• Skip to main content
  • Zur Hauptsidebar springen

ZivilCourage

  • Archiv
    • 2021
    • 2020
    • 2019
    • 2018
  • Artikel
    • Atomwaffen
    • DFG-VK
    • Pazifismus
    • Wehrpflicht
  • Über uns
  • DFG-VK

202104

19. Dezember 2021

Mehr im Hintergrund, aber solide und gut

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Kriegsdienstverweigerung

European Bureau for Conscientious Objection (Ebco) – Europäisches Büro für KDV

Von Guido Grünewald

„Was macht eigentlich das Ebco?“, fragte unser politischer Geschäftsführer, Michi Schulze von Glaßer, vor einigen Wochen in einem Telefongespräch. Eine kurze Antwort könnte lauten: Ebco leistet mit geringen Ressourcen eine gute, solide Arbeit. 

Juristisch eine Körperschaft nach belgischem Recht mit Sitz in Brüssel, was die Erfüllung komplizierter Regularien erfordert, ist Ebco in der Praxis ein Netzwerk von 30 bis 40 Individuen, die größtenteils Mitglied in pazifistischen Organisationen sind und diese teilweise offiziell repräsentieren. Ebco hat kein festes Büro, sondern nur eine Postadresse im Brüsseler Maison de la Paix und keine bezahlten Mitarbeiter:innen; die gesamte Arbeit erfolgt ehrenamtlich mit einem lächerlich geringen Jahresetat von knapp 4 000 Euro. 

Jeweils im Frühjahr und Herbst treffen wir persönlich zusammen, ansonsten kommunizieren wir per E-Mail. Nach mehrmaligen coronabedingt digitalen Zusammenkünften konnten wir Anfang Oktober erstmals wieder ein Präsenztreffen in Brüssel abhalten, bei dem allerdings nur ein kleiner Teilnehmer:innenkreis anwesend war; andere Aktive waren digital zugeschaltet. Wir haben unser Zusammentreffen zu einer Unterstützungsaktion für Ruslan Kozaba vor der Mission der Ukraine bei der Europäischen Union genutzt. 

Während Ebco-Mitgliedsorganisationen häufiger auf der Straße aktiv werden, erfolgt die Arbeit des Büros selbst hauptsächlich im Hintergrund: Recherche und Erstellung des jährlichen Berichts zur Lage der Kriegsdienstverweigerung (KDV) in Europa; Erklärungen zur Unterstützung einzelner Kriegsdienstverweigerer (KDV-er) oder von KDV-Organisationen sowie Unterstützung von Asylanträgen; Lobbyarbeit im Europäischen Jugendforum, in dem Ebco Mitglied ist, im EU-Parlament, beim Europarat und den Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen. 

Dies erfolgt häufig in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Versöhnungsbund (IFOR), der War Resisters‘ International (WRI) und dem Quaker-Büro bei den Vereinten Nationen (QUNO), die alle Mitgliedsorganisationen des Ebco sind; auch mit Amnesty International und Connection e.V. ist die Zusammenarbeit gut. Seit Kurzem hat Ebco außerdem die Befugnis, unter Bezug auf die Europäische Sozialcharta eine Kollektivklage beim Europäischen Ausschuss für Sozialrechte einzureichen. Dies kann eventuell in Bezug auf die Ausgestaltung des Zivildienstes in einzelnen Staaten relevant werden.

Ebco-Aktivitäten im Jahr 2021

Hier einige Ebco-Aktivitäten des laufenden Jahres: internationale Solidaritätserklärung zugunsten israelischer KDVer; diverse Statements und Aktionen zur Unterstützung Ruslan Kozabas; Veröffentlichung des Berichts Conscientious Objection to Military Service in Europe 2020 (https://bit.ly/3CUaVCD); Eingabe beim UN-Menschenrechtsrat gemeinsam mit der Vereinigung griechischer KDV-er anlässlich des Universal Periodic Review zu Griechenland; Erklärung, dass Finnland den Empfehlungen des UN-Menschenrechtsausschusses folgen sollte; Erklärung zur Unterstützung türkischer KDVer am 15. Mai, dem internationalen Tag der KDV; gemeinsame NGO-Erklärung zugunsten des griechischen Verweigerers Charis Vasileou; Erklärung zum Internationalen Friedenstag (21. September), in der auf die Bedeutung der KDV hingewiesen wird.

