchbrechen.

Menschliche Sicherheit steht bei feministischer Außenpolitik – und das ist der entscheidende Unterschied zu klassischer Außenpolitik – vor(!) staatlicher Sicherheit. Und dazu gehört auch, aktiv an Dekolonisierung zu arbeiten. Feministische Außenpolitik ist kein Konzept, mit dem der globale Norden dem Süden die Welt erklärt und vorgibt, wie sie zu gestalten sei.

Feministische Außenpolitik stellt also die Rechte und Bedürfnisse von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen – aber letztlich auch aller Menschen, einschließlich der Männer – ins Zentrum politischen Handelns. Das unterscheidet sie auch von klassischer Menschenrechtspolitik, die formale Kriterien wie Pressefreiheit und freie Wahlen in den Mittelpunkt rückt und nicht den Menschen selbst.

Ziel ist es, ein Recht auf positiven Frieden durchzusetzen. Dazu gehört der Abbau von Hunger und Armut und eben der Diskriminierung marginalisierter Gruppen. Es geht nicht nur um die Abwesenheit physischer Gewalt, sondern um die Sicherstellung von Grundbedürfnissen wie Wohnung, Ernährung, Einkommen, körperliche Integrität, sexuelle Selbstbestimmung, reproduktive Gerechtigkeit, Gesundheit und Schutz vor Umweltkatastrophen. Gesundheitspolitik und Klimaschutz werden integrativ einbezogen und miteinander verschränkt. Damit geht feministische Außenpolitik weit über den klassischen Bereich eines Außenministeriums hinaus. Sie zielt auch auf die eigene Gesellschaft und nicht nur auf andere Gesellschaften.

Daraus folgt: Zivile Konfliktbearbeitung ist das Mittel zur Konfliktbewältigung. Abrüstung, eine Welt ohne Atomwaffen und die Abschaffung von Waffenhandel sind alternativlos. Vermeintliche Sicherheitsmaßnahmen, die Militarisierung und Normalisierung des Militärs fördern, sind keine Lösung für Konflikte. 

Und genau an dieser Stelle macht die aktuelle Ampel-Regierung genau das Gegenteil: Die nukleare Teilhabe wurde mit der Investition in das Militärflugzeug F35 im Rahmen des 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaketes zementiert, die Waffenindustrie saniert und auf Jahrzehnte verankert. Feministische Außenpolitik hingegen setzt auf Umgestaltung. Solche militärischen Mittel sollen abgeschafft und in Bildungs- und Sozialangebote überführt werden.

Ein aktuelles Negativbeispiel ist der Krieg in Afghanistan. Wie schnell von Politiker*innen und Militärs die Frauenrechte begraben wurden, als sie als Kriegsgrund nicht mehr taugten, zeigt plastisch, welche konkreten Auswirkungen eine nicht-feministische Politik hat.

Daraus folgt: Ein Schwerpunkt auf positiven Frieden, den Abbau patriarchaler Strukturen, Dekolonialisierung und die Beseitigung gesellschaftlicher Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse muss in nationalen wie internationalen Zusammenhängen gesetzt werden. Diese Ansätze müssen gemäß feministischer Außenpolitik alle Ressorts durchziehen und alle Punkte politischen Handelns beeinflussen.

• Nachfolgend einige Stichpunkte, wie dies passieren kann:

• Institutionalisierung feministischer Außenpolitik in allen Ressorts und Schaffung entsprechender Ressourcen und Strukturen;

• laufende wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Begleitung;

• Einbindung der Zivilgesellschaft mit entsprechender Expertise in Friedensverhandlungen;

• Nutzung von Gender-Konflikt-Analysen in Missionen des Sicherheitsrates, um Machthierarchien besser verstehen zu können;

• Abkehr von einer geostrategisch und interessengeleiteten Außenpolitik zu einer lösungsorientierten und an Frieden, Geschlechtergerechtigkeit, Umwelt und Gesundheit orientierten Richtung;

• Umbau der Vereinten Nationen hin zu Transparenz und gleichberechtigter Partizipation;

• klare Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik;

• eine Handelspolitik, die den Menschen im Mittelpunkt hat, nicht den Profit (Löhne, faire Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten etc.);

• Abbau postkolonialer und diskriminierender Machtstrukturen, insbesondere auch dadurch, dass Akteur*innen des globalen Südens Entwicklungsarbeit definieren und ausgestalten;

• Aufbau sicherer und regulärer Migrationswege zur Sicherstellung des Rechts auf menschliche Sicherheit.

