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Krieg

31. August 2021

Kreuzzug gegen den Bolschewismus

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

NS-Propaganda zur Rechtfertigung des Überfalls und deren Fortwirkung nach dem Krieg


Von Wolfram Wette

Der nachfolgende und auch in der ZivilCourage abgedruckte Beitrag von Wolfram Wette ist ein Auszug aus einem ausführlicheren Text. Der ungekürzte Beitrag ist hier als PDF abrufbar.

Langfassung des Texts von Prof. WetteHerunterladen

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 setzte europaweit eine antibolschewistische Bewegung in Gang. „Es macht sich so etwas wie eine Kreuzzugsstimmung in Europa breit. Das können wir gut gebrauchen“, notierte  Propagandaminister Goebbels in sein Tagebuch.  Für die deutsche Propaganda ein Anlass, in der Auslandspropaganda verstärkt die europäische Dimension des Krieges Deutschlands und seiner Verbündeten gegen die Sowjetunion zu betonen. Die Idee von einem „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen, kam offenbar aus dem Auswärtigen Amt. Am 29. Juni 1941 erklärte es: „Der Kampf Deutschlands gegen Moskau wird zum Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus. Mit einer über die Erwartungen hinausgehenden Anziehungskraft erfasst die Erkenntnis, dass es hier um die Sache Europas geht, den ganzen Kontinent, Freunde, Neutrale und selbst jene Völker, die noch vor kurzem mit Deutschland die Klingen gekreuzt haben.“  Deutschland beanspruchte fortan „ein europäisches Mandat“ für jenen „Kreuzzug“, der letztlich ein „gesamteuropäischer Freiheitskrieg“ sei. 

Damit vertieften Außenminister Ribbentrops Propagandisten das von der NSDAP in den 1930er Jahren mit seiner Devise „Bolschewismus gleich Weltfeind Nr. 1“ vorgegebene dichotomische Weltbild. Sie rechtfertigten den Krieg als „säkulare Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Zerstörung und denen der Erneuerung“. 

Es ging darum, die deutsche Aggression als einen „gerechten“ Krieg erscheinen zu lassen und ihn mit dem Nimbus der Heiligkeit auszustatten.  Gerade für eine religiöse Sinngebung waren die Deutschen aufgrund der traditionellen Nähe der Kirchen zu deutschnationale Auffassungen in hohem Maße ansprechbar,  

Goebbels wollte sich mit dem Begriff „Kreuzzug“ nicht gerade anfreunden, obwohl er wusste, dass Hitler darauf drängte, den Krieg gegen die Sowjetunion mit dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ zu versehen, um damit eine Beziehung zu den mittelalterlichen Kreuzzügen herzustellen.  Friedrich I., genannt Barbarossa („Rotbart“), führte den dritten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems (1189-1190) an. Seit dem späten 19. Jahrhundert verband sich in Deutschland mit dem Namen des Stauferkaisers der Mythos des Schutzpatrons der abendländischen Kultur.  Goebbels wusste, dass die Kreuzzüge Ströme von Blut gekostet, aber keinen vollen Erfolg gebracht hatten, und dass Barbarossa im dritten Kreuzzug umgekommen war. Würde die Erinnerung daran nicht eher negative Assoziation auslösen? 

Jedenfalls gab der Propagandaminister am 27. Juni 1941 vor, fortan lieber von einem „Aufbruch Gesamteuropas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die britische und die sowjetische Propaganda über den „Hakenfeldkreuzzug“ spotteten und vorhersagten, dass der deutsche Krieg im Osten das Schicksal früherer Kreuzzüge teilen würde. 

Die Truppen der Kreuzzüge setzten sich aus Freiwilligen unterschiedlicher europäischer Nationalitäten zusammen. Seit Sommer 1941 entstanden wiederum in mehreren europäischen Ländern ähnliche Freiwilligen-Formationen – jedoch unter faschistischem Vorzeichen.   Bereitwillig unterstellten sie sich deutschem Oberbefehl, um mit den Deutschen den „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ zu führen.  Solch nationalen Kontingente kamen aus Italien, Finnland, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Spanien, Frankreich, Skandinavien, Niederlande, Luxemburg, Belgien und Kroatien, also aus fast allen Ländern Europas. Der europäische Faschismus erhob sein Haupt. 

Das Fortwirken des aggressiven Antikommunismus im Kalten Krieg

Nach Kriegsende verschwand das Feindbild „jüdischer Bolschewismus“ zunächst in der Versenkung – um alsbald in neuem Gewande wieder aufzuerstehen. Der rassistische Begriff „jüdisch“ verschwand und statt „Bolschewismus“ war jetzt von „Kommunismus“ die Rede. Der Feind blieb der gleiche: die Sowjetunion und ihre angeblichen Handlanger im Inneren, die man als „Fünfte Kolonne Moskaus“ denunzierte.  Im Hinblick auf die Verwendung des traditionsbelasteten Feindbildes gab es keine „Stunde Null“, sondern vielmehr eine bemerkenswerte und wirkmächtige Kontinuität.

Bereits in der Endphase des Weltkrieges traten die unterschiedlichen politischen Vorstellungen der West-
alliierten und der Sowjetunion über die Neuordnung der Welt zutage. Sie führten schließlich zum Bruch der Anti-Hitler-Koalition und zur Entstehung des Kalten Krieges zwischen West und Ost. Europa sah sich in zwei feindliche Machtblöcke geteilt, die sich als Militärbündnisse organisierten (Nato und Warschauer Pakt). Dem Denkmuster der Totalitarismus-Theorie verpflichtet , schätzte die US-amerikanische Administration die Sowjetunion – und im weiteren Sinne den Weltkommunismus – ebenso wie den Nationalsozialismus als antidemokratische, diktatorische Herrschaft und als latent aggressiv ein. Auf dieser Basis entwickelte die westliche Großmacht ihre Eindämmungsstrategie und reaktivierte zur Rechtfertigung ihrer Politik das alte antibolschewistische bzw. antikommunistische Zerrbild.  Das führte zu einer neuerlichen Vergiftung der internationalen Beziehungen. Feinddenken versperrte einmal mehr den analytischen Blick auf das nationale Interesse und Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion, das sich nicht erneuten deutschen oder westlichen Angriffen ausgesetzt sehen wollte und daher durchaus als defensiv zu verstehen war. 

