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Amab

26. November 2022

Leichensäcke vor der russischen Botschaft

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2022

Ukraine-Krieg

Rückblick auf den Aktionstag „Verhandeln statt schießen“ Anfang Oktober in Berlin

Von Aktiven der Antimilitaristischen Aktion Berlin in der DFG-VK (Amab)

Sind das etwa Leichensäcke? Eine Protestaktion anlässlich des Aktionstages „Verhandeln statt Schießen“ am 1. Oktober dürfte in der russischen Botschaft in Berlin für Grusel gesorgt haben. Denn die Antimilitaristische Aktion Berlin (Amab) verteilte auf den Gehwegen  vor der Botschaft schwarze Plastiktüten mit der Aufschrift „Z-200“, die an Leichensäcke erinnern. Jan Hansen, Sprecher der Amab, zur Aktion: „Die russische Regierung führt in der Ukraine einen mörderischen und verbrecherischen Angriffskrieg. Wir rufen die Angestellten der russischen Botschaft dazu auf, alles zu tun, damit ihre Regierung den Krieg beendet und ihre Armee aus der Ukraine abzieht.“

Aktionstag 

Für den 1. Oktober mobilisierten der „Bundesausschuss Friedensrat“ und die „Kooperation für den Frieden“ zu einem Aktionstag namens „Verhandeln statt Schießen“. Der Aufruf vermied es explizit, Russland als Aggressor zu kritisieren und sich von rechtsoffenen verschwörungsgläubigen Protestakteuren zu distanzieren. Deshalb hatte die Bundesebene der DFG-VK nicht zum Aktionstag aufgerufen und fast alle Gliederungen folgten dem. 

Stattdessen veröffentlichte die DFG-VK am Aktionstag ein Statement, warum es notwendig ist, Russland als für den Krieg verantwortlich zu benennen und sich von rechts abzugrenzen. Diese Erklärung wurde in den sozialen Medien intensiv diskutiert. 

Die Amab setzte jedoch noch einen drauf und beteiligte sich in Berlin mit einer Aktion, die Russland explizit kritisierte. Die „Leichensäcke-Aktion“ schaffte es in die Meldung der Deutschen Presse-Agentur zur wenige Stunden später stattfindenden „Verhandeln statt Schießen“-Demo und von dort in viele Medien. „Es hat uns sehr gefreut, dass die Putin-freundlichen Positionen dank unser Aktion in der medialen Darstellung nicht unwidersprochen blieben“. 

Daran erinnern, dass Menschen sterben. Bei ihrer Aktion vor der russischen Botschaft platzierten die Aktiven der Amab neben den angeblichen Leichensäcken Schilder mit der russischen Aufschrift „Нет войне!“ („Kein Krieg!“) und ein Meme aus dem Film Shrek. Das Meme zeigt den König aus Shrek mit Putins Gesicht. Der König/Putin sagt zu seinen Rittern: „Many of you will die. But that‘s a sacrifice I‘m willing to make.“ Das Z-200 steht einerseits für den verbrecherischen Angriff der russischen Regierung, aber auch für den Frachtcode des sowjetischen Militärs für Leichensäcke: „Cargo 200“, erklärt Jan Hansen. 

Mit der Aktion möchte die Gruppe das Personal der russischen Botschaft daran erinnern, dass mit jedem Tag, den ihre Regierung den Krieg fortsetzt, Menschen sterben. „Feiert krank, desertiert, macht Dienst nach Vorschrift, sabotiert, spioniert, unterstützt die Opposition: Hört auf, das Morden in der Ukraine zu unterstützen“, schlägt Jan Hansen den Botschaftsangehörigen vor.

Reaktionen

Bereits beim Aufbauen der Kunstwerke fotografierten viele Passant*innen die Installationen. „Beim Aufbau der ersten Leiche gegenüber der russischen Botschaft sprach uns eine Frau aus der Ukraine an“, berichtet Jan Hansen. „Die Frau kam auf uns zu und sagte jedem von uns in gebrochenen Deutsch Danke.“

An der nächsten Station auf dem Mittelstreifen der Berliner Prachtstraße Unter den Linden, an der auch die russische Botschaft liegt, fragte ein etwa siebenjähriges Kind: „Was machst du da?“ „Protestschilder ankleben.“ „Wofür?“ „Dafür, dass die russische Regierung mit dem Krieg in der Ukraine aufhört.“ Das Kind überlegt kurz und sagt: „Ich mag den Putin auch nicht…“

Vor dem russischen Kulturinstitut gab es hingegen Stress. Eine Mitarbeiter*in störte sich an der Kunstin-
stallation und drohte damit, die Polizei zu rufen. „Machen Sie doch! Die kommt dann, guckt, und fährt wieder weg…“ „Aber das ist hoch symbolisch!“ „Genau…“ „Die Cops hat sie dann doch nicht gerufen“, grinst Jan Hansen.

