Titel
Trotz des verbrecherischen Kriegs –
Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland
Von Andreas Zumach
Ein Angriffskrieg ist per se völkerrechtswidrig. Aber die russischen Invasionstruppen haben bereits in den ersten Tagen ihrer Operationen auf ukrainischen Boden auch gegen die Regeln des „humanitären Völkerrechts“ verstoßen, die einen größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg gewährleisten sollen. Die russischen Angriffe richteten sich zunehmend gegen Wohnviertel, zivile Infrastrukturen wie Strom-, Gas- und Wasserleitungen oder sogar Krankenhäuser. Wenn sich die Kampfhandlungen lange hinziehen, könnten ukrainische Städte dasselbe Schicksal erleiden wie Grosny, das 1995 im ersten Tschetschenien-Krieg von russischen Streitkräften weitgehend zerstört wurde.
Wann dieses Ende kommen wird – und mit welchem Ergebnis – ist derzeit nicht vorhersehbar, Fest steht dagegen, wer diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat. Präsident Wladimir Putin hat nicht nur den Angriffsbefehl gegen die Ukraine gegeben, er hat die Invasion auch von langer Hand vorbereitet, wozu auch Lügen und systematische Täuschungsmanöver gehörten.
Westliche Diplomaten und höchstrangige Gesprächspartner wie Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz, die sich in den Wochen vor dem 24. Februar in direkten Gesprächen mit Putin und seinem Außenminister Sergei Lawrow um eine Deeskalation bemühten, wurden „eiskalt belogen“ und „ausgetrickst“, wie es die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock audrückte. Vor allem Lawrow hatte seinen Gesprächspartnern mehrfach versichert, ein Angriff auf die Ukraine sei „nicht geplant“.
Putin hat aber nicht nur „den Westen“ vor den Kopf gestoßen. Auch in der Uno ist Russland heute so isoliert, wie es während der 77-jährigen Geschichte der Weltorganisation ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats noch nie gewesen ist.
Im 15-köpfigen Sicherheitsrat schaffte es Moskau zwar noch, bei einer Dringlichkeitssitzung in der Nacht zum 26. Februar die Verabschiedung einer Resolution durch sein Vetorecht, das es als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates hat, zu verhindern. Aber die russische blieb die einzige Gegenstimme, während sich Indien, China und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) enthielten.
Das Scheitern der Ukraine-Resolution im Sicherheitsrat führte allerdings zu einer Dringlichkeitssitzung der Uno-Generalversammlung, auf der am 2. März von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 141, also fast drei Viertel, für eine Resolution mit dem Titel „Aggression gegen die Ukraine“ stimmten. Auch die Emirate votierten jetzt mit „Ja“. In der Resolution forderte die Generalversammlung einen „sofortigen Waffenstillstand“ in der Ukraine, gefolgt von einem „sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Rückzug aller russischen Streitkräfte vom Territorium der Ukraine innerhalb seiner international anerkannten Grenzen“.
Gegen diese Resolution votierten in der außer Russland lediglich Belarus, Nordkorea, Syrien und Eritrea. Zu den 35 Staaten, die sich enthielten, gehörten neben China, Indien und Iran auch Staaten wie Kuba oder Nicaragua, die bei früheren Abstimmungen in der Generalversammlung oder anderen Uno-Gremien in der Regel die Position Russlands unterstützt hatten.
In der beschlossenen Resolution heißt es, „die militärischen Angriffe der russischen Streitkräfte“ hätten „ein Ausmaß erreicht, das die internationale Gemeinschaft seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr erlebt“ habe. Die Regierung Putin wurde aufgefordert, ihre am 21. Februar verkündete und vom russischen Parlament ratifizierte „Anerkennung“ der beiden ostukrainischen Teilrepubliken Donezk und Luhansk wieder rückgängig zu machen.
In der Generalversammlung fiel das Votum für diese Resolution und gegen die russische Invasion auch deshalb so deutlich aus, weil der Angriffsbefehl Putins noch während der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats erfolgt war, der am Abend des 23. Februar den Krieg noch im letzten Moment verhindern wollte.