Der Konflikt zwischen Ost und West spiegelte sich im geteilten Deutschland in der Weise wider, dass die sowjetisch besetzte Zone und spätere DDR ein Russland-Freundbild pflegte und sich auf der anderen Seite, in der Bundesrepublik, die politische Elite in dem Gedanken sonnte, am traditionellen Feindbild Sowjetunion festhalten zu können. Auch die Masse der ehemaligen Nationalsozialisten und Wehrmachtsoldaten mögen jetzt gedacht haben: Wir standen eben schon immer „auf der richtigen Seite“ – was es ihnen einmal mehr erleichterte, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu verdrängen und die Verbrechen zu leugnen. Es steht außer Frage: die Bundesrepublik Deutschland war der einzige Staat Europas, der nach dem Krieg an einem zentralen Strang der Nazi-Propaganda festgehalten hat, nämlich dem Antibolschewismus. Der alte Feind Sowjetunion war auch der neue, den man nun zusammen mit den westlichen Siegermächten erneut in die Schranken zu weisen habe.

Längst gefiel diese Kontinuität der Feindbildpropaganda nicht allen Menschen in der Bundesrepublik. Die Oppositionellen organisierten sich in einer breiten Protestbewegung gegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung und der mit antikommunistischen Feindbildern gerechtfertigten Westintegration. Damit einher ging die Vision eines respektvollen Zusammenlebens in Europa, das nicht durch Feindbilddenken und Wettrüsten vergiftet und in dem die Möglichkeit offen gehalten war, Vertrauen zu bilden und mit Leben zu erfüllen. 

Kooperation mit den westlichen Siegermächten im Geiste des Antikommunismus

Die neue Mächtekonstellation führte im westlichen Teil Deutschlands zu erstaunlichen Formen der Zusammenarbeit. Während die Besatzungspolitik noch dem deklarierten Kriegsziel „Ausrottung des deutschen Militarismus und Faschismus“ folgte, streckten die westlichen Alliierten in ihren Besatzungszonen ihre Fühler nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den vormaligen Feinden aus. Ihr Anliegen stieß bei deutschen Antibolschewisten auf einen fruchtbaren Boden, weil es ihnen unverhofft die Gelegenheit eröffnete, aus dem politischen Abseits herauszutreten und ihre antibolschewistische Speerspitze zu reaktivieren.

Kooperation gab es auf der Ebene der Geheimdienste, des Militärischen und der Propaganda.  Die Abteilung „Fremde Heere Ost“ des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) nahm bereits vor der Kapitulation Verbindungen mit der US-Army auf. Der Vorstoß fand den Segen des Interims-Staatsoberhaupts Dönitz. Wes‘ Geistes Kind der Marineoffizier war, ist seinem Aufruf vom 1. Mai 1945 zu entnehmen, in dem er verkündete, Hitler habe bis zu seinem letzten Atemzug gegen den Bolschewismus gekämpft, und diesen „Kampf gegen den Bolschewismus“ wolle er nun weiterführen. 

Die USA interessierten sich besonders für die Kriegserfahrungen des deutschen Feindnachrichtendienstes im Osten, der nun als „Organisation Gehlen“ firmierte und später im Bundesnachrichtendienst (BND) aufging. Die US-Army nahm die Gehlen-Truppe unter ihre Fittiche und versicherte, deren Tätigkeit liege im gemeinsamen deutsch-amerikanischen Interesse „an der Verteidigung gegen den Kommunismus“. Dem gleichen Ziel dienten auch jene 328 höheren Wehrmachtoffiziere, die sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft bereitfanden, in der „Historical Division“ der US-Army auf der Basis der deutschen Operationsakten „studies“ über das militärische Geschehen im Osten zu verfassen. Der vormalige Generaloberst Franz Halder begründete seine Kooperationsbereitschaft und die seiner Kameraden – ebenso wie zuvor schon Dönitz und Gehlen – mit dem Argument, es gehe darum, „den Kampf gegen den Bolschewismus fortzusetzen“. Aus eigenem Antrieb bot der Wehrmacht-Oberst i.G. Graf Kielmansegg der britischen Siegermacht die Aufstellung eines „Deutschen Korps unter englischem Oberbefehl“ in einer Stärke von 50 000 Mann an, um bei einem für möglich gehaltenen neuerlichen Aufflammen des Krieges „gegen den Bolschewismus“ auf der richtigen Seite mit dabei zu sein. 

Eine Schlüsselfigur für das Fortwirken der antibolschewistischen Propaganda über die politische Zäsur des 8. Mai 1945 hinweg war der NS-Funktionär Eberhard Taubert (1907-1978).  Unter Hitler und Goebbels als Ministerialrat im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP)“ tätig, hatte er die „Abteilung Ost“ geleitet, in der 450 Beamte antibolschewistische Propaganda in den besetzten Ostgebieten betrieben. Taubert nahm sozusagen die Rolle des Chefpropagandisten des RMVP gegen den Bolschewismus ein. Wie sein Drehbuch zu dem Film „Der ewige Jude“ belegt, war er zudem ein fanatischer Judenhasser. Nach dem Krieg arbeitete er u. a. für den britischen und den amerikanischen Geheimdienst. In der Bundesrepublik gründete er den – als „Volksbund für Frieden und Freiheit“ getarnten – Zusammenschluss aller antikommunistischen Organisationen in der Bundesrepublik, den man sich als eine Nachbildung der nationalsozialistischen Anti-Komintern vorstellen muss. 1958 holte ihn Verteidigungsminister Franz-Joseph Strauß (CSU) als Berater für das neu eingerichtete Referat „Psychologische Kampfführung“ in sein Ministerium. Somit verkörpert Taubert wie kaum ein anderer ein halbes Jahrhundert antibolschewistische und antikommunistische Propaganda in Deutschland – sowohl vor als auch nach 1945.