Solidarität mit russischen Kriegsgegner*innen

Ihre Aktionsidee hat die Amab zum Teil aus Russland geklaut. Dort verteilte der Aktivist Leonid Chyorny Sticker mit der Aufschrift „ГруZ-200“ („GruZ-200“). Beim russischen Wort für „Ladung“ tauschte er dabei den letzten Buchstaben mit einem „Z“ aus. So verband er das russische Militärpropaganda-Z in makaberer Ironie mit dem Frachtcode für Leichensäcke. 

Auf einem anderen Sticker fügte er das Z in das russische Wort für „beschissen“ ein. „Leider wurde Leo-
nid dabei erwischt und steht für seine Aktion vor Gericht“, sagt Jan Hansen: „Damit ist er bei weitem nicht die einzige russische Kriegsgegner*in, die für Meinungsäußerungen politisch verfolgt wird. Mit dem Aufgreifen der Aktion aus Russland hoffen wir auch, ein Zeichen der Solidarität an russische Kriegsgegner*innen zu senden.“

Kritik an der Friedensbewegung. „Leider sitzen bei vielen Organisationen der Friedensbewegung bis hoch in die Führungsebenen unbeirrbare Russland-Fans, die sich nicht von Verschwörungswahn, Pressehass, Antisemitismus und anderen Hässlichkeiten abgrenzen wollen und sogar die Corona-Spinner*innen als Verbündete suchen“, kritisiert Jan Hansen. Das sähe man auch am Aufruf zum Aktionstag. Dort findet sich kein Wort der Kritik an Russland oder Empathie mit den Menschen in der Ukraine. Auch fehle jede ernsthafte Abgrenzung gegen rechts. „Eine Friedensbewegung, die den russischen Krieg nicht kritisiert, hat ihren Namen nicht verdient und sollte einfach die Klappe halten“, sagt Amab-Sprecher*in Jan Hansen. „Deshalb war für uns klar: Wir machen eine Aktion, die die russische Regierung in die Verantwortung nimmt.“

Etwas Sinnvolles tun? 

Doch die Amab kritisiert nicht nur: „Wer stattdessen etwas Sinnvolles tun möchte, kann z. B. die aktuell laufende Petition von Connection e. V. unterschreiben“, sagt Jan Hansen. Connection e.V. habe über 40 Organisationen aus ganz Europa zusammengebracht. Gemeinsam fordern sie, dass die EU-Kommission das Recht auf Asyl für Kriegsverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und Ukraine vereinfachen möge. „Unterschreibe auch Du!“: https://bit.ly/3N2Mp8g

Die Antimilitaristische Aktion Berlin (Amab) ist Teil des DFG-VK-Landesverbandes Berlin-Brandenburg und des U35-Netzwerkes. Sie stellt zwei Landesvorstandsmitglieder, eine Landeskassenprüfer*in, ein Mitglied im Bundessprecher*innenkreis, die Delegiert*e der DFG-VK zur War Resisters´ International und ein Mitglied im Stiftungsrat der Bertha-von-Suttner-Stiftung. Mitglieder der Amab arbeiten mit im DFG-VK-Bundesausschuss, der AG Medien und dem Carl-von-Ossietzky-Fonds.

Infos und Kontakt: amab.blackblogs.org, amab@riseup.net, @amab04499287 (auf Twitter)

Kategorie: 2022 Stichworte: 202203, Amab, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

„Aufstand statt Aufrüstung“

Titel

Rede bei der Kundgebung „Stoppt den Krieg“ am 13. März in Berlin

Von AktivistInnen der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab)

Wir sind die Antimilitaristische Aktion Berlin. Wir sind assoziiert in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner*innen. Wir freuen uns sehr, heute vor so vielen Leuten hier reden zu dürfen. Vielen Dank, dass hier heute auch so Bewegungsstraßenköter und Basishoppel wie wir sprechen dürfen und nicht nur schicke NGOs mit Hauptamtlichen. Danke sehr. 