Verurteilung Russlands durch die UN-Generalversammlung
Eine solche Provokation, wie sie in der Geschichte der Vereinten Nationen ohne Beispiel ist, haben sehr viele Mitgliedsstaaten als schweren Affront der Regierung Putin gegen die Weltorganisation wahrgenommen. Wie groß die Empörung über das Verhalten der Vetomacht Russland war, zeigt die Tatsache, dass sich bei der zweitägigen Debatte in der Generalversammlung nicht weniger als 120 BotschafterInnen zu Wort gemeldet hatten.
Ein derart eindeutiger „Schuldspruch“ der UN-Generalversammlung ist bei einem internationalen Konflikt äußert selten. Laut Uno-Charta liegt die „Hauptverantwortung“ bei einer „Bedrohung“ oder gar dem „Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit“ eigentlich beim UN-Sicherheitsrat. Der kann „Maßnahmen zur Friedensschlichtung“ nach Kapitel 6 der Charta beschließen, oder sogar nach Kapitel 7 politische, wirtschaftliche oder militärische Zwangsmaßnahmen gegen den jeweiligen Friedensbrecher anordnen.
Als der Sicherheitsrat diese Verantwortung 1950 während des Korea-Krieges nicht wahrnehmen konnte, weil er durch ein Veto der Sowjetunion blockiert und handlungsunfähig war, zog die Generalversammlung diese Zuständigkeit an sich. Am 3. November 1950 verabschiedete sie auf Antrag von USA und Großbritannien die Resolution 377 A („Uniting for Peace“). Darin wurde für den Fall einer blockierten Sicherheitsheitsrat-Resolution der Mechanismus einer „emergency special session“ geschaffen.
Eine solche „Notstandssondersitzung“ der Generalversammlung hat es seit 1950 nur elf Mal gegeben; die elfte war nun die vom 2. März. Mit der Resolution zu Putins Krieg in der Ukrai-
ne hat die Generalversammlung überhaupt erst zum dritten Mal in der 77-jährigen Geschichte der Uno eines der fünf ständigen und vetoberechtigten Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats verurteilt.
Dabei traf es in allen drei Fällen die Regierung in Moskau. Ende März 2014 verurteilte die Generalversammlung mit 100 gegen elf Stimmen bei 58 Enthaltungen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Bereits im Januar 1980 hatte sie ebenfalls mit großer Mehrheit die kurz zuvor erfolgte Invasion der damaligen Sowjetunion in Afghanistan verurteilt.
Im Gegensatz zu Russland bzw. der Vorgängerin Sowjetunion ist dies den drei westlichen Vetomächten im Sicherheitsrat – also den USA, Großbritannien und Frankreich – bislang noch nie passiert. Sie haben es dank ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht noch immer geschafft, eine Verurteilung ihrer völkerrechtswidrigen Kriege oder ihrer Kriegs- und Besatzungsverbrechen zu verhindern.
Das gilt zum Beispiel für den Vietnam-Krieg der USA (1964-1975), für Frankreichs Krieg in Algerien (1954-1962) oder für die britische Beteiligung am Irakkrieg von 2003. Als Südafrika den Versuch unternahm, diesen Krieg einer „Koalition der Willigen“ in einer Resolution der Generalversammlung als völkerrechtswidrig zu qualifizieren, konnte die damalige US-Regierung von George W. Bush diese Initiative mit massiven Drohungen gegen Pretoria im Keim ersticken.
Das Verhalten der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wurde bislang nach sehr unterschiedlichen Maßstäben bewertet. Das ist scharf zu kritisieren, aber auf keinen Fall ein Grund, den Krieg gegen die Ukraine zu verharmlosen, zu entschuldigen oder gar zu legitimieren. Für diesen völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriff gibt es nicht die geringste Rechtfertigung.
Putins Propagandalügen vom „Genozid“ im Donbas oder der „Nazi-Regierung“ in Kiew sind ohnehin zu absurd. Das gilt allerdings nicht für Putins Hinweise auf die Völkerrechtsverletzungen westlicher Staaten, zum Beispiel im Fall des Kosovo-Kriegs der Nato, der ohne UN-Mandat begonnen wurde.
