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Antimilitarismus

25. März 2021

(Kein) Urteil „Im Namen des Führers“ …

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Titel

Strafrecht gegen antimilitaristische Umwandlung eines Nazi-Kriegerdenkmals

Von Wilfried Porwol

Rückseite des in ein Friedensmahnmal umgewandelten Nazi-Kriegerdenkmals in Kalkar (Foto: Wilfried Porwol)

Nein, natürlich wurde das Urteil gegen mich wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ vom Amtsgericht Kleve am 7. Dezember „Im Namen des Volkes“ gefällt. 900 Euro Geldstrafe, ersatzweise 30 Tage Haft für meine künstlerische Umgestaltung des Nazi-Kriegerdenkmales in Kalkar in ein Friedensmahnmal. 

Es ging bei diesem Prozess im größten, aber unter Coronabedingungen mit nur acht zugelassenen Besuchern gefüllten Verhandlungssaal ausschließlich um meine erste kreative Umfunktionierung dieses unsäglichen Monstrums vom 27. Juli 2019. 

Nach der Verlesung der Anklage durch den Staatsanwalt konnte ich ausgiebig zu meinen Beweggründen Stellung nehmen. Sogenannte Kriegerdenkmale aus dieser Zeit, wie das in Kalkar von 1936, hatten vor allem einen Zweck: die Verbreitung des nationalsozialistischen Heldenmythos zur ideologischen Vorbereitung auf den bereits geplanten faschistischen Eroberungskrieg. Dazu wurde die Trauer der Angehörigen der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges instrumentalisiert. Das Kalkarer „Denkmal“ war „Unseren Helden“ 1914 bis 1918 gewidmet, wobei die beiden Jahreszahlen durch ein eisernes Kreuz verbunden waren. Eine besondere Ehre wurde den toten „Helden“ aus Kalkar, darunter 4 jüdischen Bürgern, durch die Inschrift auf der Rückseite erwiesen. Dort stand und steht: „Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken“, ein Zitat aus Hitlers „Mein Kampf“ , wie der Historiker Dr. Hans Hesse 2014 herausfand. 

Als Chronik der Schande erwies sich der Umgang der Stadt Kalkar mit diesem NS-Monstrum nach dem Zweiten Weltkrieg. Da gab es die Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates von 1946, die Gesetzeskraft für ganz Deutschland hatte und die bis zum 5. Mai 1955 gültig war. In ihr wurde der Abbau aller kriegsverherrlichender Denkmäler aus der NS-Zeit verfügt. Der Kriegstoten sollte auch weiterhin gedacht werden können, aber in würdevoller Weise ohne deren Instrumentalisierung durch den NS-Staat. 

Dies wurde in der Nachbarstadt Goch entsprechend durchgeführt, während die Verantwortlichen in Kalkar das über Jahre hinweg mit krimineller Energie hintertrieben. In illegaler Weise wurde so das Nazi-Kriegerdenkmal in Kalkar konserviert. Doch das schien den Entscheidungsträgern der Stadt Kalkar noch nicht zu reichen. War es nur ein unfassbares Maß an Dummheit und Ignoranz? Sie ließen die Nazi-Propagandastätte 1983 erweitern durch die Jahreszahlen 1939 und 1945, die ebenfalls mit einem Eisernen Kreuz verbunden wurden. 

Es war damit nicht nur ein Relikt aus der Nazizeit, sondern es bekam den Status eines gegenwärtigen offiziellen „Denkmals“ mit kriminellem nationalsozialistischem Inhalt. Eine ungeheure Verhöhnung der Kriegsopfer durch das Hitlerzitat, insbesondere der im Ersten Weltkrieg als Soldaten gefallenen jüdischen Bürger Kalkars, deren Verwandte nur wenige Jahre nach Errichtung dieses Schandmales in die Gaskammern getrieben wurden. 

Eine skandalöse Glorifizierung des verbrecherischen rassistischen Vernichtungskrieges der Wehrmacht, der zum Einsatzprogramm zählenden Massenhinrichtungen an der Zivilbevölkerung, der Geisel- und Gefangenenerschießungen, der systematischen Vergewaltigungen und der tätigen Beihilfe bei der millionenfachen Ermordung der jüdischen Bevölkerung aller besetzten Gebiete.

Auch nachdem schon bekannt war, dass die Inschrift auf der Rückseite ein Hitlerzitat war, ließen die Verantwortlichen der Stadt Kalkar dieses Gebilde – ein schützenswertes Denkmal im Sinne des Denkmalschutzes war es nicht – weiterhin über Jahre hinweg ohne sichtbare Distanzierung in der Öffentlichkeit stehen und wirken. Sie schufen damit einen potenziellen Wellness-Ort für gewaltbereite Neonazis. 

Nach meinen Ausführungen zum Charakter und zur Funktion dieses faschistischen Steinhaufens konnte ich mein Konzept zur künstlerischen Umgestaltung dieses Monstrums erläutern, zur Einfärbung des martialischen Reichsadlers in Regenbogenfarben, zur Überschreibung der kriegsverherrlichenden Aussage mit Friedensbotschaften und zur Anbringung des Schriftzuges „Nie Wieder Krieg – Nie Wieder Faschismus“ über dem Hitlerzitat. 

Mein Anwalt überreichte dem Gericht eine Stellungnahme von Valentina Vlasic, Kunsthistorikerin und Kuratorin des renommierten Museum Kurhaus Kleve. In ihrer Stellungnahme plädierte sie dafür, dass meine künstlerische Sprayaktion nicht als Sachbeschädigung angesehen werden sollte, „sondern als subversiv performativen Akt, der politisches, also kritisches und interventionistisches Potenzial besitzt und sogar Aspekte der Street Art und Performance Art, sogar des Happenings in sich vereint.“ Sie stellte meine Arbeit in eine Reihe mit Aktionen der Künstler Banksy, Naegeli und Beuys.

Staatsanwalt und Richter äußerten durchaus Verständnis für meine Motivation. Ja, es gab sogar verhaltene Kritik vom Staatsanwalt an der Untätigkeit der Stadt Kalkar, dass diese das „Denkmal“ 1946 nicht abgebaut sich nicht genügend mit der Sache auseinandergesetzt hätte. Doch im krassen Gegensatz dazu sein Strafantrag: Bei dem Kalkarer Kriegerdenkmal handele es sich dennoch um ein Denkmal, mit dem auch Kriegstote geehrt würden, auch wenn es nicht unter Denkmalschutz stehe. Es sei halt das Eigentum der Stadt Kalkar, und nichts würde meine Aktion rechtfertigen, also müsse bestraft werden wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ und zwar mit 30 Tagessätzen.

Mein Anwalt verwies auf das deutlich drastischere Vorgehen gegen Denkmäler in USA und England, wo solche, die Unrecht glorifizierten, mehrfach in jüngster Zeit gestürzt wurden. Er stellte die Nicht-Nachvollziehbarkeit heraus, dass Holocaustleugner bestraft würden, aber die Rechtsordnung darauf bestehe, ein Zitat von Adolf Hitler wieder herzustellen. 

Damit hatte der Amtsrichter Thomas Staczan allerdings kein Problem: Er folgte dem Antrag des Staatsanwaltes. Eigentum beschmieren – so sein Kunstverständnis – ginge gar nicht, und wenn es sich um ein Denkmal wie in Kalkar handele, dann sei das eben nicht nur eine einfache Sachbeschädigung, sondern eine gemeinschädliche. Also: 30 Tagessätze, und dann kämen ja später auch noch die Reinigungskosten der Stadt Kalkar auf mich zu. 

Fazit: Die Übermalung eines öffentlich zur Schau gestellten Hitlerzitates ist also gemeinschädlich, die Wiederherstellung der Nazi-Propaganda dagegen ist gemeinnützlich. Ein Urteil, das doch ehrlicherweise nicht „im Namen des Volkes“, sondern „im Namen des Führers“ verkündet hätte werden sollen. Ein Schandurteil zum Schutze eines NS-Schandmals. 

Die Berufung dagegen ist schon eingelegt. Das Ganze wird dann vor dem Landgericht neu verhandelt werden. Der Kampf auf der juristischen Ebene geht also weiter. Mich erwarten in der nächsten Zeit noch zwei weitere Anklagen und Verhandlungen vor dem Amtsgericht Kleve wegen meiner zwei weiteren künstlerischen Interventionen am Kalkarer NS-Steinhaufen, dazu dann – wenn keine Freisprüche erfolgen – die entsprechenden Berufungsprozesse. 

