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ZivilCourage

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202201

30. Mai 2022

ZC-0122-Editorial

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine erhielt ich die E-Mail eines langjährigen DFG-VK-Mitglieds, in der sich beschrieb als „fassungslos, wütend, tief betroffen – der Angriffskrieg gegen die Ukraine lässt mich wie ungezählte andere mit solcherlei Emotionen zurück.“ Ja, so ging es mir zunächst auch, und es fiel mir sehr schwer, diese ZivilCourage zu erstellen.

Aber so wichtig Emotionen sind, unser Handeln und Denken sollten wir nicht allein von ihnen bestimmen lassen, sondern ebenso von unserem Verstand. Meiner sagt mir: Krieg ist furchtbar, grausam und für viele tödlich. Aber das ist leider keine neue Erkenntnis, sondern das gilt für alle Kriege. Deswegen soll ja Krieg nicht sein, deshalb ist für uns der Krieg ein Verbrechen an der Menschheit. Deshalb muss der Ukraine-Krieg so bald wie möglich beendet werden, schnell mindestens ein Waffenstillstand vereinbart werden.

Denn klar ist doch: Mehr Waffen verlängern den Krieg, und noch mehr Menschen verlieren ihr Leben. Waffenlieferungen sind deshalb der falsche Weg und können von uns nicht unterstützt werden. Und klar ist auch: Irgendwann wird der Krieg beendet, indem Russland und die Ukraine miteinander verhandeln und Vereinbarungen treffen. Und schließlich: Dauerhaften Frieden in Europa wird es nur mit Russland geben, jedenfalls nicht gegen es. Deswegen ist eine Verteufelung Russlands oder gar die Ankündigung seiner Ruinierung keine kluge Politik. Und deshalb ist auch das Scholz´sche Gerede von einer Zeitenwende falsch. Seine undiskutierte und einsame Entscheidung, der Ukraine Waffen zu liefern, die Rüstungsausgaben dauerhaft zu erhöhen und ein gigantisches „Sondervermögen Bundeswehr“ aufzulegen, ist in Wahrheit ein Rückfall in den Militarismus vergangener Zeiten.

Das erfordert unseren deutlichen Widerspruch. Aufrüstung ist eine Kriegsursache. Mehr Militär schafft nicht mehr Sicherheit und schon gar keinen Frieden. Im Gegenteil werden damit die Ressourcen, die wir so nötig für die Abwendung der menschheitsbedrohenden Klimakatastrophe benötigen, verschwendet. Der notwendige soziale Frieden und gerechte Ausgleich wird durch Aufrüstung und das Denken in militärischen Schablonen nicht befördert, sondern verhindert.

Der Pazifismus wird es schwerer haben, wenn Freund-Feind-Denken und militärische Stärke propagiert werden. Richtig bleibt aber: Wirklich lösen lassen sich Konflikte nur zivil.

In diesem Sinne grüßt

Kategorie: Editorial Stichworte: 202201

30. Mai 2022

Deserteure unterstützen, nicht Krieg!

Leitartikel

Gemeinsam gegen die 100-Milliarden-Aufrüstung kämpfen

Von Tobias Pflüger

Der russische Angriff auf die die Ukraine ist Unrecht, ein Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Schock. Hat sich aber dadurch die politische Situation grundlegend geändert – auch hierzulande?

Für uns in der DFG-VK ist der Krieg ein Verbrechen an der Menschheit. Das gilt auch für diesen Krieg. Was können wir tun, damit der Krieg möglicht schnell endet? Ihn in keiner Weise unterstützen – indem wir z.B. Deserteure unterstützen, die russischen, aber auch die aus der Ukraine.

Nicht-Unterstützung des Krieges heißt aber auch, gegen deutsche Waffenlieferungen einzutreten und gegen ideologische und materielle Aufrüstung, gegen Kriegspropaganda und Feindbilddenken.

Denn nach dem Schock über den Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar folgte der zweite Schock, der sich noch lange innenpolitisch auswirken wird. Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete am 27. Februar, ohne dass die Ampelkoalitions-Abgeordneten das zuvor genauer wussten, ein Sondervemögen Bundeswehr in Höhe von 100.000.000.000 Euro und die Einhaltung des jährlichen 2-Prozent-Ziels der Nato. Eine noch nie dagewesene Aufrüstung. Eine Verdreifachung der Militärausgaben. Ein Geldsegen für die Rüstungsindustrie. Alle Projekte, die wir mit Druck oder Vereinbarungen verhindern oder aufhalten konnten, von der Bewaffnung der Drohnen bis zum Kauf der extrem teuren F-35-Nuklearbomber wurden handstreichartig verkündet.

Es ist die Aufgabe von Friedensbewegten, Pazifist*innen, Antimilitarist*nnen und Linken, nun gegen diesen Aufrüstungskurs zu kämpfen. Ja, vieles müssen wir wieder von ganz vorne anfangen. Ich befürchte, dass wieder – wie beim Nato-Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 – ein ganzes (rot-grünes) Milieu auf den Kriegs- und Aufrüstungskurs mitgenommen werden soll oder schon wird. Dem müssen wir entgegenwirken.

Ist die Nato nun „gut“? Nein, natürlich nicht. Die Nato-Osterweiterung war bestimmt nicht friedensstiftend. Die Nato ist und bleibt ein Kriegsführungsbündnis. Wir sollten natürlich bei unserer Kritik an der Nato-Politik bleiben. In der Nato gibt es die höchsten Militärausgaben weltweit. Jede angeschaffte Waffe wird später exportiert, auch in Kriegs- und Krisengebiete. Auch die Hofierung mit Waffenlieferungen oder mit Energieabnahmen von „Verbündeten“ wie der Türkei oder Katar bleibt falsch. Atomwaffen und Atomkraftwerke bleiben auch weiterhin völlig unverantwortlich und menschheitbedrohend. 

Die politische Auseinandersetzung ist härter geworden und sie wird darum gehen, ob und wie (genau) diese 100 Milliarden Euro für die Rüstungsindustrie und die Bundeswehr ausgegeben werden und welche (finanz)-politischen Prioritäten insgesamt gesetzt werden. Wir haben viel zu tun! Verweigern wir uns der menschenverachtenden Kriegs- und Aufrüstungs(un)logik und bleiben dabei: Der Krieg ist ein Verbechen an der Menschheit. 

Tobias Pflüger ist seit 25 Jahren DFG-VK-Mitgliedund (Mit-)Initiator der Tübinger Informationsstelle Militarisierung. Bis zur Wahl 2021 war er für Die Linke Abgeordneter im Bundestag und dort Mitglied im Verteidigungsausschuss. Seit 2014 ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei Die Linke.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202201, Aufrüstung, Leitartikel, Pflüger, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Die diplomatischen Möglichkeiten ausreizen

Titel

Rede bei der Kundgebung „Stoppt den Krieg“ am 13. März in Frankfurt am Main

Von Thomas Carl Schwoerer

Liebe Freundinnen und Freunde, in kürzester Zeit, seit gut zwei Wochen erleben wir eine Achterbahn der Gefühle. Die erste Erschütterung kam am 24. Februar mit Russlands Einmarsch in die Ukraine. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Entsprechend haben wir sofort diesen Angriffskrieg und Präsident Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen verurteilt. Wir verurteilen seinen Einsatz von Streumunition sowie den Beschuss eines ukrainischen Atomkraftwerks und mehrerer Städte. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine.

