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202104

19. Dezember 2021

Buchbesprechung

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Literatur

Andreas Zumach: Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die UNO? Zürich 2021; 320 Seiten; 25 Euro

Im Jahr 2015 veröffentlichte Andreas Zumach zum 70jährigen Bestehen der Vereinten Nationen (englisch: United Nations Organization; Uno) das Buch „Globales Chaos – machtlose Uno“. In seiner Besprechung in der ZivilCourage 4/2015 stellte Stefan Phi-lipp damals fest: „Pazifistische Analyse und Strategieentwicklung kommt um die Uno-Frage nicht herum. Das Zumach-Buch ist auch deshalb Pflichtlektüre für PazifistInnen.“ Diese Einschätzung trifft uneingeschränkt auch auf die in diesem Jahr erschienene aktualisierte und stark erweiterte Neuausgabe des Buches unter dem Titel „Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die Uno?“ zu. 

Andreas Zumach schildert in dem neuen Buch nicht nur den weiteren Verlauf der in der ersten Auflage beschriebenen Gewaltkonflikte und stellt die fortschreitende Erosion des Völkerrechts, insbesondere (aber bei Weitem nicht nur) durch die US-Administration unter Präsident Trump, dar, sondern zeigt auch, welche Rolle die Uno bei den gegenwärtig größten Herausforderungen für die Weltgemeinschaft spielt (oder spielen könnte und sollte): die Bewältigung der globalen Folgen des Klimawandels und der Corona-Pandemie. 

Besonders lesenswert ist dazu das Kapitel „Corona, Ebola – Gesundheit als Ware“, in dem Andreas Zumach die Veränderungen der Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von staatlichen Pflichtbeiträgen der Uno-Mitgliedsstaaten bis Ende der 1990er Jahre hin zu freiwilligen Leistungen der Regierungen und zweckgebundenen Spenden von Stiftungen und Konzernen (zusammen inzwischen 80 Prozent der Haushaltsmittel der WHO) schildert. Diese Veränderungen hatten gravierende Folgen für die Arbeit der WHO und führten unter anderem dazu, dass die Entwicklung vorbeugender Gesundheitsprogramme, die die sozialen und politischen Ursachen von Krankheit mit in den Blick nehmen, vernachlässigt wurde. 

Sehr differenziert betrachtet An-dreas Zumach in diesem Zusammenhang den Einfluss privater Akteure, wie z.B. der Bill & Melinda-Gates-Stiftung, bei der Finanzierung der WHO. Die unzureichende Finanzierung der gesamten Uno verdeutlicht Andreas Zumach mit diesem Vergleich: Die 193 Uno-Mitgliedstaaten gaben 2019 fast 250 US-Dollar pro Erdbewohner für Rüstung und Militär aus, für die Uno hingegen lediglich 7 US-Dollar. 

Vorschläge für eine Reform und Weiterentwicklung der Uno stellt der Autor in seinem Buch einige vor, wie den 2005 vom damaligen Uno-Generalsekretär vorgestellten Reformplan der Uno „In größerer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ und die 2015 auf einem Uno-Gipfel verabschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Umgesetzt werden konnte davon bislang nur wenig. Der im Januar 2021 in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag bleibt deshalb der einzige Lichtblick in der Entwicklung der letzten Jahre. 

Das Buch ist für die praktische politische Arbeit sehr hilfreich. Die systematische Darstellung des Verlaufs von Krisen und Konflikten erleichtert es, aktuelle Ereignisse und das Scheitern der Uno-Mitgliedstaaten besser zu verstehen. Andreas Zumach schildert an vielen Beispielen sehr klar, wie die Aushöhlung der UN-Charta dazu führte, dass das Völkerrecht durch Vertragsbrüche von Mitgliedstaaten im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus immer obsoleter wurde. Das Personenverzeichnis in der Neuausgabe steigert den Gebrauchswert des Buches zusätzlich.