Sehr erfreulich, wichtig und wohltuend bei der ganzen Auseinandersetzung: die große Solidarität, die Mahnwache vor dem Gericht, organisiert von meinen Mitstreiter*innen aus dem Landesverband und den niederrheinischen Gruppen der DFG-VK, viele Freund*innen und Unterstützer*innen aus Kleve und Umgebung, die sich trotz Schmuddelwetter und Corona vor dem Gericht einfanden, um mir ihre Solidarität zu bekunden. Die sehr ausführliche und durchweg positive Berichterstattung in den Medien, u.a. im überregionalen Kulturteil der „Neue Ruhr Zeitung“ tragen zur Skandalisierung sowohl des unsäglichen Nazi-Monstrums in Kalkar, wie auch des Gerichtsurteils bei, durch das ein solches Gebilde geschützt wird. Mittlerweile ist ein Bürgerantrag an die Stadt Kalkar gestellt worden, den unerträglichen kriegsverherrlichenden Steinhaufen zu beseitigen. 

Und weiter geht es, überall im Lande existieren noch solche sogenannten Denkmäler und Menschen, die das nicht länger hinnehmen wollen.

Wilfried Porwol ist langjähriges DFG-VK-Mitglied und aktiv in der Gruppe Kleve. Der studierte Kunstlehrer ist als Maler, Zeichner und Grafiker tätig.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202101, Amtsgericht, Anklage, Anwalt, Denkmal, Kalkar, Kriegerdenkmal, Nazizeit, Propaganda, Sachbeschädigung, Staatsanwalt, Strafrecht

24. März 2021

Krieger.Denk.Mal.

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Titel

Beispielhafte Beschäftigung
mit kriegsverherrlichenden Denkmalen in NRW

Von Felix Oekentorp

ZivilCorage-Ausgabe 1/2021

Kalkar steht seit vielen Jahren auf der Agenda der Friedensfreund*innen aus Nordrhein-Westfalen; der AfD-Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Hannover im November 2019 war vor seiner Pensionierung Kommandant der Von-Seydlitz-Kaserne der Bundeswehr in Kalkar, in der die Luftkriege geplant und vorbereitet werden. 

Hier steht aber seit 1936 auch ein steinerner Klotz, der „Unseren Helden“ gewidmet ist, die im Ersten Weltkrieg gestorben sind. Im Sockel eingemeißelt steht der Satz: „Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken“. Aber nicht nur dort steht dieser Satz, sondern wortgleich auch in dem berüchtigten Hitler-Buch „Mein Kampf. 

Mit diesem steinernen Kriegspropagandaklotz hat Kalkar allerdings kein Alleinstellungsmerkmal, derlei Zeugs steht allüberall in der Gegend herum. Manche unserer ganz besonders deutschen Mitbürger nutzen manche dieser Dinger, um dort an irgendwelchen Jahrestagen zu beklagen, dass Deutschland schon ewig keinen Krieg mehr gewonnen hat. 

Wie soll die demokratische Öffentlichkeit mit diesen Dingern umgehen? Wie wird andernorts mit diesen Hinterlassenschaften der finstersten Vergangenheit umgegangen? Dazu einige Beispiele. 

In Wattenscheid gibt es in einer Parkanlage seit 1933/34 ein Ehrenmal mit einer Tafel der im Ersten Weltkrieg getöteten Wattenscheider Soldaten, die um die im Zweiten Weltkrieg getöteten – auf der Tafel ist von „Gefallenen“ die Rede – ergänzt wurde. 

„Friedenspark Ehrenmal“ in Wattenscheid

Viele Jahre lang ließ die Stadt das Denkmal verfallen, es wurde zusehends baufälliger und als Ziel für Nazi-Aufmärsche unattraktiver. Erst im Jahr 2018 begann man, aktiv an dem Park und dem Denkmal zu arbeiten, ein Friedenspfad wurde angelegt mit Zitaten aus einem Wettbewerb der Bürger*innen, die den Satz „Frieden ist“ ergänzen sollten. 

“Friedenspark Ehrenmal” in Wattenscheid

Ein Bürgerantrag zur Umbenennung des Parks in „Hannes Bienert Friedenspark“ war nur teilweise erfolgreich. Der verstorbene und stadtbekannte Antifaschist Hannes Bienert sollte dann doch nicht Namensgeber werden, aber der „Friedenspark Ehrenmal“ fand eine deutliche Mehrheit in der Bezirksvertretung.

Steinerne Kriegspropaganda in Münster

Münster beherbergt eine Unmenge an steinerner Kriegspropaganda, das Stadtarchiv hat dazu eine Broschüre erstellt und unterhält die Webseite www.stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/ mit verschiedenen Kapiteln. 

Um in dieser Sammlung erwähnt zu werden, muss ein Denkmal oder Mahnmal an gefallene Soldaten oder zivile Opfer von Kriegen, an regime- und kriegsbedingte Terror- und Gewalttaten erinnern. Ebenfalls erfasst werden auf dieser Liste Denkmäler, die als Mahnungen zum friedlichen Zusammenleben aufgefasst werden können. 

Allein sieben Denkmäler stammen aus der Zeit vor 1914, zehn erinnern an den Ersten Weltkrieg, 17 an beide Weltkriege, manche davon wurden während der NS-Zeit errichtet, um mit Heldenverehrung einen Beitrag zur Mobilmachung für den nächsten Krieg zu leisten, dessen Opfer dann später auch Platz auf diesen Steinen fanden. Und noch in der Zeit um 1960 wurden drei Ehrenmale errichtet bzw. ini-tiiert von Traditonskameradschaften, die an ihre im Krieg getöteten Kollegen erinnern wollen. 

Es gibt aber auch eine größere Zahl von Mahnmalen, bei denen der zivilen Opfer gedacht wird oder die der Kriegspropaganda etwas entgegenstellen.

Denkmal für Paul Wulf

Eines dieser Mahnmale erinnert seit 2007 an Paul Wulf, geboren 1921 und 1937 von den Nazis zwangssterilisiert. Er war einer von 400 000 Menschen die ohne ihre Einwilligung aus „rassehygienischen“ Gründen unfruchtbar gemacht wurden. Der Verbleib dieser Skulptur die auf dem zentralen Servatiiplatz in Münster steht, ist seit Jahren umkämpft, anders als der der Steinklötze. 

Zu diesen zählt das Dreizehner-Denkmal auf der Promenade. Eine sechs Meter hohe Sandsteinpyramide mit verschiedenen Symbolen zu Sieg und Kampf lädt zur Heldenverehrung. Das 1872 errichtete Denkmal zu Ehren eines Infanterieregiments wurde im Ersten Weltkrieg zerstört, aber schon 1923 wurde der Grundstein gelegt für seine Wiedererrichtung. Das geehrte Infanterieregiment war u.a. beteiligt an der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China und des Herero-Aufstands im heutigen Namibia.

Das „Dreizehner-Denkmal“ auf der Promenade in Münster

Auch für das Westfälische Train-Bataillon Nr. 7 gibt es an zentraler Stelle ein Ehrenmal. Eine Inschrift erwähnt, dass ein dort genannter Soldat „den Heldentod für Kaiser und Reich in Deutsch-Südwestafrika“ gestorben ist. Ein anderer „starb den Heldentod für Kaiser und Reich in China 1901“. Bürgeranträge, zusätzliche Mahntafeln hier und an den anderen „Ehrenmalen“ anzubringen mit dem Hinweis auf den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama wurden im Rat abgelehnt. Die Begründung: Diese Denkmäler seien „selbst historische Zeugnisse aus vergangener Zeit, sie sollen sich unverändert dem Urteil der Geschichte stellen.“ 

„Heldengedenken“ in Köln-Porz

DFG-VK-Friedensfahrradtour am Soldatenehrenmal in Köln-Porz (Foto: Joachim Schramm)

Die Friedensfahrradtour des DFG-VK-Landesverbands NRW führte im letzten Jahr erneut durch Köln. Ein Zwischenstopp wurde gemacht an einem „Ehrenmal“ in Porz-Zündorf. An diesem 1932 errichteten Schandmal wird den getöteten deutschen Soldaten mit den Worten „Unseren Helden – Die dankbare Gemeinde – Zündorf 2. Oktober 1932“ gedankt, ergänzt wurde die Inschrift um eine weitere Zeile „Zündorf 4. Oktober 1952“. Zu diesem Zeitpunkt war die Direktive des Alliierten Kontrollrats mit Gesetzeskraft noch gültig, in der der Abbau aller kriegsverherrlichenden Denkmäler verfügt war. 

