Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Friedenskongress
Ergänzende Bemerkungen zu dem IPB-Kongress in Barcelona
Von Guido Grünewald
Vielen Dank an die Amab-Aktivst:innen für ihren Bericht vom Weltfriedenskongress des International Peace Bureau (IPB). Ich konnte diesmal nur digital teilnehmen und freue mich, dass eine Gruppe junger Menschen aus dem Kontext der DFG-VK vor Ort war. Zum ihrem Bericht möchte ich aus meiner Sicht als langjähriger Vertreter der DFG-VK beim IPB einige Anmerkungen machen.
Zu Recht monieren die Verfasser:innen die klimaschädliche Anreise der meisten Teilnehmer:innen vor allem aus Europa. Auch wenn für manche sicher eine Bahnreise aus diversen Gründen nicht möglich war und (längere) internationale Bahnreisen angesichts mangelhafter Zusammenarbeit der nationalen Bahngesellschaften oft schwierig und anstrengend sind (eigene Erfahrung), vor allem wenn keine Zwischenstation wie von der Gruppe in Paris eingeplant ist, die wiederum das Privileg von Zeitverfügbarkeit erfordert: International engagierte Aktive glauben offenbar häufig, ohne sie ginge es nicht und sie müssten bei möglichst vielen Treffen anwesend sein. Dass ihre Reisen Teil des Problems sein können, kommt (zu) vielen nicht in den Sinn.
Zum Begriff Weltkongress
Die Dominanz von Teilnehmer:innen aus westlichen Ländern ist unbestreitbar. Einerseits hatte das IPB sein Zentrum historisch und auch heute noch in Europa, andererseits gibt es nur in wenigen Ländern des globalen Südens Friedensorganisationen mit einem nennenswerten Budget. Für mehr Teilnehmer:innen aus diesen Staaten hätten die Finanzsponsoren des Kongresses deutlich höhere Reisekostenzuschüsse zur Verfügung stellen müssen. Das IPB selbst hat nur einen schmalen Etat und wenige bezahlte Mitarbeiter:innen: eine in Genf, in Barcelona und in Berlin (dort sind nicht nur Deutsche tätig). Vor allem Reiner Braun (6 Jahre Präsident in einer Doppelspitze, seitdem Generalsekretär) bemüht sich, regionale Netzwerke in Asien und Afrika zu initiieren, meiner Beobachtung nach durchaus mit Erfolg.
Dass in Barcelona kein Graswurzelkongress stattfinden würde, war auf Grundlage der Größe und des Programms vorhersehbar. Dafür stehen auch die Finanzsponsoren (Katalonische Behörden, Transform Europe, Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie die beiden internationalen Gewerkschaften ITUC und UNI Global Union), die vorrangig auf Gremienarbeit orientieren. Im IPB ist (auch historisch) jener Flügel der Friedensbewegung stark repräsentiert, der eine Welt ohne Krieg durch Abrüstungsvereinbarungen und den Ausbau des Völkerrechts erreichen will. Dazu zählen u.a. seit Langem der Einsatz für die vollständige Vernichtung der Atomwaffen wie auch Lobbyarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen oder Mitarbeit an alternativen Konzepten von Sicherheitspolitik wie aktuell einer Wiederbelebung des im Palme-Report von 1982 propagierten Konzepts gemeinsamer Sicherheit (Details siehe https://commonsecurity.org). In Barcelona waren im Übrigen auch Basisaktivist:innen anwesend, u.a. zwei Aktivistinnen des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung (Ebco).
Welche Impulse von einem solchen Kongress ausgehen und ob es zu fruchtbaren Vernetzungen kommt, hängt letztlich von den Teilnehmer:innen ab. Im aktuellen „FriedensForum“ (06/2021, S. 43) hat Reiner Braun in einer Vorstellung des Friedensbüros zutreffend geschrieben: „IPB lebt von der Selbstorganisation seiner Mitglieder, sich eigenständig einzubringen.“ Das IPB verfügt nicht über die Ressourcen, um zu Dessau und vergleichbaren Fällen Stellung zu beziehen. Das ist Aufgabe der nationalen (in diesem Fall der deutschen) Mitgliedsorganisationen; das Büro mit seinen wenigen Mitarbeiter:innen ist mit der internationalen Koordinierungsarbeit voll ausgelastet. Der in Barcelona verabschiedete Aktionsplan (https://trello.com/c/YN4gufhy/165-action-plan-ipb-brochurepdf) ist sehr ambitioniert; das IPB muss meiner Ansicht nach achtgeben, sich nicht zu übernehmen.
Gut finde ich, dass die Amab-Aktiven in Barcelona sensibel mit dem Thema Antisemitismus umgegangen sind. Eine direkte Intervention wie am Beispiel des Workshops beschrieben ist bisweilen notwendig. Friedensbewegte sind keine besseren Menschen und tragen wie andere Menschen (oft unbewusst) Feindbilder und Vorurteile mit sich herum. Die Situation auf dem Kongress kann ich mangels persönlicher Anwesenheit nicht beurteilen; in den Gremien des IPB habe ich in den langen Jahren meiner Mitarbeit keinen Israelhass und keinen Antisemitismus angetroffen.
Schade finde ich, dass die Verfasser:innen bei ihrem neuen Bild von Reiner Braun nur von einem Vorurteil zum nächsten gewechselt sind. Können sie sich tatsächlich nicht vorstellen, dass Menschen komplex und widersprüchlich sein können? Ich stimme mit Reiner Braun keineswegs immer überein und habe bei Ratstreffen auch Kontroversen mit ihm ausgetragen, aber er hat nicht nur in Barcelona von Antirassismus und Feminismus geredet, sondern ist seit Jahren dabei, das IPB für diese Aspekte zu sensibilisieren und zu öffnen. Meiner Kenntnis nach leben sowohl die Autor:innen wie auch Reiner Braun in Berlin: Wäre da nicht ein offenes, auch kontrovers geführtes persönliches Gespräch sinnvoll?
Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK.