Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
Ukraine-Krieg
Rückblick auf den Aktionstag „Verhandeln statt schießen“ Anfang Oktober in Berlin
Von Aktiven der Antimilitaristischen Aktion Berlin in der DFG-VK (Amab)
Sind das etwa Leichensäcke? Eine Protestaktion anlässlich des Aktionstages „Verhandeln statt Schießen“ am 1. Oktober dürfte in der russischen Botschaft in Berlin für Grusel gesorgt haben. Denn die Antimilitaristische Aktion Berlin (Amab) verteilte auf den Gehwegen vor der Botschaft schwarze Plastiktüten mit der Aufschrift „Z-200“, die an Leichensäcke erinnern. Jan Hansen, Sprecher der Amab, zur Aktion: „Die russische Regierung führt in der Ukraine einen mörderischen und verbrecherischen Angriffskrieg. Wir rufen die Angestellten der russischen Botschaft dazu auf, alles zu tun, damit ihre Regierung den Krieg beendet und ihre Armee aus der Ukraine abzieht.“
Aktionstag
Für den 1. Oktober mobilisierten der „Bundesausschuss Friedensrat“ und die „Kooperation für den Frieden“ zu einem Aktionstag namens „Verhandeln statt Schießen“. Der Aufruf vermied es explizit, Russland als Aggressor zu kritisieren und sich von rechtsoffenen verschwörungsgläubigen Protestakteuren zu distanzieren. Deshalb hatte die Bundesebene der DFG-VK nicht zum Aktionstag aufgerufen und fast alle Gliederungen folgten dem.
Stattdessen veröffentlichte die DFG-VK am Aktionstag ein Statement, warum es notwendig ist, Russland als für den Krieg verantwortlich zu benennen und sich von rechts abzugrenzen. Diese Erklärung wurde in den sozialen Medien intensiv diskutiert.
Die Amab setzte jedoch noch einen drauf und beteiligte sich in Berlin mit einer Aktion, die Russland explizit kritisierte. Die „Leichensäcke-Aktion“ schaffte es in die Meldung der Deutschen Presse-Agentur zur wenige Stunden später stattfindenden „Verhandeln statt Schießen“-Demo und von dort in viele Medien. „Es hat uns sehr gefreut, dass die Putin-freundlichen Positionen dank unser Aktion in der medialen Darstellung nicht unwidersprochen blieben“.
Daran erinnern, dass Menschen sterben. Bei ihrer Aktion vor der russischen Botschaft platzierten die Aktiven der Amab neben den angeblichen Leichensäcken Schilder mit der russischen Aufschrift „Нет войне!“ („Kein Krieg!“) und ein Meme aus dem Film Shrek. Das Meme zeigt den König aus Shrek mit Putins Gesicht. Der König/Putin sagt zu seinen Rittern: „Many of you will die. But that‘s a sacrifice I‘m willing to make.“ Das Z-200 steht einerseits für den verbrecherischen Angriff der russischen Regierung, aber auch für den Frachtcode des sowjetischen Militärs für Leichensäcke: „Cargo 200“, erklärt Jan Hansen.
Mit der Aktion möchte die Gruppe das Personal der russischen Botschaft daran erinnern, dass mit jedem Tag, den ihre Regierung den Krieg fortsetzt, Menschen sterben. „Feiert krank, desertiert, macht Dienst nach Vorschrift, sabotiert, spioniert, unterstützt die Opposition: Hört auf, das Morden in der Ukraine zu unterstützen“, schlägt Jan Hansen den Botschaftsangehörigen vor.
