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Leitartikel

16. Januar 2023

Zweifel sind keine Schande

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4-22/1-23

Leitartikel

Von Ernst Rattinger

Es ist wieder Krieg in Europa, kein kalter, sondern ein Krieg mit allen seinen Schrecken und Verbrechen. Und wieder werden wir vorwurfsvoll gefragt „Wo bleibt die Friedensbewegung?“, als ob „die Politik“ mit dem roten Knopf den Krieg einschalten würde und die Friedensbewegung wäre für das Ausschalten zuständig. Sicher, es ist richtig, auf die politischen Entscheider einzuwirken, dieses zu tun und jenes zu lassen. Kampagnen, Lobbyarbeit, Petitionen sowie öffentlichkeitswirksame Aktionen gehören dazu. Doch unsere Aufgabe fängt viel früher an; lesen wir zur Erinnerung die WRI-Grundsatzerklärung, die wir alle mit dem Beitritt zur DFG-VK unterschrieben haben: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Auf die Beseitigung aller Kriegsursachen im weitesten Sinne können sich sicher alle verständigen, denn dazu gehört all das, was die Menschen entzweit: Ungerechtigkeit, das Gefühl von Unterlegenheit und Ohnmacht, Feindbilder sowie Hass in allen denkbaren Ausprägungen und noch manches mehr. 

Wenn es aber darum geht, das erste Versprechen einzulösen, nämlich keine (!) Art von Krieg zu unterstützen, also auch den Verteidigungskrieg, wird es für viele Menschen schwierig, auch für überzeugte Pazifisten. Wer hat das bei Kundgebungen kurz nach Beginn des Ukrainekrieges nicht erlebt: Am Ende der Veranstaltung kommen verzweifelte Menschen aus der Ukraine und betteln darum, ihrem Land Waffen zu liefern. Aus pazifistischer Sicht wird man das ablehnen, auch wenn ein Rest von schlechtem Gewissen bleibt. Und diese innere Zerrissenheit beherrscht nicht wenige in der DFG-VK und der Friedensbewegung insgesamt; soviel Ehrlichkeit muss sein, auch wenn es weh tut.

Was tun? Erkennen wir unsere Möglichkeiten und ihre Grenzen sowie unsere Fehler. Fast allen ist inzwischen klar, dass der Ukrainekrieg nicht mit dem verbrecherischen Angriff Russlands im Februar 2022 begonnen hat, sondern dass da eine Entwicklung über Jahrzehnte hinweg kritisch reflektiert werden muss. Die ganzen Zumutungen seitens der von den USA dominierten Nato gegenüber Russland müssen an dieser Stelle nicht wieder aufgezählt werden und auch nicht das durchaus konfrontative Vorgehen der ukrainischen Politik gegenüber den russischsprachigen Menschen im Lande. Haben wir diese Vorgänge in ihrer Bedeutung immer richtig eingeschätzt und uns entsprechend vernehmbar positioniert?

Nun zu unseren Möglichkeiten. Unser Name DFG-VK signalisiert, dass wir für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eintreten, in der Ukraine, in Russland und überall auf der Welt. Auf diesem Gebiet geschieht schon einiges, aber es könnte sehr viel mehr sein. Machen wir der Bundesregierung Druck, dass die Grenzen für Deserteure geöffnet werden.

Und schließlich noch ein Wort an diejenigen unter uns, denen angesichts dieses Krieges der Pazifismus zweifelhaft geworden ist: Unsere Grundüberzeugung wird nicht dadurch falsch, dass andere Kriegsverbrechen begehen. Und: Zweifel sind keine Schande.

Ernst Rattinger ist seit Jahrzehnten in der DFG-VK aktiv und der Vertreter des Landesverbands Baden-Württemberg im Bundesausschuss.

