![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Friedenskongress
Fazit des Kongresses in Barcelona aus Sicht einer DFG-VK-Jugenddelegation
Von einigen Aktiven aus der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab)
Der World Peace Congress, den wir im Rahmen einer Jugenddelegation der DFG-VK und dank der Unterstützung des Alois-Stoff-Bildungswerks des DFG-VK-Landesverbands Nordrhein-Westfalen und vielen Spender*innen besuchen durften, ist vorbei. Und wir sind zurück aus Barcelona. Zeit, zu versuchen, ein Fazit zu ziehen. Oder mehrere.
Besser als befürchtet
Zuallererst: Der Kongress war nicht annähernd so schlimm wie befürchtet. Die von uns im Vorfeld beargwöhnte Veranstaltung mit russischen Putin-Lobbyist*innen hat nicht stattgefunden. (https://bit.ly/3DwvBA8) Auch Oligarchen-Kidz, die ihren Präsidenten für den zweitgrößten Friedensstifter aller Zeiten halten, sind uns nicht häufiger begegnet als daheim an der Uni. Wie unsere Veranstaltungsberichte auf unserem Blog zeigen (https://bit.ly/3rO30UT), waren viele Workshops durchaus interessant und gehaltvoll. Besonders stach das Jugendforum mit offenem Format, erinnerungspolitischer Stadtführung, Storytelling-Workshop und Pizza heraus (detaillierter Bericht vom Jugendforum: https://bit.ly/3ECzSn1).
Diverser als Deutschland
Ob Alter, Geschlecht oder Hautfarbe: Das Publikum des Kongresses war deutlich diverser, als wir das aus der Friedensbewegung in Deutschland gewohnt sind. Das spiegelte sich auch im Veranstaltungsprogramm. Feminismus und Antirassismus wurden in Workshops und auch auf dem Hauptpodium häufig und selbstverständlich thematisiert. Davon kann die DFG-VK noch was lernen.
World oder Westen?
Ob der Begriff „World Congress“ angemessen war, bezweifeln wir jedoch. Die meisten Menschen, die wir trafen, waren aus westlichen Ländern. Auch bei den Referent*innen hatten diese ein Übergewicht (wer es nicht glaubt, kann ja das schriftliche Programm auszählen). Und hauptamtliche Mitarbeitende des IPB haben wir vor allem aus Deutschland kennen gelernt (gibts welche in anderen Ländern?).
Wo waren die Aktivistis?
Ein deutliches Problem in unseren Augen war das Fehlen von Aktivist*innen. Jetzt werden viele sagen: Wieso? War doch alles voll mit Peace-Activists… Nein, war es nicht. Das Ganze war ein Treffen von NGO-Angestellt*innen und Akademiker*innen, die mit Friedensforschung betraut sind. Das zeigt sich im Workshop-Programm, wo Aktivisti-Wissen kaum vertreten ist. Und dort, wo es hätte stattfinden können, wurde lieber auf NGO-Angestellte zurückgegriffen.
Fehlende Infrastruktur
Dies zeigt sich auch in der Infrastruktur. Denn die gab es nicht. Außer beim Jugendforum wurde wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass man es mit Leuten zu tun hat, für die die Verpflegung in der teuren Innenstadt kein Problem ist. Ähnliches bei der Unterkunft. Für ehrenamtliche Aktivistis, die ihr Klima-Mord-Flugticket für den Konferenz-Tourismus nicht von ihrer Arbeitgeber*in bezahlt bekommen, sind das sehr hohe Hürden. Erst recht, wenn es sich nicht um Mittelstands-Kidz wie uns, sondern um normale Leute aus dem Globalen Süden handelt.
Apropos Fliegen: Außer uns sind vermutlich echt fast alle zum Kongress geflogen. Was ja beachtlich ist, denn ständig quatschten da alle von Klimawandel, und dass der böse sei. Wenn man den Klimamord-Beitrag des Kongresses ansprach, entgegneten die in der Regel von NGOs oder Unis bezahlten Konferenz-Tourist*innen Sätze wie: „Oh, das ist ja schön, dass ihr die Zeit habt, mit dem Zug zu fahren. Wie wunderschön!“ Das ist ein Missverständnis: Wir haben die Zeit nicht, wir nehmen die Zeit von unseren sonstigen Zeitbudgets. Es ist schon ganz schön strange, dass ausgerechnet die Leute, die für Friedensarbeit bezahlt werden, keine Zeit haben, angemessen zu einem Weltfriedens-Kongress anzureisen.