Waffenexporte

Das Beispiel Waffenlieferungen und Waffenbesitz zeigt plastisch, wie feministische Außenpolitik wirksam sein könnte. Waffen führen zu geschlechtsspezifischer Gewalt.

Sind Waffen vorhanden, steigt die Wahrscheinlichkeit für Frauen, in „häuslicher Gewalt“ erschossen zu werden, erheblich. Besitzer von Waffen sind überwiegend Männer. Männer sind in politischen Prozessen zu Waffenkontrolle und Abrüstung massiv überrepräsentiert. Damit wird eine männliche Perspektive zementiert. Aufrüsten gilt dabei als stark und männlich, Abrüsten als schwach, naiv und unrealistisch, nach dieser Logik also als weiblich. 

Waffen werden mit Männlichkeit und Stärke gleichgesetzt. Das verhindert effektiv Abrüstung. Hier ist also nicht nur ein Politik-, sondern auch ein antipatriarchaler Ethikwechsel notwendig. 

Waffen verstärken das Machtungleichgewicht zwischen Geschlechtern und national betrachtet zwischen dem globalen Süden und dem Norden. Dass zu erkennen, ist eine Grundlage, um Abrüstung und Waffenhandel einzudämmen. Für feministische Außenpolitik ist Abrüstung daher zentral. Fällt sie weg, erfolgt keine Bekämpfung der Ursachen von Konflikten. 

Ob die Bundesregierung in dieser Definition feministischer Außenpolitik, wie sie insbesondere vom „Center for Feminist foreign policy“ erarbeitet wurde, agiert oder nicht, wird die Zukunft zeigen. Die aktuellen Handlungen sprechen allerdings eher nicht dafür, sondern bleiben bestenfalls in klassischer Menschenrechtspolitik hängen. 

Abrüstung und die Abschaffung von Atomwaffen sind aktuell kein Thema mehr. Es wird eher der Fokus darauf gelegt, klassisch die Situation von Frauen und Mädchen innerhalb des aktuellen Systems zu verbessern – oft als Vorwand für andere Interessen, und es geht gar nicht darum, die Logik des Militärischen zu durchbrechen. 

Insofern ist es nach derzeitigem Stand (Außenministerin Baerbock hat ein Strategiepapier für Anfang 2023 angekündigt) wenig wahrscheinlich, dass Kernelemente klassischer feministischer Außenpolitik die deutsche Politik erreichen, sondern dass der Begriff nur instrumentalisiert wird für deutsche militärische Intervention. Hier wäre es Aufgabe einer politischen Friedenbewegung, sich zu positionieren und echte feministische Außenpolitik einzufordern! 

2014 hat Schweden als erstes Land eine feministische Außenpolitik als Grundlage seiner Politik propagiert. Im Rahmen seiner Möglichkeiten, insbesondere in den Vereinten Nationen, hat es erheblich dazu beigetragen, das Thema auf die Agenda zu setzen und auch konkrete Strategiepapiere zu entwickeln. 

Beim Thema Abrüstung hat Schweden aber komplett versagt. Es liefert auch weiterhin Waffen an Staaten, die Frauenrechte massiv missachten. Inzwischen hat das Land den Beitritt zur Nato beschlossen.

Kritik und Perspektive

So gut feministische Außenpolitik erst einmal klingt: auch sie hat Grenzen. Sie ist nicht grundsätzlich antimilitaristisch. Man kann zu dem Schluss kommen, dass es aus feministischer Perspektive sinnvoll ist, militärisch zu intervenieren. Gleichzeitig birgt sie die Gefahr, dass Feminismus oder Menschenrechte als Vorwand für militärische Interventionen missbraucht werden. Durch ihre unklare Definition ist sie offen für propagandistischen Missbrauch. Eine Schärfung und Weiterentwicklung aus antimilitaristischer Perspektive ist hier notwendig. Daher wäre hier der Ansatz für Organisationen wie die DFG-VK, feministische Außenpolitik als gewaltarmen, aber nicht-pazifistischen Ansatz wahrzunehmen und weiterzuentwickeln. 

Zudem ist feministische Außenpolitik in erster Linie ein Theorieansatz, der bisher nur in geringem Maße den Praxistest erlebt hat. Es mangelt noch an wissenschaftlichen Arbeiten und konkreten Handlungsleitfäden (erste sind in englischer Sprache erschienen – siehe Kasten auf der vorigen Seite). 