Im Zentrum der Diskussionen standen im laufenden Jahr die schwierige Situation der KDVer in Griechenland, der Türkei und in der Ukraine. Die ersten beiden Staaten sind leider „Dauerbrenner“, in denen sich nur kleine (Griechenland) oder gar keine Fortschritte abzeichnen. Der Verein für KDV (Vicdani Ret Derneği) in Istanbul hat eine ausführliche Darstellung der schlimmen Lage der KDVer in der Türkei in englischer Sprache veröffentlicht, auch mit einigen Fallbeispielen. Die zusammenfassende Einleitung mit konkreten Empfehlungen an die türkischen Behörden und internationale Menschenrechtsgremien hat Rudi Friedrich von Connection e.V. dankenswerter Weise ins Deutsche übersetzt (https://bit.ly/3kaJbSK; Gesamtstudie in Englisch unter https://bit.ly/3nZfsxr). 

In der Ukraine wurde kürzlich neun protestantischen KDVern die Anerkennung verweigert; im Juli wurde ein Gesetz verabschiedet, das einen patriotischen Unterricht für alle Schüler:innen (Alter: 6-18) sowie eine vormilitärische Ausbildung in den beiden letzten Schuljahren (Alter: 16-18) obligatorisch vorschreibt. 

Sorgen bereitet auch die Entwicklung in beiden Teilen Zyperns, wo die vor einigen Jahren begonnene Initiative für ein KDV-Gesetz folgenlos verpufft ist und durch die Verknüpfung der Datenbanken von Polizei und Militär nun alle, die ihrer Pflicht zu Reserveübungen nicht nachgekommen sind, leichter identifiziert und festgehalten werden können. 

Während in der Schweiz ein Frontalangriff auf den Zivildienst abgewehrt wurde, beendete Finnland die den Zeugen Jehovas bisher zugestandene Befreiung von Militär- und Alternativdienst. Der Alternativdienst weist nach wie vor eine unverhältnismäßige Dauer auf , und es gibt Bestrebungen, ihn in ein Gesamtverteidigungskonzept unter dem Label „umfassende Sicherheit“ zu integrieren. 

Kompliziert ist auch die Lage in Russland. Die Organisation „Soldatenmütter“ in St. Petersburg hat die Abteilung, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Armee sammelte, geschlossen. Ursache ist eine Liste von 60 Themen, die der Föderale Sicherheitsdienst, der größte inländische Geheimdienst, Ende September veröffentlicht hat. Jede Person und jede Organisation, die diese Themenfelder öffentlich berührt, kann als „ausländischer Agent“ eingestuft werden, was u.a. dazu führt, dass dieses Label auf allen Publikationen erscheinen muss. „Die Zeiten sind in der Tat hart in Russland“, schrieb unsere russische Kontaktperson. Eine internationale Solidaritätserklärung sei nicht hilfreich, im Gegenteil, sie bestätige den russischen Behörden, dass es sich tatsächlich um ausländische Agenten handle. „Das muss von der russischen Bevölkerung beendet werden, und ich hoffe, das geschieht noch zu meinen Lebzeiten.“ 

Unter der agilen Präsidentin Alexia Tsouni von der Vereinigung griechischer KDVer und von Amnesty International, die seit einem Jahr Friedhelm Schneider abgelöst hat, wendet sich Ebco auf diversen Kanälen stärker an die Außenwelt. 

Beispiele sind diverse politische Erklärungen u.a. zum Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags, ein Video mit persönlichen Botschaften (https://bit.ly/3o9zPIu und die aktive Teilnahme am Weltkongress des Internationalen Friedensbüros (https://bit.ly/3qaFobY).

Im Hinblick auf eine Erklärung zum Nakba-Tag, die Alexia Tsouni verfasst hatte und die am 15. Mai ohne vorherige Konsultation veröffentlicht wurde, haben Friedhelm Schneider, die Vertreterin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) und ich für die DFG-VK Protest eingelegt. Wir haben bemängelt, dass die Erklärung in einer Situation einer aktuellen militärischen Auseinandersetzung keinen Aufruf zur sofortigen Beendigung jeglicher Gewaltanwendung seitens aller Seiten enthielt, einseitig als Unterstützung der Palästinenser (keine Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung, den Regierungen in Palästina und bewaffneten Brigaden) verstanden werden konnte und nicht auf die Perspektive hinwies, dass der Konflikt nur mit diplomatischen und gewaltfreien Mitteln und dem Ende der Besatzung gelöst werden kann. Nach einer langen Diskussion wurde im Digitaltreffen Anfang Juni entschieden, Statements künftig erst nach vorheriger Konsultation in der E-Mail-Gruppe zu verabschieden. Die bereits veröffentlichte Erklärung zum Nakba-Tag wurde auf der Webseite durch eine in unserem Sinne überarbeitete Version ersetzt.

Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK, deren Vertreter bei Ebco und dort im Vorstand.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202104, international, KDV

19. Dezember 2021

Politik geht anders!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Pazifismus

Kritische Bemerkungen zu „Sicherheit neu denken“

Von Wolfram Scheffbuch

Das Szenario „Sicherheit neu denken“ zeigt auf, wie Deutschland bis zum Jahr 2040 die militärische Aufrüstung überwinden könnte. Erarbeitet wurde es im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Baden von einer Arbeitsgruppe mit Vertretern bundesweiter Friedensorganisationen. Auch die DFG-VK ist Kooperationspartner. „Sicherheit neu denken“ wird von einigen Akteuren in unserem Verband sehr wohlwollend aufgenommen und wird etwa im Landesverband Baden-Württemberg als ein neuer Arbeitsschwerpunkt gesehen.

Ich denke hingegen, unsere Aufgabe als Pazifisten ist eine andere. Wir müssen die sofortige Abschaffung der Bundeswehr fordern, wir müssen den sofortigen Stopp der Rüstungsproduktion fordern. Das ist unsere Aufgabe im politischen Spektrum. Genauso wie die Nato und die Waffenindustrie den weiteren Ausbau des Militärs fordern. Jeder hat seine Rolle im politischen Diskurs. Wenn wir die Rolle der radikalen Pazifisten nicht ausfüllen, wer macht es dann? Ein Szenario wie „Sicherheit neu denken“ kann am Ende eines politischen Prozesses stehen, wenn verschiedene gesellschaftliche und politische Kräfte einen Kompromiss ausgehandelt haben. Wenn aber die radikalste Seite – nämlich die Pazifisten – schon mit einem so weichgespülten Vorschlag ins Rennen gehen, dann kommt im politischen Prozess hinterher garantiert keine Abschaffung des Militärs heraus.

Politik geht anders. „Sicherheit neu denken“ geht davon aus, dass 2025 ein Bundestagsbeschluss gefasst wird, der bis 2040 Bestand hat. So läuft aber Politik nicht. Die Akteure wechseln im Lauf der Jahre, Interessen verschieben sich, Bündnisse zerfallen und werden neu geschlossen, Bedrohungslagen werden neu definiert. Wer hat 1980 gedacht, dass 1995 der Bürgerkrieg in Jugoslawien tobt? Wer hat im Jahr 2006 damit gerechnet, dass 2021 Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist?

Wenn das Szenario für das Jahr 2040 postuliert: „Mit 4 Milliarden Euro jährlich ist Deutschland der größte Beitragszahler des UN-Welternährungsprogramms“, dann ist das naiv. Die Summe suggeriert eine Exaktheit, die es gar nicht geben kann. Was wissen wir heute, wie viel ein Euro im Jahr 2040 wert ist? Wird es den Euro überhaupt noch geben? 

Wenn ein politisches Thema kontrovers ist und wirtschaftliche Interessen mit dem Wohlergehen der Bevölkerung kollidieren, dann wird gern eine Änderung der Verhältnisse in weiter Zukunft beschlossen. Das war schon bei dem rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2001 so, das ist jetzt beim Kohleausstieg und dem Aus für den Verbrennungsmotor zu beobachten. Man bekommt eine breite Zustimmung. Die Gutmenschen bekommen ihre lange geforderten Ziele in Gesetzesform gegossen, die Profiteure des Status Quo hingegen können erst einmal weiterverdienen. Und wenn die Profite tatsächlich in Gefahr kommen, dann ist so ein Beschluss aus der Vergangenheit schnell wieder abgeräumt. 