Wir fordern „Auftstand statt Aufrüstung“ und wir wollen ein paar radikale Überlegungen hier einbringen.

Wir verurteilen den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. Es ist empörend, dass immer noch nicht alle Teile der Friedensbewegung diesen Angriff verurteilen.

Doch Aufrüstung ist keine Lösung. Denn Aufrüstung löst heute keine Konflikte in der Ukraine und führt morgen nur zu weiterer Eskalation und Militarisierung.

Entgegen dem Gelabere von der angeblich kaputt gesparten Bundeswehr zeigen die Zahlen, dass der Wehretat in den letzten 20 Jahren bereits mehr als verdoppelt wurde. Wir schmeißen für Waffen längst wieder so viel Geld aus dem Fenster wie zur Zeit des Kalten Krieges.

Hat die Aufrüstung geholfen? Haben sich Putin und seine Hofnarren dadurch von dem Angriff auf die Ukraine abhalten lassen? Nein! Hat es geholfen, die Kriege in Afghanistan oder Mali zu beenden? Nein!

Derweil ist die Bundeswehr fast wöchentlich in den Schlagzeilen, weil sich regelmäßig massenhaft Einzelfälle beim Nazi-sein erwischen lassen. Kein Wunder: Die Bundeswehr wurde von Nazi-Generälen gegründet. Wehrmachtssoldaten prägten bis in die Achtziger die Schlagrichtung der Armee. Mehr Aufrüstung und mehr Soldat*innen bedeuteten vor allem, dass noch mehr Nazi-Prepper noch mehr Waffen klauen, um Leute, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen, am Tag X zu erschießen.

Beachtet auch: Genau die Leute, die jetzt am lautesten nach Aufrüstung schreien,  erzählen seit über 20 Jahren das Märchen von Putin als lupenreinem Demokraten. Stellt euch vor, die deutschen Gazprom-Fans zum Beispiel in der SPD hätten bereits früher zu ernsthaften gewaltfreien Kampfmitteln gegriffen:

Zum Beispiel im Jahr 2000, als Grosny platt gemacht wurde. Oder 2006 nach dem Mord an Anna Politkowskaja. Oder beim Angriff auf Georgien, 2008. Oder 2004, 2008, 2012 und 2018 bei den manipulierten Präsidentschaftswahlen. Oder aber 2014 nach der Annexion der Krim. Glaubt ihr, wenn man die wirtschaftlichen Daumenschrauben schon damals angesetzt hätte, müssten wir heute hier demonstrieren? Nein!

Ein zweites gewaltfreies Kampfmittel, das wir viel zu selten einsetzen, sind offene Grenzen. Ja, wir sollten unsere Grenzen einfach öffnen. Es entzieht kriegstreiberischen Autokratien viel Potenzial, wenn die Leute einfach zu uns kommen können, weil ihnen zu Hause was nicht passt. Die Leute dort und anderswo können selber definieren, ob ihre Gesellschaft lebenswert und bleibenswert ist, und können selber entscheiden, wo sie leben wollen. 

Wenn wir oder die Gazprom-Fans in der Regierung definieren, was sicher oder lupenrein demokratisch ist, bleiben selbst Länder wie Russland, Afghanistan oder Ägypten auf der Liste sogenannter sicherer Staaten.

Drittens müssen wir selber aufständischer werden. Statt schicke Kampagnen zu machen, die irgendwelche Minimalforderungen stellen, brauchen wir  eine Soziale Verteidigung.

Auch das machen uns die Leute in der Ukraine vor. 2014 blockierten sie Truppen, die in den Bürgerkrieg zogen. Heute blockieren sie mit Demos russische Panzer.

Schaut euch eure Nachbarn und Kolleg*innen an: Das sind dieLeute, mit denen ihr Invasionen pazifistisch verhindern könnt. 

Organisiert euch, organisiert andere. Kleine Schritte, wie der selbstorganisierte autonome Kiezbeirat, sind erste Schritte zur Sozialen Verteidigung gegen die eigene Regierung oder aggressive Invasor*innen.