Reaktionen
Bereits beim Aufbauen der Kunstwerke fotografierten viele Passant*innen die Installationen. „Beim Aufbau der ersten Leiche gegenüber der russischen Botschaft sprach uns eine Frau aus der Ukraine an“, berichtet Jan Hansen. „Die Frau kam auf uns zu und sagte jedem von uns in gebrochenen Deutsch Danke.“
An der nächsten Station auf dem Mittelstreifen der Berliner Prachtstraße Unter den Linden, an der auch die russische Botschaft liegt, fragte ein etwa siebenjähriges Kind: „Was machst du da?“ „Protestschilder ankleben.“ „Wofür?“ „Dafür, dass die russische Regierung mit dem Krieg in der Ukraine aufhört.“ Das Kind überlegt kurz und sagt: „Ich mag den Putin auch nicht…“
Vor dem russischen Kulturinstitut gab es hingegen Stress. Eine Mitarbeiter*in störte sich an der Kunstin-
stallation und drohte damit, die Polizei zu rufen. „Machen Sie doch! Die kommt dann, guckt, und fährt wieder weg…“ „Aber das ist hoch symbolisch!“ „Genau…“ „Die Cops hat sie dann doch nicht gerufen“, grinst Jan Hansen.
Solidarität mit russischen Kriegsgegner*innen
Ihre Aktionsidee hat die Amab zum Teil aus Russland geklaut. Dort verteilte der Aktivist Leonid Chyorny Sticker mit der Aufschrift „ГруZ-200“ („GruZ-200“). Beim russischen Wort für „Ladung“ tauschte er dabei den letzten Buchstaben mit einem „Z“ aus. So verband er das russische Militärpropaganda-Z in makaberer Ironie mit dem Frachtcode für Leichensäcke.
Auf einem anderen Sticker fügte er das Z in das russische Wort für „beschissen“ ein. „Leider wurde Leo-
nid dabei erwischt und steht für seine Aktion vor Gericht“, sagt Jan Hansen: „Damit ist er bei weitem nicht die einzige russische Kriegsgegner*in, die für Meinungsäußerungen politisch verfolgt wird. Mit dem Aufgreifen der Aktion aus Russland hoffen wir auch, ein Zeichen der Solidarität an russische Kriegsgegner*innen zu senden.“
Kritik an der Friedensbewegung. „Leider sitzen bei vielen Organisationen der Friedensbewegung bis hoch in die Führungsebenen unbeirrbare Russland-Fans, die sich nicht von Verschwörungswahn, Pressehass, Antisemitismus und anderen Hässlichkeiten abgrenzen wollen und sogar die Corona-Spinner*innen als Verbündete suchen“, kritisiert Jan Hansen. Das sähe man auch am Aufruf zum Aktionstag. Dort findet sich kein Wort der Kritik an Russland oder Empathie mit den Menschen in der Ukraine. Auch fehle jede ernsthafte Abgrenzung gegen rechts. „Eine Friedensbewegung, die den russischen Krieg nicht kritisiert, hat ihren Namen nicht verdient und sollte einfach die Klappe halten“, sagt Amab-Sprecher*in Jan Hansen. „Deshalb war für uns klar: Wir machen eine Aktion, die die russische Regierung in die Verantwortung nimmt.“
Etwas Sinnvolles tun?
Doch die Amab kritisiert nicht nur: „Wer stattdessen etwas Sinnvolles tun möchte, kann z. B. die aktuell laufende Petition von Connection e. V. unterschreiben“, sagt Jan Hansen. Connection e.V. habe über 40 Organisationen aus ganz Europa zusammengebracht. Gemeinsam fordern sie, dass die EU-Kommission das Recht auf Asyl für Kriegsverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und Ukraine vereinfachen möge. „Unterschreibe auch Du!“: https://bit.ly/3N2Mp8g
Die Antimilitaristische Aktion Berlin (Amab) ist Teil des DFG-VK-Landesverbandes Berlin-Brandenburg und des U35-Netzwerkes. Sie stellt zwei Landesvorstandsmitglieder, eine Landeskassenprüfer*in, ein Mitglied im Bundessprecher*innenkreis, die Delegiert*e der DFG-VK zur War Resisters´ International und ein Mitglied im Stiftungsrat der Bertha-von-Suttner-Stiftung. Mitglieder der Amab arbeiten mit im DFG-VK-Bundesausschuss, der AG Medien und dem Carl-von-Ossietzky-Fonds.
Infos und Kontakt: amab.blackblogs.org, amab@riseup.net, @amab04499287 (auf Twitter)