Tatsächlich besteht aber akuter Handlungsbedarf. Auf unser Thema bezogen: Wir brauchen jetzt Fachkräfte statt Soldaten, wir brauchen jetzt Geld für Katastrophenhilfe statt für Rüstung, wir müssen jetzt Atomwaffen abschaffen, statt Raketen in Bereitschaft zu halten. Wir können doch nicht – wie in „Sicherheit neu denken“ festgelegt – der Bundeswehr eine Bestandsgarantie bis 2040 geben oder im Haushalt 2030 eine Summe von 40 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen. Das steht zwar im Szenario, aber das kann ich als Pazifist niemals gutheißen.

Vielmehr ist unsere Aufgabe als DFG-VK, radikal gegen Krieg und Rüstung die Stimme zu erheben. Sofortige Abschaffung aller Armeen und Einstellung der Rüstungsproduktion. Punkt.

Für eine „klare Linie“

Mit einer klaren Linie können wir auch mehr Menschen gewinnen, bei uns mitzumachen, als mit einem akademischen Projekt wie „Sicherheit neu denken“. Und mit einem eindeutig pazifistischen Profil werden wir auch weiterhin Bündnispartner gewinnen. Vielleicht nicht ganze Landeskirchen, aber durchaus auch Aktive aus dem christlichen Spektrum. Oder Gewerkschaften wie die GEW. Bestes Beispiel hierfür ist die Kampagne „Unter 18 nie“. Hier kooperieren wir mit anderen nichtpazifistischen Akteuren, ohne unsere Grundsatzerklärung aufzugeben. Schließlich sagen wir ja nicht, dass wir den Militärdienst für über 18-jährige befürworten.

Wir haben also genug zu tun. Auch die neue Regierung wird Rüstungsprojekte und Militäreinsätze beschließen. Dagegen müssen wir protestieren, genauso wie gegen Bundeswehrwerbung, für einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag und viele anderen Dinge mehr…

Unsere Vision muss sein: Militär jetzt abschaffen. Nicht auf das Jahr 2040 warten.

Wolfram Scheffbuch ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Ludwigsburg.

Kategorie: Pazifismus Stichworte: 202104, Sicherheit neu Denken

19. Dezember 2021

Für eine Welt ohne Waffen und Militär

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Friedenskongress

Der World Peace Congress 2021 des International Peace Bureau in Barcelona“

Von Jürgen Grässlin

Vom 15. bis 17. Oktober fand in Barcelona der zweite World Peace Congress des International Peace Bureau (IPB) statt, fünf Jahre nach der Auftaktveranstaltung in Berlin. Der IPB-Kongress war bestens besucht, diesmal mit 1 000 anwesenden Teilnehmer*innen und 1 500 virtuell zugeschalteten Friedensfreund*innen. Das diesmalige Motto „(Re)Imagine our World: Action for Peace and Justice” war inspiriert von John Lennons Friedenshymne „Imagine“, die der britische Sänger und Songwirter exakt ein halbes Jahrhundert verfasst hatte. 

Stephan Möhrle, Ruth Rohde, Chriss Sotow und ich waren als vierköpfige Delegation des in Freiburg ansässigen RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) für das Global Net – Stop The Arms Trade (GN-STAT) angereist. Vor Ort traf ich mich mit weiteren Aktivist*innen der DFG-VK, seitens des BundessprecherInnenkreises mit Jan Sander. 

Barcelona als Tagungsort war bestens gewählt: Die Bürgermeisterin und der katalonische Regionalpräsident hielten flammende Reden für Frieden und Gerechtigkeit, die weit über bloße Lippenbekenntnisse hinausgingen. Mit Erfahrung und Engagement führten uns die IPB-Co-Präsidenten Lisa Clark und Philip Jennings (virtuell omnipräsent) sowie Reiner Braun, der vormalige IPB-Präsident und jetzige IPB-Generalsekretär, und der spanische Gastgeber Jordi Calvo Rufanges durch den Kongress.

Gelungen waren gleich zur Einführung die vielen Kurzreferate und Greetings, zeigten sie doch die thematische und organisatorische Breite des IPB mit seinen mehr als 300 Mitgliedsorganisationen auf. Über drei Tage hinweg wurde uns Zuhörer*innen mit Nachdruck vermittelt, wie dringlich sofortiges Handeln für Frieden ist. Denn längst wirken die Probleme unserer Zeit existenziell bedrohend: die schier ungebremst voranschreitende Klimakatastrophe, die drohende Atomkatastrophe bei der Modernisierung der Waffensysteme der Atommächte, die mehr als 30 wütenden Kriege und Bürgerkriege, die drastisch gesteigerten Militär- und Rüstungsausgaben bei desaströser Wirkung der Rüstungsexporte, die voranschreitende Entdemokratisierung, die schweren Menschenrechtsverletzungen, die rückschreitende Pressefreiheit in so vielen Ländern, die stetig wachsende Zahl an Flüchtlingen u.v.a.m. 