Zwei Tage später waren wir zunächst hocherfreut über die Frankfurter Kundgebung der 7 000 gegen diesen Krieg. Der Wermutstropfen bestand darin, dass vor allem Ukrainer den stellvertretenden DGB-Vorsitzenden ausgebuht haben, als er sich für Sanktionen, aber gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Deeskalation aussprach. Der ukrainische Generalkonsul entriss ihm auf unfreundliche Art das Mikro.

Tags darauf, zeitgleich zur beeindruckenden und ermutigenden Berliner Kundgebung der Hunderttausenden, kam die zweite Erschütterung, die allerdings nicht mit der ersten zu vergleichen war: Kanzler Scholz hat eine massive Aufrüstung angekündigt. Sie nützt der Ukraine nichts. Und selbst im Rahmen einer militärischen Abschreckungslogik sind die 100 Milliarden Euro auch nicht annähernd nachvollziehbar. Eine weitere Aufrüstung der osteuropäischen Nato-Staaten beispielsweise kostet nie und nimmer eine solche Summe.

Bereits in den letzten zehn Jahren ist der Militär-Etat von knapp 32 Milliarden auf gut 50 Milliarden Euro gewachsen – ein Plus von 58 Prozent. Schon diese bisherige Hochrüstung sorgte nicht für Sicherheit: Der Etat aller Nato-Staaten zusammen ist schon heute 16-Mal höher als der Russlands. Das hat aber die massiven konventionellen und atomaren Streitkräfte Russlands nicht weniger gefährlich gemacht.

Diese 100 Milliarden sind nicht Sicherheit neu denken, sondern altes Denken, um mit Gorbatschow zu sprechen. Militärische Scheinlösungen haben in Afghanistan, Mali und gegen den Terror versagt.

Die 100 Milliarden wären viel besser in den Klimaschutz, die weltweite Pandemiebekämpfung und viele andere Herausforderungen wie Bildung für die junge Generation investiert, statt sie für volkswirtschaftlich unproduktive Ausgaben zu verschwenden.

Was die Waffenlieferungen an die Ukraine anbetrifft, sind sie zwar als solidarische Tat gemeint, die Zeit kauft, damit die Sanktionen gegen Russland greifen. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass der Krieg mit zunehmender Dauer immer brutaler wird. Zudem gelangen Rüstexporte erfahrungsgemäß in die falschen Hände. Außerdem sind die Lieferungen an die Ukraine ein Präzedenzfall für zukünftige Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisenregionen – und das in einem Jahr, in dem die Ampel ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen will.

Es gibt eine große Hilflosigkeit und Angst in der Gesellschaft, auch unter Kindern und in Pflegeheimen. Dagegen hilft Orientierung: Stimmt es, dass die Diplomatie ihre Grenzen erreicht hat? 

Nein, die Möglichkeiten der Diplomatie, so engagiert sie betrieben wurde, wurden nicht ausgereizt. Der Westen hat Putins Kernforderungen nach Sicherheitsgarantien abgewiesen. Es wäre immer noch möglich, das zu revidieren, etwa zu sagen: Die Nato greift Präsident Selenskyjs Angebot der Neutralität der Ukraine auf und macht sie sich zu eigen, schließt also einen Nato-Beitritt aus. 

Schon vorher hat der Westen Fehler gemacht, indem er seit 1990 Russland nicht als gleichberechtigten Partner in die europäische Friedensordnung einbezog. Und indem er 2008 der Ukraine und Georgien die Nato-Mitgliedschaft in Aussicht stellte, damit Präsident Putins ausdrückliche rote Linie überschritt und ihn demütigte.

Das alles rechtfertigt nicht den brutalen russischen Einmarsch und dass sich Putin äußerst brutal zu nehmen versucht, was er vorher gefordert hat.

Das Vertrauen zu Präsident Putin steht auf einem Tiefpunkt, seine Glaubwürdigkeit hat massiv gelitten. Gerade deshalb würden Abrüstungsverhandlungen eine Chance darstellen: Schon im Kalten Krieg gelang es, durch Abrüstungsverhandlungen in kleinen Schritten Vertrauen aufzubauen. Generell führt – leider – kein Weg vorbei an Verhandlungen mit Putin.

Es gibt mehrere Anlässe zur Hoffnung: 1,5 Millionen Menschen haben die Petition der russischen Antikriegsbewegung unterschrieben. Sie und die ukrainische Friedensbewegung gilt es zu unterstützen, auch Einzelpersonen wie den Chefredakteur der Nowaja Gaseta und die russische Kriegsdienstverweigerer-Organisation OVD, denen wir unsere Solidarität versichert haben. Ermutigend ist außerdem, dass die russische Regierung international nahezu vollständig geächtet ist. 

Beeindruckend ist die Solidarität hierzulande mit Geflüchteten. Wir fordern auch Asyl für alle Menschen aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern oder desertieren.

Ich komme zum Schluss. Hoffnung gibt, dass sich die junge Generation das Thema Krieg und Frieden zu eigen macht. Eine unerwartet hohe Anzahl junger Menschen hat sich für unsere Friedensmentor:innenausbildung angemeldet. Und vorletzten Donnerstag haben 170 000 an den Friedensdemos von Fridays for Future teilgenommen. Im Rahmen dessen haben Schüler:innen und Studierende geschrieben: „Wenn wie geplant jedes Jahr mehr als 2 Prozent in die Bundeswehr fließen, sind wir bald der drittgrößte Militärstaat, vor Russland. Wir wollen nicht in einer Welt voller Waffen leben, sondern in einer Zukunft ohne Krieg, Klimakrise, Armut und Hunger.“

In diesem Sinne: Vielen Dank für euren Langmut und die Teilnahme an dieser großartigen Demonstration.

Die Demonstration bzw. Kundgebung in Frankfurt a.M. am 13. März war eine von vier unter demselben Aufruf (https://stoppt-den-krieg.de) durchgeführten Veranstaltungen neben Berlin, Leipzig und Stuttgart, an denen 125.000 Menschen teilnahmen.

Bei der Kundgebung in Stuttgart sprach Jürgen Grässlin als Vertreter der DFG-VK vor 35.000 TeilnehmerInnen (https://bit.ly/3DoFnFW), in Berlin zwei AktivistInnen der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab) in der DFG-VK (siehe nächste Seite).

Thomas Carl Schwoerer ist Mitglied im BundessprecherInnenkreis der DFG-VK. Hier veröffentlicht ist der Text laut Manuskript, tatsächlich gehalten wurde die Rede in verkürzter Form wegen der von den OrganisatorInnen vereinbarten Zeitbegrenzungen.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

„Aufstand statt Aufrüstung“

Titel

Rede bei der Kundgebung „Stoppt den Krieg“ am 13. März in Berlin

Von AktivistInnen der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab)

Wir sind die Antimilitaristische Aktion Berlin. Wir sind assoziiert in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner*innen. Wir freuen uns sehr, heute vor so vielen Leuten hier reden zu dürfen. Vielen Dank, dass hier heute auch so Bewegungsstraßenköter und Basishoppel wie wir sprechen dürfen und nicht nur schicke NGOs mit Hauptamtlichen. Danke sehr. 

Wir fordern „Auftstand statt Aufrüstung“ und wir wollen ein paar radikale Überlegungen hier einbringen.

Wir verurteilen den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. Es ist empörend, dass immer noch nicht alle Teile der Friedensbewegung diesen Angriff verurteilen.

Doch Aufrüstung ist keine Lösung. Denn Aufrüstung löst heute keine Konflikte in der Ukraine und führt morgen nur zu weiterer Eskalation und Militarisierung.

