![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
International
(Verspätete) 100. Geburtstagsfeier der War Resisters´International
Von Stephan Brües

Es war ein langer Weg, aber am 10. September fand in Utrecht, und damit nicht weit entfernt vom Gründungsort der War Resisters´ International (WRI), Bilthoven, eine Veranstaltung anlässlich des 100. (nun sogar des 101.) Geburtstags der WRI statt: Kriegsgegner*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine sagen: Nicht unser Krieg.
Vorgeschichte. Das Jahr 2021 als hundertster Jahrestag der WRI und wie man diesen im Land der Gründung, also in den Niederlanden, begehen könnte – das schwirrte schon lange und während vieler WRI-Ratstagungen durch manche Köpfe. Allerdings war schon damals klar, dass die Friedensbewegung in den Niederlanden aktuell zu klein ist, um etwas Größeres, ein zwei- bis dreitägiges Festival, ohne die Hilfe der Nachbarländer auf die Beine zu stellen.
Nach der Konferenz in Bogota 2019 kamen einige Aktive aus den Niederlanden, Deutschland und Belgien zusammen, und auch WRI-Mitarbeiter*innen und die damalige WRI-Vorsitzende Christine Schweitzer fuhren nach Holland, um zu eruieren, inwieweit ein solches Event im Jahre 2021 durchgeführt werden könnte. Die Skepsis überwog.
Dennoch fand sich eine Gruppe, an der von deutscher Seite neben Stephan Brües zunächst auch Kai-Uwe Dosch für das geplante Themenfeld Friedensbildung und David Scheuing für das Themenfeld Migration aktiv beteiligt waren. Erst war Mai/Juni, dann September 2021 als Termin vorgesehen. Schließlich wurde beschlossen, das Event genau ein Jahr später auf den 9. bis 11. September 2022 zu terminieren. Utrecht als größte Stadt in der Nähe des Gründungsorts stand fest. So sollte dort ein Kern von Personen aus der Friedens-, No-Border-, Anti-Atom- und Klimabewegung entstehen, die in Workshops Aktivitäten an der Schnittstelle dieser Themen ausloten sollten. Zugleich aber sollten gewaltfreie Widerstände in Ländern wie Kolumbien, Westpapua (ehemals holländische Kolonie) ebenso angesprochen werden wie Rückblicke auf WRI-Gründer*innen und Aktive wie Bart de Ligt oder Helene Stöcker.
Über 30 Workshops wurden geplant, und es gab Zusagen von vielen DFG-VK-Aktiven: von Kai-Uwe Dosch zu Friedensbildung (zusammen mit anderen Referent*innen), Jürgen Grässlin (Rüstungsexporte), Michael Schulze von Glaßer (Bundeswehr-Werbung), Amab (Ad-Busting), Dieter Riebe (Friedenslogik), Guido Grünewald (Helene Stöcker), Gernot Lennert (Kriegsdienstverweigerung bzw. Wehrpflicht-Renaissance) und Stephan Brües (Sicherheit neu denken). Es war inhaltlich ein herausragendes Programm. Und in dieser Festivalversion waren genau die Personen aus Russland, Belarus und der Ukraine als ein Fokus eingeplant.
Aber dies alles brauchte Geld. Und das mit dem Fundraising hat leider gar nicht funktioniert. Punkt. Das Geld reichte für einen eintägigen Event, der den Schwerpunkt auf die aktuelle Situation in der Ukraine und Umgebung legen und den Kriegsgegner*innen ein Forum bieten sollte.
So wurde aus „Future Without War“, wie es hier in der ZivilCourage oder auch im Mai auf dem DFG-VK-Bundeskongress in Duisburg noch angekündigt wurde: „Not Our War“.
Hochkarätige Aktivist*innen wie Yurii Sheliazhenko (Pazifistische Bewegung der Ukraine), Olga Karatch (Nash Dom, Unser Haus, Belarus, exiliert in Litauen) und Alex Belik (Bewegung der KDVer in Russland, im Exil in Estland) sowie Rudi Friedrich (Connection e.V.), Mark Akkerman (Stop Wapenhandel) und Christine Schweitzer (Bund für Soziale Verteidigung – BSV) betrachteten den Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine, in Russland und Belarus, die Solidaritätsarbeit für diesen Widerstand, die Kriegsprofiteure und die Alternativen zum Krieg.
