„Formalkram“ oder Kern demokratischen Selbstverständnisses und Handelns?
Von Stefan Philipp
Ausgabe 5/2020
Jeder Hasenzuchtverein hat sie, jeder Sportverein hat sie, und auch die DFG-VK: eine Satzung. Nach dem Duden-Bedeutungswörterbuch enthält eine Satzung „schriftlich niedergelegte verbindliche Bestimmungen, die alles das, was eine bestimmte Vereinigung von Personen betrifft, festlegen und regeln.“
Dass sich Menschen in Vereinen zusammenschließen dürfen, ist in Deutschland von der Verfassung garantiert und als Grundrecht geschützt. Artikel 9 des Grundgesetzes sagt: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“
Juristisch geregelt ist das Vereinswesen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Darin heißt es, dass die „Verfassung eines (…) Vereins (…) durch die Vereinssatzung bestimmt“ wird.
Man mag solche Verrechtlichung für überflüssigen „Formalkram“ halten, geht es doch in einer Organisation wie der DFG-VK um das große Ziel des Friedens in der Welt und konkrete Aktionen. Aber wie in der großen (Staats)Verfassung geht es in der kleinen Vereinssatzung um Teilung und Kontrolle von Macht und Einfluss, um demokratische Teilhabe und fairen Interessensausgleich; letztlich um die Ersetzung des „Rechts des Stärkeren“ durch die „Stärke des Rechts“ und die Absage an das Prinzip „Der Zweck heiligt die Mittel“.
Eine solche „Regelbasierung“ ist oft mühsam, braucht Zeit, kann aufwändig sein.
Das alles gilt auch für die Satzung und die Kompetenz- und Zusammenarbeitsregeln der DFG-VK. Häufig ist die Satzung aber selbst im Bundesverband aktiven FunktionärInnen nur in groben Zügen vertraut. Deshalb sollen in unregelmäßiger Folge in der ZivilCourage einige Fragen der inneren Ordnung der DFG-VK thematisiert werden, beginnend hier mit dem BundessprecherInnenkreis (BSK).
Das Leitungsorgan der DFG-VK ist der BSK, die Satzung sieht ihn als Kollegialgremium von gleichberechtigten Mitgliedern vor. Seine Entscheidungen muss er mit jeweils einer Zweidrittel-Mehrheit der „teilnehmenden Mitglieder“ treffen. Zu der Zeit, als diese Bestimmung formuliert wurde, hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass es einmal eine Pandemie geben würde, die physische Treffen erschwert und dazu führte, dass BSK-Sitzungen in diesem Jahr bisher nur als Videokonferenzen stattfinden konnten. Die Satzung lässt die äußere Form der Entscheidungsfindung aber offen, erlaubt also neben Sitzungen, bei denen sich die Mitglieder real treffen, auch andere Formate wie Telefon- oder Videokonferenzen oder auch gemischte Formen, bei denen sich ein Teil der Mitglieder physisch trifft und andere sich telefonisch oder per Videoübertragung zuschalten; genauso möglich wären auch rein schriftliche Entscheidungsprozesse. Entscheidend ist allein, dass mindestens die Hälfte der Mitglieder sich an einer Entscheidung beteiligt, andernfalls ist der BSK nicht beschlussfähig.
Eine von der Satzung vorgesehene Möglichkeit zur Kontrolle des BSK ist dessen Berichtspflicht gegenüber dem Bundesausschuss (BA) und die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Bundeskongress. Ob der BA wirklich umfassend informiert wird, z.B. durch regelmäßige Berichte bei seinen vier Sitzungen im Jahr, können die BA-Mitglieder begrenzt dadurch nachvollziehen, dass die Protokolle der BSK-Sitzungen veröffentlicht werden. Abrufbar sind sie in der DFG-VK-Cloud, in der sich jedes Mitglied anmelden kann
(https://cloud.dfg-vk.de; vgl. Beitrag über die Cloud in ZivilCourage Nr. 4/2020, Seite 28).
Die Satzung schreibt für alle BSK-Entscheidungen eine Zweidrittel-Mehrheit vor. Ein Blick in die Protokolle zeigt, dass die Arbeitsweise des BSK von großer Harmonie und Einmütigkeit geprägt zu sein scheint; Abstimmungen finden dort nicht statt, jedenfalls sind keine protokolliert.
In den meisten DFG-VK-Pressemitteilungen liest man, die DFG-VK-Bundessprecherin X habe dies oder der DFG-VK-Bundessprecher Y habe jenes erklärt. Eine solche Bezeichnung als „DFG-VK-BundessprecherIn“ ist fragwürdig: Dahinter verschwindet, dass es eben nicht nur einen oder eine (Bundes-)SprecherIn gibt, sondern einen Kreis gewählter Personen, der als DFG-VK-Leitungsgremium Politik gemeinsam entwickelt. Richtiger wäre also, Einzelpersonen aus diesem Gremium als Mitglied(er) im BundessprecherInnenkreis zu bezeichnen (wie es in der ZivilCourage auch seit Langem praktiziert wird).
