Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Antimilitarismus
Demonstrationen in Kalkar und Nörvenich
Von Joachim Schramm
Wenige Tage nach der Bundestagswahl fanden in Nordrhein-Westfalen zwei Friedensdemonstrationen statt, an denen der DFG-VK-Landesverband maßgeblich beteiligt war.
Am 3. Oktober protestierte die Friedensbewegung wie schon in den Vorjahren vor den Luftwaffen-Kommandozentralen von Nato und Bundeswehr im niederrheinischen Kalkar. Am folgenden Wochenende fand am Luftwaffenstandort Nörvenich zwischen Köln und Aachen eine Demonstration gegen das bevorstehende Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“ statt.
Obwohl beide Veranstaltungen die Möglichkeit boten, kurz nach der Wahl noch einmal deutlich zumachen, welche Themen im Wahlkampf gefehlt hatten – oder vielleicht gerade wegen der Nähe zum Wahlkampf – blieb die Beteiligung hinter den Erwartungen zurück. In Kalkar demonstrierten bei widrigen Wetterbedingen nur knapp 100 Aktivist:innen, in Nörvenich waren es zwischen 150 und 200.
Trotzdem war bei beiden Aktionen die Stimmung gut; diejenigen, die gekommen waren, hatten etwas zu sagen: Angesichts der aktuellen Diskussion um die Bewaffnung mit Bundeswehr-Drohnen und der Beschaffung von europäischen Waffensystemen wie Eurodrohne oder FCAS (Future Combat Air Systems) machte die Demonstration in Kalkar auf die Tatsache aufmerksam, dass diese gefährlichen Waffen im Falle der Anschaffung aus den Militäranlagen im beschaulichen Kalkar aus kommandiert würden.
Der Hauptredner Lühr Henken, DFG-VK-Mitglied und aktiv im Bundesausschuss Friedensratschlag sowie in der bundesweiten Drohnenkampagne, stellte diese Tatsache in den Zusammenhang der allgemeinen Aufrüstung, vor allem auch im Bereich Luftwaffe: „Die Aufrüstung von Heer, Marine und Luftwaffe Deutschlands ist umfassend. Kramp-Karrenbauer kündigte dazu in einer Grundsatzrede vor eineinhalb Jahren an: ,Im Schnitt bekommt die Bundeswehr jede Woche einen neuen Panzer, jeden Monat ein neues Flugzeug und jedes Jahr ein neues Schiff.‘ Die Luftwaffe soll also bis 2031 jeden Monat ein neues Flugzeug erhalten.“
Um die Zusammenhänge zu anderen gesellschaftlichen Themen darzustellen, waren als weitere Redner ein Vertreter von „Aufstehen gegen Rassismus Kleve“ und ein Betriebsratsvorsitzender aus dem Gesundheitsbereich eingeladen.
Für besondere Aufmerksamkeit sorgte eine Aktion am Ende der Demonstration: Die letzten Meter zum Kundgebungsplatz legte eine Gruppe Demonstranten rückwärts zurück, versehen mit Schildern gegen die rückwärtsgewandte Politik der bisherigen Regierung (von der sich die angekündigte Politik der neuen Regierung in diesem Bereich aber wohl kaum unterscheiden wird).
Die letzte Anmerkung trifft auch auf die nukleare Teilhabe zu, die von keiner der drei Ampelparteien real in Frage gestellt wird. Im Rahmen dieser Teilhabe probt die Nato mit den entsprechenden Mitgliedsstaaten jeweils im Oktober den Atomkrieg! Mit Atombombern aus der Türkei, aus Italien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland wird das Anbringen der Bomben an den Flugzeugen geübt, das Starten und das Abwerfen, um auch auf den realen Einsatz, den atomaren Massenmord, vorbereitet zu sein. Geübt wird mit Attrappen, anders wäre es wohl mitten im dichtbesiedelten Europa etwas zu riskant.
