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2. Oktober 2025

Über Pazifismus und Antimilitarismus

Über Pazifismus und Antimilitarismus zu schreiben, mag in Zeiten wie diesen, in denen ein deutscher Verteidigungsminister davon spricht, Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ werden, manchen eigentümlich vorkommen. Der fürchterliche Krieg, den Russland in der Ukraine führt, hat auch in der Bundesrepublik zu gravierenden Verschiebungen im gesellschaftlichen Bewusstsein geführt. Der Ukrainekrieg hat Weltbilder und lange gehegte Sicherheiten zerstört. Die Realisierung eines friedlichen Zusammenlebens in Europa und der Welt auf der Grundlage von Kooperation, Dialog und Abrüstung scheint in weite Ferne gerückt zu sein – schon die Vorstellung wird von vielen inzwischen als naiv und weltfremd begriffen. Das Denken in den Kategorien militärischer Stärke erlebt eine Renaissance. Die unsägliche Diskussion über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird immer lauter. Pazifismus und Antimilitarismus wirken aus der Mode gekommen. Aber waren sie überhaupt je in Mode?

Pazifist*innen und Antimilitarist*innen hatten gerade in Deutschland noch nie einen leichten Stand. Bertha von Suttner, Ludwig Quidde und Carl von Ossietzky, die hervorstechendsten pazifistischen Köpfe der Antikriegsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik, waren trotz ihrer Friedensnobelpreise stets politische Außenseiter und wurden auf das Übelste angefeindet. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beiden wohl exponiertesten Vertreter*innen des in der Arbeiterbewegung beheimateten Antimilitarismus, wurden 1919 von einem paramilitärischen Freikorps ermordet. Trotzdem oder gerade deswegen ist pazifistisches und antimilitaristisches Denken wichtig, ist es doch ein Stachel gegen all jene, die bereit sind, sich ebenso allzu selbstsicher wie leichtsinnig in einer Welt der Waffen und Kriege einzurichten.

Essenziell bei der Betrachtung von Antimilitarismus und Pazifismus ist es, die jeweiligen Grundgedanken und die zugrunde liegenden Motivationen zu verstehen. Beide Begriffe sind zwar eng miteinander verbunden, jedoch sind sie weder deckungsgleich noch stellen sie starre, geschlossene Denksysteme dar. Stattdessen fungieren sie als Oberbegriffe, die eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Einstellungen umfassen.

Der Antimilitarismus basiert vor allem auf einer kritischen Haltung gegenüber Militarismus, also militaristischen Tendenzen innerhalb von Gesellschaft und Politik. Er richtet sich gegen militärische Macht, Aufrüstung, Kriegsvorbereitungen und die damit verbundenen Ideologien. Ziel des Antimilitarismus ist es, die Gesellschaft von militaristischen Strukturen und Denkweisen zu befreien, um eine friedlichere und gewaltfreie Gesellschaft zu fördern. Dabei kann der Antimilitarismus unterschiedliche Formen annehmen: Manche Menschen lehnen das Militär grundsätzlich ab, andere kritisieren nur bestimmte Aspekte wie die Rüstungsindustrie oder die Militarisierung im öffentlichen Raum.

Der Pazifismus hingegen basiert auf einer grundsätzlichen Kritik am Krieg selbst. Wobei sich von Anfang an unter diesem Etikett verschiedene Anschauungen versammelten, deren Gemeinsamkeit ganz allgemein nur war und ist, sich für den Frieden einzusetzen sowie Kriegsgefahr reduzieren und Militarisierung bekämpfen zu wollen. Gemeinsam hatten und haben die verschiedenen pazifistischen Strömungen, der Logik des Krieges eine andere, eine friedliche, Logik entgegensetzen zu wollen. Aber was das konkret bedeutet, darüber waren und sind sie sich nicht unbedingt einig. Sicherlich haben Pazifist*innen ein kollektives Grundverständnis dafür, Schwerter zu Pflugscharen umschmieden zu wollen. Der Auffassung, unter allen Umständen die zweite Wange hinzuhalten, folgte und folgt jedoch stets nur ein Teil.

