Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 1/2021 |
Kriegsdienstverweigerung
Ein Brief an Hannah Brinkmann, die Autorin des Buches „Gegen mein Gewissen“
Von Werner Glenewinkel
Liebe Frau Brinkmann!
Ihr Buch „Gegen mein Gewissen“ – vorgestellt in dem Interview mit Ihnen in der ZivilCourage 5/2020 und in der Connection-Zeitschrift „KDV im Krieg“ 5/2020 – beginnt 1956 mit der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht und endet 2015 mit Ihrer Entscheidung, die Geschichte Ihres Onkels Hermann aufzuarbeiten. Zunächst gegen den Widerstand der Familie, insbesondere Ihres Vaters, Hermanns Bruder Hans. Sein „Was gibt es da noch zu erzählen?“ wandelt sich im Verlauf Ihrer Recherche-Arbeit zu „Toll, dass du Hermanns Geschichte erzählst!“ und endet damit, dass Hermanns Geschichte für alle einen „Sinn“ bekommen hat.
Damit umspannt Ihr Buch fünf Jahrzehnte politischer Auseinandersetzung – von der Einführung der Wehrpflicht 1956 bis zu Ihrer Aussetzung 2011. Das Besondere an Ihrem Buch ist für mich, dass es Ihnen gelingt, das Individuelle mit dem Gesellschaftlichen zu verknüpfen. Also das traurige Schicksal eines Kriegsdienstverweigerers, Ihres Onkels Hermann, mit der „konservativen Nachkriegspolitik“, d.h. dem ständigen Versuch, Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz auf ein Ausnahmerecht zu reduzieren. Das machen Sie in der Form einer Graphic-Novel-Geschichte mit 230 Seiten und – geschätzt – mehr als tausend Illustrationen. Kein Wunder, dass diese Arbeit Sie über vier Jahre beschäftigt hat. Mit der Art Ihrer Illustrationen – Form und Farbe, Dokumente und Phantasie – gelingt Ihnen auch eine eindringliche Verknüpfung von innen und außen, also von Hermanns realen KDV-Erfahrungen mit seinen Gedanken und Ängsten und Träumen.
Der Ablehnungsbescheid des Prüfungsausschusses beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg, den Hermann 1973 erhielt, versetzt mich – fast automatisch – in meine eigene Geschichte: „Es ist dem Widerspruchsführer nicht gelungen, die Ernsthaftigkeit seiner Gewissenbedenken zu belegen.“ Den Satz kenne ich. Hermann ist an diesem nicht Ernstgenommen-Werden verzweifelt und sah letztlich keinen anderen Ausweg aus seiner Gewissensnot als den Tod. Ich bin neun Jahre älter als Hermann und nach dem Abitur naiv-arglos zwei Jahre zur Bundeswehr gegangen. Danach – im selben Jahr, in dem auch Herman seinen Antrag gestellt hat – habe ich den Kriegsdienst nachträglich verweigert. „Alles, was ich tue, ist abhängig von Menschen; nicht nur von den Personen, mit denen ich lebe und die ich liebe, sondern von allen Menschen und unserer gemeinsamen Geschichte.“ Diesen zutiefst humanistischen Satz aus Hermanns Antrag hätte ich auch schreiben können.
Vermutlich hat meine nachträgliche Entwicklung zum Kriegsdienstverweigerer mich vor den Nöten bewahrt, die Hermanns Weg bestimmt haben. In der Todesanzeige der Familie vom Januar 1974 heißt es dann am Ende: „Wir fragen uns, warum Hermann diesen Weg gehen musste.“
Mit dieser Todesanzeige in der FAZ wurde aus Hermanns individuellem Schicksal eine Diskussion über das KDV-Grundrecht. Der „Stern“ überschreibt seine kritische Reportage mit „Das Gewehr und das Gewissen“.
1957 beriefen sich 262 Wehrpflichtigen auf Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz, 1972 gab es über 28 000 Verfahren vor den Prüfungsausschüssen. Im Jahr 1982 gab es fast 60 000 KDV-Anträge von jungen Männern, die dann ihr Gewissen prüfen lassen mussten.
Als gemeinsame Einrichtung von ca. 30 Organisationen, darunter von Anfang an die DFG-VK bzw. ihre Vorläufer, hatte sich die „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ (www.zentralstelle-KDV.de) immer gegen diese Gewissensprüfungen eingesetzt. Der langjährige Vorsitzende der Zentralstelle KDV, der 2019 verstorbene Ulrich Finckh, hatte diese Prüfungsverhandlungen als Inquisition bezeichnet. Als solche wurde sie zunehmend auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisiert.