Wir von der Amab organisieren ein Workshop-Wochenende zu Kreativ-Protest mit Blick auf den Tag der Bundeswehr, um dort gemeinsam mit anderen Gruppen fantasievoll und widerständig protestieren zu können. Damit hoffen wir, unsere Widerständigkeit im Alltag zu erhöhen.

Aber bis dahin brauchen wir Sofortmaßnahmen gegen die Aufrüstung. Wir fordern: Aufrüstung stoppen! Bundeswehr abschaffen! Offene Grenzen jetzt sofort! 500 Milliarden Sofortprogramm für dezentrale erneuerbare Energien und deren gerechte Verteilung, damit niemand frieren muss! Und die Pipelines Nord Stream 1 und Druschba kappen!

Vielen Dank fürs Zuhören. 

Eure Antimilitaristische Aktion Berlin in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner*innen.

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Amab, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

30. Mai 2022

Abrüsten statt Aufrüsten

Titel

Aktion gegen das 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr

Mit einer spektakulären Aktion haben Friedensaktivist*innen der DFG-VK, den Naturfreunden, der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und der Antimilitaristischen Aktion Berlin in Berlin gegen das von der Bundesregierung geplante Aufrüstungsprogramm für das Militär protestiert. Hochrüstung als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine führt nur zu weiteren Problemen und löst den Konflikt nicht.

Mehrere Soldat*innen in Tarnuniformen standen Mitte März vor dem „Showroom“ der Bundeswehr in Berlin und wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) mit Geldscheinen überschüttet. Auch ein goldenes Gewehr wurde den Soldat*innen überreicht. Dabei zertrampelten die Politiker*innen Modelle einer Schule, eines Krankenhauses und eines Solarparks.

Mit der Straßentheater-Aktion protestierten mehrere Friedensgruppen gegen das von der Bundesregierung geplante 100 Milliarden Euro-Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr und das „2-Prozent-Ziel“ der NATO. Die Gelder für die Hochrüstung sollen am 16. März im Kabinett beschlossen werden.

Zu der Aktion erklären die beteiligten Gruppen:

„Der Etat der Bundeswehr ist bereits innerhalb der letzten zehn Jahre von 31,9 Milliarden Euro 2012 auf 50,3 Milliarden Euro im Jahr 2022 gewachsen – ein Plus von 58 Prozent. Die nun angekündigte weitere massive Aufrüstung ist politisch einfach falsch. Jeder Euro, Dollar oder Rubel, der ins Militär fließt, fehlt im Kampf gegen die eigentlichen Menschheitsprobleme wie die Corona-Pandemie, die Klimakatastrophe oder die Armut“, sagte Elvin Çetin von der DFG-VK.

Yannick Kiesel vom Bundesvorstand der Naturfreunde Deutschlands erklärte: Wir stellen uns „klar gegen die geplante Sonderinvestition in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Deutschland befindet sich weltweit bereits auf Platz 8, wenn es um die eigenen Rüstungsausgaben geht.“ Die Naturfreunde „fordern mehr Geld für unsere Schulen, Krankenhäuser, den Klimaschutz und die Hilfe für Geflüchtete, statt eine weitere sinnlose Aufrüstung voranzutreiben.“

Für die Women‘s International League for Peace and Freedom Deutschland äußerte die Ko-Vorsitzende Marieke Fröhlich: „Die zunehmende Militarisierung der deutschen Politik, unter anderem durch die horrenden Summen für eine Aufrüstung der Bundeswehr, stehen im direkten Gegensatz zur proklamierten ‚feministischen Außenpolitik‘. Eine Militarisierung der deutschen (Außen)politik wirkt langfristig Frieden und Gerechtigkeit entgegen, denn militärische Stärke kann weder grundsätzlich die Sicherheit von Menschen noch die Einhaltung von Menschenrechten garantieren. Im Gegenteil: Militarismus als politische Agenda trägt wesentlich zu Nationalismus und verschränkten Unterdrückungsmechanismen bei. Dies sind Gewaltformen, die sich insbesondere auf schon marginalisierte Personen auswirken – Frauen, von Rassismus betroffene Menschen, LGBTIQ. Machtpolitik und Aufrüstungsspiralen sind unvereinbar mit feministischen Ansätzen, deshalb fordern wir, dass der Fokus auf gendersensible Menschenrechte und die Sicherheit von Menschen gelegt werden muss.“ Jan Hansen von Amab erklärte: „Statt aufzurüsten sollten wir die Bundeswehr abschaffen! Dann könnte man auch die jährlich über 50 Milliarden Euro, die bisher über den Wehretat bei korrupten Firmen wie der Gorch-Fock-Werft oder bei Nazipreppern landen, einsparen. Und auf der anderen Seite wäre die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen kein Problem mehr.“ 

Kategorie: Titel Stichworte: 202201, Amab, Nato, Russland, Ukraine, Ukraine-Krieg

19. Dezember 2021

Welt oder Westen?

