![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
je länger der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert, je mehr Menschen dabei sterben, je mehr Waffen „der Westen“ liefert, je massiver die Zerstörungen werden, je größer das Leid der vom Krieg betroffenen Menschen wird, je höher die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen steigt, desto wirrer werden die Diskussionen. Der Begriff Pazifismus scheint zum Schimpfwort zu werden – als ob wir Pazifist*innen verantwortlichen seien für den Krieg und dafür, dass er nicht möglichst schnell endet.
Viele von uns fühlen sich um Jahrzehnte zurückversetzt und fragen sich, ob ihr Engagement denn gar nichts bewirkt hätte. Da machen sich verständlicherweise Gefühle von Verzweiflung breit (geschildert von Robert Hülsbusch auf Seite 10). Um so wichtiger ist es, dass Menschen – wie z.B. unser Mitglied Margot Käßmann (Seite 8) – klar und begründet bei ihrer pazifistischen Position bleiben.
Orientierung geben kann uns auch unsere Grundsatzerklärung, die wir alle – und ich gehe davon aus: wohlüberlegt – bei unserem Beitritt zur DFG-VK unterschrieben haben (und nicht zu vergessen: weltweit viele andere, die Mitglied in ihren Zweigen der War Resisters´ International sind): Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Gemeint ist damit: Der Krieg als solcher. Jeder Krieg. Angriffskriege sowieso. Aber auch Verteidigungskriege. Niemand von uns wird den Ukrainer*innen das Recht bestreiten, sich gegen den russischen Angriff zu verteidigen. Aber eben nicht mit kriegerischen Mitteln, also mit organisierter militärischer Gewalt.
Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen. Ein*e Pazifist*in wird sich deshalb weder zu den internationalen Einheiten der ukrainischen Armee melden noch zur russischen oder irgendwelchen Söldnertruppen. Pazifist*innen werden aber auch kein Geld sammeln, mit dem Waffen für eine der Kriegsparteien gekauft werden soll. Sie treten ein gegen eine Politik, die mit Rüstungsexporten und logistischer und finanzieller Hilfe eine Kriegspartei unterstützt, stärkt, auf- und ausrüstet. Sie lassen sich vom „Kriegsgeheul“ und der Propaganda nicht beeindrucken und widersprechen denen, die den Krieg rechtfertigen. Und sie geben hoffentlich in der Wahlkabine keiner Partei ihre Stimme, die den Krieg und konkret diesen Ukraine-Krieg gutheißt, unterstützt und befeuert.
… und entschlossen, an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten. Eine Kriegsursache ist immer der Krieg selbst. Das Unrecht und das Leid, was der Krieg den Menschen auf beiden Seiten antut, ist seinerseits der Grund für Hass und Feindschaft und trägt den Kern für Revanche, Rache und neuen Krieg in sich. Deshalb ist das Eintreten für ein möglichst schnelles Ende des Verbrechens Krieg neben der Rettung von Menschenleben auch eine Vorbeugungsmaßnahme im pazifistischen Sinne.
Ansonsten lässt sich unter Pazifist*innen sicher lange und immer wieder darüber streiten, was konkret eine Kriegsursache ist und welche vorrangig zu „beseitigen“ ist. Das aber ist im demokratischen Prozess in gegenseitigem Respekt zu klären. Eine der Kriegsursachen sind aber wohl von niemandem bestritten die Feindbilder.
Dazu passend schrieb dieser Tage der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Spiegel-Kolumne: „Die Unterschiede zwischen den Häuptlingen und den Indianern in den einzelnen Gesellschaften sind viel größer als die zwischen den Indianern auf den verschiedenen Seiten.“ Abgesehen von der vielleicht problematischen Verwendung des I-Wortes ist ihm zuzustimmen.