Ein deutsches Trauma: „Die Russen kommen!“

Die nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitete deutsche Angst vor „den Russen“ speiste sich zu einem erheblichen Teil aus der NS-Propaganda, insbesondere aus der Gräuelpropaganda der Nazis in der letzten Kriegsphase, die unter Hinweis auf schwere Ausschreitungen und die große Zahl von Vergewaltigungen durch Soldaten der der Roten Armee zum fanatischen Durchhalten aufrief, aber auch das Gegenteil zur Folge haben konnte, wie unter anderem die selbstmörderischen Panikreaktionen in der Stadt Demnin belegen.  Die Kampagnen hinterließen ihre Spuren in den Köpfen der Menschen, ebenso wie andere Kriegsende-Erfahrungen der Deutschen – Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Zusammenbruch der politischen und militärischen Macht. Am Ende betrachteten sich die besiegten Deutschen zunehmend als die „eigentlichen Opfer“, ergingen sich in Selbstmitleid und verdrängten die Tatsache, dass sie selbst ihre Lage verschuldet hatten. 

Der Unwille, sich in die Lage der – von deutscher Aggression überzogenen – Menschen in der Sowjetunion zu versetzen, war auch noch Jahrzehnte später zu beobachten. In Russland stets mit großem Befremden wahrgenommen, wies der russische Deutschland-Kenner und hochrangige sowjetische Politiker Nikolai Portugalow (1928-2008) im Jahre 1989 darauf hin. Die Deutschen, sagte er, hätten eine große, „nicht-anerkannte und unbereute Schuld“ auf sich geladen. Und weiter: „Die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs, dass gerade die Deutschen unermessliches Leid über unser Land gebracht hatten, ist nicht nur an dem materiellen Schaden zu messen, auch nicht nur an den Toten, den Verkrüppelten, an der Verwüstung, der verbrannten Erde und dergleichen mehr. Der Vorgang, schon der Wille, die Sowjetunion zu vernichten, ist ungeheuerlich. Das hätten wir in unserer Geschichte wohl vielleicht von Tartaren erwartet, im frühen Mittelalter, aber doch nicht von den Deutschen!“  

Portugalow, als Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU und als Berater von Parteichef Gorbatschow auf sowjetischer Seite führend an der Wiedervereinigung Deutschlands beteiligt,  gehörte zu jenen Russen, die trotz des Zweiten Weltkrieges auf eine deutsch-russische Symbiose hofften, und leistete dazu unter anderem mit der Übersetzung von Werken von Brecht und Böll in die russische Sprache einen eigenen Beitrag. Hat es wirklich zur Aussöhnung beigetragen?

Im Westdeutschland der 1950er Jahre lebten die Angehörigen der Kriegs- und die Nachkriegsgeneration mit Bedrohungsängsten wie „Die Russen kommen!“ – geschürt von einer antikommunistischen und antisowjetischen Propaganda.  Aber es steckte mehr dahinter: Man befürchtete – nur selten offen ausgesprochen –, die auf Rache sinnenden Russen könnten den Deutschen womöglich das antun, was diese in den Kriegsjahren 1941-1944 den als Untermenschen geltenden Russen angetan hatten – eine zentrale Erkenntnis, die in der historisch-politischen Literatur kaum die nötige Aufmerksamkeit findet. Wir haben es mit dem klassischen Falle einer Projektion zu tun. Sie verdeckte das Wissen der Täter des mehrjährigen deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion. Russenfurcht erlaubte es vielen Deutschen weiterhin, ein gutes Gewissen zu haben und das eigene Böse zu verdrängen.

Mit der kultivierten Russenangst wurde der Spieß einmal mehr umgedreht: Nicht Deutschland war nunmehr schuld an der Feindkonstellation des Kalten Krieges, sondern die Russen von heute, die Westdeutschland und den Westen bedrohten. Mithilfe dieser Schuldabwehr gelang es den Anhängern der Politik Adenauers, in die Rolle des – potenziellen – Opfers sowjetischer Aggression schlüpfen. Die Option, eigene Schuld anzuerkennen und Reue zu zeigen, blieb weitgehend auf der Strecke.

Das Fortwirken der NS-Propaganda im Kalten Krieg zeigte sich auch auf dem Feld der Militärpolitik. Als sich im Sommer 1950 ehemalige hochrangige Offiziere der Wehrmacht auf Geheiß von Bundeskanzler Adenauer (CDU) im Eifelkloster Himmerod trafen, um im Geheimen über die Aufstellung einer „neuen Wehrmacht“ zu beraten , orientierten sich die vormaligen Generäle Hitlers in ihren Planungen bedenkenlos am „Vorbild Wehrmacht“. In Himmerod wurde die Bundeswehr – wie vormals die Wehrmacht – „auf einen den gesamten Kontinent Europa umfassenden Kampf ausgerichtet, […]‚von den Dardanellen bis nach Skandinavien‘“. In der Kontinuität ihres antibolschewistischen und antikommunistischen Weltbildes verknüpften die westdeutschen Militärplaner ihre Erfahrungen im nationalsozialistischen „Ostkrieg“ samt seiner Vernichtungsdoktrin mit dem Kalten Krieg.  

Verbesserungen des internationalen Klimas in Europa brachte die deutsche Entspannungs- und Ostpolitik der 1970er Jahre. Aber in den Köpfen der Gegner lebten und leben die alten Feindbilder fort. Ende der 1980er Jahre, als sich das Ende des Kalten Krieges ankündigte, klang die Idee eines „Friedens mit der Sowjetunion“ für viele wie Zukunftsmusik.  Neuerliche Warnungen, Russland sei eine Bedrohung für den Frieden, lassen leicht vergessen, dass nicht die Russen, sondern die Deutschen den Menschen in zwei Weltkriegen unermessliches Leid zugefügt haben.

