Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Pazifismus
Kritische Bemerkungen zu „Sicherheit neu denken“
Von Wolfram Scheffbuch
Das Szenario „Sicherheit neu denken“ zeigt auf, wie Deutschland bis zum Jahr 2040 die militärische Aufrüstung überwinden könnte. Erarbeitet wurde es im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Baden von einer Arbeitsgruppe mit Vertretern bundesweiter Friedensorganisationen. Auch die DFG-VK ist Kooperationspartner. „Sicherheit neu denken“ wird von einigen Akteuren in unserem Verband sehr wohlwollend aufgenommen und wird etwa im Landesverband Baden-Württemberg als ein neuer Arbeitsschwerpunkt gesehen.
Ich denke hingegen, unsere Aufgabe als Pazifisten ist eine andere. Wir müssen die sofortige Abschaffung der Bundeswehr fordern, wir müssen den sofortigen Stopp der Rüstungsproduktion fordern. Das ist unsere Aufgabe im politischen Spektrum. Genauso wie die Nato und die Waffenindustrie den weiteren Ausbau des Militärs fordern. Jeder hat seine Rolle im politischen Diskurs. Wenn wir die Rolle der radikalen Pazifisten nicht ausfüllen, wer macht es dann? Ein Szenario wie „Sicherheit neu denken“ kann am Ende eines politischen Prozesses stehen, wenn verschiedene gesellschaftliche und politische Kräfte einen Kompromiss ausgehandelt haben. Wenn aber die radikalste Seite – nämlich die Pazifisten – schon mit einem so weichgespülten Vorschlag ins Rennen gehen, dann kommt im politischen Prozess hinterher garantiert keine Abschaffung des Militärs heraus.
Politik geht anders. „Sicherheit neu denken“ geht davon aus, dass 2025 ein Bundestagsbeschluss gefasst wird, der bis 2040 Bestand hat. So läuft aber Politik nicht. Die Akteure wechseln im Lauf der Jahre, Interessen verschieben sich, Bündnisse zerfallen und werden neu geschlossen, Bedrohungslagen werden neu definiert. Wer hat 1980 gedacht, dass 1995 der Bürgerkrieg in Jugoslawien tobt? Wer hat im Jahr 2006 damit gerechnet, dass 2021 Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist?
Wenn das Szenario für das Jahr 2040 postuliert: „Mit 4 Milliarden Euro jährlich ist Deutschland der größte Beitragszahler des UN-Welternährungsprogramms“, dann ist das naiv. Die Summe suggeriert eine Exaktheit, die es gar nicht geben kann. Was wissen wir heute, wie viel ein Euro im Jahr 2040 wert ist? Wird es den Euro überhaupt noch geben?
Wenn ein politisches Thema kontrovers ist und wirtschaftliche Interessen mit dem Wohlergehen der Bevölkerung kollidieren, dann wird gern eine Änderung der Verhältnisse in weiter Zukunft beschlossen. Das war schon bei dem rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2001 so, das ist jetzt beim Kohleausstieg und dem Aus für den Verbrennungsmotor zu beobachten. Man bekommt eine breite Zustimmung. Die Gutmenschen bekommen ihre lange geforderten Ziele in Gesetzesform gegossen, die Profiteure des Status Quo hingegen können erst einmal weiterverdienen. Und wenn die Profite tatsächlich in Gefahr kommen, dann ist so ein Beschluss aus der Vergangenheit schnell wieder abgeräumt.
Tatsächlich besteht aber akuter Handlungsbedarf. Auf unser Thema bezogen: Wir brauchen jetzt Fachkräfte statt Soldaten, wir brauchen jetzt Geld für Katastrophenhilfe statt für Rüstung, wir müssen jetzt Atomwaffen abschaffen, statt Raketen in Bereitschaft zu halten. Wir können doch nicht – wie in „Sicherheit neu denken“ festgelegt – der Bundeswehr eine Bestandsgarantie bis 2040 geben oder im Haushalt 2030 eine Summe von 40 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen. Das steht zwar im Szenario, aber das kann ich als Pazifist niemals gutheißen.
Vielmehr ist unsere Aufgabe als DFG-VK, radikal gegen Krieg und Rüstung die Stimme zu erheben. Sofortige Abschaffung aller Armeen und Einstellung der Rüstungsproduktion. Punkt.
Für eine „klare Linie“
Mit einer klaren Linie können wir auch mehr Menschen gewinnen, bei uns mitzumachen, als mit einem akademischen Projekt wie „Sicherheit neu denken“. Und mit einem eindeutig pazifistischen Profil werden wir auch weiterhin Bündnispartner gewinnen. Vielleicht nicht ganze Landeskirchen, aber durchaus auch Aktive aus dem christlichen Spektrum. Oder Gewerkschaften wie die GEW. Bestes Beispiel hierfür ist die Kampagne „Unter 18 nie“. Hier kooperieren wir mit anderen nichtpazifistischen Akteuren, ohne unsere Grundsatzerklärung aufzugeben. Schließlich sagen wir ja nicht, dass wir den Militärdienst für über 18-jährige befürworten.
Wir haben also genug zu tun. Auch die neue Regierung wird Rüstungsprojekte und Militäreinsätze beschließen. Dagegen müssen wir protestieren, genauso wie gegen Bundeswehrwerbung, für einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag und viele anderen Dinge mehr…
Unsere Vision muss sein: Militär jetzt abschaffen. Nicht auf das Jahr 2040 warten.
Wolfram Scheffbuch ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Ludwigsburg.