Den analytisch brisantesten Vortrag hielt m.E. Jeremy Corbyn von der britischen Labour Party, bei dem mir nochmals bewusst wurde, warum Corbyn in seinem Heimatland von den Tories und den Mainstreamedien bewusst diskreditiert und scharf attackiert wurde.  

Trotz des immens dichten Programmes – zwischen Plenary, Video Greetings, musikalischen Performances und den immens vielen Panels – waren in den drei Tagen kaum Pausen eingeplant. Hier galt es für jeden von uns, Prioritäten zu setzen, und gezielt die sich dabei bietenden Gelegenheiten zur Informationsvermittlung und -beschaffung sowie zur Kontaktaufnahme zu nutzen. Einem kongresserfahrenen  Friedensaktivisten fällt dies nicht schwer. Und doch bedauere ich im Nachhinein, nicht noch mehr Workshops besucht zu haben.

Drei Panels seien meinerseits bewusst hervorgehoben. 

Ruth Rohde und Julia Auf dem Brinke gelang in ihrem Workshop „Tracking Corruption in the Arms Trade“, die tiefgreifende Korruption beim weltweiten Waffenhandel aufzuzeigen. Basis dafür ist der von Andrew Feinstein bei aktiver Partizipation des RIB mit dem Global Net ins Leben gerufene Corruption Tracker.

Beim Workshop „Defund the Military. Defend People and the Planet“ hielt ich meinen gleichlautenden Vortrag. Wir sechs Referent*innen ergänzten uns inhaltlich bestens, diskutierten zukunftsgewandt und vertieften unsere Kontakte. Auch beim Workshop „Why EU Arms Export Keeps Fueling War and Repression“ konnten die Zuhörer*innen auf den aktuellen Informationsstand zum europäischen Waffenhandel gebracht werden. 

Bleibend auch das Erlebnis der Verleihung des Seán-MacBride-Peace-Prize an Aktivist*innen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Mit ihnen hat sich in kleiner Runde am Abend ein weiterer wichtiger Kontakt ergeben. 

Besonders gefreut haben mich zudem persönliche Begegnungen wie der gemeinsame Abend mit Malalai Joya, der vormaligen Parlamentarierin in Afghanistan, die heute als Geflüchtete nahe Barcelona lebt. Vermittelt wurde dieser Kontakt durch Heike Hänsel, bis zur Wahl Linke-Bundestagsabgeordnete, und Henning Zierock von der „Kultur des Friedens“. Malalai Joya .

Hinterlässt dieser World Peace  Congress einen bleibenden Eindruck? Als Teilnehmer und Referent antworte ich mit einem klaren Ja – bleibend und positiv. 

Denn dieser globale Friedenskongress hat es dank seiner thematisch versierten und friedenspolitisch engagierten Redner*innen und Aktivist*innen geschafft, den Finger zielgenau in die Wunden weltweiter Problemlagen zu legen, die Krisen im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts kritisch zu analysieren, konkrete Handlungsansätze aufzuzeigen und Konfliktlösungen mit dem gebotenen Nachdruck einzufordern. Grundlage unserer kommenden Zusammenarbeit wird der „Action Plan 2021-2023“ darstellen, der für 2023 eine internationale Konferenz zum Verbot von Rüstungsexporten vorsieht. 

Wollte man etwas kritisieren, so könnte man sicherlich eine größere Aktionsorientierung einfordern, sowohl seitens des Kongresses als auch in den Workshops – zu viele Vorträge, kaum gewaltfreie Aktionen, beispielsweise für die vielen Flüchtlinge am Straßenrand, selbst in den Seiteneingängen der Ramblas. Ich habe dieses Manko dennoch nicht als entscheidendes Defizit empfunden – dank des hohen inhaltlichen Niveaus der Panels und der Redebeiträge und dank der vielen neuen Kontakte in andere Länder und Kontinente, die es jetzt zu intensivieren gilt.