Wolfram Wette ist pensionierter Professor für Neueste Geschichte, Friedensforscher und DFG-VK-Mitglied. Für die Veröffentlichung hier wurde sein Beitrag erheblich gekürzt. Der vollständige Text mit Quellenhinweisen findet sich auf der ZivilCourage-Website: https://bit.ly/3seJL4Y Ein inhaltsgleicher Beitrag ist in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Der Hakenkreuzzug“ am 10. Juni 2021 erschienen.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Krieg

25. März 2021

Ein bisschen Pazifismus geht nicht

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Leitartikel

Von Christop Neeb

Kevin Kühnert, früher Juso-Chef und nun stellvertretender SPD-Vorsitzender, kandidiert im September für den Bundestag. Im November fragte ihn der „Spiegel“: „Bei welchem Thema haben Sie ihre Meinung zuletzt geändert?“ Seine Antwort: „Ich bin vielleicht nicht mehr so pazifistisch, wie ich es als 15-jähriger war. Ich habe aus der deutschen Geschichte gelernt, dass Pazifismus in seiner Reinform naiv ist – auch wenn Frieden das Maß der Dinge bleibt.“

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat ein Buch über den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Krieg veröffentlicht (Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen; Frankfurt 2010). Einer der Ausgangspunkte ihrer Überlegungen: Das menschliche Leben ist gefährdet, es könnte verloren gehen und wir nehmen in unserer jeweiligen Gegenwart vorweg, dass wir selbst dies betrauern würden. „Wer nicht betrauerbar ist, lebt außerhalb des Lebens. […] Die Wahrnehmung der Betrauerbarkeit geht der Wahrnehmung des Gefährdetseins des Lebens vorher und ermöglicht diese Wahrnehmung erst.“ (S. 22) Leben, das nicht betrauert werden wird, ist irrelevant, so Judith Butler und weiter: „[…] es ist kein Leben denkbar, das nicht gefährdet wäre, außer natürlich in der Phantasie und ganz besonders in der Phantasie der Militärs.“ (S. 31)

Militär bedeutet die maximale Gefährdung der anderen, der nicht Betrauerten, bei minimaler Gefährdung der eigenen Leute. Die Reaktion: Maximale Gefährdung der eigenen Leute durch andere bei minimaler Gefährdung der anderen selbst. Das Ergebnis ist: Alle sind maximal gefährdet – bei maximalen Kosten.

Die willkürliche Maximierung von Gefährdungen für die einen und deren Minimierung für die anderen verstößt gegen grundlegende Normen der Gleichbehandlung. Wenn jedoch die anderen das Gleiche tun, ist die Gleichbehandlung wiederhergestellt.

„Meiner Ansicht nach wird der Krieg in ganz bestimmte Rahmen gestellt, um Affekte in Verbindung mit der differenzierenden Betrauerbarkeit von Leben zu kontrollieren und zu steigern.“ (Butler, S. 32) Konkret bedeutet dies, dass Emanzipation, Feminismus, Sexualpolitik etc. im Dienst derzeitiger Kriege vereinnahmt werden. Eine spezifisch deutsche Variante ist, die tatsächlichen oder vorgeblichen Lehren aus der deutschen Geschichte für aktuelle Kriege zu vereinnahmen. Dies ist das eine, was in dem Zitat von Kühnert zum Ausdruck kommt.

Es geht aber nicht nur darum, den Krieg in einen ganz bestimmten Rahmen zu stellen, um ihn gegen Kritik zu immunisieren, sondern auch darum, die Kritik und die Kritiker in einen Rahmen zu stellen, der so negativ und so ausschließend wie möglich ist. Eigene Leute, die naiv sind, gehören zwar zu den Betrauerbaren, deren Leben relevant ist und minimal gefährdet sein sollte, aber politisch sollen sie irrelevant sein. Auch dies kommt in dem Zitat von Kühnert zum Ausdruck.

Egal ob er nun den beiden genannten Rahmungen auf den Leim gegangen ist oder ob er sie aktiv betreibt: Er muss sich entscheiden. Ein bisschen Pazifismus geht nicht. Es ist dann keiner mehr.

Was Kühnert hier bewusst vermischt oder unbewusst verwechselt, ist die ethische und politische Haltung einerseits und die Umsetzung andererseits. Gesinnungsethik und Verantwortungsethik sind keine Gegensätze, sie bedingen einander. Praktische Politik bedeutet, ausgehend von radikalen Positionen einen politischen Raum zu eröffnen, um auf bestimmte Ziele hinarbeiten zu können. Unser Grundgesetz funktioniert genau so.

Eine solche Politik ist kompliziert und anstrengend, so wie Willy Brandts neue Ostpolitik, bei der die Sicherheit der anderen Teil der eigenen Sicherheit war. Sie hatte einen Vorlauf von rund zehn Jahren. Sie bot eine Perspektive der Verbesserung für alle und der SPD Wahlchancen.

Christoph Neeb ist Bundeskassierer der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202101, Gesinnungsethik, Juso, Krieg, Kühnert, SPD, Verantwortungsethik

25. März 2021

Kritische Fragen stellen – und beantworten

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Editorial

Liebe Leserin,
lieber Leser,

seit einem Jahr wird unser Leben von der Pandemie bestimmt. In Baden-
Württemberg gab es seit Dezember eine nächtliche Ausgangssperre, eine Maßnahme, die man sonst nur aus Diktaturen kennt. Erst ein Gericht stoppte diese, auch im Blick auf den Infektionsschutz fragwürdige Maßnahme. Auch, wenn man der Politik die Absicht unterstellt, Leben und Gesundheit der Bevölkerung schützen zu wollen – Grund- und Freiheitsrechte sind keine Privilegien, die der Staat gewähren und auch wieder entziehen kann. Sie sind die nicht verhandelbare Grundlage des Verhältnisses zwischen BürgerInnen und Staat. Im Schatten der Pandemie scheint sich das zu verändern.

Da werden dann auch eigentlich auf der Hand liegende Fragen nicht mehr gestellt. Zwei Beispiele: 

Es kostet Milliarden, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Gleichzeitig sieht der im Dezember beschlossene Bundeshaushalt für den Bereich Verteidigung Ausgaben von offiziell 46,9  Milliarden Euro vor, eine Steigerung von fast 1,3 Milliarden gegenüber dem Vorjahr. Hinzu kommen die in anderen Haushaltsposten versteckten Militär-Kosten. Die Frage: Wie kann es sein, dass fast 10 Prozent aller Ausgaben für Militär, Kriegsvorbereitung und Krieg ausgegeben werden, ohne dass ein Aufschrei durchs Land geht? Im Gesundheitsbereich wird seit Jahren gespart, Krankenhäuser werden geschlossen oder privatisiert, Pflegepersonal fehlt, aber bei der Bundeswehr werden über eine Viertelmillion Menschen beschäftigt und bezahlt.