Ein Bürgerantrag richtete sich inzwischen gegen dieses Denkmal und forderte dessen Beseitigung. Ein Argument dabei der Artikel 139 Grundgesetz, nach dem  die „zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften (…) von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt“ werden. Diese Entnazifizierungsvorschrift habe nach wie vor Gültigkeit, und die Verherrlichung staatlicher Gewalt sei nicht vereinbar mit dem Völkerrecht und der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen. Die Bezirksvertretung Porz „dankt der Petentin für ihre Eingabe, spricht sich jedoch gegen den Abbau des Kriegerdenkmals an der Groov sowie gegen die Errichtung eines Gegendenkmals in räumlicher Nähe aus“, wie es im Protokoll der Bezirksvertretung vom 7. Februar 2017 nachzulesen ist. 

Kopfloser Held in Bochum

In Bochum gab und gibt es seit den 1980er Jahren eine recht aktive Szene, die sich mit den in der Öffentlichkeit Kriegspropaganda treibenden Schandmälern auseinandersetzt. So steht ein steinerner Soldat im Stadtteil Langendreer auf einem Privatgrundstück, dabei für die Öffentlichkeit bestens sichtbar mit dem Spruch „Einst kommt der Tag, da alle Welt Euren Ruhm verkünden wird!“ Dieses Kriegerdenkmal war in den 1920er Jahren von rechten Verbänden finanziert und mit Beteiligung von Heimwehren und eines SA-Zugs im Juli 1927 eingeweiht worden. 

„Kopfloser Soldat“ in Bochum-Langendreer (Foto: Felix Oekentorp)

Da die Kommune ein derart revanchistisches Denkmal nicht fördern wollte, musste es auf einem Privatgrundstück errichtet werden. Dort stand der vermeintliche Held unbeschadet, bis ihm 1987 der Kopf abgetrennt wurde. Viele Jahre lang verbrachte der Soldat kopflos und wurde am 70. Jahrestag der Befreiung sogar zum Ort einer Antikriegskundgebung der Bochumer Naturfreunde. Der Kopf wurde erst 2004 ersetzt. Im November 2010, kurz bevor am Volkstrauertag dort ein Heldengedenken stattfinden konnte, wurde auch dieser Ersatz entfernt. 

Zum soldatischen Schicksal gehört es, nicht nur zu töten und zu zerstören, sondern auch, in der lebendigen Realität Körperteile verlieren zu können, auch den Kopf. Eine solche Darstellung der Realität taugt aber wohl nicht für die Heldenverehrung. 

Im Stadtpark von Bochum hatte es 1935 die Einweihung eines Denkmals gegeben, das zwei Soldaten aus Bronze zeigte. Fast 50 Jahre standen diese dort und machten Kriegspropaganda. Aus Anlass des 50. Jahrestages der Einweihung sägten Unbekannte diesen beiden Kriegern die Beine durch, so dass sie auf der Nase landeten. Die Stadt Bochum ersparte es ihrer Bevölkerung, diese Figuren dort wieder aufstellen zu lassen, stattdessen wurde eine Tafel angebracht, auf der es heißt „Nie wieder Faschismus und Krieg“. Das Stadtarchiv beherbergt seitdem diese im wahrsten Wortsinn gefallenen Soldaten.

„Nazi-Schwert“ in Gelsenkirchen

In Gelsenkirchen gibt es ein „Nazi-Schwert“, eine Stele aus sechs Granitquadern, jede einen Meter hoch, und an dieser ist ein fünf Meter langes gusseisernes Schwert angebracht. Nicht künstlerisch wertvoll, dafür aber von den Nazis 1937 zu Ehren der „gefallenen Kriegskameraden“ des Schalker Vereins, eines Unternehmens der Eisen- und Stahlindustrie, errichtet. 

Dieses Nazidenkmal geriet in die verdiente Vergessenheit, die Natur wucherte auf dem Werksgelände, und so wuchs das sprichwörtliche Gras über die Sache. Bis der Schalker Verein verkauft wurde und der neue Eigentümer das Werksgelände neu gestalten wollte. 

Die Gelegenheit, diesen Schrott zur Entsorgung freizugeben, wurde vertan, stattdessen beschloss die Bezirksvertretung dessen Eintrag in die Denkmalliste und verlegte das Schandmal auf einen öffentlichen Weg. 

Damit nicht genug: Zum 9. November 2015 sollte es als Ziel eines Schweigemarsches unter Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Frank Baranowski dienen. Heftige öffentliche Auseinandersetzungen konnten gerade noch bewirken, dass am Jahrestag der Pogrome von 1938 dort nicht die Abschluss-, sondern lediglich eine Zwischenkundgebung stattfand. Manche Antifaschist*innen verweigerten aus Protest gegen das Festhalten an dem Kundgebungsort mit dem Nazi-Schwert ihre Teilnahme, und eine nicht bekannte Aktionsgruppe überwand in der Nacht zum 9. November die Absperrung um das Schandmal und nahm dort eine farbliche Veränderung vor. Dieser „Farbanschlag“ ist nach wie vor sichtbar, und die Gedenkmärsche zum 9. November fanden seitdem nicht wieder an diesem Nazi-Schwert statt.

Ist das Kunst oder kann das weg?

In der öffentlichen Debatte über den Umgang mit dem Nazi-Kriegerdenkmal in Kalkar gab es nicht nur zustimmende Reaktionen. Wo ist die Grenze zu ziehen? Dürfen Denkmäler beschädigt oder gar zerstört werden? Wer entscheidet über die Legitimität solcher Aktionen?

Ein Aufschrei ging durch die Welt, als der „Islamische Staat“ die historische Stadt Nimrud im Nordirak zerstörte. Nimrud war vor über 3 000 Jahren gegründet worden und einst Hauptstadt des Assyrischen Reiches. Einigkeit bestand in der Einschätzung, dass durch die Zerstörung der dort noch verbliebenen Kulturgüter – die meisten waren bereits von Archäologen aus der Stadt gebracht worden – ein Schaden angerichtet wurde, der nicht wieder gutzumachen ist. 

Auch die Zerstörung der riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan aus dem sechsten Jahrhundert durch die Taliban wurde mit weltweitem Entsetzen zur Kenntnis genommen. Es wurde auf die Haager Konvention von 1954 verwiesen, die Kulturstätten bei bewaffneten Konflikten vor Zerstörung schützt. 

Möglicherweise mag die eine oder andere Darstellung bei diesen viele Jahrhunderte alten Denkmälern politische oder religiöse Inhalte gehabt haben, die wir aus heutiger Sicht anders bewerten würden. Anders aber als bei den Nazi-Denkmälern gibt es seit Jahrhunderten keine Opfer dieser damaligen Herrschenden, so dass auch für Atheisten oder Andersgläubige derlei Darstellungen hinnehmbar sind. Mönche, die vor Jahrhunderten genug Zeit hatten, Statuen aus Felsen zu hauen, mögen uns vielleicht nicht als Vorbilder gelten, sie haben aber nicht Abermillionen Tote auf dem Gewissen wie dies bei den Nazis der Fall ist. Und sie waren auch nicht bei Völkermorden wie den Kolonialkriegen des vorletzten Jahrhunderts aktiv.

Moderne Kriegspropaganda

Im Gegensatz zu den jahrhundertealten Denkmälern steht die Werbung im öffentlichen Raum mit Plakaten und neuerdings auch Videowänden in Bahnhöfen. Insbesondere die zahlreichen Kampagnen für die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr haben vielerorts zu einer kreativen Verfremdung dieser Plakate angeregt, der Fachbegriff hierzu lautet Adbusting. In der ZivilCourage 2/2020 gab es einen ausführlichen Artikel über die Unterstützung der Adbuster*innen durch den Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK. 

Weil es den Akteuren gelungen war, das Militär ins Lächerliche zu ziehen, war sogar der Staatsschutz aktiv geworden und hatte mehrere Hausdurchsuchungen durchgeführt. Immerhin hatte ein Gericht diese als unverhältnismäßig bewertet. So lange die Originalplakate nicht beschädigt oder entfernt werden, liegt nicht einmal eine Straftat vor, auf die sich ein Ermittlungsverfahren begründen ließe.