Erfreulicherweise konnte ich zahlreiche Kontakte knüpfen, die dem Aufbau des GN-Stat dienlich sein werden. Mein virtueller Vortrag Mitte November an der Universität Accra in Ghana zur weltweit katastrophalen Wirkung von Kleinwaffen ist ein Resultat eines IPB-Kontaktes. Viele weitere gilt es im Networking für die DFG-VK, für Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel und für das Global Net zu nutzen. 

Schade, dass wieder fünf lange Jahre vergehen werden, ehe der dritte IPB-World-Congress, dann in Asien, stattfinden wird. Bis dahin gibt es richtig viel zu tun, wollen wir eine Welt ohne Waffen und Militär schaffen.

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

Kategorie: International Stichworte: 202104, Barcelona, Grässlin, IPB

19. Dezember 2021

Wieder entdeckt und gelesen

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Literatur

Was uns „alte“ Bücher heute sagen können

Wer kennt das nicht? Man zieht um, mistet aus, sucht etwas im Bücherregal. Und stößt auf ein altes Buch, von dem man denkt: Das war damals eine wichtige Lektüre, das wollte ich unbedingt noch einmal lesen. Und es könnte auch für andere bereichernd sein. Oder aus einem aktuellen Anlass gelesen werden sollen.

Wer selbst solche alten Schätze wieder entdeckt, der kann sie hier in dieser Rubrik präsentieren.

Werner Glenewinkel präsentiert im Teil 2 unserer Reihe:

Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover (Hrsg.): Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dokumentation eines politischen Verbrechens. Frankfurt am Main 1967

Dieses Buch war damals, 1967, eine wichtige Lektüre und soll heute zum Wiederlesen vorgestellt werden. Denn in diesem Jahr wären Rosa(lie) Luxemburg und Karl Liebknecht beide 150 Jahre alt geworden. Geboren im Jahr der Gründung des Deutschen Reiches, die ja ausführlich in den Medien besprochen wurde, hat ihr Geburtstag wenig mediale Aufmerksamkeit gefunden. Das Theater in Meran hat aus diesem Anlass ein beeindruckendes Theatermemorandum in drei Bildern aufgeführt: „Rosa Luxemburg. Ich war. Ich bin. Ich werde sein.“ Das ist auch der Titel einer ihrer Aufsätze, und in ihm findet sich dieser Satz: „Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.“ Auch dieses Theatermemorandum endet in der Nacht zum 15. Januar, in der Rosa Luxemburg und ihr Genosse Karl Liebknecht verschleppt, gefoltert und ermordet wurden. 

Die Herausgeber Elisabeth und Heinrich Hannover, woll(t)en mit diesem Buch keinen Kriminalfall (der es auch ist) aufklären. „Die Täter interessieren sie nicht als Personen, sondern nur als typische Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und der von ihnen beherrschten staatlichen Institutionen“, heißt es im Vorwort. Liebknecht und Luxemburg seien nicht gefährlich gewesen, „weil sie über physische Gewalt verfügt hätten, sondern weil sie im Begriff standen, die deutsche Arbeiterschaft über ihre Klasseninteressen aufzuklären (…)“. „Gegen Aufklärung“, heißt es dann weiter, „hat eine Herrschaftsordnung, die weder moralisch noch vernunftmäßig zu rechtfertigen ist, nur ein Mittel: die Gewalt.“ (Seite 7) Denn die Vertuschung des Mordes begann bereits in der Mordnacht, weil „ein wesentlicher Teil der jungen Weimarer Republik in die Hände eines in reaktionärem Geiste geführten Militärs gelegt wurde (…)“. Und „weil die Justiz der Republik ebenfalls in den Händen von Angehörigen ihrer Gesellschaftsschicht lag“ (S. 8). Denn die beiden Arbeiterführer erlebten seit Langem einen ungeheuren Kollektivhass, der von einer gelenkten Hasspropaganda gegen Minderheiten verstärkt wurde. „Die Erzeugung von Progromstimmung“, schreiben die Herausgeber weiter, „gegen aufklärerische Minderheiten – Sozialisten, jüdische Intelligenz, ,Linksintellektuelle‘, Studenten – ist eines der Mittel, mit denen sich die herrschende Klasse die Assistenz der brutalen Dummheit sichert.“ (S. 9)

Mit Hilfe der noch einsehbaren Verfahrensakten sowie zahlreicher Presseberichte stellen die Herausgeber „ein historisches Ereignis als Teil eines dialektischen gesellschaftlichen Prozesses dar“ (S. 10). Nach der Darstellung der politischen Vorgeschichte des Mordes wird die politische Rolle von Luxemburg und Liebknecht kurz skizziert. Ein Satz der bis heute mit Rosa Luxemburg verbunden ist lautet: Die Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden. Für Karl Liebknecht ist dieser Satz wohl sehr charakteristisch: Die Furcht ist der schlechteste Ratgeber. 