Ebenfalls einen hohen Gebrauchswert als gute Argumentationshilfe in der aktuellen Debatte hat übrigens ein Beitrag von Andreas Zumach, der im September (nur) auf der Homepage der Zivilcourage (https://zivilcourage.dfg-vk.de/) erschienen ist: „Der endlose und gescheiterte Krieg. Afghanistan, Irak, Syrien, Mali – und wie weiter?“, abrufbar unter https://bit.ly/3chqMiV

Stefan Lau

Kategorie: Rezensionen Stichworte: 202104, Buchbesprechung, Rezension, UNO, ZUmach

19. Dezember 2021

Buchbesprechung

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Literatur

Erica Chenoweth: Civil Resistance. What everyone needs to know. Oxford 2021 (Oxford University Press); 334 Seiten; ISBN-10: 0190244402ten; 25 Euro

Was jeder über gewaltfreien Widerstand wissen muss

Erica Chenoweth hat vor zehn Jahren zusammen mit Maria Stephan das Buch „Why Civil Resistance Works“ veröffentlicht. Aktuell hat sie die Ergebnisse ihrer weiteren Forschungen zur Wirkung des gewaltfreien Widerstands in ihrem neuesten Buch „Civil Resistance. What everyone needs to know“ veröffentlicht. Es ist bisher nur in englischer Sprache verfügbar. 

Verdienstvoll ist, dass sie in diesem Buch Fragen beantwortet, die im ersten Buch noch offen geblieben sind. 

Die Autorin hat den nach Berthold Beitz benannten Lehrstuhl in Harvard inne. Dass Beitz sein Geld für seine Arbeit im Rüstungskonzern Krupp bekam, ist ihr nicht anzulasten. Ihr wissenschaftlicher Verdienst ist es, statistisch genau nachgewiesen zu haben, dass gewaltfreie Bewegungen eine wesentlich bessere Erfolgsaussicht haben als gewalttätige.

Dazu hat sie alle politischen Bewegungen seit dem Jahr 1900 ausgewertet, die eine Mindestgröße an Beteiligten überschritten. Sie hat diese Bewegungen in gewalttätige und gewaltfreie unterschieden. Gewaltfreie Bewegungen haben das Ziel, dass Menschen unverletzt bleiben. Als gewalttätig zählt sie solche, bei denen die Anwendung von Gewalt über ein definiertes Maß hinausging. Zu grundsätzlich gewaltfreien Bewegungen mit gewalttätigen Rändern nimmt sie ausführlich Stellung.

Neu ist in diesem Buch, dass sie zum Erfolg gewalttätiger Revolutionen darstellt, dass diese sich auf eine viel größere gewaltfreie Massenbewegung stützen konnten. Am Beispiel des irischen Unabhängigkeitskrieges (1919-1922) gegen die britische Besatzung zeigt sie auf, dass die Bevölkerung schon seit 1870 gewaltfrei eine Selbstorganisation mit Parallelstrukturen aufgebaut hatte, ohne die der Krieg kaum erfolgreich gewesen wäre.

Die Auswertung, ob eine Bewegung mit einem Erfolg, einem Teilerfolg oder einem Misserfolg endete, ist in umfangreicher Tabelle angefügt und damit für jeden nachzuvollziehen. Chenoweth hatte bei ihrer Auswertung keinen Unterschied gemacht, ob eine Bewegung progressive Ziele verfolgte oder konterrevolutionär war. Diesbezüglich ist ihre Statistik völlig neutral. Aber da sie ihre Methodik offenlegt, ist leicht nachzurechnen: Wenn man nur die sozialistischen Revolutionen, antifaschistischen Widerstandsbewegungen und antikoloniale Befreiungsbewegungen auszählt, fällt der Unterschied in der Erfolgsrate zugunsten der Gewaltfreiheit sogar noch deutlicher aus. Sie stimmt der Aussage, dass gewaltfreier Widerstand auch für unmoralische Ziele einsetzbar ist, ausdrücklich zu und nennt dazu die Bewegungen gegen die sozialistischen Regierungen in Bolivien und Venezuela und die Monarchisten in Thailand.

Chenoweth setzt sich mit der Frage auseinander, ob gewaltfreie Methoden nur erfolgreich sind, wenn der Gegner sich „demokratisch“ zurückhält. Sie stellt klar, dass die britische Kolonialherrschaft in Indien ebenso Massenmorde wie Faschisten durchführte. Die antikoloniale Befreiungsbewegung mit Gandhi blieb dennoch überwiegend gewaltfrei. Gewaltfreier Widerstand war auch dann erfolgreich, wenn er sich direkt gegen den Hitlerfaschismus richtete. Chenoweth hat dazu die dänische antifaschistische Widerstandsbewegung ausgewertet und die Proteste der Frauen in der Rosentraße in Berlin, bei denen die Nazis nachgeben mussten.