Kategorie: 2022, 2023, Leitartikel, Pazifismus Stichworte: Connection e.V., Leitartikel, Pazifismus, Rattinger, Ukraine-Krieg

25. November 2022

Sich der Kriegslogik entziehen

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

Leitartikel

Deserteure und KDVer brauchen Unterstützung

Von Rudi Friedrich

Kurz nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, forderte EU-Ratspräsident Charles Michel russische Soldaten zur Desertion auf und versprach, darüber nachzudenken, ob sie Asyl bekommen sollen. Sechs Monate später beschließt das Europäische Parlament, dass die Mitgliedstaaten sich bei der Frage des Asyls an Recht und Gesetz halten sollen. Sieht so eine tatkräftige Unterstützung aus? Wohl kaum.

Die Bundesregierung hat immerhin erklärt, dass russische Deserteure Asyl erhalten sollen. Ausgeschlossen von dieser Regelung sind allerdings Militärdienstflüchtige, die so klug waren, sich schon vor der Einberufung abzusetzen. Geflissentlich übersehen wurde, dass von inzwischen wohl 150.000 Militärdienstflüchtigen aus Russland gerade mal zwei- oder dreitausend den Weg in die Europäische Union geschafft haben. Die Grenzen sind weitgehend geschlossen. 

Andere in der Europäischen Union gehen mit diesem Thema noch weit weniger zimperlich um. Desertion? Da werden gleich alle Register gezogen, um diese Tat „ins rechte Licht“ zu rücken. Die einen fabulieren darüber, dass russische Deserteure Spione sein könnten, als ob die Spione aus Russland nicht schon längst hier wären. Egal, erst einmal werden alle Verweigerer unter Generalverdacht gestellt. Andere sinnieren darüber, dass sie doch besser in Russland gegen die eigene Regierung kämpfen sollen. Ist das nun ein Aufruf zum Bürgerkrieg? Auf jeden Fall geht es hier nur darum, die Verweigerer für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Und so haben wir sie wieder: die Denunziation, die Brandmarkung als Verräter oder auch die Instrumentalisierung derjenigen, die sich gegen einen Krieg wenden. Was all diesen Argumenten und Positionen gemein ist: Sie bewegen sich in der Logik des Krieges, dem Denken in Freund und Feind. Was sind wir froh, dass es Menschen auf allen Seiten des Krieges gibt, die dies genau nicht tun.

Es gibt auch Verweigerer auf der anderen Seite des Krieges, in der Ukraine. Dort wurde das ohnehin restriktive KDV-Gesetz ausgesetzt, Verweigerer zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch hier entziehen sich viele der Kriegsdienstpflicht: Schätzungsweise 140.000 halten sich in Westeuropa auf. Sie haben Glück: Aufgrund des befristeten humanitären Aufenthalts können sie vorerst bleiben. Was danach kommt weiß heute noch niemand.

Sie alle mögen ihre privaten, politischen oder auch Gewissensgründe für ihre Entscheidung haben. Auf jeden Fall stehen sie für einen anderen Weg, abseits einer Kriegshysterie, die nur Waffen zählt und die Eroberung von Gebieten als Sieg preist. Ohne diese Idee, dass es anderes als den Kampf gibt, verbleiben wir nur in einer Spirale der Eskalation.

Wir brauchen Menschen, die sich gegen den Krieg stellen und für ihre Gesellschaften andere Optionen aufzeigen. Und sie brauchen unsere Solidarität und Unterstützung: Offene Grenzen, um Länder mit prekärem Status verlassen zu können, einen echten und dauerhaften Schutz und in ihrer Heimat eine Amnestie und ein umfassendes Recht auf KDV.

Rudi Friedrich setzt sich als Mitbegründer von Connection e.V. seit 30 Jahren international für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ein (www.connection-ev.org). Seit Jahrzehnten ist er Mitglied der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202203, Connection, Connection e.V., Deserteure, Friedrich, KDV, Kriegsdienstverweigerung, Leitartikel, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Deserteure unterstützen, nicht Krieg!