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Friedenskongress

Fazit des Kongresses in Barcelona aus Sicht einer DFG-VK-Jugenddelegation

Von einigen Aktiven aus der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab)

Der World Peace Congress, den wir im Rahmen einer Jugenddelegation der DFG-VK und dank der Unterstützung des Alois-Stoff-Bildungswerks des DFG-VK-Landesverbands Nordrhein-Westfalen und vielen Spender*innen besuchen durften, ist vorbei. Und wir sind zurück aus Barcelona. Zeit, zu versuchen, ein Fazit zu ziehen. Oder mehrere.

Besser als befürchtet

Zuallererst: Der Kongress war nicht annähernd so schlimm wie befürchtet. Die von uns im Vorfeld beargwöhnte Veranstaltung mit russischen Putin-Lobbyist*innen hat nicht stattgefunden. (https://bit.ly/3DwvBA8) Auch Oligarchen-Kidz, die ihren Präsidenten für den zweitgrößten Friedensstifter aller Zeiten halten, sind uns nicht häufiger begegnet als daheim an der Uni. Wie unsere Veranstaltungsberichte auf unserem Blog zeigen (https://bit.ly/3rO30UT), waren viele Workshops durchaus interessant und gehaltvoll. Besonders stach das Jugendforum mit offenem Format, erinnerungspolitischer Stadtführung, Storytelling-Workshop und Pizza heraus (detaillierter Bericht vom Jugendforum: https://bit.ly/3ECzSn1).

Diverser als Deutschland

Ob Alter, Geschlecht oder Hautfarbe: Das Publikum des Kongresses war deutlich diverser, als wir das aus der Friedensbewegung in Deutschland gewohnt sind. Das spiegelte sich auch im Veranstaltungsprogramm. Feminismus und Antirassismus wurden in Workshops und auch auf dem Hauptpodium häufig und selbstverständlich thematisiert. Davon kann die DFG-VK noch was lernen. 

World oder Westen? 

Ob der Begriff „World Congress“ angemessen war, bezweifeln wir jedoch. Die meisten Menschen, die wir trafen, waren aus westlichen Ländern. Auch bei den Referent*innen hatten diese ein Übergewicht (wer es nicht glaubt, kann ja das schriftliche Programm auszählen). Und hauptamtliche Mitarbeitende des IPB haben wir vor allem aus Deutschland kennen gelernt (gibts welche in anderen Ländern?). 

Wo waren die Aktivistis? 

Ein deutliches Problem in unseren Augen war das Fehlen von Aktivist*innen. Jetzt werden viele sagen: Wieso? War doch alles voll mit Peace-Activists… Nein, war es nicht. Das Ganze war ein Treffen von NGO-Angestellt*innen und Akademiker*innen, die mit Friedensforschung betraut sind. Das zeigt sich im Workshop-Programm, wo Aktivisti-Wissen kaum vertreten ist. Und dort, wo es hätte stattfinden können, wurde lieber auf NGO-Angestellte zurückgegriffen. 

Fehlende Infrastruktur

Dies zeigt sich auch in der Infrastruktur. Denn die gab es nicht. Außer beim Jugendforum wurde wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass man es mit Leuten zu tun hat, für die die Verpflegung in der teuren Innenstadt kein Problem ist. Ähnliches bei der Unterkunft. Für ehrenamtliche Aktivistis, die ihr Klima-Mord-Flugticket für den Konferenz-Tourismus nicht von ihrer Arbeitgeber*in bezahlt bekommen, sind das sehr hohe Hürden. Erst recht, wenn es sich nicht um Mittelstands-Kidz wie uns, sondern um normale Leute aus dem Globalen Süden handelt.