Zweite Frage: Zur Bekämpfung der Pandemie wird der Bevölkerung ein „Impfangebot“ gemacht. In übers ganze Land verteilten Impfzentren sollen in den nächsten Monaten viele Millionen Menschen den „Pieks“ erhalten (wie uns die Regierung in Kindersprache erklärt). Helfen sollen in den Zentren 25 000 SoldatInnen. Was haben die bisher eigentlich gemacht? Däumchen gedreht, Panzer geputzt?

Wir sollten dazu beitragen, dass die Menschen sich in den nächsten Monaten im Vorfeld der Bundestagswahl solche und ähnliche Fragen stellen – und dann beantworten.

Viele Grüße und anregende Lektüre wünscht

Stefan Philipp
Chefredakteur

Kategorie: Editorial Stichworte: 202101, Bundestagswahl, Corona, Krieg, Kriegsvorbereitung, Militär, Pandemie

24. März 2021

Krieger.Denk.Mal.

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Titel

Beispielhafte Beschäftigung
mit kriegsverherrlichenden Denkmalen in NRW

Von Felix Oekentorp

ZivilCorage-Ausgabe 1/2021

Kalkar steht seit vielen Jahren auf der Agenda der Friedensfreund*innen aus Nordrhein-Westfalen; der AfD-Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Hannover im November 2019 war vor seiner Pensionierung Kommandant der Von-Seydlitz-Kaserne der Bundeswehr in Kalkar, in der die Luftkriege geplant und vorbereitet werden. 

Hier steht aber seit 1936 auch ein steinerner Klotz, der „Unseren Helden“ gewidmet ist, die im Ersten Weltkrieg gestorben sind. Im Sockel eingemeißelt steht der Satz: „Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken“. Aber nicht nur dort steht dieser Satz, sondern wortgleich auch in dem berüchtigten Hitler-Buch „Mein Kampf. 

Mit diesem steinernen Kriegspropagandaklotz hat Kalkar allerdings kein Alleinstellungsmerkmal, derlei Zeugs steht allüberall in der Gegend herum. Manche unserer ganz besonders deutschen Mitbürger nutzen manche dieser Dinger, um dort an irgendwelchen Jahrestagen zu beklagen, dass Deutschland schon ewig keinen Krieg mehr gewonnen hat. 

Wie soll die demokratische Öffentlichkeit mit diesen Dingern umgehen? Wie wird andernorts mit diesen Hinterlassenschaften der finstersten Vergangenheit umgegangen? Dazu einige Beispiele. 

In Wattenscheid gibt es in einer Parkanlage seit 1933/34 ein Ehrenmal mit einer Tafel der im Ersten Weltkrieg getöteten Wattenscheider Soldaten, die um die im Zweiten Weltkrieg getöteten – auf der Tafel ist von „Gefallenen“ die Rede – ergänzt wurde. 

„Friedenspark Ehrenmal“ in Wattenscheid

Viele Jahre lang ließ die Stadt das Denkmal verfallen, es wurde zusehends baufälliger und als Ziel für Nazi-Aufmärsche unattraktiver. Erst im Jahr 2018 begann man, aktiv an dem Park und dem Denkmal zu arbeiten, ein Friedenspfad wurde angelegt mit Zitaten aus einem Wettbewerb der Bürger*innen, die den Satz „Frieden ist“ ergänzen sollten. 

“Friedenspark Ehrenmal” in Wattenscheid

Ein Bürgerantrag zur Umbenennung des Parks in „Hannes Bienert Friedenspark“ war nur teilweise erfolgreich. Der verstorbene und stadtbekannte Antifaschist Hannes Bienert sollte dann doch nicht Namensgeber werden, aber der „Friedenspark Ehrenmal“ fand eine deutliche Mehrheit in der Bezirksvertretung.

Steinerne Kriegspropaganda in Münster

Münster beherbergt eine Unmenge an steinerner Kriegspropaganda, das Stadtarchiv hat dazu eine Broschüre erstellt und unterhält die Webseite www.stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/ mit verschiedenen Kapiteln. 

Um in dieser Sammlung erwähnt zu werden, muss ein Denkmal oder Mahnmal an gefallene Soldaten oder zivile Opfer von Kriegen, an regime- und kriegsbedingte Terror- und Gewalttaten erinnern. Ebenfalls erfasst werden auf dieser Liste Denkmäler, die als Mahnungen zum friedlichen Zusammenleben aufgefasst werden können. 

Allein sieben Denkmäler stammen aus der Zeit vor 1914, zehn erinnern an den Ersten Weltkrieg, 17 an beide Weltkriege, manche davon wurden während der NS-Zeit errichtet, um mit Heldenverehrung einen Beitrag zur Mobilmachung für den nächsten Krieg zu leisten, dessen Opfer dann später auch Platz auf diesen Steinen fanden. Und noch in der Zeit um 1960 wurden drei Ehrenmale errichtet bzw. ini-tiiert von Traditonskameradschaften, die an ihre im Krieg getöteten Kollegen erinnern wollen. 

Es gibt aber auch eine größere Zahl von Mahnmalen, bei denen der zivilen Opfer gedacht wird oder die der Kriegspropaganda etwas entgegenstellen.

Denkmal für Paul Wulf

Eines dieser Mahnmale erinnert seit 2007 an Paul Wulf, geboren 1921 und 1937 von den Nazis zwangssterilisiert. Er war einer von 400 000 Menschen die ohne ihre Einwilligung aus „rassehygienischen“ Gründen unfruchtbar gemacht wurden. Der Verbleib dieser Skulptur die auf dem zentralen Servatiiplatz in Münster steht, ist seit Jahren umkämpft, anders als der der Steinklötze. 

Zu diesen zählt das Dreizehner-Denkmal auf der Promenade. Eine sechs Meter hohe Sandsteinpyramide mit verschiedenen Symbolen zu Sieg und Kampf lädt zur Heldenverehrung. Das 1872 errichtete Denkmal zu Ehren eines Infanterieregiments wurde im Ersten Weltkrieg zerstört, aber schon 1923 wurde der Grundstein gelegt für seine Wiedererrichtung. Das geehrte Infanterieregiment war u.a. beteiligt an der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China und des Herero-Aufstands im heutigen Namibia.