Angesichts dessen, was 1999 im Kosovo geschah, sind mehrere der Behauptungen falsch, die derzeit im Westen von der politischen Klasse wie auch von vielen Medien über den militärischen Überfall auf die Ukraine verbreitet werden. Denn Putin hat keinesfalls „den ersten Krieg gegen die europäische Friedensordnung“ angefangen oder „zum ersten Mal in Europa gewaltsam Grenzen verletzt“ und damit als Erster gegen die Uno-Charta, gegen die KSZE-Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 und gegen die Pariser „Charta für ein neues Europa“ von 1990 verstoßen.
Mit dieser Argumentation wird verdrängt, dass die Nato bereits 1999 mit ihrem völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Serbien und Montenegro zum ersten Mal militärische Mittel zur Lösung politischer Konflikte eingesetzt hat. Und dass der Westen mit der Anerkennung der Sezession des Kosovo von Serbien das Prinzip aufgekündigt hat, wonach Grenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen.
Ernst zu nehmen ist auch die russische Kritik an Fehlentscheidungen der westlichen Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere an der Tatsache, dass diese ihre – wenn auch nicht schriftlichen – Zusagen an Moskau, die Nato nicht nach Osten zu erweitern, nicht eingehalten haben.
„Realpolitische Einsichten und Abwägungen“
Jenseits der moralischen und völkerrechtlichen Ebene gibt es allerdings auch die Ebene realpolitischer Einsichten und Abwägungen. Auf dieser Ebene muss man leider feststellen, dass Putin mit der Invasion in der Ukraine in überaus brutaler Weise das getan hat, was der US-amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan bereits wenige Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion prophezeit hat.
Die vorausschauende Analyse Kennans erschien in der New York Times vom 5. Februar 1997 unter dem Titel „A fateful error“ und lief auf eine dringende Warnung hinaus: „Eine Erweiterung der Nato wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg.“ Eine solche Erweiterung werde nicht nur „die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Meinung anheizen“ und damit „negative Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Demokratie haben“. Sie werde auch, so Kennan weiter, „die Atmosphäre des Kalten Krieges in die Ost-West-Beziehungen zurückbringen und die russische Außenpolitik in Richtungen treiben, die uns entschieden missfallen werden“.
Kennan bedauerte insbesondere, dass diese Expansionsstrategie gegenüber einem Russland betrieben wird, das sich – unter einem Präsidenten Boris Jelzin – „in einem Zustand hoher Unsicherheit oder gar Lähmung befindet“. Aber noch bedenklicher sei, „dass es für diesen Schritt überhaupt keine Notwendigkeit gibt“. Warum sollte es in den Ost-West-Beziehungen, gab Kennan zu bedenken, „angesichts all der hoffnungsvollen Möglichkeiten, die das Ende des Kalten Krieges hervorgebracht hat, vornehmlich um die Frage gehen, wer sich mit wem – und implizit gegen wen – verbündet“. Und das im Hinblick auf einen „herbeiphantasierten, völlig unvorhersehbaren und höchst unwahrscheinlichen künftigen Konflikt“.
Ein Vierteljahrhundert später bleibt die Frage aktuell, was der Westen dazu beigetragen hat, dass ein „höchst unwahrscheinlicher Konflikt“ kein Phantasterei, sondern Realität ist. Kennan war kein Pazifist, kein Linker und auch kein Freund der Sowjetunion. Er hatte nach dem Zweiten Weltkrieg das Konzept der „Eindämmung“ gegen den gegnerischen Ostblock konzipiert. Ein Plan, der auf militärischer Ebene damals die Doktrin der „massiven Vergeltung“ beinhaltete, die der 1949 gegründeten Nato von ihrer Führungsmacht vorgegeben wurde. Diese Vergeltungsdoktrin sah vor, dass die USA selbst bei einem lediglich konventionellen Angriff sowjetischer Truppen gegen die Bundesrepublik oder andere Nato-Staaten sofort ihre strategischen Atomwaffen gegen Ziele in der Sowjetunion einsetzen sollten.