Demgegenüber sinkt die Erfolgsrate signifikant, wenn eine gewaltfreie Bewegung gewalttätige Ränder akzeptiert. Dass Gewaltaktionen der Bewegung helfen könnten, wird eindeutig widerlegt. Militante Gewalttäter werden nicht etwa gewaltfreie Demonstrationen vor Angriffen von Militär oder Polizei schützen können, sondern bewirken das genaue Gegenteil, dass es nämlich viel mehr Tote und Verletzte gibt. Folglich sollten gewaltfreie Bewegungen sich besser von ihren gewalttätigen Rändern trennen, ihnen die Alternative anbieten, sich auf gewaltfreie Methoden zu beschränken oder die Bewegung zu verlassen.

Nur bei den von faschistischer Ideologie geleiteten Gruppen und Bewegungen führt die Akzeptanz und Anwendung von Gewalt nicht zu einer schlechteren Erfolgsbilanz. Chenoweth erklärt hierzu, dass das Wesen dieser Bewegungen Gewalt sei und sie damit stimmig seien. Demgegenüber gehen diejenigen, die für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Rechte eintreten, durch den unauflösbaren Widerspruch zwischen ihren Zielen und gewalttätigen Mitteln in den Misserfolg.

Chenoweth stellt heraus, dass gewaltfreie Bewegungen, die mehr als drei Prozent der Bevölkerung umfassten, erfolgreich waren. Da bleibt doch die Frage offen, weshalb mehr als vier Millionen erklärte Kriegsdienstverweigerer es hierzulande nicht schaffen konnten, das Militär abzuschaffen und Deutschland als internationalen Kriegsdienstverweigerer auf gewaltfreie Außenpolitik zu verpflichten.

Offen bleibt auch die Frage, in welchem Ausmaß die Beschränkung auf Teilforderungen den Erfolg beeinflusst. Hier aufgelistet, aber in ihrem vorherigen Buch ausführlicher dargestellt ist die gewaltfreie philippinische Widerstandsbewegung gegen den faschistischen Diktator Marcos. Weil Corazon Aquino die Eigentumsverhältnisse und Ausbeutung durch internationale Konzerne unangetastet ließ, während die vorher gescheiterte kommunistische Partei der Phi-
lippinen die Beendigung der Ausbeutung und die ökonomische Gleichheit zum Ziel hatte, ließen die USA ihren Statthalter Marcos genau dann fallen, als klar war, dass sie von Aquino nichts zu befürchten haben. Es ist mit der statistischen Methode nicht zu unterscheiden, ob die unterschiedlichen Ziele oder die unterschiedlichen Mittel der Aquino-Partei und der Kommunisten entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg waren.

Chenoweths Beschreibung zu Irland bestätigt den 100 Jahre älteren Bericht John Reeds über die russische Oktoberrevolution „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“. Den hatte sie im Literaturverzeichnis leider gar nicht erwähnt. Da wäre wenig über revolutionären Schusswaffengebrauch, aber sehr viel von gewaltfreien offenen politischen Diskussionen in den Sowjets zu finden. Lenin nannte das bereits im April 1917 „Doppelherrschaft“, dass „neben der Regierung der Bourgeoisie sich eine zwar noch schwache, erst in der Keimform vorhandene, aber dennoch unzweifelhaft existierende und erstarkende zweite Regierung herausgebildet hat: die Räte der Arbeiter- und Soldatendeputierten“, und Millionen russischer Arbeiter und Bauern hatten sich schon lange vor der Oktoberrevolution in Konsum- und Produktionsgenossenschaften organisiert. Erfolgreiche gewalttätige Strukturen profitierten von den vorherigen gewaltfreien Aktionen. Es gab erfolgreiche gewalttätige Bewegungen, aber wenn gewaltfreie Strukturen etabliert sind, sind Gewaltaktionen für den kurzfristigen Erfolg nicht nötig und für den langfristigen Erfolg eher hinderlich.

Der Untertitel „Was jeder wissen muss“ hat hier seine Berechtigung. Das Buch „Civil Resistance“ ist bei Oxford University Press erschienen für 16,95 US-Dollar, die Carl-von-Ossietzky-Buchhandlung beispielsweise importierte es für 16,95 Euro.