Präsentationen der Kriegsgegner*innen aus dem Osten Europas
Yurii Sheliazhenko machte klar, dass der Krieg sofort beendet werden müsse, und verwies darauf, dass die ohnehin schon rudimentäre Gesetzgebung zum Recht auf KDV inzwischen ausgesetzt wurde. Ukrainer dürfen damit nicht nur nicht das Land verlassen, sondern sie dürfen auch nicht den Kriegsdienst verweigern. In einem Gedicht hielt er der lächerlichen Kriegspropaganda auf allen Seiten des Kriegsgeschehens den Spiegel vor.
Olga Karatch aus Vilnius kommt von der Organisation Nash Dom (Unser Haus), einer Bürgerrechtsbewegung, die der BSV bereits seit 2005 unterstützt. Sie hat direkt nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine einen Aufruf in den sozialen Medien gestartet und die jungen Belarussen aufgerufen, Einberufungsbescheiden keine Folge zu leisten und stattdessen zu fliehen oder unterzutauchen. Das Video wurde hunderttausendfach gelikt oder weitergeleitet. Von den 42 000 jungen Männern, die im Frühjahr eine Einberufungsankündigung erhalten hatten, haben sich 20 000 einer Einberufung verweigert und sind geflohen. Der Aufruf wurde im Juni u.a. auf Tiktok wiederholt und erhielt 500 000 Klicks. Die jungen Menschen flohen nach Georgien und die Türkei, wenige auch nach Polen und Litauen. Die Behörden dort sind eher zurückhaltend mit der Aufnahme, während Unternehmen in diesen Ländern bereit waren, diesen jungen Männern Arbeit zu geben.
Olga Karatch fordert von den EU-Mitgliedsländern, dass sie einen humanitären Korridor für KDVer aus Belarus und Russland sowie der Ukraine schaffen und allen Schutz gewähren.
Alex Belik von der KDV-Bewegung Russlands sprach davon, dass 100 000 junge Russen nach Georgien und die Türkei geflohen sind; bei vielen von ihnen spielte eine mögliche Einberufung ins Militär eine Rolle. Er berät als Anwalt viele KDVer und arbeitet mit der finnischen KDV-Bewegung zusammen. Der Forderung von Olga Karatch schließt er sich uneingeschränkt an.
Rudi Friedrich von Connection e.V. hat die Solidaritätsarbeit der Friedensbewegung in Deutschland vorgestellt und auf die unzulängliche Aufnahmeprozedur von KDVern, Deserteuren und Wehrpflichtentziehern hingewiesen. Aktuell gibt es eine Petition an EU-Kommission und -Parlament, die eine Aufnahme von KDVern aus Russland und Belarus und die Wiedereinsetzung des KDV-Rechts in der Ukraine fordert.
Mark Akkerman hat über die Profiteure des Ukrainekrieges aus der Rüstungsindustrie gesprochen. Dort knallen die Sektkorken, weil die Ukraine in riesigem Umfang mit Waffen beliefert wird und fast alle Staaten weltweit massiv aufrüsten.
Christine Schweitzer beschrieb die Alternativen zum Krieg – die Soziale Verteidigung und das Konzept des unbewaffneten zivilen Schutzes.
Nach dem gemeinsamen Abendessen und einer Einführung in ein friedenspolitisches Spiel von Nina Koevoets von Peace.Power.org gab es Workshops der osteuropäischen Gäste, in denen die 30 bis 40 Teilnehmenden im Kulturzentrum Kargadoor Fragen stellen und diskutieren konnten.
Fazit
Es ist letztlich nach einem weiten Weg ein klasse Programm für die Bewohner*innen der wunderschönen Stadt Utrecht auf die Beine gestellt worden. Weniger gut gelungen ist die Technik, sodass die Außenwelt von diesem inhaltlich wichtigen Ereignis wenig mitbekommen hat.
Auf der Website wri100.nl sollen die Präsentationen, ein paar Videos und Fotos eingestellt werden und der BSV plant eine Doku mit allen Präsentationen in der BSV-Publikationsreihe „Hintergrund- und Dokumentationspapiere“ (HuD). Die Antimilitaristische Aktion Berlin in der DFG-VK (Amab) hat auf ihrem Blog auch einen Bericht dazu verfasst: https://bit.ly/3N3ompH
Stephan Brües ist Vertreter der DFG-VK beim Bund für Soziale Verteidigung und seit Jahren dessen Ko-Vorsitzender.