Entgegen dem Gelabere von der angeblich kaputt gesparten Bundeswehr zeigen die Zahlen, dass der Wehretat in den letzten 20 Jahren bereits mehr als verdoppelt wurde. Wir schmeißen für Waffen längst wieder so viel Geld aus dem Fenster wie zur Zeit des Kalten Krieges.

Hat die Aufrüstung geholfen? Haben sich Putin und seine Hofnarren dadurch von dem Angriff auf die Ukraine abhalten lassen? Nein! Hat es geholfen, die Kriege in Afghanistan oder Mali zu beenden? Nein!

Derweil ist die Bundeswehr fast wöchentlich in den Schlagzeilen, weil sich regelmäßig massenhaft Einzelfälle beim Nazi-sein erwischen lassen. Kein Wunder: Die Bundeswehr wurde von Nazi-Generälen gegründet. Wehrmachtssoldaten prägten bis in die Achtziger die Schlagrichtung der Armee. Mehr Aufrüstung und mehr Soldat*innen bedeuteten vor allem, dass noch mehr Nazi-Prepper noch mehr Waffen klauen, um Leute, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen, am Tag X zu erschießen.

Beachtet auch: Genau die Leute, die jetzt am lautesten nach Aufrüstung schreien,  erzählen seit über 20 Jahren das Märchen von Putin als lupenreinem Demokraten. Stellt euch vor, die deutschen Gazprom-Fans zum Beispiel in der SPD hätten bereits früher zu ernsthaften gewaltfreien Kampfmitteln gegriffen:

Zum Beispiel im Jahr 2000, als Grosny platt gemacht wurde. Oder 2006 nach dem Mord an Anna Politkowskaja. Oder beim Angriff auf Georgien, 2008. Oder 2004, 2008, 2012 und 2018 bei den manipulierten Präsidentschaftswahlen. Oder aber 2014 nach der Annexion der Krim. Glaubt ihr, wenn man die wirtschaftlichen Daumenschrauben schon damals angesetzt hätte, müssten wir heute hier demonstrieren? Nein!

Ein zweites gewaltfreies Kampfmittel, das wir viel zu selten einsetzen, sind offene Grenzen. Ja, wir sollten unsere Grenzen einfach öffnen. Es entzieht kriegstreiberischen Autokratien viel Potenzial, wenn die Leute einfach zu uns kommen können, weil ihnen zu Hause was nicht passt. Die Leute dort und anderswo können selber definieren, ob ihre Gesellschaft lebenswert und bleibenswert ist, und können selber entscheiden, wo sie leben wollen. 

Wenn wir oder die Gazprom-Fans in der Regierung definieren, was sicher oder lupenrein demokratisch ist, bleiben selbst Länder wie Russland, Afghanistan oder Ägypten auf der Liste sogenannter sicherer Staaten.

Drittens müssen wir selber aufständischer werden. Statt schicke Kampagnen zu machen, die irgendwelche Minimalforderungen stellen, brauchen wir  eine Soziale Verteidigung.

Auch das machen uns die Leute in der Ukraine vor. 2014 blockierten sie Truppen, die in den Bürgerkrieg zogen. Heute blockieren sie mit Demos russische Panzer.

Schaut euch eure Nachbarn und Kolleg*innen an: Das sind dieLeute, mit denen ihr Invasionen pazifistisch verhindern könnt. 

Organisiert euch, organisiert andere. Kleine Schritte, wie der selbstorganisierte autonome Kiezbeirat, sind erste Schritte zur Sozialen Verteidigung gegen die eigene Regierung oder aggressive Invasor*innen.

Wir von der Amab organisieren ein Workshop-Wochenende zu Kreativ-Protest mit Blick auf den Tag der Bundeswehr, um dort gemeinsam mit anderen Gruppen fantasievoll und widerständig protestieren zu können. Damit hoffen wir, unsere Widerständigkeit im Alltag zu erhöhen.

Aber bis dahin brauchen wir Sofortmaßnahmen gegen die Aufrüstung. Wir fordern: Aufrüstung stoppen! Bundeswehr abschaffen! Offene Grenzen jetzt sofort! 500 Milliarden Sofortprogramm für dezentrale erneuerbare Energien und deren gerechte Verteilung, damit niemand frieren muss! Und die Pipelines Nord Stream 1 und Druschba kappen!

Vielen Dank fürs Zuhören. 

Eure Antimilitaristische Aktion Berlin in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner*innen.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Amab, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Abrüsten statt Aufrüsten

Titel

Aktion gegen das 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr

Mit einer spektakulären Aktion haben Friedensaktivist*innen der DFG-VK, den Naturfreunden, der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und der Antimilitaristischen Aktion Berlin in Berlin gegen das von der Bundesregierung geplante Aufrüstungsprogramm für das Militär protestiert. Hochrüstung als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine führt nur zu weiteren Problemen und löst den Konflikt nicht.

Mehrere Soldat*innen in Tarnuniformen standen Mitte März vor dem „Showroom“ der Bundeswehr in Berlin und wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) mit Geldscheinen überschüttet. Auch ein goldenes Gewehr wurde den Soldat*innen überreicht. Dabei zertrampelten die Politiker*innen Modelle einer Schule, eines Krankenhauses und eines Solarparks.

Mit der Straßentheater-Aktion protestierten mehrere Friedensgruppen gegen das von der Bundesregierung geplante 100 Milliarden Euro-Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr und das „2-Prozent-Ziel“ der NATO. Die Gelder für die Hochrüstung sollen am 16. März im Kabinett beschlossen werden.

Zu der Aktion erklären die beteiligten Gruppen:

„Der Etat der Bundeswehr ist bereits innerhalb der letzten zehn Jahre von 31,9 Milliarden Euro 2012 auf 50,3 Milliarden Euro im Jahr 2022 gewachsen – ein Plus von 58 Prozent. Die nun angekündigte weitere massive Aufrüstung ist politisch einfach falsch. Jeder Euro, Dollar oder Rubel, der ins Militär fließt, fehlt im Kampf gegen die eigentlichen Menschheitsprobleme wie die Corona-Pandemie, die Klimakatastrophe oder die Armut“, sagte Elvin Çetin von der DFG-VK.

Yannick Kiesel vom Bundesvorstand der Naturfreunde Deutschlands erklärte: Wir stellen uns „klar gegen die geplante Sonderinvestition in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Deutschland befindet sich weltweit bereits auf Platz 8, wenn es um die eigenen Rüstungsausgaben geht.“ Die Naturfreunde „fordern mehr Geld für unsere Schulen, Krankenhäuser, den Klimaschutz und die Hilfe für Geflüchtete, statt eine weitere sinnlose Aufrüstung voranzutreiben.“

Für die Women‘s International League for Peace and Freedom Deutschland äußerte die Ko-Vorsitzende Marieke Fröhlich: „Die zunehmende Militarisierung der deutschen Politik, unter anderem durch die horrenden Summen für eine Aufrüstung der Bundeswehr, stehen im direkten Gegensatz zur proklamierten ‚feministischen Außenpolitik‘. Eine Militarisierung der deutschen (Außen)politik wirkt langfristig Frieden und Gerechtigkeit entgegen, denn militärische Stärke kann weder grundsätzlich die Sicherheit von Menschen noch die Einhaltung von Menschenrechten garantieren. Im Gegenteil: Militarismus als politische Agenda trägt wesentlich zu Nationalismus und verschränkten Unterdrückungsmechanismen bei. Dies sind Gewaltformen, die sich insbesondere auf schon marginalisierte Personen auswirken – Frauen, von Rassismus betroffene Menschen, LGBTIQ. Machtpolitik und Aufrüstungsspiralen sind unvereinbar mit feministischen Ansätzen, deshalb fordern wir, dass der Fokus auf gendersensible Menschenrechte und die Sicherheit von Menschen gelegt werden muss.“ Jan Hansen von Amab erklärte: „Statt aufzurüsten sollten wir die Bundeswehr abschaffen! Dann könnte man auch die jährlich über 50 Milliarden Euro, die bisher über den Wehretat bei korrupten Firmen wie der Gorch-Fock-Werft oder bei Nazipreppern landen, einsparen. Und auf der anderen Seite wäre die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen kein Problem mehr.“ 

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Amab, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Dem Krieg die Menschen entziehen

Titel

Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Von Siglinde Cüppers

Wir sind bei den letzten Mahnwachen gegen den Ukraine-Krieg oft gefragt worden, was man denn tun könne. Daraus ist dann dieser Text entstanden zum Thema Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren.

