![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
atomwaffenfrei
Strafverfahren gegen Atomwaffengegner eingestellt
Von Ariane Dettloff

Ein weiterer Einschüchterungsversuch der Bundeswehr gegen Anti-Atomwaffen-Aktivist*innen am Atomwaffen-Stationierungsort Büchel konnte am 8. September in Korbach (Hessen) abgewehrt werden. Dort wurde die Strafanzeige des Büchel-Kommandanten gegen Uwe Lutz-Scholten verhandelt. Das Verfahren wurde vom Amtsgericht wegen Geringfügigkeit eingestellt. Lutz-Scholten war seitens der Bundeswehr vorgeworfen worden, durch die Verwaltung eines Solidaritätskontos für Prozesskosten zivil Ungehorsamer am Fliegerhorst Büchel „Beihilfe zu einer öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat“ geleistet zu haben.
Der Hintergrund: Auf der Website der Aktion „Digging for Life“ war das Konto genannt worden. „Stoppt die nächste Katastrophe – Atomwaffen abschaffen!“ hieß es da neben einem Foto von rosa Schaufeln vor einer Rolle Nato-Stacheldraht, verbunden mit zwei Zielsetzungen: Die CO2-Emissionen des Militärs sollten bei der Berechnung der Klimaziele einbezogen und Widerstand gegen die Pläne, eine neue Atombomben-Generation – die US-amerikanischen B61-12 – in Europa zu stationieren, organisiert werden.
Bisher üben deutsche Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 in der Eifel täglich mit Attrappen den Abwurf dort lagernder frei fallender Wasserstoffbomben. In Zukunft sollen es Bomben mit Präzisionssteuerung und variabler Sprengkraft sein – ausdrücklich, um sie „besser einsetzbar“ zu machen.
In seiner Verteidigungsrede, mit der er die Zahlung eines Strafbefehls über 200 Euro ablehnte, erklärte Lutz-Scholten: „Die Anzeige des Kasernenkommandanten des Atomwaffenlagers Büchel (…) gegen mich (…) scheint mir auch nicht in einem rechten Verhältnis zu stehen zu dem, was er selbst und die dort eingesetzten Bundeswehrsoldaten mit ihrem Handeln zu verantworten haben. Denn in Büchel wird täglich der Einsatz von Atomwaffen durch die Bundeswehr geübt, damit diese im sogenannten Ernstfall, auch tatsächlich eingesetzt werden können. (…) Auf diesem Hintergrund haben sich einige engagierte Menschen entschlossen, durch Regelverstöße in Form des gewaltfreien zivilen Ungehorsams mehr öffentliches Interesse zu erregen und durch ihr Handeln die permanente atomare Bedrohung zumindest zeitweise zu stoppen. In den anschließenden Prozessen ist dann auch die Justiz aufgefordert, zwei Rechtsgüter miteinander abzuwägen: Das Recht auf das Nicht-Betreten einer militärischen Anlage mit dem Recht auf die Unversehrtheit des Lebens, das durch diese Anlage ständig bedroht wird.“
Diese Abwägung fand auch diesmal wie schon in 99 Prozessen um den gewaltfreien Widerstand in Büchel nicht statt. Die Richterin befand, ein Solidaritätskonto für Aktivist*innen könne „Straftaten begünstigen“. Anwalt Christoph Weltecke beantragte schließlich die Einstellung des Verfahrens nach Paragraph 153 Strafprozessordnung wegen Geringfügigkeit, und Richterin und Staatsanwältin stimmten zu. Somit können kriminalisierte Atomwaffengegner*innen weiterhin Prozesskostenhilfe erhalten. Die Waldeckische Landeszeitung berichtete ausführlich unter der Überschrift „Gerichtsverhandlung wird zur Friedensdemo“ (https://bit.ly/3TXuPFe).
Damit ist eine weitere Zielsetzung der gewaltfrei Aktiven in Büchel erreicht: den Skandal der völkerrechtswidrigen Stationierung von Atomwaffen und Drohung, sie einzusetzen, einer breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen. Im Gerichtssaal blieb die Öffentlichkeit auf die Präsenz von zehn Beobachtenden beschränkt. Weitere zehn Unterstützende mussten vor der Tür bleiben, was sie jedoch im Nachhinein positiv werteten, konnten sie doch die Zeit für Diskussionen mit dem als Zeugen geladenen Fliegerhorst-Kommandanten nutzen.
Auch die dem Prozess vorhergehende Mahnwache hatte Passanten und Straßencafé-Gäste der nordhessischen Kreisstadt erreicht, unter anderem mit einem Zitat des Arztes und Philosophen Albert Schweitzer. Er erklärte schon 1962: „Wir, die wir den Kampf gegen die Atomwaffen führen, treten nicht als Ankläger, sondern als Richter auf. Wir richten im Namen der Vernunft und der Menschlichkeit und wollen eine öffentliche Meinung schaffen, die richtet wie wir und zuletzt die Abschaffung der Atomwaffen erzwingen soll.“
Ariane Dettloff ist langjähriges DFG-VK-Mitglied und aktiv gegen Atomwaffen in Büchel.