Weitergehend sollten auch vorhandene Konzepte und Strategien der Friedensbewegung überdacht werden. Das hilft auch, neue Zielgruppen für die Idee des Friedens zu gewinnen, indem ihre Bedürfnisse angesprochen und berücksichtigt werden. Das geht von Antirekrutierungsarbeit bis hin zur Initiative „Sicherheit neu denken“. Eine fällige Revision dieses Konzepts unter der beschrieben feministischen Prämisse gedacht würde es nicht nur realitätsnäher machen, sondern sich auch besser an zivilgesellschaftliche Prozesse anbinden lassen.

Literatur

Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen; Berlin 2022

Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung: Annäherung an eine feministische Außenpolitik (erschienen als E-Paper, mit vielen weiteren Materialien zu finden auf: https://bit.ly/3exxxlz)

Ralf Buchterkirchen ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

Kategorie: 2022, Strategie Stichworte: 202203, feministische Außenpolitik, Friedenspolitik, Strategie

26. November 2022

Schon wieder „Kriegspartei für den Frieden“

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ZivilCourage 3/2022

Ukraine-Krieg

Nach dem Grünen-Parteitag – ein lohnender Rückblick

Von Hermann Theisen

Die Grünen-Spitze holt sich auf dem Bundesparteitag in Bonn die Zustimmung für Waffenlieferungen an die Ukraine. Die vereinzelten Gegenstimmen sind nur noch eine Minderheitenposition in einer Partei, die von einer neuen Generation getragen wird“, schreibt Sebastian Hold für NTV. Die Grünen seien jetzt eine „Kriegspartei für den Frieden.“

Wenn eine aus der Friedens- und Umweltbewegung der 1980er Jahre entstandene Partei zu einer kriegsbefürwortenden Partei mutiert, so erinnert das unweigerlich an George Orwells Neusprech aus seinem dystopischen Roman „1984“, der seit geraumer Zeit in mehrfacher Hinsicht eine erschreckend-beängstigende Aktualität erfährt. 

Der Blick zurück

20 Jahre nach Gründung der Partei gab es für die Grünen mit ihrer kriegsbefürwortenden Haltung zum Krieg im Kosovo eine ungemein schwierigere Zerreißprobe, die fast zu ihrer Spaltung geführt hätte. Ein Rückblick lohnt sich:

Am 24. März 1999 fand mit der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg im ehemaligen Jugoslawien eine Zäsur in der Außen- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik statt, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nahmen deutsche Soldaten aktiv kämpfend an einem Krieg teil. Die Weichen dafür wurden am 12. Oktober 1998 im Deutschen Bundestag gestellt, als 500 Abgeordnete der Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien zustimmten, während 62 Abgeordnete das ablehnten und 18 sich enthielten. 

Zwei Jahre danach wurden alle Abgeordneten schriftlich zu ihrem Abstimmungsverhalten befragt und um Beantwortung folgender Fragen gebeten: 

„1. Wie haben Sie sich damals entschieden und von welchen Erwägungen haben Sie diese Entscheidung abhängig gemacht? 2. Wie bewerten Sie zurückblickend Ihre Entscheidung bzw. würden Sie sich auch im Nachhinein so entscheiden? 3. Sind Sie der Auffassung, dass der Themenkomplex – gemessen an seiner Bedeutung – in der Öffentlichkeit ausreichend thematisiert worden ist bzw. welche Rolle spielt er in Ihrer aktuellen politischen Arbeit?“ 

130 Abgeordnete nahmen an der Befragung teil und begründeten teilweise sehr persönlich und ausführlich ihre diesbezügliche Haltung, einige von ihnen meldeten sich telefonisch, woraus längere Gespräche entstanden und deutlich wurde, dass die Befragung in gewisser Weise den Nerv vieler Abgeordneter getroffen zu haben schien.

