![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2021 |
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
ein sehr schwieriges Jahr geht zu Ende – die drohende Klimakatastrophe zeigt sich immer deutlicher, der jahrelange Krieg n Afghanistan endete als Desaster, und ein Ende der Corona-Pandemie ist nicht abzusehen.
Nun ist die sog. Ampel im Amt. Dass aber die erste Maßnahme zur Pandemiebekämpfung noch vor der offiziellen Regierungsbildung die Einsetzung eines Krisenstabs unter Leitung eines Generals war, ist ein schlimmes Zeichen, das nichs Gutes erwarten lässt. Das Signal ist doch: Wenn zivile und demokratische – und damit normale – Mittel schwierig sind, dann hilft nur Militär. Von wegen!
Seit Wochen infizieren sich in der vierten Corona-Welle jeden Tag Zehntausende neu mit Covid-19. Natürlich erkranken diese nicht alle, aber nur Infizierte können das Virus weitergeben und auch Menschen anstecken, die sich nicht impfen lassen können. Und: Ein Teil erkrankt eben doch, und viele Infizierte ergeben dann viele Kranke. Von denen landet dann ein Teil „auf Intensiv“ und muss beatmet werden. Die Hälfte dieser IntensivpatientInnen überlebt das nicht, zurzeit sind das jeden Tag Hunderte. Dagegen hilft die Impfung. Kann man diese vernünftigerweise ablehnen, gar bekämpfen?
Vielleicht bin ich als jemand mit einer chronischen schweren Erkrankung in dieser Frage besonders sensibel und vorsichtig. Gegen das weitere Fortschreiten der Multiplen Sklerose muss ich jeden Tag ein Medikament nehmen, das gleichzeitig meine Immunabwehr herabsetzt. Ich sollte also möglichst nicht auch noch an Corona erkranken. Deshalb bin ich – selbstverständlich – bereits zweimal geimpft und werde mich auch „boostern“ lassen. Ich schütze mich also selbst, bin aber auch darauf angewiesen, dass sich andere durchs Impfen selbst und damit gleichzeitig mich schützen.
Nun bin ich aber auch Pazifist und Kriegsdienstverweigerer und damit besonders sensibel, was staatliche Maßnahmen, Eingriffe, Verpflichtungen angeht. Selbstverständlich bin ich gegen die Wehrpflicht. Diese ist eigentlich keine Pflicht, sondern ein Kriegsdienstzwang, der mit der hier massivsten möglichen Sanktion durchgesetzt wurde (und potenziell wieder wird). Als jemand, der wegen seiner KDV monatelang im Gefängnis saß, weiß ich, wovon ich spreche.
Der Zwang, sich am Verbrechen Krieg zu beteiligen, sich zum Morden ausbilden zu lassen und/oder das eigene Leben opfern zu müssen, ist staatlich verordnetes Unrecht, das unbedingt abzulehnen ist. Von den Menschen- und Grundrechten her gedacht sehe ich die Ablehnung dieses Zwangs zum Kriegs- oder Ersatzdienst als durch die Gewissensfreiheit geschützt und gerechtfertigt.
Wie ist das aber mit der nun diskutierten Impfpflicht? Die Freiheit des/der Einzelnen und sein/ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit stehen rechtlich unter einem Gesetzesvorbehalt und gelten nur, soweit die Rechte anderer nicht verletzt werden. Einschränkende gesetzliche Maßnahmen müssen also verhältnismäßig sein, einen legitimen Zweck haben und effizient sein. Daran und im Blick darauf, wie chaotisch staatliches Handeln bei der Pandemiebekämpfung seit fast zwei Jahren immer wieder auch war, kann man berechtigt zweifeln – und sollte für vernünftige Regelungen streiten. Für ein originäres Thema der Friedensbewegung halte ich das aber nicht. Denn eine „Corona-Diktatur“ wäre die Bundesrepublik durch eine Impfpflicht sicher nicht, zumal die Sanktionen denen entsprechen, die drohen, wenn man bei „Rot“ über die Straße geht.So hoffe ich – trotz alledem – für uns alle auf ein gutes, friedliches und aktives Jahr 2022.