Historisch ist es so, dass die DFG-VK viele Jahre einen auch als solchen bezeichneten Bundesvorstand hatte. Als die Deutsche Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK) mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) 1974 zur DFG-VK fusionierte, gab es zwei gleichberechtigte Bundesvorsitzende, Helmut-Michael Vogel, zuvor DFG-IdK-Vorsitzender, und Klaus Mannhardt, vormals VK-Vorsitzender. Damit wurden auch die Traditionslinien der Vorläuferorganisationen personell repräsentiert.
Zugleich gab es damit aber auch, im Gegensatz zu den meisten anderen Organisationen, ein „antihierarschisches“ Element, denn die übliche Struktur kannte ein/n Vorsitzende/n und häufig zwei oder mehr stellvertretende Vorsitzende sowie „Beisitzer“ genannte weitere Vorstandsmitglieder. In der Regel bildeten Vorsitzende/r und StellvertreterInnen den sog. geschäftsführenden Vorstand. Das Konzept eines BSK mit gleichberechtigten Mitgliedern setzt auf Partizipation und „gleiche Augenhöhe“.
Mindestens in der Theorie. In der Praxis kann man, z.B. im Bundesausschuss als dem nach dem Bundeskongress zweithöchsten DFG-VK-Entscheidungsgremium, den Eindruck gewinnen, dass manche BSK-Mitglieder wichtiger und einflussreicher sind als andere.
Früher war es üblich (und hat auch zu „Kampfabstimmungen“ geführt), die unterschiedlichen politischen Strömungen im Leitungsgremium abzubilden. Politische Kontroversen über Einschätzungen und Strategien wurden dann dort geführt und geklärt. Mittlerweile sind die Strömungen nicht mehr so profiliert und organisiert. Ein Versäumnis der DFG-VK insgesamt war es, sich nicht ausreichend um Nachwuchs zu kümmern und eine intensive Mitgliederwerbung zu betreiben. Die Folge ist eine Überalterung der Organisation.
Zwar ist es in den letzten Jahren gelungen, auch wieder jüngere Menschen für pazifistisch-antimilitaristisches Engagement in der DFG-VK zu gewinnen, es fehlen aber die „mittelalten“ Jahrgänge zwischen 35 und 50. Durch das Bemühen, Nachwuchs zu gewinnen, und weil der BSK durch die Satzung zahlenmäßig nicht begrenzt ist, wurden bei den letzten Bundeskongressen verstärkt junge Menschen in den BSK gewählt – unabhängig von ihrer Kenntnis des Verbandes, seiner Erfahrungen und Praxis und von eigener Erfahrung und Qualifikation, die z.B. im Engagement in Gruppen oder Landesverbänden erworben worden wären.
Eine Besonderheit in der Leitungsstruktur der DFG-VK liegt in der Spezialregelung, dass der Bundeskongress aus der Mitte des (zuvor gewählten) BSK den/die BundeskassiererIn und mindestens zwei weitere Mitglieder wählt. Nach § 26 BGB muss jeder Verein einen Vorstand haben, der ihn rechtlich vertritt, z.B. den Mietvertrag für die Räume der DFG-VK-Bundesgeschäftsstelle unterschreibt. Theoretisch und rechtlich möglich wäre es natürlich, sämtliche BSK-Mitglieder in diesen Vorstand zu wählen, so dass (rechtlicher) Vorstand und (politischer) BSK identisch wären. Das war aber auch wegen möglicher Haftungsfragen nicht gewollt.
In der politischen Arbeit der DFG-VK ändert sich durch diese Satzungsbestimmung allerdings nichts. Einzige Aufgabe des (BGB-)Vorstandes ist es, Entscheidungen des dafür allein zuständigen und legitimierten BSK ggf. juristisch und formal umzusetzen. Eine eigene „Gestaltungsmacht“ sollte dieser BGB-Vorstand nicht haben und hat sie nach der Satzung auch nicht; alle in § 12 Abs. 1 der Satzung genannten Rechte und Verpflichtungen beziehen sich auf den BSK.
Die Internetseite mit der DFG-VK-Satzung ist überschrieben mit dem Satz „Auch wer die Welt verändern will, muss sich an Regeln halten“. So viel Pathos ist gar nicht nötig, die Satzung als verbindliche Handlungsanweisung zu beachten, würde schon reichen.
Stefan Philipp ist ZivilCourage-Chefredakteur. In den 80er Jahren war er Mitglied im DFG-VK-Bundesvorstand