Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 1/2021 |
DFG-VK-Info
Die Kolumne von Michael Schulze von Glaßer
Auf der Demonstration gegen die Münchner „Sicherheitskonferenz“ am 15. Februar 2020 sprach mich ein Mitglied der DFG-VK-Gruppe Nürnberg an und äußerte seine Skepsis, ob die im März geplanten Proteste gegen eine Waffenmesse in seiner Stadt denn stattfinden könnten – im fernen China grassiere ja ein Virus, der drohe auch Europa zu erreichen. Seine Sorgen waren berechtigt – seit einem Jahr ist nichts mehr „normal“. Auch die Waffenmesse in Nürnberg samt der geplanten Proteste fand – wie so viele Aktionen – nicht mehr statt. Die Pause vom sonstigen Aktionsmarathon – die einfach geringere Zahl von Aktionen seit Ausbruch der Pandemie – bietet aber auch die Möglichkeit, sich einfach Gedanken über die politische Strategie und um Wirksamkeit unseres Verbands zu machen.
Die DFG-VK ist eine politisch wirkende Organisation. Mit viel Engagement versuchen wir, friedenspolitische Probleme in unserer Reichweite an der Wurzel zu verändern: Wir protestieren etwa in Büchel gegen Atomwaffen und versuchen, die Regierung in Berlin zum Beitritt zum Verbot der Waffen zu drängen. Wir „bearbeiten“ Bundestagsabgeordnete, damit sie sich gegen die Bewaffnung von Drohnen aussprechen. Und auch zu Killerrobotern, zu Bundeswehr-Werbung und vielen anderen Themen sind wir auf politischer Ebene und auf den Straßen aktiv. Dabei führen wir auch mal direkte Aktionen aus – blockieren etwa die Eingänge von Rüstungsfirmen oder die Tore von Kasernen. Was wir aktuell machen – und wie wir es machen – ist sehr gut. Das zeigen nicht zuletzt unsere vielen Erfolge im vergangenen Jahr (Stichwörter: UN-Atomwaffenverbot, Drohnen-Bewaffnung, Lego-Kriegsspielzeug…).
Doch sollten wir nicht vielleicht noch direkter für Frieden aktiv werden?
Sollten wir nicht Minen entschärfen in Kambodscha oder anderen Regionen der Welt? Sollten wir nicht Kontrolleur*innen für die Einhaltung internationaler Abrüstungsverträge stellen? Sollten wir nicht für das Einsammeln und Vernichten von Schusswaffen sorgen? Sollten wir nicht vor Ort auf die Einhaltung von Waffenstillständen in Konfliktregionen achten? Sollten wir nicht Menschen helfen, die vor Krieg und Waffen „Made in Germany“ fliehen müssen? Und ganz groß gedacht: Sollte die DFG-VK nicht die Organisation sein, die verfeindete Kriegsparteien an einen Tisch bringt?
Auch wenn vieles davon nicht umzusetzen ist: Wenn ihr die Fragen auch nur mit einem „eigentlich schon“ beantwortet, sollten wir darüber debattieren, wie wir zusätzlich (!) zu unserem aktuellen Engagement auch direkter für unsere Ziele tätig werden können. Unsere Satzung steht dem nicht entgegen – viel mehr fordert sie eben dieses direkte Engagement (das es beispielsweise für Kriegsdienstverweigerer*innen gab und gibt) auch. Teilweise machen es Partner*innenorganisationen von uns – wie etwa das Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) – schon. Doch gibt es noch viele unbearbeitete Felder.