Historisch betrachtet, lässt sich der Pazifismus auf zwei Grundströmungen zurückführen. Auf der einen Seite steht der überwiegend religiös motivierte „abso­lute Pazifismus“, der ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Nordamerika, aber auch in Großbritannien, starke Verbreitung fand. Dieser Pazifismus entspricht dem, was bis heute oft fälschlich für die alleinige Form von Pazifismus gehalten wird: der Verpflichtung zur absoluten Gewaltfreiheit, unter welchen Bedingungen auch immer.  Ausgangsbasis waren die sogenannten Friedenskirchen, die als christlich-protes­tantische Abspaltungen teils schon im frühen Mittelalter, teils in und nach der Reformationszeit entstanden sind, wie zum Beispiel die Hutterer, die Mennoniten und vor allem die Quäker. Bei allen theologischen Unterschieden war all diesen Gemeinschaften eine biblisch abgeleitete prinzipielle Ableh­nung jeglichen Militärdienstes gemeinsam.

Auf der anderen Seite entwickelte sich ebenfalls im 19. Jahrhundert in Kontinentaleuropa ein „völkerrechtsorientierter Pazifismus“. Getragen von linksliberalen Teilen des Bürgertums, basierte der Völkerrechtspazifismus auf dem Gedanken der Aufklärung und dem Glauben an den histori­schen Fortschritt. Das Ziel war, Konflikte mittels internationaler Vereinbarungen sowie eines verbindlichen völkerrechtlichen Regelwerks zu zivilisieren und dadurch zu entschärfen. Die bürgerliche Friedensbewegung vertrat jedoch nicht das Prinzip absoluter Gewaltfreiheit. Sie lehnte weder den Verteidigungskrieg eines Landes ab noch stellte sie sich gegen die nationalen Befreiungskriege des 19. Jahrhunderts.

Auch Bertha von Suttner, die wohl bekannteste Repräsentantin der bürgerlichen Friedensbewegung während der Kaiserzeit, war keine Radikalpazifistin. „Die Waffen nieder!“ lautet zwar der Titel ihres berühmtesten Buches – und das verstand sie durchaus als kategorischen Imperativ. Aber die große Pazifistin schrieb auch: „Wo Verfolgte, Tyrannisierte, Verhungernde ihren Klageschrei erheben, dort eile man hin und interveniere, denn nicht innere Angelegenheit – Menschenangelegenheit ist’s.“ In diesem Sinne plädierte sie für ein internationales „bewaffnetes Schutzheer“, das „nur zur Bändigung von Mördern, Räubern und Tollen“ ausgeschickt werden solle.

Grundsätzlich lässt sich also zwischen einem absoluten und einem nichtabsoluten Pazifismus unterscheiden. Wobei christlich motivierte Pazifist*innen ihre Überzeugung aus dem Ideal der Widerstandslosigkeit gegen­über dem Bösen ableiten, wie es in der Bibel von Jesus in der Bergpredigt (im Matthäusevangelium) oder der Feldpredigt (im Lukasevangelium) gefordert wird. Bekannteste Persönlichkeit dieser Strömung ist der 1968 ermordete US-amerikanische Bürgerrechtler und Friedensno­belpreisträger Martin Luther King Jr. In der Bundesrepublik steht dafür heutzutage beispielsweise Margot Käßmann, die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Dem steht ein nichtabsoluter Pazifismus gegenüber, der auch als relativer Pazifismus bezeichnet werden kann. Anhänger*innen eines solchen Pazifismus können unter bestimmten Umständen die Zulässigkeit oder sogar Notwendigkeit eines Krieges oder einer Gewaltanwendung akzeptieren, aber sie unter anderen Umständen gleichwohl fundamental ablehnen. Ihr Pazifismus ist also nicht „kategorisch“, sondern konditional. Das heißt, es gibt für sie Voraus­setzungen, die eine Abweichung von der pazifistischen Norm sinnvoll, ja sogar zwingend erscheinen lassen können.