Apropos Fliegen: Außer uns sind vermutlich echt fast alle zum Kongress geflogen. Was ja beachtlich ist, denn ständig quatschten da alle von Klimawandel, und dass der böse sei. Wenn man den Klimamord-Beitrag des Kongresses ansprach, entgegneten die in der Regel von NGOs oder Unis bezahlten Konferenz-Tourist*innen Sätze wie: „Oh, das ist ja schön, dass ihr die Zeit habt, mit dem Zug zu fahren. Wie wunderschön!“ Das ist ein Missverständnis: Wir haben die Zeit nicht, wir nehmen die Zeit von unseren sonstigen Zeitbudgets. Es ist schon ganz schön strange, dass ausgerechnet die Leute, die für Friedensarbeit bezahlt werden, keine Zeit haben, angemessen zu einem Weltfriedens-Kongress anzureisen. 

Expert*innen langweilen

Die Fokussierung auf angebliche Expert*innen spiegelte sich leider auch in vielen Veranstaltungen wider. Statt Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen, konnte man mittels Zoom Expert*innen dabei zuschauen, wie sie sich gegenseitig zuschwafeln. Besonders enttäuschend war das beim Workshop zu Online-Aktivismus in Corona-Times. Da dass ein neues Thema ist und die politische Arbeit aller betrifft, hätte es sich hier angeboten, die Erfahrungen der Anwesenden fruchtbar zu machen. Stattdessen gab es Zoom-Vorträge von NGO-Mitarbeitenden, deren NGOs es nicht mal hinkriegen, Server mit freier Software zu bezahlen (geschweige denn aufzubauen) und stattdessen trotz all ihrer Spendengelder auch im Jahr zwei der Pandemie ziemlich hilflos kommerzielle Datenkraken füttern.

Antisemitismus kein Thema? 

In unseren Augen besteht beim International Peace Bureau deutlicher Handlungsbedarf beim Thema Antisemitismus. Zwar haben wir nicht, wie von uns befürchtet, krasse Hassveranstaltungen erlebt. Neben der häufigen Thematisierung von Rassismus und Sexismus fällt aber auf, dass auf den ganzen Veranstaltungen des Kongress Antisemitismus einfach kein Thema war. 

Zudem erlebten wir regelmäßig eine fehlenden Sensibilisierung in Bezug auf Antisemitismus. In vielen Veranstaltungen trafen wir Klugscheißer*innen, die anmerken mussten, dass es bei all den Beispielen aus den USA, Deutschland, Frankreich usw. auch wichtig sei, noch mal zu erwähnen, dass ja auch Israel total böse ist. In der Regel widersprachen die Referent*innen den dabei auftretenden typischen Doppelstandards in Bezug auf Israel nicht. Im besten Fall moderierten die Verantwortlichen verlegen ab, meistens ließen sie in Bezug auf Antisemitismus problematische Statements einfach im Raum stehen.

Einen besonders krassen Fall mangelnder Sensibilität bezüglich Antisemitismus und Israelhass erlebte ein Amab-Mitglied im Workshop „Nonviolent Journalism“. Die referierende Person war sich nicht zu blöd, erst einfach so nebenbei völlig ohne Bezug zum Thema rauszuhauen, dass Jeremy Corbyn kein Antisemit sei, sondern dass es sich um eine Kampagne unbekannter mächtiger Kreise handle, was erstens Quatsch und zweitens klassisches Verschwörungsdenken ist. Nach einer Kritik gab die Person zu, sich überhaupt nicht mit den Vorfällen auseinandergesetzt zu haben und trotzdem große Sprüche zu kloppen. Auch bei den anschließenden Täter-Opfer-Umkehr-Sprüchen aus dem Publikum („Antisemitismuskritiker*innen sind die wahren Antisemit*innen“) widersprach die den Workshop leitende Person nicht (De-tailierter Bericht zum Workshop „Nonviolent Journalism“: https://bit.ly/3ECzc0Q). 