Leitartikel

Gemeinsam gegen die 100-Milliarden-Aufrüstung kämpfen

Von Tobias Pflüger

Der russische Angriff auf die die Ukraine ist Unrecht, ein Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Schock. Hat sich aber dadurch die politische Situation grundlegend geändert – auch hierzulande?

Für uns in der DFG-VK ist der Krieg ein Verbrechen an der Menschheit. Das gilt auch für diesen Krieg. Was können wir tun, damit der Krieg möglicht schnell endet? Ihn in keiner Weise unterstützen – indem wir z.B. Deserteure unterstützen, die russischen, aber auch die aus der Ukraine.

Nicht-Unterstützung des Krieges heißt aber auch, gegen deutsche Waffenlieferungen einzutreten und gegen ideologische und materielle Aufrüstung, gegen Kriegspropaganda und Feindbilddenken.

Denn nach dem Schock über den Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar folgte der zweite Schock, der sich noch lange innenpolitisch auswirken wird. Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete am 27. Februar, ohne dass die Ampelkoalitions-Abgeordneten das zuvor genauer wussten, ein Sondervemögen Bundeswehr in Höhe von 100.000.000.000 Euro und die Einhaltung des jährlichen 2-Prozent-Ziels der Nato. Eine noch nie dagewesene Aufrüstung. Eine Verdreifachung der Militärausgaben. Ein Geldsegen für die Rüstungsindustrie. Alle Projekte, die wir mit Druck oder Vereinbarungen verhindern oder aufhalten konnten, von der Bewaffnung der Drohnen bis zum Kauf der extrem teuren F-35-Nuklearbomber wurden handstreichartig verkündet.

Es ist die Aufgabe von Friedensbewegten, Pazifist*innen, Antimilitarist*nnen und Linken, nun gegen diesen Aufrüstungskurs zu kämpfen. Ja, vieles müssen wir wieder von ganz vorne anfangen. Ich befürchte, dass wieder – wie beim Nato-Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 – ein ganzes (rot-grünes) Milieu auf den Kriegs- und Aufrüstungskurs mitgenommen werden soll oder schon wird. Dem müssen wir entgegenwirken.

Ist die Nato nun „gut“? Nein, natürlich nicht. Die Nato-Osterweiterung war bestimmt nicht friedensstiftend. Die Nato ist und bleibt ein Kriegsführungsbündnis. Wir sollten natürlich bei unserer Kritik an der Nato-Politik bleiben. In der Nato gibt es die höchsten Militärausgaben weltweit. Jede angeschaffte Waffe wird später exportiert, auch in Kriegs- und Krisengebiete. Auch die Hofierung mit Waffenlieferungen oder mit Energieabnahmen von „Verbündeten“ wie der Türkei oder Katar bleibt falsch. Atomwaffen und Atomkraftwerke bleiben auch weiterhin völlig unverantwortlich und menschheitbedrohend. 

Die politische Auseinandersetzung ist härter geworden und sie wird darum gehen, ob und wie (genau) diese 100 Milliarden Euro für die Rüstungsindustrie und die Bundeswehr ausgegeben werden und welche (finanz)-politischen Prioritäten insgesamt gesetzt werden. Wir haben viel zu tun! Verweigern wir uns der menschenverachtenden Kriegs- und Aufrüstungs(un)logik und bleiben dabei: Der Krieg ist ein Verbechen an der Menschheit. 

