Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
Pazifismus
Diskussion anlässlich des 100. Geburtstags
Am 9. Mai wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ hatte sie in München heimlich Flugblätter gegen das Nazi-Regime verteilt, wobei sie entdeckt und festgenommen wurde. Wegen „Wehrkraftzersetzung“, „Feindbegünstigung“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde sie am 22. Februar 1943 vom sog. Volksgerichtshof in einem Schauprozessunter dem Vorsitz seines Präsidenten Freisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag – gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst, ebenfalls Mitglieder der „Weißen Rose“ – ermordet.
In der Beilage „Christ und Welt“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschien am 6. Mai ein Gespräch von drei Menschen, die Biografien über Sophie Scholl geschrieben hatten. Dabei unterhielten sich Robert M. Zoske, Maren Gottschalk und Hermann Vinke auch darüber, ob Sophie Scholl Pazifistin war. Wir dokumentieren die entsprechende Passage (das ganze Gespräch ist nachzulesen unter https://bit.ly/3gfZ2xH).
Frage: Wie einig sind Sie sich eigentlich in der Frage, ob Sophie Scholl eine Pazifistin war?
Vinke: Ich halte Sophie Scholl für eine politische Pazifistin. Sie hat sehr politisch gedacht. Als politische Pazifistin kann man in konkreten Situationen differenzieren. Ich erinnere nur an den wichtigen Satz, den sie an Fritz Hartnagel schreibt, als dieser in den Krieg zieht: „Sag nicht, es ist fürs Vaterland.“ Das Gleiche gilt übrigens für die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek, die der Roten Kapelle in Berlin angehörte (…).
Gottschalk: Herr Zoske und ich sind da definitiv unterschiedlicher Meinung. Ich würde sie auf jeden Fall als Pazifistin bezeichnen. Es gibt so viele Zitate von ihr, in denen sie sich explizit gegen den Krieg stellt. Zwei Stellen in meiner Recherche haben mich dennoch irritiert. Einmal fragt Sophie Scholl, warum sich die Franzosen nicht gewehrt haben bei der Einnahme von Paris durch die Nazis. Es hätte ihr offenbar deutlich mehr imponiert, wenn sie bis zum letzten Schuss gekämpft hätten. Ich finde aber, man darf für pazifistische Werte eintreten und trotzdem Fragen wie diese stellen. Besonders als junger Mensch. (…)
Zoske: Ich verstehe unter Pazifismus die Ablehnung von Gewalt. Sophie Scholl war gegen den Krieg, aber sie war offenbar nicht gegen die Anwendung von Gewalt. Es gibt Berichte einer Freundin, aus denen hervorgeht, dass Sophie Scholl bereit gewesen wäre, zur Pistole zu greifen, hätte sie die Chance gehabt, Hitler zu erschießen. Ihr Bruder trug eine geladene Waffe bei den nächtlichen Graffiti-Aktionen. Auf den Flugblättern der Weißen Rose stand, dass man Hitler beseitigen müsse – nicht abwählen, tatsächlich beseitigen. Ich gehe davon aus, dass auch Sophie Scholl mit diesen Flugblättern übereinstimmt. Ich würde schon sagen, sie war gegen den Krieg, aber in Extremsituationen nicht gänzlich gegen Gewalt. Nazideutschland war eine solche Extremsituation, Gewalt schien für sie also legitim. Sie hat immer mit den Worten gekämpft. Aber sie wäre bereit gewesen, zur Waffe zu greifen.
Gottschalk: Sie hat nie versucht, an eine Waffe zu kommen, plante keine Attentate, soweit wir das wissen. Ich finde, dieses Gedankenspiel über das Schießen auf Hitler kann man deshalb nicht so hoch bewerten. Ein zentraler Satz für mich ist vielmehr, als sie sagt, Krieg bedeute, Menschen bringen andere Menschen in Gefahr. Sie unterscheidet dabei nicht zwischen Deutschen, Polen, Franzosen.
Zoske: Ich finde, man muss jeden einzelnen Satz von ihr ernst nehmen. Vinke: Ich halte das für dahingesagt. Sie hat ihren Freund davon überzeugt, dass dieser Krieg ein verbrecherischer ist. Das ist pazifistische Überzeugung pur.