Ralf Cüppers

Kategorie: Rezensionen Stichworte: 202104, Buchbesprechung, Gewaltfreiheit

19. Dezember 2021

Trauer um Tina Gewehr

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Erinnerung

Trauer um Tina Gewehr (22.11.1962 – 21.9.2021)

Tina Gewehr, Aktive der DFG-VK Mainz-Wiesbaden, ist tot. Ende Mai begann eine Abwärtsspirale an Erkrankungen. Kurz nach einer Krankenhausentlassung erlitt sie einen Herzstillstand. Nachdem sie körperlich stabilisiert zu sein schien, starb sie im Alter von nur 58 Jahren.

Tina ist nicht nur aus ihrem eigenen Leben gerissen worden, sondern auch aus dem Leben vieler anderer.

Tina war seit 2003 in der DFG-VK in Mainz und auch auf Landes-, Bundes- und internationaler Ebene aktiv.

Wir erinnern uns an so vieles:

  • Eine Vielzahl von Reden bei Ostermärschen, anderen Demonstrationen und Kundgebungen;
  • Radiobeiträge im nicht-kommerziellen Lokalradio Radio Quer;
  • von ihr organisierte und durchgeführte Lesungen;
  • Betreuung unzähliger Infostände;
  • Organisation des Caterings für Friedensfahrradtouren, die Mainz besuchten;
  • Mitorganisation der bundesweiten Demonstration anlässlich des Bush-Besuchs in Mainz;
  • Delegierte bei allen Bundeskongressen der DFG-VK seit 2003;
  • Delegierte der DFG-VK bei allen Konferenzen der War Resisters´ International seit 2006 in Deutschland, Indien, Südafrika und Kolumbien;
  • Prozessbeobachterin in der Türkei;
  • Autorin, Redakteurin und Korrekturleserin des Friedlichts, des Infoblatts der DFG-VK Mainz-Wiesbaden;
  • Organisation unserer virtuellen Ostermärsche 2020 und 2021;
  • … und vieles andere mehr.

Sie hatte noch so viele Ideen. Und wir wollten mit ihr noch so viel erleben. Leider spielte ihr Körper nicht mit.

DFG-VK Mainz-Wiesbaden

Kategorie: Erinnerung Stichworte: 202104, Erinnerung, Tina Gewehr, Trauer

19. Dezember 2021

In memoriam Ludwig Baumann

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ZivilCourage 3/2021

Erinnerung

Am 13. Dezember wäre der Wehrmachtdeserteur 100 Jahre geworden

Ohne das unermüdliche Engagement von Ludwig Baumann wäre es wohl nicht zu einer, wenn auch späten Rehabilitierung der Wehrmachtdeserteure gekommen. Die DFG-VK würdigte ihn, indem sie ihn zu seinem 90. Geburtstag 2011 zum Ehrenmitglied machte. Im Juli 2018 verstarb Ludwig Baumann, der lange Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz war, mit 96 Jahren in Bremen. 

Anlässlich seines 100. Geburtstages ist die 61-seitige Broschüre „Ein Kämpfer bis zuletzt“ erschienen, die zum Selbstkostenpreis von 10 Euro über die Bundesvereinigung bezogen werden kann (https://bit.ly/3lNQwbV). 

Neu aufgelegt und zum Selbstkostenpreis von 18 Euro erhältlich ist die seit 2018 vergriffene von Baumann selbst zusammengestellte 170-seitige Broschüre „Ich wollte nur leben“.

Kategorie: Erinnerung Stichworte: 202104, Baumann, Ludwig Baumann, Militäsjustiz, Wehrmachtdeserteur

19. Dezember 2021

Nato im Niedergang

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ZivilCourage 3/2021

Erinnerung

Zur Erinnerung an die Ende Oktober verstorbene Journalistin Bettina Gaus

Bettina Gaus ist am 21. Oktober im Alter von nur 64 Jahren gestorben. Jahrzehnte hat sie für die Taz geschrieben, seit diesem April war sie Kolumnistin beim Spiegel. Mitglied in der DFG-VK war sie nicht und nach eigener Aussage auch keine Pazifistin. Wir lehnen jeden Krieg ab – sie fand alle falsch. Jedenfalls können wir uns an keinen Krieg oder Militär-
einsatz in den letzten Jahrzehnten erinnern, den sie nicht gut begründet kritisiert und abgelehnt hätte. Und damit war sie wichtig auch für uns, in mehreren Gesprächen. Denn in der Analyse lag sie oft auf unserer Linie – oder wir auf ihrer. Und ihre Meinung wurde gehört, geachtet und ernstgenommen – weit über unsere Kreise hinaus. Auch deshalb wird ihre Stimme sehr fehlen.