Das „Dreizehner-Denkmal“ auf der Promenade in Münster

Auch für das Westfälische Train-Bataillon Nr. 7 gibt es an zentraler Stelle ein Ehrenmal. Eine Inschrift erwähnt, dass ein dort genannter Soldat „den Heldentod für Kaiser und Reich in Deutsch-Südwestafrika“ gestorben ist. Ein anderer „starb den Heldentod für Kaiser und Reich in China 1901“. Bürgeranträge, zusätzliche Mahntafeln hier und an den anderen „Ehrenmalen“ anzubringen mit dem Hinweis auf den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama wurden im Rat abgelehnt. Die Begründung: Diese Denkmäler seien „selbst historische Zeugnisse aus vergangener Zeit, sie sollen sich unverändert dem Urteil der Geschichte stellen.“ 

„Heldengedenken“ in Köln-Porz

DFG-VK-Friedensfahrradtour am Soldatenehrenmal in Köln-Porz (Foto: Joachim Schramm)

Die Friedensfahrradtour des DFG-VK-Landesverbands NRW führte im letzten Jahr erneut durch Köln. Ein Zwischenstopp wurde gemacht an einem „Ehrenmal“ in Porz-Zündorf. An diesem 1932 errichteten Schandmal wird den getöteten deutschen Soldaten mit den Worten „Unseren Helden – Die dankbare Gemeinde – Zündorf 2. Oktober 1932“ gedankt, ergänzt wurde die Inschrift um eine weitere Zeile „Zündorf 4. Oktober 1952“. Zu diesem Zeitpunkt war die Direktive des Alliierten Kontrollrats mit Gesetzeskraft noch gültig, in der der Abbau aller kriegsverherrlichenden Denkmäler verfügt war. 

Ein Bürgerantrag richtete sich inzwischen gegen dieses Denkmal und forderte dessen Beseitigung. Ein Argument dabei der Artikel 139 Grundgesetz, nach dem  die „zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften (…) von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt“ werden. Diese Entnazifizierungsvorschrift habe nach wie vor Gültigkeit, und die Verherrlichung staatlicher Gewalt sei nicht vereinbar mit dem Völkerrecht und der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen. Die Bezirksvertretung Porz „dankt der Petentin für ihre Eingabe, spricht sich jedoch gegen den Abbau des Kriegerdenkmals an der Groov sowie gegen die Errichtung eines Gegendenkmals in räumlicher Nähe aus“, wie es im Protokoll der Bezirksvertretung vom 7. Februar 2017 nachzulesen ist. 

Kopfloser Held in Bochum

In Bochum gab und gibt es seit den 1980er Jahren eine recht aktive Szene, die sich mit den in der Öffentlichkeit Kriegspropaganda treibenden Schandmälern auseinandersetzt. So steht ein steinerner Soldat im Stadtteil Langendreer auf einem Privatgrundstück, dabei für die Öffentlichkeit bestens sichtbar mit dem Spruch „Einst kommt der Tag, da alle Welt Euren Ruhm verkünden wird!“ Dieses Kriegerdenkmal war in den 1920er Jahren von rechten Verbänden finanziert und mit Beteiligung von Heimwehren und eines SA-Zugs im Juli 1927 eingeweiht worden. 

„Kopfloser Soldat“ in Bochum-Langendreer (Foto: Felix Oekentorp)

Da die Kommune ein derart revanchistisches Denkmal nicht fördern wollte, musste es auf einem Privatgrundstück errichtet werden. Dort stand der vermeintliche Held unbeschadet, bis ihm 1987 der Kopf abgetrennt wurde. Viele Jahre lang verbrachte der Soldat kopflos und wurde am 70. Jahrestag der Befreiung sogar zum Ort einer Antikriegskundgebung der Bochumer Naturfreunde. Der Kopf wurde erst 2004 ersetzt. Im November 2010, kurz bevor am Volkstrauertag dort ein Heldengedenken stattfinden konnte, wurde auch dieser Ersatz entfernt. 

Zum soldatischen Schicksal gehört es, nicht nur zu töten und zu zerstören, sondern auch, in der lebendigen Realität Körperteile verlieren zu können, auch den Kopf. Eine solche Darstellung der Realität taugt aber wohl nicht für die Heldenverehrung. 

Im Stadtpark von Bochum hatte es 1935 die Einweihung eines Denkmals gegeben, das zwei Soldaten aus Bronze zeigte. Fast 50 Jahre standen diese dort und machten Kriegspropaganda. Aus Anlass des 50. Jahrestages der Einweihung sägten Unbekannte diesen beiden Kriegern die Beine durch, so dass sie auf der Nase landeten. Die Stadt Bochum ersparte es ihrer Bevölkerung, diese Figuren dort wieder aufstellen zu lassen, stattdessen wurde eine Tafel angebracht, auf der es heißt „Nie wieder Faschismus und Krieg“. Das Stadtarchiv beherbergt seitdem diese im wahrsten Wortsinn gefallenen Soldaten.

„Nazi-Schwert“ in Gelsenkirchen

In Gelsenkirchen gibt es ein „Nazi-Schwert“, eine Stele aus sechs Granitquadern, jede einen Meter hoch, und an dieser ist ein fünf Meter langes gusseisernes Schwert angebracht. Nicht künstlerisch wertvoll, dafür aber von den Nazis 1937 zu Ehren der „gefallenen Kriegskameraden“ des Schalker Vereins, eines Unternehmens der Eisen- und Stahlindustrie, errichtet. 

Dieses Nazidenkmal geriet in die verdiente Vergessenheit, die Natur wucherte auf dem Werksgelände, und so wuchs das sprichwörtliche Gras über die Sache. Bis der Schalker Verein verkauft wurde und der neue Eigentümer das Werksgelände neu gestalten wollte. 

Die Gelegenheit, diesen Schrott zur Entsorgung freizugeben, wurde vertan, stattdessen beschloss die Bezirksvertretung dessen Eintrag in die Denkmalliste und verlegte das Schandmal auf einen öffentlichen Weg. 

Damit nicht genug: Zum 9. November 2015 sollte es als Ziel eines Schweigemarsches unter Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Frank Baranowski dienen. Heftige öffentliche Auseinandersetzungen konnten gerade noch bewirken, dass am Jahrestag der Pogrome von 1938 dort nicht die Abschluss-, sondern lediglich eine Zwischenkundgebung stattfand. Manche Antifaschist*innen verweigerten aus Protest gegen das Festhalten an dem Kundgebungsort mit dem Nazi-Schwert ihre Teilnahme, und eine nicht bekannte Aktionsgruppe überwand in der Nacht zum 9. November die Absperrung um das Schandmal und nahm dort eine farbliche Veränderung vor. Dieser „Farbanschlag“ ist nach wie vor sichtbar, und die Gedenkmärsche zum 9. November fanden seitdem nicht wieder an diesem Nazi-Schwert statt.