Natürlich wird auch hier schon kontrovers diskutiert; und auch, wenn keine Straftaten begangen werden, ist doch dem Auftraggeber dieser Werbung jegliches Verfremden der Plakate ein Dorn im Auge. 

Ein Dorn im Auge ist natürlich auch den Militarist*innen jegliche Umgestaltung dieser Ehrenmale, wie sie die öffentliche Zurschaustellung ihrer steinernen Heldenverehrungen bezeichnen. Geehrt werden Täter, die in Ausübung ihres Soldatenhandwerks ums Leben gekommen sind. Sie sollen mit diesen steinernen Ungetümen Werbung machen für das Kriegshandwerk. 

Manche dieser Militarist*innen sind geradezu unermüdlich in ihrem Eifer. Die oben geschilderten „abgesägten“ Soldaten aus dem Stadtpark Bochum hätten nach dem Willen des CDU-Stadtbezirksvorsitzenden James Wille wieder aufgestellt werden sollen. Allerdings zog er seine 2012 gestellte Anregung in der Bezirksvertretung recht bald zurück angesichts der erkennbaren Aussichtslosigkeit seines Anliegens. Er jammerte: „Auf Beschluss des mehrheitlich von der SPD geführten Rates beugte man sich dem Diktat der Straße, indem die Skulptur nicht mehr aufgestellt wurde.“

Das Bemalen und Verändern hat für manche etwas mit einer abwertenden und vernichtenden Haltung zu tun. Genau so wurde es in der NS-Zeit selbst von den Nazis durchgeführt. In München gab es eine große Veranstaltung „Entartete Kunst“, so ein vorgebrachtes Argument gegen die Aktion in Kalkar. 

Sind denn diese Kriegerdenkmäler als Kunst oder als Kultur zu bewerten, ähnlich den jahrhundertealten Buddha-Statuen und im Gegensatz zu den vielen Plakataktionen? Oder sind sie letztlich nichts anderes als in Stein gehauene Propaganda, Pflastersteine auf dem Weg zum nächsten Krieg?

Es wird keine allgemein gültige Definition von Kultur geben, der alle gleichermaßen zustimmen. Manche Skulpturen im öffentlichen Raum gaben und geben noch immer Anlass zu heftigen Kontroversen, in manchen Fällen werden sie als gigantische Verschwendung öffentlicher Gelder gesehen wie Richard Serras Skulptur „Terminal“ in Bochum, manchmal braucht es Zeit, bis sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind wie die „Giant Pool Balls“ von Claes Oldenburg in Münster am Aasee, beide aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch diese werden ständig farblich verändert, was wohl seitens des Künstlers auch nicht anders geplant war oder doch zumindest billigend in Kauf genommen wurde.

Wenn denn die steinerne Heldenverehrung im öffentlichen Raum nicht als Kunst, sondern als Propaganda zu werten ist, welche Möglichkeiten gibt es, dies nicht unwidersprochen zu lassen?

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht

Rückseite des in ein Friedensmahnmal umgewandelten Nazi-Kriegerdenkmals in Kalkar (Foto: Wilfried Porwol)

Angesichts der aufgeführten Beispiele beantwortet sich die Frage nach den Möglichkeiten, die antimilitaristische Perspektive anders als durch Eigeninitiative zu lösen, so: Bürgeranträge ohne einen zusätzlichen Druck von direkten Aktionen sind nur selten erfolgreich. Die Offiziellen in den Kommunen sitzen das Thema gern aus, lassen Protest verpuffen und hoffen, dass sich der Widerstand schon irgendwann legt. Ziviler Ungehorsam kann diese Prozesse befördern. Regelbrüche möglichst gewaltfrei und mit einer entsprechenden öffentlichen Wahrnehmung sowie mit einer klaren Positionierung der „Täter“, die auch persönliche Konsequenzen für ihr Tun akzeptieren, waren schon immer ein Motor für gesellschaftliche Bewegung und Veränderung. 

Das immer wieder praktizierte Eindringen von Friedensaktivist*innen in den Atomwaffenstandort Büchel ist ein Beispiel dafür. Auch dort wird keine Gewalt angewendet, es sei denn, das Durchtrennen des Zauns möchte bereits als Gewalt gegen Sachen gewertet werden. 

Mit dem Eindringen in das Atomwaffenlager nehmen die Akteure billigend in Kauf, dass ihnen nach der Festnahme und Personalienfeststellung Strafverfahren drohen. Vielmehr: Gerichtsverhandlungen werden als Möglichkeit angestrebt, die Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen zu thematisieren. Ohne derartige Aktionen wäre weniger bekannt, dass noch immer auch in Deutschland Atomwaffen gelagert werden und mit diesen der Krieg geprobt und geplant wird.

Eine Malaktion und ihre Folgen

Ähnlich gelagert ist es mit dem Nazi-Kriegsklotz in Kalkar und dessen künstlerischer Bearbeitung durch Wilfried Porwol. Jahrzehntelang steht das Dingen in der Gegend herum, seit Jahren ist bekannt, dass der Spruch auf dem Sockel wortgleich in „Mein Kampf“ vorkommt, und die Stadtoberen lassen den Protest dagegen ins Leere laufen. Erst durch die Malaktion im Sommer 2019 kam Bewegung in die Geschichte, Aussitzen ging nun nicht mehr. Insbesondere als der Stadt nach der unmittelbaren Beseitigung der ersten farblichen Umgestaltung ein von unbekannter Hand ebenso unmittelbar erfolgter Neuauftrag einer farblichen Gestaltung präsentiert wurde. Die Stadt Kalkar sah ein, dass es wahrscheinlich vergebliche Mühe bedeuten würde, auch diesen Farbanstrich zu entfernen, und ließ es monatelang bei dem Zustand. 

Und nicht nur das, sogar eine Tafel wurde aufgestellt. Damit sollte der aufmüpfigen antimilitaristischen Opposition aber nun genug entgegengekommen sein. Der Text auf dieser Tafel aber verharmlost dieses Schandmal und dessen Entstehung. Die Gelegenheit, wenn schon nicht den Klotz zu entsorgen, so doch sich kritisch distanziert damit auseinanderzusetzen, war gründlich vertan. Egal, ob Dummheit oder böser Vorsatz, beides ist unverzeihlich. 

Die Unzufriedenheit mit dieser Tafel mündete nebst diversen öffentlichen Stellungnahmen in einem von Wilfried Porwol gesprühten Kommentar, einem pinkelnden Hund. Eine Bastelanleitung dieser Schablone findet sich in der Zeitschrift Graswurzelrevolution 454 vom Dezember 2020. 

Die Ostermarsch-Bewegung demonstriert alljährlich in Kalkar und hat am 3. Oktober 2020 die Gelegenheit genutzt, mit einer Sprühaktion auf dem Marktplatz ein weithin sichtbares Zeichen der Solidarität zu setzen. Besprüht wurde allerdings nicht der hässliche steinerne Klotz, sondern ein Styropormodell davon, so dass die Polizei keinen Anlass sah, dagegen einzuschreiten. 

Im Dezember fand ein erster Strafprozess statt gegen Wilfried Porwol (siehe nächste Seite). Dieser war begleitet von Solidaritätsaktivitäten. Eine Mahnwache trotzte dem schlechten Wetter am Zugang zum Gerichtsgebäude, die Staatsanwaltschaft trug derweil drinnen ihre Argumente für eine Bestrafung vor. Ihrer Ansicht nach handelte es sich um gemeinschädliche Sachbeschädigung, diese ist noch böser als einfache Sachbeschädigung, und so setzte es 30 Tagessätze zu je 30 Euro. Diese Strafe betrifft nur die erste der Malaktionen vom Juli 2019. Weitere Kriminalisierungsverhandlungen werden folgen, ebenso steht der Kostenbescheid für die Entfernung der Farbe noch aus. 

So ist es jetzt an der Zeit, nicht nur symbolisch Solidarität zu zeigen, sondern auch ganz konkrete finanzielle. Der Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK leistet Unterstützung hier, das kann er nur mit unseren Spenden auf das Konto IBAN DE47 3702 0500 0008 1046 06

Inzwischen gibt es auch in Kalkar einen Bürgerantrag gegen den Kriegsklotz, und eine ortsansässige Band hat einen Solisong aufgenommen mit dem Titel „Drecksnest Kalkar“. 