Zur Erinnerung an und zur Würdigung von Bettina Gaus drucken wir – mit freundlicher Genehmigung des Spiegel – ihre am 26. August im Spiegel unter der Überschrift „Nato im Niedergang – Eine Weltmacht marschiert durch“ erschienene Kolumne nach(https://bit.ly/3ncgp69).

Thomas Carl Schwoerer und Stefan Philipp

Aus lizenzrechtlichen Gründen dürfen wir den Text von Bettina Gaus aus dem „Spiegel“ ausschließlich in der gedruckten Ausgabe weiterverbreiten. Der am 26. August 2021 erschienene Text ist auf der Seite des „Spiegel“ nachlesbar unter: https://www.spiegel.de/politik/nato-eine-weltmacht-marschiert-durch-a-84368526-10d5-4020-818c-e612e589b0ef (= https://bit.ly/3dSi3Ez)

Kategorie: Erinnerung Stichworte: 202104, Afghanistan, Bettina Gaus, Erinnerung, Nato

19. Dezember 2021

Wieder entdeckt und gelesen

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ZivilCourage 3/2021

Literatur

Was uns „alte“ Bücher heute sagen können

Wer kennt das nicht? Man zieht um, mistet aus, sucht etwas im Bücherregal. Und stößt auf ein altes Buch, von dem man denkt: Das war damals eine wichtige Lektüre, das wollte ich unbedingt noch einmal lesen. Und es könnte auch für andere bereichernd sein. Oder aus einem aktuellen Anlass gelesen werden sollen.

Wer selbst solche alten Schätze wieder entdeckt, der kann sie hier in dieser Rubrik präsentieren.

Werner Glenewinkel präsentiert im Teil 2 unserer Reihe:

Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover (Hrsg.): Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dokumentation eines politischen Verbrechens. Frankfurt am Main 1967

Dieses Buch war damals, 1967, eine wichtige Lektüre und soll heute zum Wiederlesen vorgestellt werden. Denn in diesem Jahr wären Rosa(lie) Luxemburg und Karl Liebknecht beide 150 Jahre alt geworden. Geboren im Jahr der Gründung des Deutschen Reiches, die ja ausführlich in den Medien besprochen wurde, hat ihr Geburtstag wenig mediale Aufmerksamkeit gefunden. Das Theater in Meran hat aus diesem Anlass ein beeindruckendes Theatermemorandum in drei Bildern aufgeführt: „Rosa Luxemburg. Ich war. Ich bin. Ich werde sein.“ Das ist auch der Titel einer ihrer Aufsätze, und in ihm findet sich dieser Satz: „Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.“ Auch dieses Theatermemorandum endet in der Nacht zum 15. Januar, in der Rosa Luxemburg und ihr Genosse Karl Liebknecht verschleppt, gefoltert und ermordet wurden. 

Die Herausgeber Elisabeth und Heinrich Hannover, woll(t)en mit diesem Buch keinen Kriminalfall (der es auch ist) aufklären. „Die Täter interessieren sie nicht als Personen, sondern nur als typische Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und der von ihnen beherrschten staatlichen Institutionen“, heißt es im Vorwort. Liebknecht und Luxemburg seien nicht gefährlich gewesen, „weil sie über physische Gewalt verfügt hätten, sondern weil sie im Begriff standen, die deutsche Arbeiterschaft über ihre Klasseninteressen aufzuklären (…)“. „Gegen Aufklärung“, heißt es dann weiter, „hat eine Herrschaftsordnung, die weder moralisch noch vernunftmäßig zu rechtfertigen ist, nur ein Mittel: die Gewalt.“ (Seite 7) Denn die Vertuschung des Mordes begann bereits in der Mordnacht, weil „ein wesentlicher Teil der jungen Weimarer Republik in die Hände eines in reaktionärem Geiste geführten Militärs gelegt wurde (…)“. Und „weil die Justiz der Republik ebenfalls in den Händen von Angehörigen ihrer Gesellschaftsschicht lag“ (S. 8). Denn die beiden Arbeiterführer erlebten seit Langem einen ungeheuren Kollektivhass, der von einer gelenkten Hasspropaganda gegen Minderheiten verstärkt wurde. „Die Erzeugung von Progromstimmung“, schreiben die Herausgeber weiter, „gegen aufklärerische Minderheiten – Sozialisten, jüdische Intelligenz, ,Linksintellektuelle‘, Studenten – ist eines der Mittel, mit denen sich die herrschende Klasse die Assistenz der brutalen Dummheit sichert.“ (S. 9)

