Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
Titel
Strafrecht gegen antimilitaristische Umwandlung eines Nazi-Kriegerdenkmals
Von Wilfried Porwol
Nein, natürlich wurde das Urteil gegen mich wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ vom Amtsgericht Kleve am 7. Dezember „Im Namen des Volkes“ gefällt. 900 Euro Geldstrafe, ersatzweise 30 Tage Haft für meine künstlerische Umgestaltung des Nazi-Kriegerdenkmales in Kalkar in ein Friedensmahnmal.
Es ging bei diesem Prozess im größten, aber unter Coronabedingungen mit nur acht zugelassenen Besuchern gefüllten Verhandlungssaal ausschließlich um meine erste kreative Umfunktionierung dieses unsäglichen Monstrums vom 27. Juli 2019.
Nach der Verlesung der Anklage durch den Staatsanwalt konnte ich ausgiebig zu meinen Beweggründen Stellung nehmen. Sogenannte Kriegerdenkmale aus dieser Zeit, wie das in Kalkar von 1936, hatten vor allem einen Zweck: die Verbreitung des nationalsozialistischen Heldenmythos zur ideologischen Vorbereitung auf den bereits geplanten faschistischen Eroberungskrieg. Dazu wurde die Trauer der Angehörigen der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges instrumentalisiert. Das Kalkarer „Denkmal“ war „Unseren Helden“ 1914 bis 1918 gewidmet, wobei die beiden Jahreszahlen durch ein eisernes Kreuz verbunden waren. Eine besondere Ehre wurde den toten „Helden“ aus Kalkar, darunter 4 jüdischen Bürgern, durch die Inschrift auf der Rückseite erwiesen. Dort stand und steht: „Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken“, ein Zitat aus Hitlers „Mein Kampf“ , wie der Historiker Dr. Hans Hesse 2014 herausfand.
Als Chronik der Schande erwies sich der Umgang der Stadt Kalkar mit diesem NS-Monstrum nach dem Zweiten Weltkrieg. Da gab es die Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates von 1946, die Gesetzeskraft für ganz Deutschland hatte und die bis zum 5. Mai 1955 gültig war. In ihr wurde der Abbau aller kriegsverherrlichender Denkmäler aus der NS-Zeit verfügt. Der Kriegstoten sollte auch weiterhin gedacht werden können, aber in würdevoller Weise ohne deren Instrumentalisierung durch den NS-Staat.
Dies wurde in der Nachbarstadt Goch entsprechend durchgeführt, während die Verantwortlichen in Kalkar das über Jahre hinweg mit krimineller Energie hintertrieben. In illegaler Weise wurde so das Nazi-Kriegerdenkmal in Kalkar konserviert. Doch das schien den Entscheidungsträgern der Stadt Kalkar noch nicht zu reichen. War es nur ein unfassbares Maß an Dummheit und Ignoranz? Sie ließen die Nazi-Propagandastätte 1983 erweitern durch die Jahreszahlen 1939 und 1945, die ebenfalls mit einem Eisernen Kreuz verbunden wurden.
Es war damit nicht nur ein Relikt aus der Nazizeit, sondern es bekam den Status eines gegenwärtigen offiziellen „Denkmals“ mit kriminellem nationalsozialistischem Inhalt. Eine ungeheure Verhöhnung der Kriegsopfer durch das Hitlerzitat, insbesondere der im Ersten Weltkrieg als Soldaten gefallenen jüdischen Bürger Kalkars, deren Verwandte nur wenige Jahre nach Errichtung dieses Schandmales in die Gaskammern getrieben wurden.
Eine skandalöse Glorifizierung des verbrecherischen rassistischen Vernichtungskrieges der Wehrmacht, der zum Einsatzprogramm zählenden Massenhinrichtungen an der Zivilbevölkerung, der Geisel- und Gefangenenerschießungen, der systematischen Vergewaltigungen und der tätigen Beihilfe bei der millionenfachen Ermordung der jüdischen Bevölkerung aller besetzten Gebiete.
Auch nachdem schon bekannt war, dass die Inschrift auf der Rückseite ein Hitlerzitat war, ließen die Verantwortlichen der Stadt Kalkar dieses Gebilde – ein schützenswertes Denkmal im Sinne des Denkmalschutzes war es nicht – weiterhin über Jahre hinweg ohne sichtbare Distanzierung in der Öffentlichkeit stehen und wirken. Sie schufen damit einen potenziellen Wellness-Ort für gewaltbereite Neonazis.
Nach meinen Ausführungen zum Charakter und zur Funktion dieses faschistischen Steinhaufens konnte ich mein Konzept zur künstlerischen Umgestaltung dieses Monstrums erläutern, zur Einfärbung des martialischen Reichsadlers in Regenbogenfarben, zur Überschreibung der kriegsverherrlichenden Aussage mit Friedensbotschaften und zur Anbringung des Schriftzuges „Nie Wieder Krieg – Nie Wieder Faschismus“ über dem Hitlerzitat.