In dem Bürgerantrag wird gefordert, das Kriegerdenkmal zu entfernen und zu ersetzen durch eine Erinnerungsstätte für die Opfer des Holocausts und des NS-Regimes. 

Felix Oekentorp ist Landessprecher der DFG-VK NRW. Er lebt in Bochum und ist im Münsterland aufgewachsen, das erklärt die Fokussierung auf dortige Beispiele von Denkmälern im Artikel.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202101, Denkmal, Helden, Heldengedenken, Krieg, Kriegerdenkmal, Kriegspropaganda, Kultur, Kunst, Ossietzky, Propaganda, Solidarität, Unrecht, Widerstand

28. Dezember 2020

„Lieber Otfried, du fehlst!“

Ein sehr persönlicher Nachruf auf Otfried Nassauer

Ausgabe 5/2020

Von Jürgen Grässlin

Ende Februar, noch vor dem Lockdown, haben wir uns abends und bis tief in die Nacht in deiner Lieblingskneipe in Berlin getroffen. „Speiches Rock und Blues Kneipe“ in der Raumerstraße war gut besucht, wir standen eng gedrängt, haben die Live-Musik genossen. Du warst mit der Bedienung befreundet, hast viele Besucher näher gekannt. Wir haben gelacht und getrunken, ernsthaft diskutiert und später am Abend einfach nur noch rumgeblödelt. Tief in der Nacht haben wir uns umarmt und guter Dinge „bis bald“ verabschiedet.

Wegen der Corona-Krise und auch der Entfernung Freiburg-Berlin haben wir in den Folgemonaten nur noch telefoniert. Wie seit Jahren schon gegen Mitternacht oder danach, oftmals bis zwei Uhr. Fast immer ging es um Rüstungsexporte, um Heckler & Koch, Sig Sauer, deine Türkei-Recherchen für das BITS und-und-und. Wir haben unsere Insiderinformationen ausgetauscht, aus unterschiedlichen Kanälen, aus Militär- und Rüstungskreisen, von Whistleblowern – das war äußerst informativ und damit sehr hilfreich.

Wie so oft haben wir uns dann die entsprechenden Unterlagen zugeschoben, haben weiter recherchiert und letztlich publiziert. Der Gegenseite dürfte das nicht gefallen haben. Denn aus unserem Austausch ist nicht selten Unangenehmes entstanden für die Händler des Todes, eine Vielzahl kritischer Fachartikel, Interviews, zuweilen Strafanzeigen.

Ende September haben wir einmal mehr telefoniert, tief in der Nacht versteht sich. Wenige Tage danach erreichte mich aus dem Kreis der engen Freunde die Mailmeldung: Otfried ist gestorben in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober. Bis heute habe ich diese Nachricht nicht wirklich verarbeitet. Keine Abschiedsworte, kein letzter Wunsch, nichts.

Wenigstens konnte ich in der Textgruppe für die Abschiedsanzeige in der Taz mitarbeiten. Dankenswerter Weise hat das Team um Kristian Golla viel organisiert, die ganzseitige Anzeige in der Taz geschaltet. Zahlreiche Wegbegleiter haben sich dort zusammengefunden. Eigens wurde von der Friedenskooperative eine würdigende Website zu Begegnungen und entsprechenden Fotos ins Leben gerufen (http://archiv.friedenskooperative.de/otfried-nassauer/).

Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild von dir, du lächelst sympathisch. Dein lautes Lachen und deinen unbändigen Humor bewahre ich in mir. Und doch, lieber Otfried, du fehlst mir – nicht minder vielen von uns.

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005, Nassauer

28. Dezember 2020

„Musik für Frieden und Gerechtigkeit“

Dieser Beitrag ist erschienen in der Ausgabe 5/2020

Friedenskultur

„Musik für Frieden und Gerechtigkeit“

DFG-VK-Friedenssong-Wettbewerb wegen Corona auf 2022 verschoben

Von Helmut Jawtusch

Vor zehn Jahren hatte die DFG-VK-Gruppe Bonn-Rhein-Sieg die Idee, eine Musikseite für neue Friedenslieder zu kreieren. Mit diesen Friedensliedern sollten auch Personen angesprochen werden, die außerhalb der Friedensorganisationen stehen, sich aber Sorgen machen über die anhaltende Aufrüstung, Auslandseinsätze der Bundeswehr und Kriege, die oft von außen mit Hetze, Geld und Waffen angeheizt werden. Viele Gruppen des rechten Spektrums haben Bands, die mit Musik zu Hass und Gewalt anstacheln. Wir wollen mit unseren Friedensliedern dagegen das Engagement für mehr Mitmenschlichkeit und Solidarität fördern und zum Nachdenken darüber anregen, wie wir Konflikte ohne Gewalt lösen können.

Es zeigte sich aber, dass ein Anreiz fehlte, eigene Friedenslieder zu ersinnen und auf die Musikseite hochzuladen. Die zündende Idee war nun, einen Deutschen Friedenssong-Wettbewerb zu organisieren und durch Preisgelder sowie ein abschließendes Konzert Interessierte dazu anzuregen, eigene Friedenssongs mit Texten, Melodien und Tonaufnahmen zu erstellen und auf der Musikseite hochzuladen.

Der Start war 2012 mit immerhin 30 Einreichungen und einem Preisgeld von 2 100 Euro. 2015 hatten wir über 100 Einreichungen bei 5 300 Euro Preisgeldern. Für 2018 haben wir den Betrag für die fünf Preise auf 5 750 Euro erhöht, weil wir den vierten Preis auf 750 Euro und den fünften auf 500 erhöht haben. Mit diesen attraktiven Preisen setzen wir gezielt Anreize, beim Wettbewerb mitzumachen, und zeigen auch unsere hohe Anerkennung für die Leistung der Musikerinnen und Musikern.

Auf unserer Musikseite friedensmusik.de sind nun schon 322 Songs, die sich jeder anhören und auch herunterladen kann. Inzwischen besuchen täglich zwischen 300 und 500 Personen unsere Seite.

Die Lieder dürfen keiner Musikverwertung wie etwa einer Gema-Bindung unterliegen, da wir als nicht-kommerzielle Gruppe die Kosten dafür nicht aufbringen können und urheberrechtliche Komplikationen vermeiden wollen. Dies gilt nur für den Texter sowie den Komponisten, nicht für die beteiligten Musiker und Interpreten.

Der Deutsche Friedenssong-Wettbewerb ist als gemeinsames Projekt der gesamten DFG-VK konzipiert und wird in der Werbung auch so dargestellt. Die Kosten für den Wettbewerb und das Abschlusskonzert werden durch die DFG-VK-Gruppenbeiträge, durch Verkäufe der zu den Wettbewerben erstellten CDs, sowie Unterstützer-Spenden aufgebracht. So unterstützt der Bundesverband den Musik-Wettbewerb mit jährlich 800 Euro. Auch einzelne Gruppen, wie z.B. DFG-VK-Gruppe Köln unterstützen den Wettbewerb, indem sie zu günstigen Bedingungen 25 CDs kaufen, um sie weiterzuverkaufen oder z.B. an Jubilare zu verschenken. Auch Einzelpersonen fördern durch Kauf der CDs und Spenden immer wieder den Musik-Wettbewerb. Für uns stellt die Finanzierung einen enormen Kraftakt dar. Den größten Posten der Finanzierung von insgesamt ca. 12 000 Euro und der ehrenamtlich hohe Zeitaufwand für Organisation und Durchführung stemmt die DFG-VK-Gruppe Bonn-Rhein-Sieg.

Aufruf an alle DFG-VK-Gruppen: Werben und verlinken. Was uns immer wieder auffällt: Auf den Deutschen Friedenssong-Wettbewerb machen nur wenige DFG-VK-Gliederungen auf ihren Webseiten z.B. durch einen gesetzten Link aufmerksam. Deshalb unsere Bitte: Lasst 
uns gesamtverbandlich für den Friedenssong-Wettbewerb werben. Jeder Link, jeder Text, der auf den Wettbewerb aufmerksam macht, ist hier hilfreich und eine wertvolle Unterstützung.

Wegen der auch für 2021 zu erwartenden Corona-Auflagen haben wir nach kontroverser Diskussion im Wettbewerbsteam entschieden, den nächsten Wettbewerb um ein Jahr auf 2022 zu verschieben. Bis dahin kann jeder bereits schon jetzt neue Friedenssongs auf der Webseite hochladen, um sie dann 2022 zum Wettbewerb einzureichen.