Unser neues „Reiner-Bild“

Vom Stopp-Ramstein-Papst und IBP-Geschäftsführer Reiner Braun konnten wir in Barcelona ein neues Bild gewinnen. Im Vorfeld der Reise hatten wir uns intensiv mit seinem Wirken bei „Stopp Ramstein“ auseinander gesetzt und eine lange Kritik daran entwickelt, warum seine rechtsoffenen Posersprüche und seine Einladungen zur solidarischen Debatte mit Holocaust-Relativierer*innen krass uncool sind. (https://bit.ly/3096uWp)

In Barcelona trafen wir einen völlig anderen Reiner. Statt sich Nazis, Faschisten und Coronaleugnern an die Brust zu werfen, redete Reiner ständig von Klima und wie wichtig das ist. Auch adressierte er ständig Antirassismus und Feminismus. Nicht nur das: In einem Workshop pöbelte ein alter weißer Mann rum, dass sich die jungen Leute nur noch für „race and gender“ interessieren würde, aber nicht mehr für „class“. Dabei vergriff er sich leider im Ton, und ausgerechnet Reiner sah sich genötigt, den Herrn zu ermahnen. Bei uns ging da die Frage an, was wohl seine rechtsoffenen Stopp-Ramstein-Kumpelz von so einer Performance halten würden. Wir sehen in Reiner seit Barcelona keinen rechten Populisten mehr, sondern eher einen Opportunisten, der sich einfach allen an den Hals schmeißt, die nicht schnell genug in Deckung gehen.

Black Lives Matters

Eine deutliche Portion Opportunismus steckt in unseren Augen auch in der Preisverleihung an Black Lives Matters. Bitte nicht missverstehen: Das Aufbegehren gegen rassistische Polizeigewalt ist definitiv preiswürdig. Wir vermissen jedoch beim IPB z.B. eine Positionierung zu Dessau oder den viele anderen vergleichbaren Fällen (wer jetzt nicht weiß, was gemeint ist, hat Nachholbedarf und sollte Dessau + Polizeigewalt googlen). Warum vergeben die Leute einen Preis für das Wirken gegen rassistische Polizeigewalt irgendwo weit weg, wenn sie sich noch nie mit rassistischer Polizeigewalt vor ihrer Haustür auseinander gesetzt haben? 

Beim Jugendforum war diese beim Thema Polizeigewalt zutage tretende kulturelle Kluft zwischen erfolgreichen Akademiker*innen und Aktivist*innen spürbar. Auf der in diesem Rahmen stattfindenen Stadtführung machten die jungen Leute aus Barcelona vor einem Polizeirevier halt und wollten über die dort stattgefundene Polizeigewalt und Folter berichten. Aufgrund der großen Gruppe wurden die Wachposten vor dem Gebäude recht schnell aufmerksam, was die Kidz aus Barcelona berechtigterweise verunsicherte. Die anwesenden Young Peace Leaders waren hingegen eher davon verunsichert, dass sie sich mit einer Weltsicht auseinandersetzen mussten, in der Cops keine Freunde und Helfer sind. 

Fazit

Hat sich der Kongress gelohnt? Für uns auf jeden Fall. Wir haben viel erlebt und viel gesehen und viele spannende Leute aus anderen Ländern getroffen, siehe die detaillierten Veranstaltungsberichte auf unserem Blog. Außerdem zeigt der Kongress, dass Bewegungen diverser werden, wenn man im Veranstaltungsprogramm ernsthaft versucht, Diversität abzubilden. 

Ob der Kongress reale Effekte auf den World Peace hat? Für unsere Arbeit leider eher weniger, da die Bewegungs-Straßenköter*innen aus anderen Ländern fehlten. Hoffentlich hat der Kongress wenigstens positive Auswirkungen auf die Karrierewege der anwesenden Hauptamtlichen aus NGOs und Wissenschaft. 

Autor*inneninformationen: Die Antimilitaristische Aktion Berlin (amab) wurde 2018 von jungen Antimilitarist*innen aus Berlin gegründet. Die Gruppe engagiert sich im U35-Netzwerk der DFG-VK und im Landesverband Berlin/Brandenburg. Wir veröffentlichen Texte als Kollektiv, weil wir eine ordentliche Portion Google-Phobie miteinander teilen. Wir haben außerdem keinen Bock, dass einzelne Mitglieder, wie schon geschehen, wegen ihrer Äußerungen im Visier von Polizei oder Geheimdiensten landen. Denn so besonders viel Solidarität bekommt man unserer Erfahrung nach in so einem Fall nicht aus der in weiten Teilen recht bürgerlichen Friedensbewegung. Deswegen gibt es von uns fast nur kollektive Publikationen unterschrieben mit „Einige Aktive aus der amab“. Bitte habt Verständnis dafür.

Kategorie: International Stichworte: 202104, Amab, Barcelona, IPB, Jugenddelegation

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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