Expert*innen langweilen
Die Fokussierung auf angebliche Expert*innen spiegelte sich leider auch in vielen Veranstaltungen wider. Statt Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen, konnte man mittels Zoom Expert*innen dabei zuschauen, wie sie sich gegenseitig zuschwafeln. Besonders enttäuschend war das beim Workshop zu Online-Aktivismus in Corona-Times. Da dass ein neues Thema ist und die politische Arbeit aller betrifft, hätte es sich hier angeboten, die Erfahrungen der Anwesenden fruchtbar zu machen. Stattdessen gab es Zoom-Vorträge von NGO-Mitarbeitenden, deren NGOs es nicht mal hinkriegen, Server mit freier Software zu bezahlen (geschweige denn aufzubauen) und stattdessen trotz all ihrer Spendengelder auch im Jahr zwei der Pandemie ziemlich hilflos kommerzielle Datenkraken füttern.
Antisemitismus kein Thema?
In unseren Augen besteht beim International Peace Bureau deutlicher Handlungsbedarf beim Thema Antisemitismus. Zwar haben wir nicht, wie von uns befürchtet, krasse Hassveranstaltungen erlebt. Neben der häufigen Thematisierung von Rassismus und Sexismus fällt aber auf, dass auf den ganzen Veranstaltungen des Kongress Antisemitismus einfach kein Thema war.
Zudem erlebten wir regelmäßig eine fehlenden Sensibilisierung in Bezug auf Antisemitismus. In vielen Veranstaltungen trafen wir Klugscheißer*innen, die anmerken mussten, dass es bei all den Beispielen aus den USA, Deutschland, Frankreich usw. auch wichtig sei, noch mal zu erwähnen, dass ja auch Israel total böse ist. In der Regel widersprachen die Referent*innen den dabei auftretenden typischen Doppelstandards in Bezug auf Israel nicht. Im besten Fall moderierten die Verantwortlichen verlegen ab, meistens ließen sie in Bezug auf Antisemitismus problematische Statements einfach im Raum stehen.
Einen besonders krassen Fall mangelnder Sensibilität bezüglich Antisemitismus und Israelhass erlebte ein Amab-Mitglied im Workshop „Nonviolent Journalism“. Die referierende Person war sich nicht zu blöd, erst einfach so nebenbei völlig ohne Bezug zum Thema rauszuhauen, dass Jeremy Corbyn kein Antisemit sei, sondern dass es sich um eine Kampagne unbekannter mächtiger Kreise handle, was erstens Quatsch und zweitens klassisches Verschwörungsdenken ist. Nach einer Kritik gab die Person zu, sich überhaupt nicht mit den Vorfällen auseinandergesetzt zu haben und trotzdem große Sprüche zu kloppen. Auch bei den anschließenden Täter-Opfer-Umkehr-Sprüchen aus dem Publikum („Antisemitismuskritiker*innen sind die wahren Antisemit*innen“) widersprach die den Workshop leitende Person nicht (De-tailierter Bericht zum Workshop „Nonviolent Journalism“: https://bit.ly/3ECzc0Q).