Tobias Pflüger ist seit 25 Jahren DFG-VK-Mitgliedund (Mit-)Initiator der Tübinger Informationsstelle Militarisierung. Bis zur Wahl 2021 war er für Die Linke Abgeordneter im Bundestag und dort Mitglied im Verteidigungsausschuss. Seit 2014 ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei Die Linke.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202201, Aufrüstung, Leitartikel, Pflüger, Ukraine-Krieg

19. Dezember 2021

Klare Ansagen machen!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Leitartikel

Aktionen organisieren, Wissen sammeln, Lobbyarbeit machen

Von Cornelia Mannewitz

Die älteste Partei kaperte mit ihren Wahlplakaten die Farbe Rot, die der Hartz-IV-Partei gar nicht zusteht; wohl anstelle einer politischen Aussage. Ein Foto der Koalitionäre in spe ging durch die Presse: Drei leidlich schöne mitteljunge Menschen, die ihre Erfahrungen nicht wie früher aus dem Krieg oder dem antifaschistischen Kampf haben, sondern aus den Jugendorganisationen ihrer Parteien. Sie wissen, dass sie mit Bildern punkten können: Nicht wenige junge Leute sympathisieren heute mit einer extrem wirtschaftsliberalen Partei. Warum? Weil die einen smarten digitalen Wahlkampf geführt hat. 

Erst sehr spät traute sich die künftige Regierung, in einen gesellschaftlichen Konflikt hineinzugehen: Sie bezog Stellung zur Coronalage. Die war längst desaströs, aber das zu verhindern, hätte ja erfordert, sich mit Wirtschaft und Teilen der Wählerschaft anzulegen. Ganz nebenbei wurden dann noch die Killerdrohnen startklar gemacht. 

Umso mehr müssen wir selber tun. Das heißt aber nicht, dass wir alles andersherum machen sollten. Kriegsparteien nicht wählen? Hier und jetzt gibt es keine anderen wählbaren Parteien; hinter denen, die es sein könnten, steht zu wenig Geld. Gar nicht wählen, uns in einem Paralleluniversum verschanzen, Entscheidungsmethoden üben und Verschwörungsmythen glauben, nur, weil sie ach so alternativ aussehen? 

Es ist richtig, den Menschen eine andere Welt vorzuleben. Aber viele haben genug damit zu tun, sich in dieser durchzuschlagen. Wir erreichen sie nur, wenn wir auch ihre soziale Lage berücksichtigen. Der Kapitalismus ist ein hartes System. Militärische Expansion gehört zu seinem Wesen. Nichtmilitärisch handelt er nur, wenn das gerade profitabler ist. Da liegt unser Kernthema, und von dem aus müssen wir in Zusammenhängen denken.  

Wir müssen also klare Ansagen machen: Aktionen organisieren, die auch Machtverhältnisse infrage stellen. Kluge Papiere schreiben und lesen. Außerdem tatsächlich lobbyieren, um Argumentationen zu drehen und den einen oder anderen greifbaren Erfolg zu erzielen. Noch mehr Wissen sammeln und diskutieren, etwa darüber, was Rechtsradikalismus für uns bedeutet. 

Und: Pressearbeit, Pressearbeit, Pressearbeit! Sowohl schnell auf Aktuelles reagierende als auch planvoll eigene Themen setzende. Mit mehreren Mitwirkenden und einem guten Presseverteiler. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass von einem Bundeskongress der DFG-VK wieder kaum jemand Notiz nimmt. Dem vorzubeugen, wäre doch schon mal ein naheliegendes Ziel.

Cornelia Mannewitz ist Vertreterin des LandesverbaCornelia Mannewitz ist Vertreterin des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern im DFG-VK-Bundesausschuss.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202104, Leitartikel, Mannewitz

31. August 2021

Wählen reicht nicht!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Leitartikel

Pazifistisch-antimilitaristische Gedanken zur Bundestagswahl

Von Markus Hornberger

Bei der Bundestagswahl am 26. September geht es um viel. Sie bedeutet nicht nur ein Ende der „Ära Merkel“, sondern spiegelt eine Gesellschaft in einem großen Umbruch wider – eine Gesellschaft, die sich wieder vermehrt Gedanken über das Leben miteinander und mit ihrer Umwelt macht. 