Denn unabhängig von den unterschiedlichen Analysen zur Entstehung der Konflikte in der Ukraine, die in dem Angriffskrieg der russischen Armee eskalierten, kommt es jetzt darauf an, dem Krieg den Boden und die Menschen zu entziehen. Keine Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet und nicht noch mehr Geld für Kriegswaffen zu verschwenden – das fordern wir von der Regierung; die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren – das müssen wir schon selber leisten.

Für Frieden und Abrüstung einzutreten und sich dem Krieg zu verweigern, ist keine neutrale Position. Es bedeutet, die militärische Sichtweise mit der Rechtfertigung von Krieg und Gewalt abzulehnen und stattdessen für Gewaltfreiheit einzutreten. Wenn der Krieg nicht verhindert worden ist, weil er politisch gewollt war, und wenn die Bilder von Not. Leid, Tod und Zerstörung über die Bildschirme gelangen, dann wird das Geschrei laut, mit noch mehr Waffen und Soldat*innen den Krieg angeblich schnell zu beenden. Als gerechter Krieg soll er angeblich Frieden bringen. Aber er führt zu weiterer Aufrüstung, noch mehr Toten und noch mehr Leid und Zerstörung und nutzt nur denjenigen, die von Rüstung und Krieg profitieren und ist die Vorbereitung für den nächsten Krieg.

Grafik: Wilfried Porwol

Den Krieg ablehnen und ihm den Boden entziehen

Als Pazifist*innen stellen wir uns an die Seite der Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen. Es gibt sie immer in allen Kriegen bei jedem Militär, auch jetzt im russischen und ukrainischen Militär.

Der größte Teil der Soldat*innen im russischen und ukrainischen Militär sind Wehrpflichtige zwischen 18 und 60 Jahren. In beiden Gesellschaften ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sehr eingeschränkt. Für den Wehrdienst werden die Daten der wehrpflichtigen Männer erfasst, sie werden aufgefordert, sich in Einberufungsbüros zu melden. Dort wird ihnen der Pass abgenommen, stattdessen erhalten sie einen Wehrpass. Sie dürfen das Land nicht mehr verlassen. Viele von ihnen wollen sich am Krieg nicht beteiligen, haben aber oft keine andere Wahl. Wenn sie versuchen, sich der Einberufung zu entziehen, werden sie zwangsrekrutiert. Das bedeutet, die Wehrpflichtigen werden am Arbeitsplatz, aus ihren Wohnungen und von der Straße geholt und zwangsweise in die Kasernen verbracht. Oft wissen die Angehörigen nicht, wo sie geblieben sind. Familien werden getrennt. Seit dem 4. März findet die Mobilmachung in Weißrussland statt. Auch hier gibt es Wehrpflicht und wehrpflichtige Männer zwischen 18 und 60 Jahren werden massenweise einberufen zur Unterstützung der russischen Armee. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Wenn sie der Einberufung nicht folgen werden auch die weißrussischen Männer zwangsrekrutiert.

Zwangsrekrutierungen sind nach der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen eine massive Menschenrechtsverletzung. 

Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

In der Ukraine gibt es die Ukrainische Pazifistische Bewegung, die sich für ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine einsetzt und Kriegsdienstverweigerer unterstützt. 

In Russland gibt es die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung in Russland. 

Wir können an unseren Wohnorten, bei Infoständen, Mahnwachen und Kundgebungen diese Organisationen bekannt machen. Wir können Mitbürger*innen, die aus der Ukraine, Russland, Belarus kommen darauf hinweisen, dass sie diese Bewegungen in ihren Herkunftsländern bei Bekannten, Verwandten und Freunden, die dort leben bekannt machen, damit darüber Kriegsdienstverweigerer und Deserteure Unterstützung bekommen. 

Wir können sie bitten, Kriegsdienstverweigern und Deserteuren dabei zu helfen, dem Militär zu entkommen, und ihnen unsere Hilfe anbieten.

Offene Grenzen für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer

Wir müssen offen für Kriegsdienstverweigerung und Desertion von allen Armeen und Kampfverbänden eintreten und dafür werben, dass die Grenzen für sie geöffnet werden und sie vor erneuter Einberufung und Verfolgung sicher sind. 

Recht auf politisches Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Kriegsdienstverweigerung und Desertion muss endlich als eigenständiger Grund für politisches Asyl anerkannt werden. Wer glaubwürdig Kriege beenden will, ermöglicht Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Unterstützung und Zuflucht.

Kriegsdienstverweigerung auch hier!

Wir rufen die Soldat*innen der Bundeswehr auf, jetzt den Kriegsdienst zu verweigern. Wenn sie den Befehl für einen Kriegseinsatz in der Ukraine bekämen, müssten sie den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung im Kriegseinsatz stellen, und das ist dann nicht so einfach.

Siglinde Cüppers ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Flensburg.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Ebco-Erklärung zum Ukraine-Krieg

Titel

Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern, Anti-Kriegs-Aktivisten und Zivilisten auf allen Seiten des Krieges

Erklärung des Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung/European Bureau for Conscientious Objection (Ebco)

Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (Ebco) drückt seinen Respekt und seine Solidarität mit allen mutigen Kriegsdienstverweigerern, Kriegsgegnern und Zivilisten aller Kriegsparteien aus und fordert Europa auf, ihnen konkrete Unterstützung zukommen zu lassen:

• Europa sollte aufhören, den Krieg direkt oder indirekt anzuheizen, und sich auf Diplomatie, Konfliktprävention und gewaltfreie Konfliktlösung konzentrieren. Als Bewegung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen beklagen wir die vorbereitenden Handlungen in Friedenszeiten, die den Krieg ermöglichen: die Entwicklung, die Produktion und den Handel mit Waffen – einschließlich Atomwaffen – und die Ausbildung von Soldaten. In dieser Zeit sollten alle europäischen Länder ihre Grenzen öffnen und allen ukrainischen, russischen, weißrussischen und anderen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus gewähren, einschließlich, aber nicht nur, der Kriegsgegner und Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, sowohl Zivilisten als auch Soldaten, die den Dienst in den Streitkräften verweigern oder desertieren. Alle Flüchtlinge sollten uneingeschränkten Zugang zu Gesundheit, Wohnraum, Bildung und Beschäftigung erhalten. Die europäischen Universitäten sollten beispielsweise russische und ukrainische Studenten aufnehmen, die vor dem Krieg fliehen wollen, damit sie ihr Studium in Europa fortsetzen können.

• Russland und die Ukraine sollten allen Zivilisten, die aus den Konfliktgebieten fliehen, Zugang zu sicheren humanitären Korridoren gewähren und sich strikt an das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsbestimmungen halten, einschließlich des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung.