Mit Hilfe der noch einsehbaren Verfahrensakten sowie zahlreicher Presseberichte stellen die Herausgeber „ein historisches Ereignis als Teil eines dialektischen gesellschaftlichen Prozesses dar“ (S. 10). Nach der Darstellung der politischen Vorgeschichte des Mordes wird die politische Rolle von Luxemburg und Liebknecht kurz skizziert. Ein Satz der bis heute mit Rosa Luxemburg verbunden ist lautet: Die Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden. Für Karl Liebknecht ist dieser Satz wohl sehr charakteristisch: Die Furcht ist der schlechteste Ratgeber. 

Dann wird der Mord im Spiegel der zeitgenössischen Presseberichte geschildert. Den Schwerpunkt bildet der Prozeß vor dem Feldkriegsgericht gegen den Husaren Runge und Genossen sowie gegen sechs zum Teil hochrangige Offiziere. Die Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll des Feldkriegsgerichts klingen z.T. unglaublich und gewähren tiefe Einblicke in die Strukturen der jungen Weimarer Republik. Das Urteil soll hier mit dem Kommentar aus der Frankfurter Zeitung vom 16. Mai 1919 beschrieben werden:

„Der Ausgang der vor dem Kriegsgericht wegen der Ermordung von Liebknecht und Rosa Luxemburg geführten Verhandlungen ist aus rechtlichen wie aus politischen Gründen durchaus unbefriedigend. Denn zwei schwere Mordtaten bleiben ungesühnt, da die über einige Angeklagte verhängten Strafen nicht das Hauptverbrechen, den Mord selbst, sondern nur die Begleitumstände betreffen. Das Gericht ist im Gegensatz zu den Anträgen des Anklagevertreters für die meisten Angeklagten zu einem freisprechenden Ergebnis gelangt, weil es den Schuldbeweis nicht als geführt ansah.“ (S. 123)

Damit ist die Dokumentation aber noch nicht beendet. Es folgt der sogenannte Jorns-Prozeß. Kriegsgerichtsrat Jorns, lange Jahre bei der sog. Schutztruppe in China und Deutsch-Südwestafrika kämpfend, hatte die Anklage im Prozess gegen die Mörder von Luxemburg und Liebknecht vertreten. Am 24. März 1928 erschien in der Zeitschrift Das Tagebuch ein anonymer Aufsatz mit dem Titel Kollege Jorns. Darin wird Jorns, der inzwischen Reichsanwalt geworden war, vorgeworfen, er habe in dem Verfahren den Liebknecht-Luxem-
burg-Mördern Vorschub geleistet. Etwa ein Jahr später beginnt vor dem Schöffengericht in Berlin-Mitte die Hauptverhandlung gegen den verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift. Josef Bornstein wurde Beleidigung und üble Nachrede vorgeworfen. Er gab den Namen des Verfassers des Artikels nicht preis. Der Prozess wurde dank der Verteidigung durch den SPD-Reichstags-Abgeordneten Dr. Paul Levi und die Vernehmung des kommunistischen Reichstags-Abgeordneten Wilhelm Pieck (dem späteren Staatspräsidenten der DDR) zu einer neuerlichen, wenn auch indirekten, Anklage gegen die freigesprochenen Offiziere. Es verstärkten sich die Indizien für eine Planmäßigkeit der Morde. 

„Das Urteil des Schöffengerichts sprach den Angeklagten Bornstein am 27. April 1929 von der Anklage der Beleidigung und der üblen Nachrede frei. Es sah den Wahrheitsbeweis für die ehrenkränkenden Behauptungen des Aufsatzes in allen wesentlichen Punkten als erbracht erbracht.“ (S. 158) Die Presseberichte zeigten, schreiben die Herausgeber, „die Unterschiede der Berichterstattung und des politischen Denkens, die wir auch in der Presse unserer Tage [also in den 60er Jahren; d. Verf.] wieder finden“ (S. 158).