Herausragendes Beispiel eines konditionalen Pazifisten ist Albert Einstein. In der Weimarer Republik verstand sich der Physikno­belpreisträger noch als Radikalpazifist. Nach der Machtübernahme der Nazis unterschied Einstein zwischen einem „vernünftigen“ und einem „unvernünftigen“ Pazifismus. Er könne „es nicht fassen, warum die ganze zivilisierte Welt sich nicht zum gemeinsamen Kampf zusammengeschlossen hat, um dieser modernen Barbarei ein Ende zu bereiten“, beklagte Einstein in einem Interview im September 1933. „Sieht denn die Welt nicht, dass Hitler uns in einen Krieg hineinzerrt?“ Nein, sie sah es nicht, wollte es leider nicht sehen.

Zu den verschiedenen pazifistischen Strömungen trat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Antimilitarismus, verkörpert durch die aufstrebenden sozialdemokratischen beziehungsweise sozialistischen Parteien in Europa, in Deutschland durch die SPD und ihre Vorläuferinnen. Die Sozialdemokratie verband zwar mit der bürgerlichen Friedensbewegung die Angst vor einem großen Krieg, aber ihre Antworten, wie der abgewendet werden könnte, fielen höchst unterschiedlich aus. So agitierte die SPD zwar entschlossen gegen Militarismus, forderte aber nicht minder entschieden eine Volksbewaffnung.

Dass sie das nicht als Widerspruch sah, lag daran, dass sie den Erfolg des Klassenkampfs der Arbeiter*innen gegen die bestehenden feudalen und bourgeoisen Machtverhältnisse für die entscheidende Voraussetzung zur Schaffung einer friedlichen Welt ansah. Der Internationale Sozialistenkongress 1893 in Zürich brachte das auf die knappe Formel „Der Sturz des Kapitalismus ist der Weltfriede“. Auch wenn ihre Praxis eine andere war, lehnte daher die SPD nicht grundsätzlich Gewalt als Mittel der Politik ab, sondern nur die herrschende Gewalt. Dazu passte, dass sie der individuellen Militärdienstverweigerung als Protestform, wie sie sowohl vom christlich motivierten Pazifismus als auch vom anarchistischen Antimilitarismus propagiert wurde, nichts abgewinnen konnte. Selbst Karl Liebknecht, Vertreter des linken Flügels in der SPD und ohne Zweifel einer der radi­kalsten Kriegsgegner in der Partei, polemisierte dagegen.

Dieser historische Hintergrund erklärt, warum sich in der Praxis Pazifismus und Antimilitarismus zwar oft überschneiden, doch die Begriffe für recht unterschiedliche Orientierungen stehen. Zu Recht hat der britische Politikwissenschaftler Geoffrey Ostergaard konstatiert, dass Pazifisten zwar sicherlich auch Antimilitaristen sind. „Allerdings sind nicht alle Antimilitaristen Pazifisten“, so der 1990 verstorbene Ostergaard, der sich selbst als anarchistischer Pazifist verstand. Das kann bei bestimmten Ausprägungen des Antimilitarismus zum Konflikt führen.

Ein Beispiel dafür ist die Ostermarschbewegung. Der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik fand 1960 statt. Von da an wuchs er Jahr für Jahr, bis die Ostermärsche im April 1968 ihren Höhepunkt erreichten, als sich rund 300 000 Menschen an ihnen beteiligten. Doch vier Monate später, in der Nacht zum 21. August 1968, marschierten die Truppen aus fünf Ländern des Warschauer Paktes unter Führung der Sowjetunion in die ČSSR ein und schlugen gewaltsam den „Prager Frühling“ nieder. Das war ein Bruchpunkt.

