Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 2/2021 |
Antimilitarismus
20 Jahre Kriegspolitik von Bundeswehr und Nato sind gescheitert
Von Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers
Nach fast 20 Jahren Kriegsbeteiligung ist die Bundeswehr fluchtartig aus Afghanistan abgezogen und hinterlässt ein zerstörtes Land. Die formulierten und heimlichen Kriegsziele wurden alle nicht erreicht. Der Einsatz war sinnlos, die Soldat*innen wurden von den Bundesregierungen missbraucht. Konflikte können mit Militär nicht gelöst werden.
Am 1. Dezember 2001 trafen die ersten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Afghanistan ein. Ihr vorgeblicher Auftrag war, die afghanische Regierung im Kampf gegen den Terrorismus von Al Kaida und der Taliban zu unterstützen. Zusammen mit den Soldat*innen aus anderen Nato-Staaten sollte angeblich der Terrorismus erfolgreich bekämpft und demokratische Strukturen aufgebaut werden.
Der Militäreinsatz wurde als „Friedensmission“ verharmlost und sollte für ein Afghanistan sein, „das für sich sorgen kann“, hieß es 2001 aus dem Verteidigungsministerium. Der damalige Bundeskanzler Schröder teilte in einer Regierungserklärung im Dezember 2001 mit: „Der Afghanistaneinsatz ist unsere Antwort auf den Terror“.
Als unausgesprochenes hintergründiges Ziel strebten Schröder (SPD) und sein Außenminister Fischer (Grüne) einen ständigen Sitz im UN Sicherheitsrat an.
Nicht Aufbauhilfe, sondern Besatzung
Dargestellt wurde der Krieg der Nato in Afghanistan als „Aufbauhilfe, Beitrag zur Demokratisierung“. Dafür wurden immer mehr Soldat*innen und Kriegsgerät ins Land geschafft. 2003 übernahmen die Nato-Armeen Besatzungsfunktionen in den Provinzen, die Bundeswehr im Norden mit Stützpunkten in Mazar, Kunduz und 2004 in Faizabad.
Am 4. September 2009 wurden auf Befehl des Bundeswehroberst Klein Zivilist*innen, darunter auch Kinder, bombardiert, die sich von einem festgefahrenen LKW Benzin abgezapft hatten. Bei dem Bombenangriff kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Für dieses Kriegsverbrechen wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Der Staatsanwalt stellte fest, dass die Bombardierung alle subjektiven und objektiven Tatmerkmale des Mordparagraphen enthält, die Ermittlungen gegen Oberst Klein wurden dennoch eingestellt, und er wurde zum General befördert.
2014 wurde schon einmal ein Abzug aus Afghanistan angekündigt. Die Bundeswehr ist damals für die Unterstützung und Ausbildung der afghanischen Armee beauftragt geblieben, Kunduz und Faizabad waren schon geräumt.
Es sollte ihr Beitrag zur Niederschlagung der Aufständischen sein. Soldat*innen, die von der Bundeswehr ausgebildet wurden sind, desertierten und flohen oder schlossen sich den Taliban oder anderen Aufständischen an. Die Bundeswehr hat diejenigen ausgebildet, die sie eigentlich bekämpfen wollte.
Ausbau des Drogenanbaus und -handels, Zerstörung der Infrastruktur, Verelendung und Hunger, die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in der Welt, ein zerstörtes Bildungssystem, eine zerstrittene Regierung mit steigender Korruption, haben das Ziel der sogenannten „Friedensmission“ ins Gegenteil verkehrt. Die Taliban konnten Kabul und die Macht im Land im August 2021 wieder übernehmen.
Kapitulation
Von Januar bis April 2021 stieg der Anteil der getöteten Zivilist*innen um 30 Prozent oder um 10.439 Menschen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind im fast zwanzigjährigen Krieg in Afghanistan mindestens 300 .000 Menschen getötet worden. Die Soldat*innen der Bundeswehr lassen mit ihrem Krieg, der nicht Krieg genannt werden sollte, ein zerstörtes Land zurück. Die Islamisten sind stärker als zuvor. Die Bundeswehrsoldat*innen sind in den 20 Jahren ihres Militäreinsatzes Opfer von Selbsttäuschung geworden, sie wurden von den Bundesregierungen und der Parlamentsmehrheit missbraucht. Mit ihrem Abzug besiegeln sie das Scheitern.