Spielten vor vier Jahren noch hauptsächlich das Thema Einwanderung und der Einzug der AfD in den Bundestag eine Rolle, so geht es den Wähler:innen heute viel mehr um die Rettung des Klimas, um genügend und bezahlbaren Wohnraum und um das Thema soziale (Un-)Gerechtigkeit. Das am dringlichsten empfundene Interesse der Bürger:innen ist jedoch das Thema „Sicherheit“. Natürlich fallen unter diesen Themenkomplex auch die Ängste vor den katastrophalen Folgen der Klimaveränderung oder finanzielle Sorgen, jede:r Vierte zeigt sich jedoch mittlerweile besorgt bezüglich der Kriege, in die Deutschland verwickelt werden könnte. 

Dabei steht es bei einem Blick in die meisten Wahlprogramme schlecht um die Friedenspolitik der nächsten Jahre. 

Die Grünen, die höchstwahrscheinlich das Land mitregieren werden, sehen in der Nato einen „unverzichtbaren Akteur für die gemeinsame Sicherheit Europas“ und forderten sogar von der Linken ein Bekenntnis zu dem Kriegsbündnis als Koalitionsbedingung. Drohnen sollen lediglich international verbindlich reguliert werden – von einem Verbot keine Rede. Ebenso steht es um Rüstungsexporte. Der Umgang mit Russland erfordere einen Zweiklang aus „Dialog und Härte“, China sei sogar systemischer Rivale. Gegen diese vermeintlichen Bedrohungen soll eine „handlungsfähige EU mit klarem Wertekompass“ in Stellung gebracht werden; EU-Imperialismus im Namen der Menschenrechte also. 

Ähnlich desaströs liest sich das Wahlprogramm der SPD, was uns Friedensbewegte jedoch auch nicht überraschen sollte. 

Und selbst in den Reihen der Linken werden Stimmen laut, die bezüglich der Friedenspolitik „linke Antworten auf der Höhe der Zeit“ fordern und damit Bundeswehreinsätze bei UN-Missionen meinen. 

Mehr denn je stellt sich für uns also die Frage, wie weit wir unser Friedensprojekt auf dem Fundament der Parlamente bauen wollen. Sicher, die Friedensbewegung hat durch ihre Einflussnahme auf Politiker:innen viele Erfolge erzielen können – zuletzt auch während der Drohnendebatte der SPD; und sicher, mit einer starken Linken in einer grün-rot-roten Koalition ließen sich einige Auslandseinsätze der Bundeswehr wohl verhindern.

Aber dabei muss uns klar sein, dass die Verhältnisse im Bundestag zum großen Teil die Verhältnisse in der Gesellschaft widerspiegeln. Wir dürfen uns also nicht in ausgeklügelten Lobbykonzepten verlieren, sondern müssen auch lernen, wieder große Teile der Gesellschaft gegen die Kriegsindustrie, die Militarisierung und den Imperialismus zu mobilisieren.

Vergessen wir dabei nicht, dass sich die Beseitigung aller Kriegsursachen, wie es unsere Grundsatzerklärung fordert, nicht durch Wahlen und Abstimmungen allein erreichen lässt – „uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“.

Markus Hornberger ist Mitglied im BundessprecherInnenkreis der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202103, Bundestagswahl

25. März 2021

Ein bisschen Pazifismus geht nicht

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Leitartikel

Von Christop Neeb

Kevin Kühnert, früher Juso-Chef und nun stellvertretender SPD-Vorsitzender, kandidiert im September für den Bundestag. Im November fragte ihn der „Spiegel“: „Bei welchem Thema haben Sie ihre Meinung zuletzt geändert?“ Seine Antwort: „Ich bin vielleicht nicht mehr so pazifistisch, wie ich es als 15-jähriger war. Ich habe aus der deutschen Geschichte gelernt, dass Pazifismus in seiner Reinform naiv ist – auch wenn Frieden das Maß der Dinge bleibt.“