Als kleinen, wenn auch wichtigen Fortschritt brachte der Regierungswechsel 1982/83 zur Kohl-Regierung eine Reform des KDV-Anerkennungsverfahren; die mündlichen Prüfungsverhandlungen fielen für die meisten Kriegsdienstverweigerer weg und wurden durch ein schriftliches Verfahren ersetzt. Bis dahin aber galten aber für alle die mündlichen Gewissensprüfungen
Von Ihnen wunderbar illustriert: Herman fühlt sich während der Befragung vor dem Prüfungsausschuss wie in einem Höllenfeuer: „Das ist ein Inquisitionsverfahren.“
Sie zeigen anschaulich, wie Ihr Onkel sich mit Freunden berät und wohl nicht glauben kann, dass man sich auf diese Verfahren vorbereiten muss, um eine Chance zum „Durchkommen“ zu haben. Der Beratungsbedarf war groß und wurde auf vielfältige Weise befriedigt.
1980 schrieb Hansjörg Martin das Jugendbuch: „Der Verweigerer“, in dem er die Geschichte von Wolfgang Bieber erzählte, der vor dem Prüfungsausschuss ganz ähnliche Erfahrungen macht wie Hermann einige Jahre vor ihm. Ihm wird bescheinigt, dass er nicht darlegen konnte, eine „gewissensgebundene Entscheidung“ getroffen zu haben. Ein Widerspruch bei der Prüfungskammer sei zulässig. Die Geschichte endet damit, dass Wolfgang empfohlen wird, Widerspruch einzulegen. „Das ist eine gute Übung in Demokratie! Außerdem bin ich fest überzeugt, dass Wolfgang es beim nächstenmal schafft!“ Hermann hat es, wie ich auch, nicht geschafft. Hermanns Klage vor dem Verwaltungsgericht war bereits terminiert. Er hat die Entscheidung nicht abwarten wollen.
Ich bin durch eine negative Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem nicht staatlich anerkannten KDVer geworden. Wahrscheinlich war das der Grund, Herrn Martin zu schreiben, dass dieses Ende seiner Geschichte zu optimistisch sei. Meine eigenen Erfahrungen später als Beisitzer in einer Prüfungskammer hatten mir gezeigt, dass die Ablehnung mehr Regel als Ausnahme war.
Am Ende gab es eine Fortsetzung der Geschichte von Wolfgang Bieber: „Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf“. Am Ende dieser Geschichte ist nicht alles gut, aber Wolfgang hat sich von dem Gefühl, versagt zu haben und durchgefallen zu sein, befreit. Er ist sogar ein wenig stolz, dass er sich als KDVer positioniert hat. (Hinweis der Redaktion auf das Buch: Werner Glenewinkel: Die Gewissensprüfung. Der Verweigerer gibt nicht auf. Mit einem Nachwort von Hansjörg Martin. Reinbek bei Hamburg 1985)
Sie haben Hermanns Geschichte wieder ans Licht geholt. In dem ZivilCourage-Interview haben Sie darauf hingewiesen, dass Ihre Generation nicht mit der Wehrpflicht konfrontiert ist; dennoch möchten Sie, dass ein Bewusstsein darüber entsteht, dass bis zur Aussetzung der Wehrpflicht vor 10 Jahren „Opfer gebracht wurden“ und dass die fehlende Anerkennung der KDV immer noch ein Problem sei, unter dem viele junge Männer und auch Frauen in anderen Ländern leiden.
In Ihrem Buch gibt es das Bild von einer Mauer, auf das Hermann und sein Freund mit roter Farbe geschrieben haben: Frieden schaffen ohne Waffen
Das könnte nicht nur als Vermächtnis von Hermann gelesen werden, sondern auch als Auftrag für die Zukunft, den Sie mit Ihrem Buch in die heutige (noch) wehrpflichtfreie Gegenwart transportiert haben. Für mich bedeutet das konkret dreierlei:
Kriegsdienstverweigerung muss zum allgemeinen Menschenrecht werden. Das ist ein langer Weg, der bei Connection e.V. in guten Händen ist, aber viel mehr zivilgesellschaftliche Unterstützung braucht.
Militärlogik muss durch eine Friedenslogik ersetzt werden, denn: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“ Die Grundsatzerklärung der DFG-VK braucht Vervielfältigung.
Wenn unsere Welt für Ihre Generation und meine Enkelkinder erhalten bleiben soll, dann müssen wir uns von einer militärischen Sicherheitspolitik verabschieden und Sicherheit neue denken. Dazu gibt es ein Szenario bis zum Jahr 2040, das viele Chancen und Möglichkeiten enthält, sich mit dem eigenen zivilgesellschaftlichen Engagement einzubringen (www.sicherheitneudenken.de).
Ihr Buch war für mich eine Einladung zu einem anregenden und berührenden Rückblick auf fünf Jahrzehnte KDV-Geschichte. Vielen Dank und herzliche Grüße von Werner Glenewinkel
Dr. Werner Glenewinkel ist Jurist und langjähriges Mitglied der DFG-VK. Von 2007 bis zu ihrer Auflösung nach Aussetzung der Wehrpflicht war er Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Kontakt: werner.glenewinkel@t-online.de