Helmut Jawtusch ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Bonn-Rhein-Sieg und engagiert sich im Team des Friedenssong-Wettbewerbs. Die URL der Website ist: https://friedensmusik.de

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005

28. Dezember 2020

Herbst, Sonne und Pazifismus

Bundesweites U35-Treffen der DFG-VK am Wannsee in Berlin

Ausgabe 5/2020

Von der Antimilitaristischen Aktion Berlin in der DFG-VK (amab)

Anfang Oktober fand das Wochenende der jüngeren Verbandsmitglieder in Berlin statt. In der Rückschau zwei wichtige Erkenntnisse: Es gibt für antimilitaristische Themen viele aktive, jüngere Bündnispartner*innen außerhalb der DFG-VK, und die Liste von Aufgaben für die Zukunft des Verbandes ist lang.

Vom 2. bis 4. Oktober fand nach zwei Jahren wieder ein bundesweites Treffen des U35-Netzwerkes statt. In die Organisation waren vor allem unser politischer Geschäftsführer Michi, wir von der amab und die Mitglieder der Military Busters aus Hildesheim eingebunden. Weil wir glauben, dass pazifistische und antimilitaristische Themen sehr wohl junge Menschen interessieren, haben wir das Wochenende diesmal auch explizit außerhalb des Verbandes beworben. Und so trafen wir uns im Jugendgästehaus am Wannsee mit ungefähr 35 Teilnehmenden aus Berlin, Kassel, Köln, Frankfurt (O. + M.), Marburg, Flensburg, dem Wendland, Freiburg, Stuttgart, Dresden, Leipzig und Hildesheim.

Das Wochenende lief unter der methodischen Ausrichtung des Voneinander-lernens. Die angereisten Teilnehmenden organisierten das Programm größtenteils selbst. Der Schwerpunkt lag dabei auf kreativen Interventionen im öffentlichen Raum.

Mit Eugen Januschkes Vortrag über militaristischen, teils steingewordenen Heldenkult, die Kontinuität der zweifelhaften „Traditionspflege“ der Bundeswehr und der Diskussion darüber, wie man mit „gefallenen“ Soldat*innen umgehen könne, steuerte auch der Landesverband Berlin eine Veranstaltung bei. Die aus Hildesheim angereiste Gruppe berichtete von ihren praktischen Erfahrungen mit Re-Kontextualisierung mittels Sprechblasen und Spraydose an Kriegsdenkmälern. In einem Praxisteil waren die Teilnehmenden dann dazu aufgerufen, auf Fotos von unangetasteten Denkmälern selbst kreativ zu werden.

Da Politik bekanntermaßen Geld kostet, fand auch die Runde mit dem Titel „Wie finanziere ich meine politische Arbeit und wie machen das andere?“ regen Zulauf. In rund zwei Stunden wogen die Teilis verschiedene Finanzierungsmodelle ab. Dabei berichtete Kathi Müller beispielsweise von ihren Erfahrungen bei der Finanzierung des UN-Besuchs.

Die geplante Pause am Samstagnachmittag wurde spontan gestrichen und durch eine Reflexionseinheit zu genderspezifischer Diskriminierung ersetzt. Die Teilnehmenden trafen sich in zwei Gruppen: Einerseits die strukturell-konkret eher Diskriminierenden also cis-Männer. Andererseits Teilnehmende mit genderspezifischer Diskriminierungserfahrung aka Frauen*-Lesben-Trans-Intergeschlechtliche Teilnehmende, auch als FLINT* bezeichnet. [Anm. d. Red.: aka ist die Abkürzung des englischen „also known as“ = „auch bekannt als“]

Bei der Runde von männlich gelesenen Teilnehmenden herrschte keineswegs Einhelligkeit. Während sich die Mehrheit selbstkritisch über eigene Fehler öffnete, negierten andere die Existenz geschlechtsspezifischer Zurückweisung und der eigenen Verstrickungen darin. In der FLINT*-Gruppe ergab der Austausch viele Dimensionen von Diskriminierungserfahrungen durch Typen: dominantes Redeverhalten; FLINT*-Personen nix zutrauen; auf Objekte zum Baggern reduziert werden. Jenseits dieser Einheit dominierten übrigens männlich gelesene Teilnehmende die Workshop-Leitungen und die Organisation des Wochenendes. Das alles zeigt, dass das Thema Gender und Militär keineswegs nur nach außen verhandelt gehört, sondern ebenso als Metaebene unseren eigenen politischen Alltag begleiten muss. Denn in die Zukunft des Verbands wies das Gender-Verhältnis am Wochenende: Eine Mehrheit der Teilnehmenden war nicht männlich.

Für Kontroversen sorgte auch die Diskussion darüber, wie die Zukunft des Verbands gestaltet werden solle. Bereits eine Auswahl der Antworten auf die Frage nach Themen, die bisher im friedenspolitischen Kontext zu kurz kämen, liest sich wie eine einzige Mängelanzeige: Rassismus, Flucht und Migration, Klimakrise, Antisemitismus, Diskussionskultur, Datensicherheit. Die Handlungsmöglichkeiten zur Veränderung erinnern streckenweise an die To-do-Liste von Sisyphos höchstpersönlich: Webinare für niedrigschwelligen Zugang, visuelle Kampagnenarbeit diversifizieren, lokale Kooperation zu Inis mit den jeweiligen politischen Schwerpunkten, mehr in englischer und anderen Sprachen anbieten u.a. Es wurde aber auch wertschätzend betont, dass einige Ideen bereits in verschiedenen Kontexten des Verbands angegangen werden und das auch nicht nur von jüngeren Mitgliedern.

Zumindest wir von der amab glauben, dass die U35-Vernetzungstreffen sinnvolle Werkzeuge für die Vernetzung junger Pazifist*innen und Antimilitarist*innen in und mit der DFG-VK sind. Das zeigt auch das Anmeldungsverfahren: Nach nicht mal zwei Wochen waren alle Plätze vergeben. Ohne Pandemie hätte die Veranstaltung leicht doppelt so groß werden können; das umfangreiche Hygienekonzept in Abstimmung mit dem Haus und den Verordnungen begrenzte verständlicherweise die Platzzahl. Wir freuen uns auf eine Neuauflage!

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005

28. Dezember 2020

„Die Bundeswehr macht sich selbst lächerlich“´

Verfassungsbeschwerde gegen Hausdurchsuchungen wegen Adbusting

Von Amab Anonymus

Ausgabe 5/2020

Das Landeskriminalamt (LKA) Berlin verzweifelt dermaßen an überklebten Werbeplakaten, dass es Pazifist*innen und Antimilitarist*innen mit Hausdurchsuchungen zu Leibe rückt. Die Begründung: Adbusting – also die Verfremdung, Umgestaltung z.B. von Reklameplakaten für die Bundeswehr – mache die Bundeswehr „gar lächerlich.“

Dagegen klagt nun die Aktivist*in Frida Henkel* vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dabei unterstützt sie der Strafrechts-Professor Mohamad El-Ghazi und der Staats- und Verfassungsrechts-Professor. Andreas Fischer-Lescano. „Die Polizei macht sich selbst lächerlich, wenn sie wegen veränderter Poster Hausdurchsuchungen macht“, sagt Frida. „Dazu braucht sie das Adbusting überhaupt nicht.“

Die Aktivistin wurde im Mai 2019 zusammen mit einer anderen Person beim Aufhängen eines korrigierten Bundeswehrplakats von einer Zivilstreife beobachtet. Die nahm die Personalien der zwei Aktivist*innen auf und beschlagnahmte das Plakat. Den scheinheiligen Satz „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ verbesserten die beiden zu „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“

Im September 2019 folgten Hausdurchsuchungen in drei Wohnungen im Umfeld der Betroffenen. Dagegen legt Frida Henkel nun Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. „Etwas Papier, Kleister und die Aussage Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe reichen für Polizei und Landgericht also aus, um derart massiv in unsere Privatleben einzudringen“, meint sie. „Dass das passiert ist, kann ich mir nur damit erklären, dass wir inhaltlich Kritik geübt haben.“

Auch Andreas Fischer-Lescano, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht, Rechtstheorie und Rechtspolitik an der Universität Bremen, kritisiert: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Artikel 5 des Grundgesetzes grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“ Eindeutig sei, dass Hausdurchsuchungen unverhältnismäßig sind.