Verantwortungslose Militärpolitik
Soldat*innen sind Opfer verantwortungsloser Militärpolitik. Etwa 150 .000 Soldat*innen der Bundeswehr waren in Afghanistan im Krieg. 59 kamen dabei ums Leben, 35 bei Kampfhandlungen. Ihnen wurde posthum der Orden für besondere Tapferkeit verliehen.
Die Zahl der psychisch traumatisierten Soldat*innen steigt, für deren Behandlung in Bundeswehrkrankenhäusern beträgt die Wartezeit bis zu acht Monaten. Wie viele Soldat*innen aufgrund ihrer Kriegserlebnisse traumatisiert sind, ist aufgrund der Dunkelziffer ungewiss.
Sie haben im Kriegsalltag hilflos mitansehen müssen, wie Zivilist*innen, darunter auch Kinder, Kamerad*innen, auch die der anderen Nato-Armeen getötet oder verletzt worden sind oder wurden auch selbst verletzt. Der Schaden, den sie an ihrer Seele genommen haben, ist auf den ersten Blick nicht sichtbar.
Unter der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familienangehörigen und ihr soziales Umfeld. Für Soldat*innen mit PTBS hört der Krieg nie auf, er geht im Kopf und den Nerven weiter.
Gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit. Bei Meinungsumfragen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung gab es durchgängig mindestens eine Zweidrittelmehrheit gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan. Rückhalt in der Bevölkerung hat es für die Soldat*innen in Afghanistan nie gegeben.
Die Mehrheitsmeinung ignorierend haben die Mitglieder des Bundestages mehrheitlich für Krieg gestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“. 12,156 Milliarden Euro, dazu sogenannte Aufbauhilfen und Entwicklungshilfen in Höhe von 430 Millionen Euro, die größtenteils für Militär und Polizei eingesetzt wurden, sind sinnlos für den Krieg verschwendet worden.
Abschiebestopp und offene Grenzen
In Afghanistan gibt es keine Sicherheit für Menschen. Während die Bundeswehr für ihre Soldat*innen einen sicheren Abzug aus Afghanistan organisierte, ließen sie die Menschen in Afghanistan hilflos zurück.
Noch im August 2021 wurde von rassistischen deutschen Politiker*innen behauptet, es gebe in Afghanistan sichere Gebiete, in die Menschen abgeschoben werden können.
Alle Menschen, die aus Afghanistan schon geflüchtet sind, und auch diejenigen, die das misshandelte Land verlassen und sich hier bei uns in Sicherheit bringen wollen, brauchen ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht. Das gilt für alle, nicht nur für die Kollaborateure der Besatzer. Das ist unsere humanitäre und politische Verantwortung.
Afghanistan ist der Friedhof für Imperialisten und Invasoren. Vor 2 300 Jahren scheiterte Alexander der Große daran, Afghanistan zu erobern. 1839 versuchten die Briten, das Land zu besetzen und scheiterten. 12 000 Zivilisten, 690 britische und 2.840 indische Soldaten mussten drei Jahre später nach militärischer Niederlage abziehen. Nur der Militärarzt Bryder überlebte den Abzug.
1858 schrieb Theodor Fontane das Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“, dessen letzte Zeile lautet: „Mit 13.000 der Zug begann – einer kam heim aus Afghanistan“.
Von 1979 bis 1989 intervenierte die Sowjetarmee in Afghanistan und musste am Ende erfolglos abziehen. Afghanistan wurde zu einem Sargnagel der Sowjetunion.
Nun haben USA und Nato ihren Afghanistankrieg verloren.
Aus dem Afghanistankrieg lernen. Der Malieinsatz ist ebenso desaströs. Auch dort destabilisiert der Kriegseinsatz eine ganze Region, und der Krieg weitet sich auf die Nachbarstaaten im Sahel aus.
Menschenrechte, Demokratie, Wohlstand und Sicherheit können nicht durch Soldat*innen und Krieg erreicht werden. Der Einsatz von Militär ist keine Geopolitik sondern Kriegsführung und verschlimmert das Elend.
Die Bundeswehr ist gefährlich, sinnlos, teuer und gehört abgeschafft.
Politiker*innen, die Krieg als Friedensmission deklarieren, sich an der Vorbereitung von Kriegshandlungen durch Zustimmung beteiligen und Krieg als politische Strategie gut heißen, sind nicht wählbar.
Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers sind aktiv im DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein.
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