 Die Befürworter begründeten ihre Haltung mit dem notwendigen bündnispolitischen Engagement der Bundesrepublik als Mitgliedsstaat der Nato und mit der aus ihrer Sicht fehlenden Alternative zum militärischen Einsatz. Die Gegner begründeten ihre Haltung mit den fehlenden völkerrechtlichen Voraussetzungen des Krieges und mit einer pazifistischen Haltung, wonach jegliche Beteiligung an einem Krieg strikt abzulehnen sei. Aus der Befragung ist eine schriftliche Dokumentation entstanden, die in einer Kurz- und in einer Langfassung im Internet abrufbar ist (https://bit.ly/3MMlEoy;
https://bit.ly/3CKIoR8)
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Grundlegende Kritik vom damaligen Justizminister

Deutliche, aber öffentlich nicht bekannte Kritik: Die bedeutsamste Antwort kam von Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), dem damals noch amtierenden Bundesjustizminister: 

„1. Ich habe an der seinerzeitigen Beschlussfassung im Bundestag extra nicht teilgenommen (und dafür auch die betreffende Ordnungsgeldzahlung gerne in Kauf genommen). Ich war seinerzeit noch der amtierende Bundesjustizminister und hatte mich bei dem vorangegangenen Kabinettsbeschluss, der die Parlamentsvorlage lieferte, ausdrücklich gegen die in Rede stehende Einsatzentscheidung ausgesprochen. Eine entsprechende Protokollerklärung von mir liegt in den Kabinettsakten. Da ich mich außerhalb des Kabinetts nicht gegen die Regierungsentscheidung stellen wollte (und durfte: § 28 II GeschO-BRreg), aber auch von meiner Meinung nicht abweichen wollte, kam nur eine Nichtteilnahme in Betracht. Maßgeblich war in der Sache für mich vor allem das Fehlen eines entsprechenden Sicherheitsrats-Beschlusses. Denn abgesehen von der schlichten rechtlichen Notwendigkeit einer solchen Voraussetzung schien (und scheint) mir nur durch einen solchen Beschluss die Gefahr vermieden, dass einzelne Staats- oder Bündnisinteressen den Ausschlag geben. Immerhin hatte man in ganz ähnlichen Fällen mit vergleichbaren humanitären Katastrophen eben von einer militärischen Intervention abgesehen, offenbar weil bestimmte Machtinteressen nicht so eindeutig dafür stritten. Schließlich schien mir auch die militärische, strategische Richtigkeit des Waffeneinsatzes nicht einleuchtend, weil durch die Luftoperationen voraussehbar die zu schützende Bevölkerung selber in Mitleidenschaft gezogen würde. 

2. Nach wie vor halte ich meine Entscheidung von damals für richtig und glaube auch, dass es heute zu einer entsprechenden Initiative der Nato-Staaten nicht mehr kommen würde. 

3. Die Diskussion seinerzeit war ausführlich. Wenn etwas zu kritisieren wäre, dann ist es die eskalierende Abfolge von militärischen Vorentscheidungen, welche den Schlussentscheid für viele wohl auch unausweichlich erscheinen ließ.“ 

Im Stenographischen Bericht der Bundestagssitzung vom 16. Oktober 1998 findet sich kein einziges Wort darüber, dass der amtierende Bundesjustizminister den Krieg im Kosovo als völkerrechtswidrig bewertet hat, was schon seit vielen Jahren der herrschenden Völkerrechtsmeinung entspricht. Doch zu welchem Abstimmungsergebnis wäre es wohl gekommen, wenn die Haltung von Schmidt-Jortzig den Abgeordneten nicht bewusst vorenthalten worden wäre? Vermutlich hätte es keine Mehrheit für eine Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg gegeben! 

Die nächste Kriegsbeteiligung nach 20 Jahren

Inzwischen sind wieder 20 Jahre vergangen und Deutschland beteiligt sich an dem Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen, finanziellen Mitteln und der Ausbildung ukrainischer Soldaten. Und schon wieder wird alles dafür getan, dass das Wort Kriegssbeteiligung unausgesprochen bleibt, so als hätte es die Lehren aus dem Kosovo-Krieg nie gegeben. Gregor Gysi antwortete damals: „Die Vorstellung, mittels Krieges Menschenrechte durchsetzen zu können, schien mir in jeder Hinsicht völlig absurd.“ 

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, oder doch: 

Lasst uns das tausendmal Gesagte
immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche
in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit
drohen Kriege, gegen welche
die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen
ohne jeden Zweifel,
wenn denen,
die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.
Bertolt Brecht

Hermann Theisen ist DFG-VK-Mitglied und Friedensaktivist.Die im Artikel beschriebene Befragung der Bundestagsabgeordneten zur deutschen Beteiligung am völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg hatte er 2000/2001 durchgeführt.

Kategorie: 2022, Ukraine-Krieg Stichworte: 202203, Ukraine-Krieg, Völkerrecht

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