Die Berliner Volkszeitung schrieb dazu: „Das Gericht hat einen Spruch gefällt, der sicher dem Ansehen der deutschen Justiz außerordentlich zuträglich sein wird. Es hat in vollem Maße das Recht der Presse auf Kritik anerkannt und sich weder auf die formale Ausrede zurückgezogen, dass die Kritik in der Form gefehlt habe, noch auf die, dass in Nebenpunkten der Wahrheitsbeweis nicht erbracht sei. Wenn jetzt gesagt wird, dass der Freispruch für Bornstein eine Verurteilung für Jorns bedeutet, so ist das zutreffend. Aber man muss doch wohl noch einen Schritt weitergehen. Verurteilt worden ist in Moabit das ganze System jenes Helldunkels, das in den Januar Tagen 1919 Deutschland beschattete“ (S. 162).

Fünf Jahre später wird in Schatten der Vergangenheit ein Briefwechsel zwischen dem preußischen Justizministerium und dem preußischen Ministerpräsidenten geschildert. Am Ende steht im Juli 1934 ein Dankesbrief des damals verurteilten Otto Emil Runge. Darin spricht er seinen „besten nationalsozialistischen Dank“ für die ihm gewährte einmalige Entschädigung von 6 000 Reichs-Mark aus. Grundlage ist das Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung vom 27. Februar 1934. 

Der Epilog von Elisabeth und Heinrich Hannover klingt bedrückend. „Denn gerade die Partei,“ schreiben sie, „die sich rühmen könnte, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bis in den Ersten Weltkrieg hinein als Mitglieder geführt zu haben, scheint sich nicht gern an sie zu erinnern“ (S. 185). Dann beklagen sie die damals wenig ausgeprägte Erinnerungskultur: Sie erwähnen, dass das nach den Plänen des Architekten Ludwig Mies van der Rohe 1924 auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde errichtete Denkmal von den Nazis abgebrochen worden sei; dass 1941 die Gräber eingeebnet seien und im Friedhofsregister mit roter Tinte die Verfügung eingetragen worden sei, dass eine Umbettung Karl Liebknechts nicht in Frage käme. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herr-
schaft, schreiben sie im damals, den 1960er Jahren, üblichen Sprachgebrauch, gebe es im westlichen Teil Deutschlands kaum eine Straße, die nach einem der beiden großen Sozialisten benannt sei. Wenigstens das hat sich – über 50 Jahre später – geändert. Im Internet erfährt man, dass es mittlerweile über 200 Straßen in Deutschland mit dem Namen Rosa Luxemburg und etwas 300 mit dem Namen Karl Liebknecht gibt. 

Zum Schluss lohnt ein Blick auf die beiden Herausgeber: Elisabeth (1928-2009), studierte Historikerin, und Heinrich (heute 96 Jahre alt), seit 1954 als Rechtsanwalt zugelassen, waren ein produktives Paar. Die Beschäftigung mit Luxemburg und Liebknecht war kein Zufall. Bereits 1966 erschien von ihnen Politische Justiz 1918-1933 im Fischer-Verlag. Heinrich Hannover war von Anfang an in Verfahren wegen politischer Straftaten engagiert (ausführlich dazu Wikipedia zu Heinrich Hannover) und ein entschiedener Verfechter der „Herrschaft des Rechts“. Ohne sie so zu nennen hat er sehr früh auf die „Furchtbaren Juristen“ (so der Titel des Buches von Ingo Müller 1987) hingewiesen hat, die ihre im Nationalsozialismus begonnenen Karrieren ungehindert fortführen und dabei ihrer Gesinnung treu bleiben konnten. Hannover war ein Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung und Mitglied im Verband der Kriegsdienstverweigerer sowie einer der bekanntesten Verteidiger von Kriegsdienstverweigerern. Dass er daneben auch über 40 Jahre hin eine Fülle schöner, anregender Kinderbücher geschrieben hat, macht ihn zu einem ganz besonderen Juristen. 

Werner Glenewinkel ist DFG-VK-Mitglied, promovierter Jurist und war Vorsitzender der Zentralstelle KDV.

Kategorie: Rezensionen Stichworte: 202104, Liebknecht, Luxemburg, politische Justiz

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„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

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