• Russland sollte alle militärischen Operationen einstellen und alle russischen Truppen aus der Ukraine abziehen. Die Zivilbevölkerung stirbt, und die russischen Truppen begehen Kriegsverbrechen. Russland sollte auch das harte Durchgreifen gegen unabhängigen Journalismus, Antikriegsproteste und Andersdenkende in Russland beenden.

• Die Ukraine sollte die Ausreisebeschränkung für alle männlichen Bürger zwischen 18 und 60 Jahren aufheben, die für die Zeit des Kriegsrechts verhängt wurde. Diese diskriminierende und rechtswidrige Beschränkung ist ein eklatanter Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit.

„Ebco verurteilt die russische Invasion in der Ukraine sowie die Nato-Osterweiterung aufs Schärfste. Ebco fordert die Soldaten auf, sich nicht an den Feindseligkeiten zu beteiligen und ruft alle Rekruten auf, den Militärdienst zu verweigern“, erklärte Alexia Tsouni, die Präsidentin des European Bureau for Conscientious Objection, am 15. März.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Global betrachtet

Titel

Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in kriegerischen Zeiten

Von David Scheuing

Es ist geschehen, was viele Pazifist*innen zu verhindern suchten: Erneut herrscht Krieg in der Ukraine, erneut ein Krieg in Europa. Der Wille zur Erklärung, zur Ursachensuche, auch zur Selbstreflexion ist allerseits groß, trotz all des Kriegsgetöses, der dramatisch vertieften Militarisierung der Öffentlichkeit, der Außenpolitik, der „Friedens“politik. 

Auch international beschäftigt der Angriffskrieg auf die Ukraine viele Aktivist*innen – von Einschätzungen des lateinamerikanischen Netzwerk Red Antimilitarista de América Latina y el Caribe (Ramalc) über Solidarität aus den USA bis hin zu ukrainischen Aktivist*innen selbst. 

Ich versuche mich an einer kleinen Darstellung der diversen Stellungnahmen, Positionen und Einschätzungen weltweit.

Vorahnungen, Kriegsgetrommel, Warnungen

In den Tagen vor Beginn der russischen Offensive hatte die Ukrainische Pazifistische Bewegung (UPM) noch dazu aufgerufen, dass beide Seiten sich dringend um die Beilegung der Spannungen bemühen sollten (19. Februar; https://bit.ly/3JXI2Jh).

Die Analysen weiter Teile der europäischen und internationalen Pazifist*innen sahen die gegenseitige Eskalationsdynamik und die drohende Gefahr eines nuklearen Krieges deutlich – seit Jahresbeginn wuchs von Woche zu Woche die Anzahl der Statements, Forderungen und Positionspapiere, das Blätterrauschen war gewaltig. Stellvertretend dafür nur die gemeinsame Stellungnahme der War
Resisters´ International (WRI)
 vom 10. Februar: https://bit.ly/3LhWJHs. In ihr drückt dieses größte Netzwerk der Pazifist*innen seine Verurteilung der Kriegsvorbereitungen der Nato und Russlands aus, „die derzeit militärische Reaktionen auf die aktuelle politische Krise in der Ukraine erwägen. Wenn ein Krieg ausbricht, wird er Tod, Zerstörung, Leid, Massenflucht, eine Wirtschaftskrise und viele andere Folgen mit sich bringen.“ 

Die praktischen Konsequenzen dieser Vorahnungen lassen sich nun betrachten.

Prompte Reaktionen

In den frühen Morgenstunden des 24. Februar begann mein Mobiltelefon zu vibrieren – eine E-Mail folgte der nächsten. 

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hatte ein erstes vorläufiges Statement verfasst, der erste dringende Appell der UPM wurde in viele weitere Sprachen übersetzt (auf Deutsch bei der DFG-VK Hessen: https://bit.ly/3tQ5H8T), ein erstes Statement der WRI erschien (https://bit.ly/3uxySfW). Viele weitere Statements sollten diesen ersten Reaktionen bis in die Abendstunden des ersten Tages folgen; diese sind auch über die Homepage der WRI zu finden. 

Hier stellvertretend ein Auszug aus dem Statement des lateinamerikanisch-karibischen Netzwerks Ramalc: „Wir lehnen die zwischenimperialistischen Bestrebungen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) und der Nato ab, das ukrainische Territorium in ein Laboratorium für Zerstörung und Krieg zu verwandeln, und wehren uns dagegen. Wir lehnen die Massenrekrutierung junger Menschen ab, die gegen ihren Willen zur Teilnahme am Krieg gezwungen werden.“ (https://bit.ly/3IPHG6g), auch aus der russischen Zivilgesellschaft. 

Aktivist*innen haben eine beeindruckende Liste der unterschiedlichen Stellungnahmen veröffentlicht, die wirklich zur Lektüre zu empfehlen sind – leider über ein Google-Doc: https://bit.ly/3tSnnk4

Mittlerweile existieren eine ganze Reihe an Sammlungen diverser Stellungnahmen, hier sei auf die Liste des BSV verwiesen: https://bit.ly/3JUOC35

Ziviler Ungehorsam, Soziale Verteidigung und Kriegsdienstverweigerung

Herausgefordert von der Realität eines konkreten Krieges stellte die erschrockene Öffentlichkeit in den kommenden Tagen und Wochen an viele Pazifist*innen die immer wieder gleichen Fragen: Wie könnt ihr Pazifist*innen sein angesichts des Schreckens und der Gewalt? Wie würdet ihr denn den Krieg beenden? 

Sicherlich haben viele irgendwo zwischen introspektiver Reflexion und aufrechter Haltung die Mittel, Wege und Ziele der Sozialen Verteidigung ins Spiel gebracht (viele gelebte Beispiele davon auf den Seiten des BSV: https://bit.ly/3LrODfg) und sich mit denen solidarisch erklärt, die dem Kriege gewaltfrei widerstehen. 

Ganz in diesem Sinne die jüngste Erklärung der WRI „in Solidarität mit all denen, die dem Krieg gewaltfrei widerstehen“ (https://bit.ly/3NAA8Yo; auf Deutsch bei Connection e.V.: htps://bit.ly/3JSENmt). 

Berichte über erste „polizeiliche“ Gängelungen, Festsetzungen u.a. von Aktivist*innen in den besetzten Teilen der Ukraine, auf die ebenso schnell wieder die Freilassungen erfolgten, lassen hoffen, dass dies auch als Stärke der internationalen Vernetzung und dringlicher Alarmaktionen gesehen werden kann, müssen aber vor allem kritisch beobachtet und begleitet werden. Die Beschneidung der Rechte der Zivilgesellschaft durch die Handlungsuntersagung von bestimmten Parteien und die totale Mobilmachung bei gleichzeitig nicht nutzbaren Rechten auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine müssen ebenso unsere Kritik finden. 

Zudem sind die Aufrufe zur Desertion an alle beteiligten Soldat*innen unumgänglich – alles Kernaufgaben und Kernforderungen der DFG-VK. Connection e.V. ruft im Bündnis mit Pro Asyl nun die Bundesregierung auf, hier endlich klare Asylschutzgründe zu etablieren und Asyl zu gewähren (siehe: https://bit.ly/3JSncLv). 

Einen knappen Überblick über die derzeit geltende rechtliche Lage bietet Pro Asyl: https://bit.ly/3LIvRAL

Jenseits des direkten Krieges. 