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat ein Buch über den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Krieg veröffentlicht (Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen; Frankfurt 2010). Einer der Ausgangspunkte ihrer Überlegungen: Das menschliche Leben ist gefährdet, es könnte verloren gehen und wir nehmen in unserer jeweiligen Gegenwart vorweg, dass wir selbst dies betrauern würden. „Wer nicht betrauerbar ist, lebt außerhalb des Lebens. […] Die Wahrnehmung der Betrauerbarkeit geht der Wahrnehmung des Gefährdetseins des Lebens vorher und ermöglicht diese Wahrnehmung erst.“ (S. 22) Leben, das nicht betrauert werden wird, ist irrelevant, so Judith Butler und weiter: „[…] es ist kein Leben denkbar, das nicht gefährdet wäre, außer natürlich in der Phantasie und ganz besonders in der Phantasie der Militärs.“ (S. 31)

Militär bedeutet die maximale Gefährdung der anderen, der nicht Betrauerten, bei minimaler Gefährdung der eigenen Leute. Die Reaktion: Maximale Gefährdung der eigenen Leute durch andere bei minimaler Gefährdung der anderen selbst. Das Ergebnis ist: Alle sind maximal gefährdet – bei maximalen Kosten.

Die willkürliche Maximierung von Gefährdungen für die einen und deren Minimierung für die anderen verstößt gegen grundlegende Normen der Gleichbehandlung. Wenn jedoch die anderen das Gleiche tun, ist die Gleichbehandlung wiederhergestellt.

„Meiner Ansicht nach wird der Krieg in ganz bestimmte Rahmen gestellt, um Affekte in Verbindung mit der differenzierenden Betrauerbarkeit von Leben zu kontrollieren und zu steigern.“ (Butler, S. 32) Konkret bedeutet dies, dass Emanzipation, Feminismus, Sexualpolitik etc. im Dienst derzeitiger Kriege vereinnahmt werden. Eine spezifisch deutsche Variante ist, die tatsächlichen oder vorgeblichen Lehren aus der deutschen Geschichte für aktuelle Kriege zu vereinnahmen. Dies ist das eine, was in dem Zitat von Kühnert zum Ausdruck kommt.

Es geht aber nicht nur darum, den Krieg in einen ganz bestimmten Rahmen zu stellen, um ihn gegen Kritik zu immunisieren, sondern auch darum, die Kritik und die Kritiker in einen Rahmen zu stellen, der so negativ und so ausschließend wie möglich ist. Eigene Leute, die naiv sind, gehören zwar zu den Betrauerbaren, deren Leben relevant ist und minimal gefährdet sein sollte, aber politisch sollen sie irrelevant sein. Auch dies kommt in dem Zitat von Kühnert zum Ausdruck.

Egal ob er nun den beiden genannten Rahmungen auf den Leim gegangen ist oder ob er sie aktiv betreibt: Er muss sich entscheiden. Ein bisschen Pazifismus geht nicht. Es ist dann keiner mehr.

Was Kühnert hier bewusst vermischt oder unbewusst verwechselt, ist die ethische und politische Haltung einerseits und die Umsetzung andererseits. Gesinnungsethik und Verantwortungsethik sind keine Gegensätze, sie bedingen einander. Praktische Politik bedeutet, ausgehend von radikalen Positionen einen politischen Raum zu eröffnen, um auf bestimmte Ziele hinarbeiten zu können. Unser Grundgesetz funktioniert genau so.

Eine solche Politik ist kompliziert und anstrengend, so wie Willy Brandts neue Ostpolitik, bei der die Sicherheit der anderen Teil der eigenen Sicherheit war. Sie hatte einen Vorlauf von rund zehn Jahren. Sie bot eine Perspektive der Verbesserung für alle und der SPD Wahlchancen.

Christoph Neeb ist Bundeskassierer der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202101, Gesinnungsethik, Juso, Krieg, Kühnert, SPD, Verantwortungsethik

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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