Mein Anwalt überreichte dem Gericht eine Stellungnahme von Valentina Vlasic, Kunsthistorikerin und Kuratorin des renommierten Museum Kurhaus Kleve. In ihrer Stellungnahme plädierte sie dafür, dass meine künstlerische Sprayaktion nicht als Sachbeschädigung angesehen werden sollte, „sondern als subversiv performativen Akt, der politisches, also kritisches und interventionistisches Potenzial besitzt und sogar Aspekte der Street Art und Performance Art, sogar des Happenings in sich vereint.“ Sie stellte meine Arbeit in eine Reihe mit Aktionen der Künstler Banksy, Naegeli und Beuys.
Staatsanwalt und Richter äußerten durchaus Verständnis für meine Motivation. Ja, es gab sogar verhaltene Kritik vom Staatsanwalt an der Untätigkeit der Stadt Kalkar, dass diese das „Denkmal“ 1946 nicht abgebaut sich nicht genügend mit der Sache auseinandergesetzt hätte. Doch im krassen Gegensatz dazu sein Strafantrag: Bei dem Kalkarer Kriegerdenkmal handele es sich dennoch um ein Denkmal, mit dem auch Kriegstote geehrt würden, auch wenn es nicht unter Denkmalschutz stehe. Es sei halt das Eigentum der Stadt Kalkar, und nichts würde meine Aktion rechtfertigen, also müsse bestraft werden wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ und zwar mit 30 Tagessätzen.
Mein Anwalt verwies auf das deutlich drastischere Vorgehen gegen Denkmäler in USA und England, wo solche, die Unrecht glorifizierten, mehrfach in jüngster Zeit gestürzt wurden. Er stellte die Nicht-Nachvollziehbarkeit heraus, dass Holocaustleugner bestraft würden, aber die Rechtsordnung darauf bestehe, ein Zitat von Adolf Hitler wieder herzustellen.
Damit hatte der Amtsrichter Thomas Staczan allerdings kein Problem: Er folgte dem Antrag des Staatsanwaltes. Eigentum beschmieren – so sein Kunstverständnis – ginge gar nicht, und wenn es sich um ein Denkmal wie in Kalkar handele, dann sei das eben nicht nur eine einfache Sachbeschädigung, sondern eine gemeinschädliche. Also: 30 Tagessätze, und dann kämen ja später auch noch die Reinigungskosten der Stadt Kalkar auf mich zu.
Fazit: Die Übermalung eines öffentlich zur Schau gestellten Hitlerzitates ist also gemeinschädlich, die Wiederherstellung der Nazi-Propaganda dagegen ist gemeinnützlich. Ein Urteil, das doch ehrlicherweise nicht „im Namen des Volkes“, sondern „im Namen des Führers“ verkündet hätte werden sollen. Ein Schandurteil zum Schutze eines NS-Schandmals.
Die Berufung dagegen ist schon eingelegt. Das Ganze wird dann vor dem Landgericht neu verhandelt werden. Der Kampf auf der juristischen Ebene geht also weiter. Mich erwarten in der nächsten Zeit noch zwei weitere Anklagen und Verhandlungen vor dem Amtsgericht Kleve wegen meiner zwei weiteren künstlerischen Interventionen am Kalkarer NS-Steinhaufen, dazu dann – wenn keine Freisprüche erfolgen – die entsprechenden Berufungsprozesse.
Sehr erfreulich, wichtig und wohltuend bei der ganzen Auseinandersetzung: die große Solidarität, die Mahnwache vor dem Gericht, organisiert von meinen Mitstreiter*innen aus dem Landesverband und den niederrheinischen Gruppen der DFG-VK, viele Freund*innen und Unterstützer*innen aus Kleve und Umgebung, die sich trotz Schmuddelwetter und Corona vor dem Gericht einfanden, um mir ihre Solidarität zu bekunden. Die sehr ausführliche und durchweg positive Berichterstattung in den Medien, u.a. im überregionalen Kulturteil der „Neue Ruhr Zeitung“ tragen zur Skandalisierung sowohl des unsäglichen Nazi-Monstrums in Kalkar, wie auch des Gerichtsurteils bei, durch das ein solches Gebilde geschützt wird. Mittlerweile ist ein Bürgerantrag an die Stadt Kalkar gestellt worden, den unerträglichen kriegsverherrlichenden Steinhaufen zu beseitigen.
Und weiter geht es, überall im Lande existieren noch solche sogenannten Denkmäler und Menschen, die das nicht länger hinnehmen wollen.
Wilfried Porwol ist langjähriges DFG-VK-Mitglied und aktiv in der Gruppe Kleve. Der studierte Kunstlehrer ist als Maler, Zeichner und Grafiker tätig.