Die Auswirkungen des Sanktionsregimes (bzw. der unterschiedlichen Regime) sind deutlich zu spüren, und die panischen Diversifizierungsversuche der verschiedenen europäischen Regierungen deuten schon auf die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und diplomatischen Folgen hin, die mit ihnen einhergehen werden. 

Beim Internationalen Friedensbüro (IPB) begann vor Kurzem eine Veranstaltungsreihe der Arbeitsgruppe zu Afrika, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auf den afrikanischen Kontinent beschäftigt. Beim ersten Webinar am 14. März sprachen die Teilnehmenden über die zu erwartenden Auswirkungen im laufenden Jahr und die daraus erwachsenden Instabilitäten, wie beispielsweise den Auswirkungen auf die Agrarmärkte: „Zweifellos rückt diese Situation die Sorge um die Ernährungssicherheit in Afrika in den Vordergrund, das in der Vergangenheit viele Ernährungskrisen erlebt hat“. 

Doch der Krieg betrifft viele weitere Dimensionen des Alltags, daher ist der Bericht sehr lesenswert: https://bit.ly/3tP5RgB

Kurz notiert:

Europa: Enaat, das europäische Netzwerk gegen Waffenhandel, hat Mitte März in Kooperation mit dem Transnational Institute TNIeine größere Studie zum „Neuen Wettrüsten“ der EU veröffentlicht. Der Bericht fasst die größeren Entwicklungen der Militarisierungsbemühungen der EU zusammen und expliziert die Folgen an drei konkreten Fallbeispielen (Irland, Frankreich, Niederlande). 

Gerade diese drei, für deutschsprachige Leser*innen eher ungewohnten Beispiele eignen sich sehr gut für ein besseres Verständnis der immer weiter ausgreifenden Militarisierungstendenzen der EU. (enaat.org)

Global: Unter den Schatten des Krieges sollte nicht vergessen werden, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch an vielen anderen Orten dieser Erde dramatisch eingeschränkt ist. 

Alljährlich erinnert die WRI mit einer Liste aller ihr bekannten verknasteten KDVler*innen an dieses Unrecht. Die Liste ist einsehbar und soll dazu animieren, sich für diese Menschen einzusetzen – in Wort (durch Briefeschreiben, Appelle unterzeichnen u.a.) und Tat (durch aktive Arbeit für die Rechte der KDVler*innen). Die aktuelle Liste findet sich hier: https://bit.ly/3r9gV6T

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Asyl, Deserteure, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Zur Einordnung des Ukraine-Kriegs

Titel

Trotz des verbrecherischen Kriegs –
Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland

Von Andreas Zumach

Ein Angriffskrieg ist per se völkerrechtswidrig. Aber die russischen Invasionstruppen haben bereits in den ersten Tagen ihrer Operationen auf ukrainischen Boden auch gegen die Regeln des „humanitären Völkerrechts“ verstoßen, die einen größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg gewährleisten sollen. Die russischen Angriffe richteten sich zunehmend gegen Wohnviertel, zivile Infrastrukturen wie Strom-, Gas- und Wasserleitungen oder sogar Krankenhäuser. Wenn sich die Kampfhandlungen lange hinziehen, könnten ukrainische Städte dasselbe Schicksal erleiden wie Grosny, das 1995 im ersten Tschetschenien-Krieg von russischen Streitkräften weitgehend zerstört wurde. 

Wann dieses Ende kommen wird – und mit welchem Ergebnis – ist derzeit nicht vorhersehbar, Fest steht dagegen, wer diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat. Präsident Wladimir Putin hat nicht nur den Angriffsbefehl gegen die Ukraine gegeben, er hat die Invasion auch von langer Hand vorbereitet, wozu auch Lügen und systematische Täuschungsmanöver gehörten. 

Westliche Diplomaten und höchstrangige Gesprächspartner wie Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz, die sich in den Wochen vor dem 24. Februar in direkten Gesprächen mit Putin und seinem Außenminister Sergei Lawrow um eine Deeskalation bemühten, wurden „eiskalt belogen“ und „ausgetrickst“, wie es die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock audrückte. Vor allem Lawrow hatte seinen Gesprächspartnern mehrfach versichert, ein Angriff auf die Ukraine sei „nicht geplant“. 

Putin hat aber nicht nur „den Westen“ vor den Kopf gestoßen. Auch in der Uno ist Russland heute so isoliert, wie es während der 77-jährigen Geschichte der Weltorganisation ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats noch nie gewesen ist. 

Im 15-köpfigen Sicherheitsrat schaffte es Moskau zwar noch, bei einer Dringlichkeitssitzung in der Nacht zum 26. Februar die Verabschiedung einer Resolution durch sein Vetorecht, das es als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates hat, zu verhindern. Aber die russische blieb die einzige Gegenstimme, während sich Indien, China und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) enthielten.

Das Scheitern der Ukraine-Resolution im Sicherheitsrat führte allerdings zu einer Dringlichkeitssitzung der Uno-Generalversammlung, auf der am 2. März von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 141, also fast drei Viertel, für eine Resolution mit dem Titel „Aggression gegen die Ukraine“ stimmten. Auch die Emirate votierten jetzt mit „Ja“. In der Resolution forderte die Generalversammlung einen „sofortigen Waffenstillstand“ in der Ukraine, gefolgt von einem „sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Rückzug aller russischen Streitkräfte vom Territorium der Ukraine innerhalb seiner international anerkannten Grenzen“.

Gegen diese Resolution votierten in der außer Russland lediglich Belarus, Nordkorea, Syrien und Eritrea. Zu den 35 Staaten, die sich enthielten, gehörten neben China, Indien und Iran auch Staaten wie Kuba oder Nicaragua, die bei früheren Abstimmungen in der Generalversammlung oder anderen Uno-Gremien in der Regel die Position Russlands unterstützt hatten.

In der beschlossenen Resolution heißt es, „die militärischen Angriffe der russischen Streitkräfte“ hätten „ein Ausmaß erreicht, das die internationale Gemeinschaft seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr erlebt“ habe. Die Regierung Putin wurde aufgefordert, ihre am 21. Februar verkündete und vom russischen Parlament ratifizierte „Anerkennung“ der beiden ostukrainischen Teilrepubliken Donezk und Luhansk wieder rückgängig zu machen. 

In der Generalversammlung fiel das Votum für diese Resolution und gegen die russische Invasion auch deshalb so deutlich aus, weil der Angriffsbefehl Putins noch während der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats erfolgt war, der am Abend des 23. Februar den Krieg noch im letzten Moment verhindern wollte. 

Verurteilung Russlands durch die UN-Generalversammlung

Eine solche Provokation, wie sie in der Geschichte der Vereinten Nationen ohne Beispiel ist, haben sehr viele Mitgliedsstaaten als schweren Affront der Regierung Putin gegen die Weltorganisation wahrgenommen. Wie groß die Empörung über das Verhalten der Vetomacht Russland war, zeigt die Tatsache, dass sich bei der zweitägigen Debatte in der Generalversammlung nicht weniger als 120 BotschafterInnen zu Wort gemeldet hatten.

Ein derart eindeutiger „Schuldspruch“ der UN-Generalversammlung ist bei einem internationalen Konflikt äußert selten. Laut Uno-Charta liegt die „Hauptverantwortung“ bei einer „Bedrohung“ oder gar dem „Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit“ eigentlich beim UN-Sicherheitsrat. Der kann „Maßnahmen zur Friedensschlichtung“ nach Kapitel 6 der Charta beschließen, oder sogar nach Kapitel 7 politische, wirtschaftliche oder militärische Zwangsmaßnahmen gegen den jeweiligen Friedensbrecher anordnen. 