Eines dieser Felder brachte mich auch überhaupt erst auf den Gedanken dieser direkteren Friedensarbeit: In Nord- und Ostsee liegen noch immer 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition – darunter 5090 Tonnen chemische Waffen. Korrosion und der Einfluss der Gezeiten verschlechtern den Zustand der Munition – die Altlasten des Krieges drohen ganz aktuell, zu einer Umweltkatastrophe zu führen. Die Bundesregierung ignoriert das Thema bislang, die Bundesländer der Nord- und Ostsee nehmen sich des Themas hingegen langsam an. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist zu „Munition im Meer“ bereits sehr aktiv. Es gibt bereits Treffen von Expert*innen, die über die Räumung von Munition beraten und Techniken entwickeln und vorstellen. Am 21. Januar berichtete das ARD-Europamagazin und später auch „taggesschau.de“ über die „Zeitbomben am Meeresgrund“, am 25. Januar waren die „Rostenden Zeitbomben“ Titelthema in der Süddeutschen Zeitung. Sollte sich nicht auch eine Friedensorganisationen wie die unsere einmischen?
Äußern und Forderungen stellen können wir natürlich immer. Doch sollten wir nicht auch direkt öffentlichkeitswirksam bei der Räumung der Munition mitwirken? Sollten wir nicht in die Öffentlichkeit rufen „Seht, welchen Schaden selbst ein schon vor 75 Jahren zu Ende gegangener Krieg noch heute verursacht – wir helfen bei der Beseitigung der Altlasten, aber sagen euch: Nie wieder! Nie wieder Krieg! Nie wieder Munitions- und Waffenproduktion!“ und dies auch mit Bildern der Munitionsräumung untermalen?
Es nicht nur bei Appellen an die jeweiligen Regierenden zu belassen, sondern selbst zu handeln, ist auch eine Lehre aus der Klimabewegung, die uns durchaus in vielen Punkten Vorbild sein kann: Aktivist*innen wie Greta Thunberg betonen immer wieder, man solle nicht darauf warten bis sich Regierungen bewegen, sondern man soll dem Klimawandel durch eigenes Handeln Einhalt gebieten –etwa durch den Verzicht auf Flüge und die Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Energien. Zudem gilt es, die Bundeswehr aus der Räumung, bei der sie sicher versuchen wird, sich – mal wieder – als Umweltschützerin zu präsentieren, herauszuhalten: 2019 wollte sie das bereits, hat bei der brachialen Räumung alter Seekriegsminen mittels Sprengung im Ostseenaturschutzgebiet Fehmarnbelt aber mehr als 15 Schweinswale getötet. Mittlerweile ist klar, dass die Bundeswehr bei ihrer Sprengaktion das Bundesnaturschutzgesetz missachtet hat. Es braucht eine in mehrfacher Hinsicht zivile Räumung der Munitionsreste in Nord- und Ostsee mit politischer Botschaft gegen das umweltverschmutzende Militär!
In meinen ZivilCourage-Kolumnen und Texten habe ich schon häufig um Offenheit für neue friedenspolitische Themenfelder gebeten. In den letzten Jahren hat der Verband diese Offenheit durchaus gezeigt – was sowohl politisch erfolgreich war, als auch der DFG-VK selbst gut tat und wir etwa neue, junge Mitglieder gewinnen konnten. Nun würde ich mich über Stimmen zu den obigen Fragen und gerne auch dem konkreten Thema der „Munition im Meer“ freuen. Sollen wir in Zukunft direkter für eine friedlichere Welt aktiv werden? Schreibt Leser*innenbriefe für die ZivilCourage und/oder mir auch gerne direkt: svg@dfg-vk.de
Neben den Gedanken – und schon einigen Gesprächen – zum Thema der (direkten) Wirksamkeit der DFG-VK lief die Arbeit natürlich auch sonst weiter: Im Dezember ging es – wie jedes Jahr – viel um die Finanzen unseres Verbands, im Januar gab es glücklicherweise zumindest schon wieder ein paar Aktionen (mit Abstand und Mund-Nasen-Schutzmasken). Mehr dazu könnt ihr im zweimonatlich erscheinenden DFG-VK Mitglieder-Newsletter erfahren. Wenn du den noch nicht bekommst schreib eine Mail an Kathi Müller, und sie trägt dich in den Newsletter-Verteiler ein: mueller@dfg-vk.de