Die Ostermärsche wurden damals zentral von der Kampagne für Demokratie und Abrüstung organisiert. Einen Tag nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei schrieben die pazifistischen Mitglieder des bundesweiten Trägerkreises einen offenen Brief.  Der Kreis um Andreas Buro, Arno Klönne und Klaus Vack stellte den in der Ostermarschbewegung aktiven Kommunist*innen, die sich als Antimilitarist*innen verstanden, eine einfache, aber zentrale Frage: ob sie bereit seien, kritisch zum Einmarsch in die ČSSR Stellung zu beziehen? Die Antwort auf diese Frage entscheide „jetzt über die Möglichkeiten weiterer Zusammenarbeit in der außerparlamentarischen Opposition“.

Der marxistische Philosoph Robert Steigerwald und andere führende Kommunist*innen, die kurz darauf an der Gründung der DKP beteiligt waren, beantworteten den Brief noch im selben Monat: Sie kämen „zu einer grundsätzlichen anderen Beurteilung des Eingreifens der fünf sozialistischen Länder“. Es sei ihre „Überzeugung, dass das militärische Eingreifen zur Sicherung der sozialistischen Ordnung in der ČSSR und damit des Status quo in Europa vor der akuten Gefahr eines gegenrevolutionären Auflösungsprozesses unvermeidlich war“, schrieben sie. Damit war die gemeinsame Grundlage zerstört, die Kampagne für Demokratie und Abrüstung zerfiel. Ein Jahrzehnt lang gab es keine Ostermärsche mehr in der Bundesrepublik.

Erst nach dem NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 lebte die Ostermarschbewegung wieder auf. Die gemeinsame Angst vor der atomaren Bedrohung ließ Trennlinien in den Hintergrund treten, der alte Streit schien vergessen. Aber der Grundkonflikt blieb ungelöst. Das gilt bis heute und ist einer der Gründe dafür, dass auch mehr als drei Jahre nach dem Angriff Russlands die Friedensbewegung keinen kollektiven ausstrahlungsfähigen Umgang mit dem Ukrainekrieg gefunden hat. Schließlich ist es höchst fragwürdig, wenn ein nicht unerheblicher Teil der verbliebenen Friedensaktivist*innen immer noch an der Lebenslüge festhält, allein die USA und die NATO seien eine Gefahr für den Weltfrieden. Wer einst – zu Recht – „Amis raus aus Vietnam“ oder „Amis raus aus Irak“ gerufen hat, aber heute nicht bereit ist, ebenso entschieden „Russland raus aus der Ukraine“ zu fordern, hat ein schwerwiegendes Glaubwürdigkeitsproblem.

In einer Ostermarschrede Anfang der 1980er-Jahre hat der pazifistische Theologe Helmut Gollwitzer die Menschen in Europa als „Pulverfassbewohner“ und die Friedensbewegung als „Überlebensbewegung hart vor dem Abgrund“ bezeichnet. Seine Worte erscheinen heute aktueller denn je. Wäre doch bloß die Friedensbewegung in einem besseren Zustand.

Zur Person: Pascal Beucker ist Redakteur im Parlamentsbüro der tageszeitung (taz) in Berlin. Laut schriftlichem Bescheid des Ausschusses für Kriegsdienstverweigerung beim Kreiswehrersatzamt Düsseldorf vom 13. Mai 1991 ist er „berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern“. Sein Buch „Pazifismus – ein Irrweg?“ ist im vergangenen Jahr im Kohlhammer Verlag erschienen.

Kategorie: Allgemein

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In der aktuellen Ausgabe erwarten euch spannende Beiträge zu unseren gemeinsamen Bemühungen für Frieden, Abrüstung und soziale Gerechtigkeit. Ein besonderer Fokus liegt auf der Strömungsdiskussion von Antimilitarismus und Pazifismus, der Kriegsdienstverweigerung und der Relevanz von 80 Jahren Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki.

Hier ein kleiner Einblick in die Themen:

  • 5 Fragen an Nihon Hidankyō
  • Streitgespräch zur Kriegsdienstverweigerung mit Tobias Lindner
  • 150 Jahre Thomas Mann
  • Antimilitarismus und Pazifismus: Zwei Wege – Eine Bewegung?
  • Friedensprofile: Semih Sapmaz – WRI

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