Als der Sicherheitsrat diese Verantwortung 1950 während des Korea-Krieges nicht wahrnehmen konnte, weil er durch ein Veto der Sowjetunion blockiert und handlungsunfähig war, zog die Generalversammlung diese Zuständigkeit an sich. Am 3. November 1950 verabschiedete sie auf Antrag von USA und Großbritannien die Resolution 377 A („Uniting for Peace“). Darin wurde für den Fall einer blockierten Sicherheitsheitsrat-Resolution der Mechanismus einer „emergency special session“ geschaffen. 

Eine solche „Notstandssondersitzung“ der Generalversammlung hat es seit 1950 nur elf Mal gegeben; die elfte war nun die vom 2. März. Mit der Resolution zu Putins Krieg in der Ukrai-
ne hat die Generalversammlung überhaupt erst zum dritten Mal in der 77-jährigen Geschichte der Uno eines der fünf ständigen und vetoberechtigten Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats verurteilt. 

Dabei traf es in allen drei Fällen die Regierung in Moskau. Ende März 2014 verurteilte die Generalversammlung mit 100 gegen elf Stimmen bei 58 Enthaltungen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Bereits im Januar 1980 hatte sie ebenfalls mit großer Mehrheit die kurz zuvor erfolgte Invasion der damaligen Sowjetunion in Afghanistan verurteilt.

Im Gegensatz zu Russland bzw. der Vorgängerin Sowjetunion ist dies den drei westlichen Vetomächten im Sicherheitsrat – also den USA, Großbritannien und Frankreich – bislang noch nie passiert. Sie haben es dank ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht noch immer geschafft, eine Verurteilung ihrer völkerrechtswidrigen Kriege oder ihrer Kriegs- und Besatzungsverbrechen zu verhindern. 

Das gilt zum Beispiel für den Vietnam-Krieg der USA (1964-1975), für Frankreichs Krieg in Algerien (1954-1962) oder für die britische Beteiligung am Irakkrieg von 2003. Als Südafrika den Versuch unternahm, diesen Krieg einer „Koalition der Willigen“ in einer Resolution der Generalversammlung als völkerrechtswidrig zu qualifizieren, konnte die damalige US-Regierung von George W. Bush diese Initiative mit massiven Drohungen gegen Pretoria im Keim ersticken.

Das Verhalten der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wurde bislang nach sehr unterschiedlichen Maßstäben bewertet. Das ist scharf zu kritisieren, aber auf keinen Fall ein Grund, den Krieg gegen die Ukraine zu verharmlosen, zu entschuldigen oder gar zu legitimieren. Für diesen völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriff gibt es nicht die geringste Rechtfertigung. 

Putins Propagandalügen vom „Genozid“ im Donbas oder der „Nazi-Regierung“ in Kiew sind ohnehin zu absurd. Das gilt allerdings nicht für Putins Hinweise auf die Völkerrechtsverletzungen westlicher Staaten, zum Beispiel im Fall des Kosovo-Kriegs der Nato, der ohne UN-Mandat begonnen wurde.

Angesichts dessen, was 1999 im Kosovo geschah, sind mehrere der Behauptungen falsch, die derzeit im Westen von der politischen Klasse wie auch von vielen Medien über den militärischen Überfall auf die Ukraine verbreitet werden. Denn Putin hat keinesfalls „den ersten Krieg gegen die europäische Friedensordnung“ angefangen oder „zum ersten Mal in Europa gewaltsam Grenzen verletzt“ und damit als Erster gegen die Uno-Charta, gegen die KSZE-Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 und gegen die Pariser „Charta für ein neues Europa“ von 1990 verstoßen. 

Mit dieser Argumentation wird verdrängt, dass die Nato bereits 1999 mit ihrem völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Serbien und Montenegro zum ersten Mal militärische Mittel zur Lösung politischer Konflikte eingesetzt hat. Und dass der Westen mit der Anerkennung der Sezession des Kosovo von Serbien das Prinzip aufgekündigt hat, wonach Grenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen.

Ernst zu nehmen ist auch die russische Kritik an Fehlentscheidungen der westlichen Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere an der Tatsache, dass diese ihre – wenn auch nicht schriftlichen – Zusagen an Moskau, die Nato nicht nach Osten zu erweitern, nicht eingehalten haben.

„Realpolitische Einsichten und Abwägungen“

Jenseits der moralischen und völkerrechtlichen Ebene gibt es allerdings auch die Ebene realpolitischer Einsichten und Abwägungen. Auf dieser Ebene muss man leider feststellen, dass Putin mit der Invasion in der Ukraine in überaus brutaler Weise das getan hat, was der US-amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan bereits wenige Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion prophezeit hat. 

Die vorausschauende Analyse Kennans erschien in der New York Times vom 5. Februar 1997 unter dem Titel „A fateful error“ und lief auf eine dringende Warnung hinaus: „Eine Erweiterung der Nato wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg.“ Eine solche Erweiterung werde nicht nur „die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Meinung anheizen“ und damit „negative Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Demokratie haben“. Sie werde auch, so Kennan weiter, „die Atmosphäre des Kalten Krieges in die Ost-West-Beziehungen zurückbringen und die russische Außenpolitik in Richtungen treiben, die uns entschieden missfallen werden“.

Kennan bedauerte insbesondere, dass diese Expansionsstrategie gegenüber einem Russland betrieben wird, das sich – unter einem Präsidenten Boris Jelzin – „in einem Zustand hoher Unsicherheit oder gar Lähmung befindet“. Aber noch bedenklicher sei, „dass es für diesen Schritt überhaupt keine Notwendigkeit gibt“. Warum sollte es in den Ost-West-Beziehungen, gab Kennan zu bedenken, „angesichts all der hoffnungsvollen Möglichkeiten, die das Ende des Kalten Krieges hervorgebracht hat, vornehmlich um die Frage gehen, wer sich mit wem – und implizit gegen wen – verbündet“. Und das im Hinblick auf einen „herbeiphantasierten, völlig unvorhersehbaren und höchst unwahrscheinlichen künftigen Konflikt“.

Ein Vierteljahrhundert später bleibt die Frage aktuell, was der Westen dazu beigetragen hat, dass ein „höchst unwahrscheinlicher Konflikt“ kein Phantasterei, sondern Realität ist. Kennan war kein Pazifist, kein Linker und auch kein Freund der Sowjetunion. Er hatte nach dem Zweiten Weltkrieg das Konzept der „Eindämmung“ gegen den gegnerischen Ostblock konzipiert. Ein Plan, der auf militärischer Ebene damals die Doktrin der „massiven Vergeltung“ beinhaltete, die der 1949 gegründeten Nato von ihrer Führungsmacht vorgegeben wurde. Diese Vergeltungsdoktrin sah vor, dass die USA selbst bei einem lediglich konventionellen Angriff sowjetischer Truppen gegen die Bundesrepublik oder andere Nato-Staaten sofort ihre strategischen Atomwaffen gegen Ziele in der Sowjetunion einsetzen sollten. 

Ende der 1960er Jahre wurde diese Doktrin durch die „flexible Antwort“ abgelöst, die bei einem Angriff sowjetischer Truppen zunächst „nur“ einen Gegenschlag mit in Westeuropa stationierten taktischen Atomwaffen vorsah.

Kennan wirkte von 1926 bis 1963 als Diplomat und zuletzt als außenpolitischer Chefberater der Regierung Kennedy. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er in Talin, Riga und Moskau stationiert gewesen, 1939 in Prag dann bis 1942 in Berlin und 1944/45 erneut in Moskau. Er sprach fließend Russisch und hatte – auch in Berlin – russische Geschichte studiert. Sein analytisches Verständnis für die russischen Sicherheitsbedürfnisse und -interessen beruhte auf seiner Kenntniss des Landes und speziell seiner historischen Traumata. 