Ist das Kunst oder kann das weg?

In der öffentlichen Debatte über den Umgang mit dem Nazi-Kriegerdenkmal in Kalkar gab es nicht nur zustimmende Reaktionen. Wo ist die Grenze zu ziehen? Dürfen Denkmäler beschädigt oder gar zerstört werden? Wer entscheidet über die Legitimität solcher Aktionen?

Ein Aufschrei ging durch die Welt, als der „Islamische Staat“ die historische Stadt Nimrud im Nordirak zerstörte. Nimrud war vor über 3 000 Jahren gegründet worden und einst Hauptstadt des Assyrischen Reiches. Einigkeit bestand in der Einschätzung, dass durch die Zerstörung der dort noch verbliebenen Kulturgüter – die meisten waren bereits von Archäologen aus der Stadt gebracht worden – ein Schaden angerichtet wurde, der nicht wieder gutzumachen ist. 

Auch die Zerstörung der riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan aus dem sechsten Jahrhundert durch die Taliban wurde mit weltweitem Entsetzen zur Kenntnis genommen. Es wurde auf die Haager Konvention von 1954 verwiesen, die Kulturstätten bei bewaffneten Konflikten vor Zerstörung schützt. 

Möglicherweise mag die eine oder andere Darstellung bei diesen viele Jahrhunderte alten Denkmälern politische oder religiöse Inhalte gehabt haben, die wir aus heutiger Sicht anders bewerten würden. Anders aber als bei den Nazi-Denkmälern gibt es seit Jahrhunderten keine Opfer dieser damaligen Herrschenden, so dass auch für Atheisten oder Andersgläubige derlei Darstellungen hinnehmbar sind. Mönche, die vor Jahrhunderten genug Zeit hatten, Statuen aus Felsen zu hauen, mögen uns vielleicht nicht als Vorbilder gelten, sie haben aber nicht Abermillionen Tote auf dem Gewissen wie dies bei den Nazis der Fall ist. Und sie waren auch nicht bei Völkermorden wie den Kolonialkriegen des vorletzten Jahrhunderts aktiv.

Moderne Kriegspropaganda

Im Gegensatz zu den jahrhundertealten Denkmälern steht die Werbung im öffentlichen Raum mit Plakaten und neuerdings auch Videowänden in Bahnhöfen. Insbesondere die zahlreichen Kampagnen für die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr haben vielerorts zu einer kreativen Verfremdung dieser Plakate angeregt, der Fachbegriff hierzu lautet Adbusting. In der ZivilCourage 2/2020 gab es einen ausführlichen Artikel über die Unterstützung der Adbuster*innen durch den Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK. 

Weil es den Akteuren gelungen war, das Militär ins Lächerliche zu ziehen, war sogar der Staatsschutz aktiv geworden und hatte mehrere Hausdurchsuchungen durchgeführt. Immerhin hatte ein Gericht diese als unverhältnismäßig bewertet. So lange die Originalplakate nicht beschädigt oder entfernt werden, liegt nicht einmal eine Straftat vor, auf die sich ein Ermittlungsverfahren begründen ließe.

Natürlich wird auch hier schon kontrovers diskutiert; und auch, wenn keine Straftaten begangen werden, ist doch dem Auftraggeber dieser Werbung jegliches Verfremden der Plakate ein Dorn im Auge. 

Ein Dorn im Auge ist natürlich auch den Militarist*innen jegliche Umgestaltung dieser Ehrenmale, wie sie die öffentliche Zurschaustellung ihrer steinernen Heldenverehrungen bezeichnen. Geehrt werden Täter, die in Ausübung ihres Soldatenhandwerks ums Leben gekommen sind. Sie sollen mit diesen steinernen Ungetümen Werbung machen für das Kriegshandwerk. 

Manche dieser Militarist*innen sind geradezu unermüdlich in ihrem Eifer. Die oben geschilderten „abgesägten“ Soldaten aus dem Stadtpark Bochum hätten nach dem Willen des CDU-Stadtbezirksvorsitzenden James Wille wieder aufgestellt werden sollen. Allerdings zog er seine 2012 gestellte Anregung in der Bezirksvertretung recht bald zurück angesichts der erkennbaren Aussichtslosigkeit seines Anliegens. Er jammerte: „Auf Beschluss des mehrheitlich von der SPD geführten Rates beugte man sich dem Diktat der Straße, indem die Skulptur nicht mehr aufgestellt wurde.“

Das Bemalen und Verändern hat für manche etwas mit einer abwertenden und vernichtenden Haltung zu tun. Genau so wurde es in der NS-Zeit selbst von den Nazis durchgeführt. In München gab es eine große Veranstaltung „Entartete Kunst“, so ein vorgebrachtes Argument gegen die Aktion in Kalkar. 

Sind denn diese Kriegerdenkmäler als Kunst oder als Kultur zu bewerten, ähnlich den jahrhundertealten Buddha-Statuen und im Gegensatz zu den vielen Plakataktionen? Oder sind sie letztlich nichts anderes als in Stein gehauene Propaganda, Pflastersteine auf dem Weg zum nächsten Krieg?

Es wird keine allgemein gültige Definition von Kultur geben, der alle gleichermaßen zustimmen. Manche Skulpturen im öffentlichen Raum gaben und geben noch immer Anlass zu heftigen Kontroversen, in manchen Fällen werden sie als gigantische Verschwendung öffentlicher Gelder gesehen wie Richard Serras Skulptur „Terminal“ in Bochum, manchmal braucht es Zeit, bis sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind wie die „Giant Pool Balls“ von Claes Oldenburg in Münster am Aasee, beide aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch diese werden ständig farblich verändert, was wohl seitens des Künstlers auch nicht anders geplant war oder doch zumindest billigend in Kauf genommen wurde.