Unser neues „Reiner-Bild“
Vom Stopp-Ramstein-Papst und IBP-Geschäftsführer Reiner Braun konnten wir in Barcelona ein neues Bild gewinnen. Im Vorfeld der Reise hatten wir uns intensiv mit seinem Wirken bei „Stopp Ramstein“ auseinander gesetzt und eine lange Kritik daran entwickelt, warum seine rechtsoffenen Posersprüche und seine Einladungen zur solidarischen Debatte mit Holocaust-Relativierer*innen krass uncool sind. (https://bit.ly/3096uWp)
In Barcelona trafen wir einen völlig anderen Reiner. Statt sich Nazis, Faschisten und Coronaleugnern an die Brust zu werfen, redete Reiner ständig von Klima und wie wichtig das ist. Auch adressierte er ständig Antirassismus und Feminismus. Nicht nur das: In einem Workshop pöbelte ein alter weißer Mann rum, dass sich die jungen Leute nur noch für „race and gender“ interessieren würde, aber nicht mehr für „class“. Dabei vergriff er sich leider im Ton, und ausgerechnet Reiner sah sich genötigt, den Herrn zu ermahnen. Bei uns ging da die Frage an, was wohl seine rechtsoffenen Stopp-Ramstein-Kumpelz von so einer Performance halten würden. Wir sehen in Reiner seit Barcelona keinen rechten Populisten mehr, sondern eher einen Opportunisten, der sich einfach allen an den Hals schmeißt, die nicht schnell genug in Deckung gehen.
Black Lives Matters
Eine deutliche Portion Opportunismus steckt in unseren Augen auch in der Preisverleihung an Black Lives Matters. Bitte nicht missverstehen: Das Aufbegehren gegen rassistische Polizeigewalt ist definitiv preiswürdig. Wir vermissen jedoch beim IPB z.B. eine Positionierung zu Dessau oder den viele anderen vergleichbaren Fällen (wer jetzt nicht weiß, was gemeint ist, hat Nachholbedarf und sollte Dessau + Polizeigewalt googlen). Warum vergeben die Leute einen Preis für das Wirken gegen rassistische Polizeigewalt irgendwo weit weg, wenn sie sich noch nie mit rassistischer Polizeigewalt vor ihrer Haustür auseinander gesetzt haben?
Beim Jugendforum war diese beim Thema Polizeigewalt zutage tretende kulturelle Kluft zwischen erfolgreichen Akademiker*innen und Aktivist*innen spürbar. Auf der in diesem Rahmen stattfindenen Stadtführung machten die jungen Leute aus Barcelona vor einem Polizeirevier halt und wollten über die dort stattgefundene Polizeigewalt und Folter berichten. Aufgrund der großen Gruppe wurden die Wachposten vor dem Gebäude recht schnell aufmerksam, was die Kidz aus Barcelona berechtigterweise verunsicherte. Die anwesenden Young Peace Leaders waren hingegen eher davon verunsichert, dass sie sich mit einer Weltsicht auseinandersetzen mussten, in der Cops keine Freunde und Helfer sind.
Fazit
Hat sich der Kongress gelohnt? Für uns auf jeden Fall. Wir haben viel erlebt und viel gesehen und viele spannende Leute aus anderen Ländern getroffen, siehe die detaillierten Veranstaltungsberichte auf unserem Blog. Außerdem zeigt der Kongress, dass Bewegungen diverser werden, wenn man im Veranstaltungsprogramm ernsthaft versucht, Diversität abzubilden.
Ob der Kongress reale Effekte auf den World Peace hat? Für unsere Arbeit leider eher weniger, da die Bewegungs-Straßenköter*innen aus anderen Ländern fehlten. Hoffentlich hat der Kongress wenigstens positive Auswirkungen auf die Karrierewege der anwesenden Hauptamtlichen aus NGOs und Wissenschaft.
Autor*inneninformationen: Die Antimilitaristische Aktion Berlin (amab) wurde 2018 von jungen Antimilitarist*innen aus Berlin gegründet. Die Gruppe engagiert sich im U35-Netzwerk der DFG-VK und im Landesverband Berlin/Brandenburg. Wir veröffentlichen Texte als Kollektiv, weil wir eine ordentliche Portion Google-Phobie miteinander teilen. Wir haben außerdem keinen Bock, dass einzelne Mitglieder, wie schon geschehen, wegen ihrer Äußerungen im Visier von Polizei oder Geheimdiensten landen. Denn so besonders viel Solidarität bekommt man unserer Erfahrung nach in so einem Fall nicht aus der in weiten Teilen recht bürgerlichen Friedensbewegung. Deswegen gibt es von uns fast nur kollektive Publikationen unterschrieben mit „Einige Aktive aus der amab“. Bitte habt Verständnis dafür.