Mohamad El-Ghazi, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Trier, ist ähnlicher Meinung: „Wir sprechen hier, wenn überhaupt, über einfachen Diebstahl beziehungsweise über Sachbeschädigung. Bei Adbusting geht es maximal um Bagatellkriminalität. Ich glaube, es ist relativ eindeutig, dass hier Hausdurchsuchungsmaßnahmen, also Eingriffe in die Wohnung, unverhältnismäßig sind.“

Die harte Verfolgung von Adbustings ist kein Einzelfall: Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ) war Adbusting 2018/19 gleich viermal Thema. Das GETZ wurde 2012 zur Bekämpfung von Rechtsterrorismus nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ gegründet. Im Jahr 2019 stand Adbusting im Verfassungsschutzbericht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz nannte Adbusting-Aktionen, die Polizei und Militär kritisieren, in einem Atemzug mit Angriffen auf Beamte. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) sammelt Informationen zu linken Adbustings, weil es seine Aufgabe sei, „die Sicherheit der Liegenschaften der Bundeswehr und ihrer Verbündeten zu gewährleisten.“ Die DFG-VK kritisierte dies in einer Pressemitteilung.

Die Polizeien von Berlin, Bayern und Thüringen ließen gefundene Poster auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren untersuchen. Dies ist nur bei „erheblichen“ Straftaten erlaubt. Die Verfahren zu Adbusting mit Werbevitrinen endeten bisher mit Einstellungen wegen Geringfügigkeit. Der erste und bis jetzt größte Fall vor Gericht im Oktober 2019 wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaften von Berlin, Erfurt und Hamburg stellten Verfahren wegen Adbusting ein, weil sie keine Strafbarkeit erkennen konnten.

Kritik aus der Politik. Ulla Jelpke, Bundestagsbgeordnete der Linken, unterstützt das Anliegen: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sicherheitsbehörden womöglich deswegen gleich Gewalt und Extremismus rufen, weil die Plakatkünstler mit ihrer Kritik an Gewalt durch Polizei und Militär durchaus ins Schwarze getroffen haben. Getroffene Hunde bellen.“ Auch Anne Helm von der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sagt: „Adbusting ist kein Terrorismus.“

Frida Henkel hatte bereits eine Beschwerde gegen die Durchsuchung beim Landgericht eingereicht. Diese wurde abgelehnt. Frida dazu: „Sogar das Landgericht muss anerkennen, dass Adbusting keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder sonst irgendwen bedeutet und in diesem Sinne eine ‚unerhebliche Straftat‘ sei.“

Doch weil LKA und Staatsanwaltschaft keinen ausreichenden Tatverdacht hatten, sagt das Landgericht, sie hätten durchsuchen müssen, um zu schauen, ob sie nicht doch einen Tatverdacht hätten finden können. Deshalb sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegend „noch“ gewahrt gewesen. „Wer das jetzt gaga findet, hat es begriffen“, erläutert Frida.

Wann mit einer Entscheidung in Karlsruhe zu rechnen ist, das ist unklar. Das Bundesverfassungsgericht nimmt nur sehr wenige Beschwerden überhaupt zur Entscheidung an. Und die Bearbeitung kann Monate, mitunter Jahre dauern.

„Wenn unser Anlagen in unserem Sinne entschieden wird und das LKA eins auf den Deckel kriegt, knallen bei uns natürlich die Sektkorken. Aber auch so dürften die vielen Medienanfragen und die Kritik aus der Politik beim LKA dafür sorgen, dass die sich das mit den Hausdurchsuchungen beim nächsten Mal zweimal überlegen.“

Der ungenannte Autor ist der Redaktion bekannt. Er ist aktiv bei der Antimilitaristischen Aktion Berlin in der DFG-VK (Amab).

Der Carl-von-Ossietzky-Solidaritätsfonds der DFG-VK unterstützte Frida Henkel im Jahr 2019 beim Aufbringen der Anwalts- und Verfahrenskosten. Spenden für  den CvO-Solifonds bitte an: IBAN DE47 3702 0500 0008 1046 06 bei der Bank für Sozialwirtschaft.

* Frida Henkel heißt nicht Frida Henkel. Die Jura-Studentin will Rechtsanwältin werden, aber ihren richtigen Namen nicht auf „ewig“, weil das Internet ja nichts vergisst, mit Adbusting verbunden wissen.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005, Adbusting

28. Dezember 2020

In Ulm: „Stadtrundfahrt zum Nachdenken“

Eine zur Nachahmung empfohlene Aktivität zu Rüstung und Militär

Ausgabe 5/2020

Von Rainer Schmid

Im Rahmen der Ulmer Friedenswochen 2020 führten wir eine Busfahrt durch. Mit 40 Personen war der Doppelstockbus unter Corona-Bedingungen gut gefüllt. Es war eine gute Entscheidung, einen Bus zu chartern, so waren wir unabhängig vom Wetter und auch gehbehinderte Personen konnten teilnehmen.

Wir steuerten insgesamt 16 Orte an: 8 Rüstungsfirmen, 1 Kirche, ein Kriegerdenkmal, das Bundeswehr-Krankenhaus, das Bundeswehr-Karrierecenter, zwei Kasernen, das Finanzamt Ulm und das Beschussamt. 9 Orte schauten wird „nur“ durch die Busfenster an, an 7 Orten stiegen wir aus.

Auf der Fahrt zwischen den einzelnen Stationen wurden grundsätzliche Fragen gestellt: Entsteht durch Rüstung und Militär wirklich Sicherheit? Welche zivilen Methoden gibt es, Frieden zu stiften?

Am Finanzamt wurde über Rüstungssteuer-Verweigerung informiert, der „Verein Friedenssteuer e.V.“ vorgestellt. Am Karrierecenter wurden die DFG-VK-Flyer „Felix“ und „Lilly“ verteilt und ein DFG-VK-Banner entrollt: „Kein Werben fürs Töten und Sterben“. Am Bundeswehr-Krankenhaus wurde gefordert, dieses in ein ziviles Krankenhaus zu verwandeln. An der Pauluskirche wurde über die Militärkonzerte nachgedacht, die regelmäßig dort stattfinden. An einem Kriegerdenkmal wurde betont, dass diese Denkmäler nicht heilig sind. Wenn Menschen diese gebaut haben, dann können sie diese verändern oder abreißen. Eine weitere Möglichkeit: Auf Tafeln könnte man an die Opfer der deutschen Angriffskriege erinnern.

Während der Fahrt arbeiteten wir in verteilten Rollen. Einer von uns hatte die Route und die Zeit im Blick. Zwei von uns waren als Referent*innen tätig. An jeder Station gab es kurze Erklärungen.  

Ein Problem: Die Erklärungen werden leicht zu lang. Es geschieht schnell, dass man an einer Station hängenbleibt. Deshalb haben wir alle Texte vorher aufgeschrieben. Die Tour wurde vorher einmal abgefahren. Die Rede- und Fahrzeiten wurden gestoppt. Die Zeit für das Ein- und Aussteigen wurde addiert.

Insgesamt hat die Tour 2 Stunden und 40 Minuten gedauert. Ein geplantes Abschlussgespräch in einem Vereinsheim wurde nicht angenommen. Die Leute waren einfach zu erschöpft.

Der „Verein Friedensarbeit Ulm“ hat die Rundfahrt finanziert und verantwortet. Ein Fernsehteam hat teilgenommen. Der Beitrag wurde auf Regio-TV gesendet.  

Weitere Informationen: https://bit.ly/3eFxmjQ

Rainer Schmid ist seit Langem aktiv in der DFG-VK und arbeitet u.a. zum Thema Kirche und Militär.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005

28. Dezember 2020

Erinnerung an NS-Verfolgte in Wattenscheid

Antifaschistischer Stadtplan vorgestellt

Von Felix Oekentorp

Ausgabe 5/2020

Der Wattenscheider Hannes Bienert war ein Antifaschist, wie er im Buche steht. Als 16jähriger noch in die Wehrmacht und an die Flak gezwungen, desertierte er und lebte seitdem das Motto „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Ihm ist es zu verdanken, dass drei Stelen, ein privat finanziertes Denkmal, an die ermordeten jüdischen Menschen aus Wattenscheid erinnern. Er hat mit seiner Hartnäckigkeit dafür gesorgt, dass der Platz vor dem Wattenscheider Rathaus den Namen von Betti Hartmann trägt, sie war als 15jährige in Auschwitz ermordet worden. In den letzten Wochen vor seinem Tod hatte Hannes ein neues Projekt begonnen, den „Antifaschistischen Stadtplan Wattenscheid“.