Wenn denn die steinerne Heldenverehrung im öffentlichen Raum nicht als Kunst, sondern als Propaganda zu werten ist, welche Möglichkeiten gibt es, dies nicht unwidersprochen zu lassen?

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht

Rückseite des in ein Friedensmahnmal umgewandelten Nazi-Kriegerdenkmals in Kalkar (Foto: Wilfried Porwol)

Angesichts der aufgeführten Beispiele beantwortet sich die Frage nach den Möglichkeiten, die antimilitaristische Perspektive anders als durch Eigeninitiative zu lösen, so: Bürgeranträge ohne einen zusätzlichen Druck von direkten Aktionen sind nur selten erfolgreich. Die Offiziellen in den Kommunen sitzen das Thema gern aus, lassen Protest verpuffen und hoffen, dass sich der Widerstand schon irgendwann legt. Ziviler Ungehorsam kann diese Prozesse befördern. Regelbrüche möglichst gewaltfrei und mit einer entsprechenden öffentlichen Wahrnehmung sowie mit einer klaren Positionierung der „Täter“, die auch persönliche Konsequenzen für ihr Tun akzeptieren, waren schon immer ein Motor für gesellschaftliche Bewegung und Veränderung. 

Das immer wieder praktizierte Eindringen von Friedensaktivist*innen in den Atomwaffenstandort Büchel ist ein Beispiel dafür. Auch dort wird keine Gewalt angewendet, es sei denn, das Durchtrennen des Zauns möchte bereits als Gewalt gegen Sachen gewertet werden. 

Mit dem Eindringen in das Atomwaffenlager nehmen die Akteure billigend in Kauf, dass ihnen nach der Festnahme und Personalienfeststellung Strafverfahren drohen. Vielmehr: Gerichtsverhandlungen werden als Möglichkeit angestrebt, die Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen zu thematisieren. Ohne derartige Aktionen wäre weniger bekannt, dass noch immer auch in Deutschland Atomwaffen gelagert werden und mit diesen der Krieg geprobt und geplant wird.

Eine Malaktion und ihre Folgen

Ähnlich gelagert ist es mit dem Nazi-Kriegsklotz in Kalkar und dessen künstlerischer Bearbeitung durch Wilfried Porwol. Jahrzehntelang steht das Dingen in der Gegend herum, seit Jahren ist bekannt, dass der Spruch auf dem Sockel wortgleich in „Mein Kampf“ vorkommt, und die Stadtoberen lassen den Protest dagegen ins Leere laufen. Erst durch die Malaktion im Sommer 2019 kam Bewegung in die Geschichte, Aussitzen ging nun nicht mehr. Insbesondere als der Stadt nach der unmittelbaren Beseitigung der ersten farblichen Umgestaltung ein von unbekannter Hand ebenso unmittelbar erfolgter Neuauftrag einer farblichen Gestaltung präsentiert wurde. Die Stadt Kalkar sah ein, dass es wahrscheinlich vergebliche Mühe bedeuten würde, auch diesen Farbanstrich zu entfernen, und ließ es monatelang bei dem Zustand. 

Und nicht nur das, sogar eine Tafel wurde aufgestellt. Damit sollte der aufmüpfigen antimilitaristischen Opposition aber nun genug entgegengekommen sein. Der Text auf dieser Tafel aber verharmlost dieses Schandmal und dessen Entstehung. Die Gelegenheit, wenn schon nicht den Klotz zu entsorgen, so doch sich kritisch distanziert damit auseinanderzusetzen, war gründlich vertan. Egal, ob Dummheit oder böser Vorsatz, beides ist unverzeihlich. 

Die Unzufriedenheit mit dieser Tafel mündete nebst diversen öffentlichen Stellungnahmen in einem von Wilfried Porwol gesprühten Kommentar, einem pinkelnden Hund. Eine Bastelanleitung dieser Schablone findet sich in der Zeitschrift Graswurzelrevolution 454 vom Dezember 2020. 

Die Ostermarsch-Bewegung demonstriert alljährlich in Kalkar und hat am 3. Oktober 2020 die Gelegenheit genutzt, mit einer Sprühaktion auf dem Marktplatz ein weithin sichtbares Zeichen der Solidarität zu setzen. Besprüht wurde allerdings nicht der hässliche steinerne Klotz, sondern ein Styropormodell davon, so dass die Polizei keinen Anlass sah, dagegen einzuschreiten. 

Im Dezember fand ein erster Strafprozess statt gegen Wilfried Porwol (siehe nächste Seite). Dieser war begleitet von Solidaritätsaktivitäten. Eine Mahnwache trotzte dem schlechten Wetter am Zugang zum Gerichtsgebäude, die Staatsanwaltschaft trug derweil drinnen ihre Argumente für eine Bestrafung vor. Ihrer Ansicht nach handelte es sich um gemeinschädliche Sachbeschädigung, diese ist noch böser als einfache Sachbeschädigung, und so setzte es 30 Tagessätze zu je 30 Euro. Diese Strafe betrifft nur die erste der Malaktionen vom Juli 2019. Weitere Kriminalisierungsverhandlungen werden folgen, ebenso steht der Kostenbescheid für die Entfernung der Farbe noch aus. 

So ist es jetzt an der Zeit, nicht nur symbolisch Solidarität zu zeigen, sondern auch ganz konkrete finanzielle. Der Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK leistet Unterstützung hier, das kann er nur mit unseren Spenden auf das Konto IBAN DE47 3702 0500 0008 1046 06

Inzwischen gibt es auch in Kalkar einen Bürgerantrag gegen den Kriegsklotz, und eine ortsansässige Band hat einen Solisong aufgenommen mit dem Titel „Drecksnest Kalkar“. 

In dem Bürgerantrag wird gefordert, das Kriegerdenkmal zu entfernen und zu ersetzen durch eine Erinnerungsstätte für die Opfer des Holocausts und des NS-Regimes. 

Felix Oekentorp ist Landessprecher der DFG-VK NRW. Er lebt in Bochum und ist im Münsterland aufgewachsen, das erklärt die Fokussierung auf dortige Beispiele von Denkmälern im Artikel.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202101, Denkmal, Helden, Heldengedenken, Krieg, Kriegerdenkmal, Kriegspropaganda, Kultur, Kunst, Ossietzky, Propaganda, Solidarität, Unrecht, Widerstand

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