Das unterscheidet einen intelligenten Veteranen aus Zeiten des Kalten Krieges von vielen Kommentatoren, die in den aktuellen Debatten über Russland und seinen Präsidenten Putin ohne historische Kenntnisse daherreden. Und dabei die Erfahrungen und Lehren aus der Ost- und Entspannungspolitik der sechziger und siebziger Jahre nicht etwa relativieren oder überprüfen, sondern vollständig entsorgen wollen. 

„Legitime russische Sicherheitsinteressen“

Aber nicht nur Kennan hatte in den 1990er Jahren vor einer Nato-Ost-erweiterung gewarnt. Auch andere Diplomaten und Politiker der USA mahnten damals an, die „legitimen Sicherheitsinteressen“ Moskaus zu berücksichtigen. 

Was die deutsche Debatte betrifft, so kritisierte im September 1995 Peter Glotz, vormals SPD-Generalsekretär, in einem „Spiegel“-Essay mit dem Titel „Saftige Dummheit“ die Osterweiterungspläne mit Argumenten, die bereits die Warnungen Kennans vorwegnahmen: „Das zieht eine neue, willkürliche Grenze durch Osteuropa, stärkt die großrussischen Kräfte in Moskau, gefährdet die Abrüstungsvereinbarungen mit Russland und schwächt die Entscheidungsfähigkeit des Bündnisses.“

Mit der Invasion in der Ukraine demonstrieren „die großrussischen Kräfte in Moskau“ nicht nur, dass sie sich durchgesetzt haben. Sie zeigen auch, dass sie zu vormals unvorstellbaren Risiken bereit sind. Wie steht es angesichts dessen um die „Entscheidungsfähigkeit“ des westlichen Bündnisses? 

Nach Artikel 51 der UNO-Charta hat die von Russland angegriffene Ukraine das Recht auf militärische Selbstverteidigung. Desgleichen erlaubt die Charta eine militärische Unterstützung durch Streitkräfte anderer Staaten, wenn diese von der Kiewer Regierung erbeten wird. Das wird allerdings nicht geschehen. Für die Nato-Staaten scheidet diese Option angesichts des Risikos einer nuklearen Eskalation aus. Deshalb wird auch die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine abgelehnt.

Jenseits der von der EU, den USA und anderen Staaten verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind daher Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräften das einzige Mittel, um der Ukraine militärisch beizustehen. 

Die USA haben die ukrainischen Streitkräfte bereits seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 mit Waffen und militärische Ausrüstung beliefert. Seit Dezember 2021 haben auch andere Nato-Staaten, wie Großbritannien, Kanada und die Niederlande, mit Waffenlieferungen begonnen. Sie reagierten damit auf den bedrohlichen Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze. 

Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine

Drei Tage nach Kriegsbeginn revidierte auch die deutsche Regierung ihre zuvor ablehnende Haltung und kündigte die sofortige Lieferung von Panzerfäusten und Luftabwehrraketen an die ukrainischen Streitkräfte an. Unter dem Druck der Ereignisse endete damit eine langjährige Debatte, in der das Pro und Contra immer stark von historischen Argumenten dominiert war. Bis zur Kehrtwende der Bundesregierung hatte insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock deutsche Waffenlieferungen mit Verweis auf eine „besondere historische Verantwortung“ abgelehnt. 

Auch im Fall der Ukraine verwies Baerbock auf die über acht Millionen Menschen, die während des Vernichtungskriegs der Nazi-Wehrmacht gegen die Sowjetunion auf ukrainischem Boden getötet wurden. Dagegen argumentierte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrey Melnik, genau umgekehrt. Gerade wegen dieser historischen Schuld habe Deutschland nunmehr eine „besondere Verantwortung“, seinem Land bei der „Selbstverteidigung gegen die heutigen Agressoren“ mit Waffenlieferungen beizustehen.

Baerbock brachte allerdings ein zweites Argument vor, das weitaus problematischer ist: Deutschland verfolge „traditionell eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ und liefere „grundsätzlich keine Waffen in Spannung-und Krisengebiete“. Beide Behauptungen sind nachweislich falsch. 

Zum einen ist Deutschland nach dem Sipri-Report vom März 2021 der weltweit viertgrößte Rüstungsexporteur (nach den USA, Russland und Frankreich und noch vor China). Zum zweiten gingen umfangreiche Waffenlieferungen – entgegen der geltenden Rechtslage – nicht nur in Spannungs- und Krisengebiete wie die Türkei, sondern sogar an kriegsführende Staaten wie Saudi-Arabien, das militärisch im Jemen engagiert ist.

Jenseits einer militärischen Unterstützung sind wirtschaftliche Sanktionen das einzige Mittel, um auf einen Angriffskrieg zu reagieren. Im aktuellen Fall bleibt allerdings abzuwarten, was die Maßnahmen, die seit Beginn des Ukraine-Kkrieges von den USA, der EU und anderen Staaten gegen Russland verhängt wurden, mittel- und langfristig bewirken können – und wie hoch die Kosten für die sanktionierenden Länder sind. Dabei ist die große Frage, ob die Sanktionen die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machteliten des Landes derart hart treffen, daß sie sich von Präsident Putin abwenden. Und womöglich sogar so weit gehen, ihn durch eine andere Figur zu ersetzen, die den Krieg beendet, aber weiterhin ihre Privilegien sichert. 

„Regime Change“ in Russland?

Völkerrechtlich problematischer wäre die Kalkulation, dass die Sanktionsmaßnahmen die Bevölkerung schmerzen sollen, um sie gegen den heutigen Präsidenten aufzubringen. Was den berühmten „Regimewechsel“ bedeuten würde, den Putin dem Westen ohnehin als Ziel unterstellt. 

Eine solche Strategie wäre aber ohnehin nur dann erfolgversprechend, wenn es in Russland eine gut organisierte und handlungsfähige demokratische Opposition gäbe, die nach einem Sturz Putins die Regierung in Moskau übernehmen könnte, um sich anschließend durch Wahlen eine demokratische Legitimität zu verschaffen.

Leider gibt es derartige Oppositionskräfte nicht. Was aber kein Wunder ist angesichts der systematischen Repression und Ausschaltung oppositioneller demokratischer Personen, Gruppen und Organisationen, die von der Regierung Putin seit Jahren als „ausländische Agenten“ denunziert werden.

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist zwar immer wieder von einer „Europäischen Friedensordnung“ die Rede. Doch so etwas gibt es nicht. Es gab bislang lediglich eine teileuropäische Friedensordnung und dies in dauernder Spannung und in den letzten mindestens 15 Jahren in zunehmender Konfrontation mit Russland. 

Doch eine nachhaltige , dauerhafte und möglichst spannungs-und störungsfreie Friedensordnung auf dem eurasischen Kontinent kann und wird es nicht geben ohne Russland und schon gar nicht gegen Russland. Dafür spricht alle historisch Erfahrung nicht nur aus den bald 33 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer, sondern mindestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Nur wenn der Westen diese historische Erfahrung endlich akzeptiert und seine seit dem „Sieg im Kalten Krieg“ anhaltende Hybris endlich überwindet, besteht eine Chance für eine derartige Friedensordnung.

Andreas Zumach ist Journalist und langjähriges DFG-VK-Mitglied.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg, ZUmach

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