Ende der 1960er Jahre wurde diese Doktrin durch die „flexible Antwort“ abgelöst, die bei einem Angriff sowjetischer Truppen zunächst „nur“ einen Gegenschlag mit in Westeuropa stationierten taktischen Atomwaffen vorsah.
Kennan wirkte von 1926 bis 1963 als Diplomat und zuletzt als außenpolitischer Chefberater der Regierung Kennedy. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er in Talin, Riga und Moskau stationiert gewesen, 1939 in Prag dann bis 1942 in Berlin und 1944/45 erneut in Moskau. Er sprach fließend Russisch und hatte – auch in Berlin – russische Geschichte studiert. Sein analytisches Verständnis für die russischen Sicherheitsbedürfnisse und -interessen beruhte auf seiner Kenntniss des Landes und speziell seiner historischen Traumata.
Das unterscheidet einen intelligenten Veteranen aus Zeiten des Kalten Krieges von vielen Kommentatoren, die in den aktuellen Debatten über Russland und seinen Präsidenten Putin ohne historische Kenntnisse daherreden. Und dabei die Erfahrungen und Lehren aus der Ost- und Entspannungspolitik der sechziger und siebziger Jahre nicht etwa relativieren oder überprüfen, sondern vollständig entsorgen wollen.
„Legitime russische Sicherheitsinteressen“
Aber nicht nur Kennan hatte in den 1990er Jahren vor einer Nato-Ost-erweiterung gewarnt. Auch andere Diplomaten und Politiker der USA mahnten damals an, die „legitimen Sicherheitsinteressen“ Moskaus zu berücksichtigen.
Was die deutsche Debatte betrifft, so kritisierte im September 1995 Peter Glotz, vormals SPD-Generalsekretär, in einem „Spiegel“-Essay mit dem Titel „Saftige Dummheit“ die Osterweiterungspläne mit Argumenten, die bereits die Warnungen Kennans vorwegnahmen: „Das zieht eine neue, willkürliche Grenze durch Osteuropa, stärkt die großrussischen Kräfte in Moskau, gefährdet die Abrüstungsvereinbarungen mit Russland und schwächt die Entscheidungsfähigkeit des Bündnisses.“
Mit der Invasion in der Ukraine demonstrieren „die großrussischen Kräfte in Moskau“ nicht nur, dass sie sich durchgesetzt haben. Sie zeigen auch, dass sie zu vormals unvorstellbaren Risiken bereit sind. Wie steht es angesichts dessen um die „Entscheidungsfähigkeit“ des westlichen Bündnisses?
Nach Artikel 51 der UNO-Charta hat die von Russland angegriffene Ukraine das Recht auf militärische Selbstverteidigung. Desgleichen erlaubt die Charta eine militärische Unterstützung durch Streitkräfte anderer Staaten, wenn diese von der Kiewer Regierung erbeten wird. Das wird allerdings nicht geschehen. Für die Nato-Staaten scheidet diese Option angesichts des Risikos einer nuklearen Eskalation aus. Deshalb wird auch die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine abgelehnt.
Jenseits der von der EU, den USA und anderen Staaten verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind daher Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräften das einzige Mittel, um der Ukraine militärisch beizustehen.
Die USA haben die ukrainischen Streitkräfte bereits seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 mit Waffen und militärische Ausrüstung beliefert. Seit Dezember 2021 haben auch andere Nato-Staaten, wie Großbritannien, Kanada und die Niederlande, mit Waffenlieferungen begonnen. Sie reagierten damit auf den bedrohlichen Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze.
Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine
Drei Tage nach Kriegsbeginn revidierte auch die deutsche Regierung ihre zuvor ablehnende Haltung und kündigte die sofortige Lieferung von Panzerfäusten und Luftabwehrraketen an die ukrainischen Streitkräfte an. Unter dem Druck der Ereignisse endete damit eine langjährige Debatte, in der das Pro und Contra immer stark von historischen Argumenten dominiert war. Bis zur Kehrtwende der Bundesregierung hatte insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock deutsche Waffenlieferungen mit Verweis auf eine „besondere historische Verantwortung“ abgelehnt.