Gegen dieses Manöver „Steadfast Noon“ fand in diesem Jahr zum ersten Mal in Deutschland eine Protestaktion statt, und zwar am Luftwaffenstandort Nörvenich zwischen Aachen und Köln. Dort befindet sich der Ausweichflughafen für die Atombomber aus Büchel, die Bunker zur Aufnahme der Atombomben sind dort ebenfalls vorhanden. Ab dem kommenden Jahr sollen die Bundeswehr-Tornados für vier Jahre in Nörvenich stationiert werden, da Büchel dann für die Nachfolge-Flugzeuge und neue Atombomben umgebaut wird.
Mitten in dem kleinen Ort mit ca. 11 000 Einwohner:innen fand die Auftaktkundgebung statt, an der knapp 200 Menschen teilnahmen. Die Veranstalter, Friedensgruppen aus Aachen, Köln, Bonn und Düren sowie der DFG-VK-Landesverband waren in dieser Konstellation das erste Mal zusammen aktiv.
Vielleicht um allen gerecht zu werden, nahm die Auftaktkundgebung dann auch einen ziemlichen Umfang ein: Fünf Redner:innen waren geladen: Susanne Rössler (evangelische Pfarrerin, Düren/Nörvenich), Angelika Claußen (Präsidentin der IPPNW Europa), Reiner Braun, (Co-Präsident des International Peace Bureau), Ludo De Brabander, (Vrede.be, belgische Friedensbewegung), Hildegard Slabik-Münter (Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt) nahmen Stellung zu den verschiedenen Aspekten der Atomwaffenpolitik. Dazwischen gab es Musik von einer Gruppe aus Aachen, zum Schluss bereicherte eine Poetry-Slammerin das Programm. Vor allem Angelika Claußen und Ludo De Brabanter betonten die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, um diesem Nato-Manöver auch zukünftig etwas entgegensetzen zu können.
Nur wenige Dutzend Kilometer von Nörvenich entfernt sind auch im belgischen Kleine Brogel und im niederländischen Volkel die B-61-Atombomben stationiert
Nach der Kundgebung setzte sich der Demozug durch das eher verschlafene kleine Örtchen in Bewegung, das sich auf Straßenschildern an mehreren Punkten mit dem Luftwaffenstützpunkt identifiziert. Dieser wurde kurz nach dem Krieg von der britischen Air Force gebaut und schon bald an die neu entstandene Luftwaffe übergeben. Hier war der berüchtigte Starfighter stationiert, mit dem allein an einem Tag 1962 vier Piloten in der Nähe von Nörvenich in den Tod stürzten.
An der Zufahrtstraße zum Stützpunkt machte die Demo Halt. Hier wurde über den Namensgeber des Stützpunktes, den Weltkrieg-1-Jagdflieger Oswald Boelke informiert, der sich durch die Tötung zahlreicher französischer Piloten „auszeichnete“. Symbolisch wurde die Straße nach einem bedeutenden Franzosen, dem Maler Claude Monet umbenannt. Vor dem Tor wurde dann das bekannte Borchert-Gedicht „Dann gibt es nur eins“ vorgetragen, dessen Aufforderung zum Nein-sagen speziell an die Piloten der Atombomber auch auf einem Transparent zu lesen war.
Nach vielen Jahren, in denen Nörvenich von der Friedensbewegung nur noch selten besucht wurde, waren sich die TeilnehmerInnen nun einig, dass sich das wieder ändern muss. Inzwischen gibt es schon Pläne, in Nörvenich im kommenden Jahr einen Ostermarsch abzuhalten. Und beim nächsten Atomkriegsmanöver im Oktober 2022 wird man wieder vor dem Atomkriegs-Stützpunkt protestieren!
Das diesjährige Steadfast-Noon-Manöver startet eine Woche später, am 18. Oktober an einem anderen Stützpunkt der nuklearen Teilhabe, im Ghedi in Italien. Auch deutsche Tornados waren beteiligt.
Joachim Schramm ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands NRW.