Einige Orte in Wattenscheid hatte er bereits recherchiert, die an die Zeit des Faschismus erinnern, und dafür auch schon Informationen zusammengetragen. Einen Großteil seiner handschriftlichen Informationen hatte er mir zur Digitalisierung anvertraut. Sein Tod im Jahr 2015 führte dazu, dass dieses Projekt einige Jahre auf Eis lag, es geriet aber nicht in Vergessenheit. Das Alois-Stoff-Bildungswerk der DFG-VK NRW hatte die Fertigstellung auf seine Agenda gesetzt, aber aus Kapazitätsgründen immer wieder verschoben.

Mit der Einrichtung einer voll geförderten Stelle beim Bildungswerk waren die Voraussetzungen geschaffen worden, das Stadtplanprojekt endlich zu vollenden. Und weitere Fördermittel, diesmal vom Verfügungsfonds der „Sozialen Stadt Wattenscheid“ an den Kooperationspartner des Bildungswerks, das Wattenscheider „Kuratorium Stelen der Erinnerung“ für die Layout- und Druckkosten der Broschüre kamen dazu.

Auf 44 Seiten werden den Lesenden dieser Broschüre manche Orte vor Augen geführt, an denen diese bis dato gedankenlos vorübergegangen sein mögen. Natürlich werden darin der Betti-Hartmann-Platz und die Stelen gewürdigt, aber auch die Stolpersteine werden mit Namen und Adresse gewürdigt, zu den in dem Stadtplan genannten 47 sind zwischenzeitlich weitere fünf am 8. Oktober hinzugekommen.

Im Stadtplan ebenfalls gewürdigt werden Paul Cohn, ein jüdischer Fußballer und Gründungsmitglied eines der Vorgängervereine der SG Wattenscheid 09, und Nikolaus Groß, christlich überzeugter Hitlergegner, der von seiner Kirche alleingelassen im Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde und der 2001 selig gesprochen wurde. Sein Sohn hatte gegen diese nachträgliche Vereinnahmung durch die Kirche protestiert.

In Wattenscheid gibt es ein Viertel mit Straßennamen von Militaristen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, die Herren Seydlitz (Namensgeber auch der Kaserne in Kalkar an der wir alljährlich im Ostermarsch-Bündnis demonstrieren) und Derfflinger dadurch lächerlich zu machen, dass Anekdoten um die nach ihnen benannte Kriegsschiffe der kaiserlichen Kriegsmarine Eingang fanden in die Stadtplan-Broschüre. Das Derfflinger-Kriegsschiff bewegte sich bei seinem Stapellauf nur wenige Zentimeter und kam erst vier Wochen später ins Wasser, das nach Seydlitz benannte wurde schon bei seinem zweiten Einsatz getroffen und schwer beschädigt und nach verlorenem Krieg von der eigenen Besatzung versenkt.

Ein Stadtplanausschnitt von 1939, vom Katasteramt der Stadt Bochum kostenlos für dieses Projekt zur Verfügung gestellt, belegt, wie die Nazis sich auch im Straßenbild breitgemacht haben: Ein Platz der SA, ein Adolf-Hitler-Platz und eine Horst-Wessel-Promenade sind Zeugen der faschistischen Besitznahme des öffentlichen Raums.

Helmut Horten bekommt in diesem antifaschistischen Stadtplan ebenfalls ein eigenes Kapitel, war doch das von ihm „arisierte“ Kaufhaus Hess in Wattenscheid das zweite, auf dem er seinen Reichtum gründete.

Dieser Stadtplan ist natürlich nicht für das Verstauben im Regal erstellt. Er liegt zur Mitnahme aus in den Stadtarchiven von Bochum und Wattenscheid und in den dortigen Stadtbibliotheken, und die Schulen in Wattenscheid haben Exemplare davon erhalten mit dem Angebot, auch Klassensätze bekommen zu können.

Schließlich fand am Sonntag, den 11. Oktober, auf Grundlage dieses Stadtplans ein erster antifaschistischer Stadtrundgang Wattenscheid statt. Dazu fanden sich zahlreiche Teilnehmende ein, gerade so viele, wie unter Corona-Bedingungen noch zu verantworten sind. Es wurden von den Teilnehmenden auch weitere Aspekte und Orte zur Sprache gebracht, die in künftige Auflagen des Stadtplans Eingang finden werden.

Vielleicht kann dieser Stadtplan auch Inspiration sein, an anderen Orten ähnliche Projekte zu starten als kleine Beiträge gegen das Wiedererstarken der Faschisten.

Der antifaschistische Stadtplan Wattenscheid kann bestellt werden beim DFG-VK-Bildungswerk (dfg-vk_bildungswerk_nrw@t-online.de) oder beim DFG-VK-Landesverband NRW (nrw@dfg-vk.de).

Felix Oekentorp ist Landessprecher der DFG-VK NRW, hauptamtlich Beschäftigter beim Alois-Stoff-Bildungswerk der DFG-VK NRW und Vorsitzender des Kuratoriums „Stelen der Erinnerung“.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005, Erinnerungskultur

20. Dezember 2020

MKEK – Ein Superspreader deutscher Rüstungstechnik

Von Otfried Nassauer

Ausgabe 5/2020

Die Maschinenpistole MP5 von Heckler & Koch ist seit Jahrzehnten ein Bestseller. Zu ihrer Verbreitung hat die staatliche türkische Waffenschmiede MKEK in Kirikkale bei Ankara einen erheblichen Beitrag geleistet. Seit 1983 hält sie eine Lizenz, um diverse Versionen der MP5 auch ohne Zulieferungen aus Deutschland produzieren zu können, darunter Standardversionen wie die MP5A3, aber auch die bei Spezialkräften und Geheimdiensten besonders beliebte Kurzausführung MP5K.

Bis 2014 war MKEK der einzige Hersteller von Maschinenpistolen in der Türkei. Erst dann kam ein weiteres Produkt auf den Markt, für das aber bisher kein Export gesichert dokumentiert ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass (fast) alle der mindestens 20 702 Maschinenpistolen, die in den Jahren 2006 bis 2019 in 43 Länder exportiert wurden, MP5 aus der MKEK-Lizenzproduktion waren. Die Zahlen stammen aus den nur unvollständig abgegebenen offiziellen Jahresmeldungen der Türkei an das UN-Waffenregister (Unroca) für diesen Zeitraum. Dort sind 21 Empfängerländer für die MP5 explizit genannt und weitere 22 gelistet, die mit Maschinenpistolen nicht genau bezeichneten Typs aus der Türkei beliefert wurden, bei denen es sich (fast) vollständig ebenfalls um MP5 gehandelt haben muss.

Als die Bundesregierung Heckler & Koch 1983 genehmigte, den Lizenzvertrag mit MKEK abzuschließen, wurde dieser an zwei Bedingungen geknüpft: Die Produktion war nur „für den Eigenbedarf“ zulässig, und MKEK erhielt „keine Exportrechte zugestanden“. Die 2006 bis 2019 an die Vereinten Nationen gemeldeten MP5-Exporte sowie alle, die nicht an die Vereinten Nationen gemeldet wurden oder in den Jahren vor Einrichtung des Melderegisters geliefert wurden, verstoßen gegen diese beiden Lizenzbedingungen. Darunter auch Lieferungen an Länder wie Aserbaidschan, Saudi-Arabien, Georgien, die Demokratische Republik Kongo, Venezuela, Vietnam oder die Ukraine und Belarus.

Die Bundesregierung hat diese Verstöße nie geahndet. Sie hat das Geschehen scheinbar lieber erst gar nicht zur Kenntnis genommen. Im Sommer 2020 antwortete sie auf die Frage, ob MKEK die Sturmgewehre G3 und HK33 oder die Maschinenpistole MP5 noch produziere, lapidar mit dem Satz: „Die Bundesregierung hat keine Kenntnis davon, ob die angegebenen Waffen noch gefertigt werden.“ Beste Voraussetzungen also dafür, dass MKEK auch künftig viele jener Kunden beliefern kann, die Heckler & Koch aufgrund seiner „Grüne Länder Strategie“ heute nicht mehr zu beliefern verspricht.

Otfried Nassauer war der Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). Er starb überraschend am 1. Oktober, ein Nachruf von Jürgen Grässlin findet sich auf Seite 31 in dieser ZivilCourage.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202005, Rüstung

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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