Auch im Fall der Ukraine verwies Baerbock auf die über acht Millionen Menschen, die während des Vernichtungskriegs der Nazi-Wehrmacht gegen die Sowjetunion auf ukrainischem Boden getötet wurden. Dagegen argumentierte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrey Melnik, genau umgekehrt. Gerade wegen dieser historischen Schuld habe Deutschland nunmehr eine „besondere Verantwortung“, seinem Land bei der „Selbstverteidigung gegen die heutigen Agressoren“ mit Waffenlieferungen beizustehen.
Baerbock brachte allerdings ein zweites Argument vor, das weitaus problematischer ist: Deutschland verfolge „traditionell eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ und liefere „grundsätzlich keine Waffen in Spannung-und Krisengebiete“. Beide Behauptungen sind nachweislich falsch.
Zum einen ist Deutschland nach dem Sipri-Report vom März 2021 der weltweit viertgrößte Rüstungsexporteur (nach den USA, Russland und Frankreich und noch vor China). Zum zweiten gingen umfangreiche Waffenlieferungen – entgegen der geltenden Rechtslage – nicht nur in Spannungs- und Krisengebiete wie die Türkei, sondern sogar an kriegsführende Staaten wie Saudi-Arabien, das militärisch im Jemen engagiert ist.
Jenseits einer militärischen Unterstützung sind wirtschaftliche Sanktionen das einzige Mittel, um auf einen Angriffskrieg zu reagieren. Im aktuellen Fall bleibt allerdings abzuwarten, was die Maßnahmen, die seit Beginn des Ukraine-Kkrieges von den USA, der EU und anderen Staaten gegen Russland verhängt wurden, mittel- und langfristig bewirken können – und wie hoch die Kosten für die sanktionierenden Länder sind. Dabei ist die große Frage, ob die Sanktionen die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machteliten des Landes derart hart treffen, daß sie sich von Präsident Putin abwenden. Und womöglich sogar so weit gehen, ihn durch eine andere Figur zu ersetzen, die den Krieg beendet, aber weiterhin ihre Privilegien sichert.
„Regime Change“ in Russland?
Völkerrechtlich problematischer wäre die Kalkulation, dass die Sanktionsmaßnahmen die Bevölkerung schmerzen sollen, um sie gegen den heutigen Präsidenten aufzubringen. Was den berühmten „Regimewechsel“ bedeuten würde, den Putin dem Westen ohnehin als Ziel unterstellt.
Eine solche Strategie wäre aber ohnehin nur dann erfolgversprechend, wenn es in Russland eine gut organisierte und handlungsfähige demokratische Opposition gäbe, die nach einem Sturz Putins die Regierung in Moskau übernehmen könnte, um sich anschließend durch Wahlen eine demokratische Legitimität zu verschaffen.
Leider gibt es derartige Oppositionskräfte nicht. Was aber kein Wunder ist angesichts der systematischen Repression und Ausschaltung oppositioneller demokratischer Personen, Gruppen und Organisationen, die von der Regierung Putin seit Jahren als „ausländische Agenten“ denunziert werden.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist zwar immer wieder von einer „Europäischen Friedensordnung“ die Rede. Doch so etwas gibt es nicht. Es gab bislang lediglich eine teileuropäische Friedensordnung und dies in dauernder Spannung und in den letzten mindestens 15 Jahren in zunehmender Konfrontation mit Russland.
Doch eine nachhaltige , dauerhafte und möglichst spannungs-und störungsfreie Friedensordnung auf dem eurasischen Kontinent kann und wird es nicht geben ohne Russland und schon gar nicht gegen Russland. Dafür spricht alle historisch Erfahrung nicht nur aus den bald 33 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer, sondern mindestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Nur wenn der Westen diese historische Erfahrung endlich akzeptiert und seine seit dem „Sieg im Kalten Krieg“ anhaltende Hybris endlich überwindet, besteht eine Chance für eine derartige Friedensordnung.

Andreas Zumach ist Journalist und langjähriges DFG-VK-Mitglied.