Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
International
Notwendig: Solidarität weltweit für Kriegsdienstverweigerer
Von David Scheuing
#ObjectWar: Kriegsdienstverweigerung und Desertion politisch relevant wie seit Jahren nicht
Die Notwendigkeit der Stunde macht die Arbeit der Kolleg*innen von Connection e.V. so wichtig und auch so politisch bekannt wie schon seit Jahren nicht mehr. Viele von uns bekommen die Newsletter und die „KDV im Krieg“ – dennoch sei auf die aktuelle Kampagne (#ObjectWar) zur Unterstützung des Rechts auf Asyl aller KDVer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine hingewiesen. Connection e.V., die WRI, der Internationale Versöhnungsbund und das Europäische Büro für KDV haben diese Kampagne gemeinsam ins Leben gerufen und bitten um Unterschriften. Hier sind mehr Informationen und der Link zur Petition: https://bit.ly/3sDTnqI
In der WRI sind aber in den letzten Monaten auch eine Reihe weiterer Fälle von KDV sichtbar geworden, die dringlicher Aufmerksamkeit bedürfen.
Aserbaidschan: Weiterhin Verfolgung, trotz Entscheidung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Situation von KDVern in Aserbaidschan war schon mehrfach Thema in dieser Kolumne. Sie hat sich auch nicht merklich verbessert oder wesentlich verändert – auch in diesem Juli und September wurden wieder Menschen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas keinen Kriegsdienst leisten wollen, verurteilt bzw. verhaftet. Diese Situation besteht unverändert fort, obwohl der Staat auch schon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden ist. Das grundlegende Problem, das sich in Aserbaidschan als institutionelle Selbstblockade zeigt, ist eine äußerliche Bereitschaft zur Einführung zumindest eines Ersatzdienstes, bei gleichzeitiger Untätigkeit – so geben die Mitarbeiter*innen der Rekrutierungsbehörde gegenüber der Organisation Article18 zu, dass sie nicht anders „könnten“, da es keinen Ersatzdienst gebe und der Einberufung unbedingt Folge zu leisten sei. Mehr zur Situation von Seymur Mammadov und Royal Karimov auf den Seiten der WRI: https://bit.ly/3zjGS7P
Südkorea: Alternativdienst ist keine Alternative. Dass die schiere Existenz eines Ersatzdienstes noch keine Garantie einer wirklichen Alternative ist, ist sicherlich für deutsche Verweigerer aus den 1960er und 1970er Jahren keine neue Erkenntnis. Auch im Fall des 2020 neu eingeführten Ersatzdienstes in Südkorea zeigt sich nun eine fundamentale Ungleichbehandlung: Der Dienst kann nur als dreijähriger (!) Ersatzdienst (gegenüber 18 Monaten Kriegsdienst) in Gefängnissen oder anderen Strafeinrichtungen abgeleistet werden. Dass dieser „Strafdienst“ primär dem Ziel der Abschreckung dient, ist offensichtlich. Nun steht seit August mit Hye-min Kim der erste Totalverweigerer im neuen System vor Gericht. Unter anderem Amnesty International setzt sich in diesem Fall aktiv für eine Veränderung der rechtlichen Grundlage und den Freispruch: https://bit.ly/3ziy5mw
Griechenland: Ein Erfolg bietet einen düsteren Einblick. Zu Beginn des Jahres hatte ein KDVer in Griechenland unter der dortigen Transparenzgesetzgebung auf Offenlegung der Verweigerungsanerkennungszahlen aus dem letzten Jahrzehnt gepocht – und bekam die Daten offengelegt. Ein wahrer Erfolg. Doch die Erkenntnisse aus den Daten sind erschreckend: So wurden 2021 alle 12 Anträge auf KDV, die nichtreligiöse Gründe anführten, abgelehnt. Auch alle Anfechtungen der Ablehnungen wurden erneut abgelehnt. Noch 2018 waren 14 von 15 Anträgen bewilligt worden – ein rasanter Niedergang der Anerkennungsquote. Durch die Daten lässt sich auch sehen, dass eine Anfechtung in nur zwei Fällen im letzten Jahrzehnt überhaupt erfolgreich war, also keine effektive Abhilfe schaffte.. Die Daten bestätigen, was derzeit vor dem Obersten Gerichtshof noch als Fall anhängig ist: dass die Behörden, die diese Fälle begutachten nicht unabhängig und unparteiisch entscheiden und dass Unterschiede zwischen Verweigerern gemacht wird, je nach Art ihrer Verweigerungsgründe. Die WRI und weitere Organisationen planen, diese Verschlechterung der Situation von Verweigerern gegenüber den relevanten Menschenrechtsorganen anzuzeigen. Mehr dazu: https://bit.ly/3f7YWdY
USA: „Draft“ auch 2022 noch nicht vom Tisch. In den letzten fünf Jahren war das Thema der Einberufung („Draft“) Gegenstand einer Reihe von Anhörungen, Petitionen und Gesetzesvorlagen im US-amerikanischen Kongress. Doch auch bislang gab es noch keine Entscheidung, wie mit dem derzeitigen System der männlichen Zwangsrekrutierung umgegangen werde soll. Obwohl Beobachter*innen davon ausgegangen waren, dass die Frage bis nach den Midterm Elections vertagt werde würde, wurde nun hinter verschlossenen Türen an eine damit anderweitig gänzlich unzusammenhängende Haushaltsvorlage auch eine Ausweitung des Einberufungssystems auch auf Frauen angehängt. Es bleibt spannend, besteht doch auch immer noch die Chance, dass die Zwangsrekrutierung wieder abgeschafft wird. Wie immer finden sich die präzisen Informationen zum aktuellen Stand bei Edward Hasbrouck: https://bit.ly/3TXWlC5
Ganz kurz notiert:
Die Jubiläumsausgabe zu 100 Jahre WRI in der Zeitschrift „Das Zerbrochene Gewehr“ Nr. 115 mit sieben Beiträgen zur Geschichte der WRI und seiner Teilnetzwerke liegt vor. Darin besonders lesenswert: Die Statements ehemaliger Mitarbeiter*innen und die Geschichte der „WRI Women Working Group“. https://bit.ly/3N7Jlrv
Ein lesenswerter Aufsatz aus dem transnational institute (tni) mit dem Titel „Halte ein – Weshalb dem Militarismus für den Frieden abgeschworen werden muss“. Die Autorin fasst viele gute Argumente zusammen und betont erneut, dass auch militärische Neutralität nicht mit Schwäche oder Passivität verwechselt werden darf: Zu oft haben eben solche nichtalliierten Kräfte in der Vergangenheit maßgebliche Rollen in der Aushandlung und Eröffnung von Friedensverhandlungen ermöglicht. Hier der ganze Text: https://bit.ly/3W0HOHX
David Scheuing war bis zum DFG-VK-Bundeskongress im Mai 2022 der Vertreter der DFG-VK bei der War Resisters´ International (WRI), dem internationalen Dachverband der DFG-VK mit Sektionen in weltweit 45 Ländern, gewählt. An dieser Stelle berichtet er noch bis zum Jahresende aus der WRI, um den LeserInnen das globale Engagement von KriegsgegnerInnen sichtbar zu machen. Das sind keine tieferen Analysen, sondern kleine kursorische Überblicke und Nachrichten; es geht dabei nicht um Vollständigkeit, vielmehr um Illustration. Der Autor ist per E-Mail erreichbar unter scheuing@dfg-vk.de