Dann wird der Mord im Spiegel der zeitgenössischen Presseberichte geschildert. Den Schwerpunkt bildet der Prozeß vor dem Feldkriegsgericht gegen den Husaren Runge und Genossen sowie gegen sechs zum Teil hochrangige Offiziere. Die Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll des Feldkriegsgerichts klingen z.T. unglaublich und gewähren tiefe Einblicke in die Strukturen der jungen Weimarer Republik. Das Urteil soll hier mit dem Kommentar aus der Frankfurter Zeitung vom 16. Mai 1919 beschrieben werden:

„Der Ausgang der vor dem Kriegsgericht wegen der Ermordung von Liebknecht und Rosa Luxemburg geführten Verhandlungen ist aus rechtlichen wie aus politischen Gründen durchaus unbefriedigend. Denn zwei schwere Mordtaten bleiben ungesühnt, da die über einige Angeklagte verhängten Strafen nicht das Hauptverbrechen, den Mord selbst, sondern nur die Begleitumstände betreffen. Das Gericht ist im Gegensatz zu den Anträgen des Anklagevertreters für die meisten Angeklagten zu einem freisprechenden Ergebnis gelangt, weil es den Schuldbeweis nicht als geführt ansah.“ (S. 123)

Damit ist die Dokumentation aber noch nicht beendet. Es folgt der sogenannte Jorns-Prozeß. Kriegsgerichtsrat Jorns, lange Jahre bei der sog. Schutztruppe in China und Deutsch-Südwestafrika kämpfend, hatte die Anklage im Prozess gegen die Mörder von Luxemburg und Liebknecht vertreten. Am 24. März 1928 erschien in der Zeitschrift Das Tagebuch ein anonymer Aufsatz mit dem Titel Kollege Jorns. Darin wird Jorns, der inzwischen Reichsanwalt geworden war, vorgeworfen, er habe in dem Verfahren den Liebknecht-Luxem-
burg-Mördern Vorschub geleistet. Etwa ein Jahr später beginnt vor dem Schöffengericht in Berlin-Mitte die Hauptverhandlung gegen den verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift. Josef Bornstein wurde Beleidigung und üble Nachrede vorgeworfen. Er gab den Namen des Verfassers des Artikels nicht preis. Der Prozess wurde dank der Verteidigung durch den SPD-Reichstags-Abgeordneten Dr. Paul Levi und die Vernehmung des kommunistischen Reichstags-Abgeordneten Wilhelm Pieck (dem späteren Staatspräsidenten der DDR) zu einer neuerlichen, wenn auch indirekten, Anklage gegen die freigesprochenen Offiziere. Es verstärkten sich die Indizien für eine Planmäßigkeit der Morde. 

„Das Urteil des Schöffengerichts sprach den Angeklagten Bornstein am 27. April 1929 von der Anklage der Beleidigung und der üblen Nachrede frei. Es sah den Wahrheitsbeweis für die ehrenkränkenden Behauptungen des Aufsatzes in allen wesentlichen Punkten als erbracht erbracht.“ (S. 158) Die Presseberichte zeigten, schreiben die Herausgeber, „die Unterschiede der Berichterstattung und des politischen Denkens, die wir auch in der Presse unserer Tage [also in den 60er Jahren; d. Verf.] wieder finden“ (S. 158).

Die Berliner Volkszeitung schrieb dazu: „Das Gericht hat einen Spruch gefällt, der sicher dem Ansehen der deutschen Justiz außerordentlich zuträglich sein wird. Es hat in vollem Maße das Recht der Presse auf Kritik anerkannt und sich weder auf die formale Ausrede zurückgezogen, dass die Kritik in der Form gefehlt habe, noch auf die, dass in Nebenpunkten der Wahrheitsbeweis nicht erbracht sei. Wenn jetzt gesagt wird, dass der Freispruch für Bornstein eine Verurteilung für Jorns bedeutet, so ist das zutreffend. Aber man muss doch wohl noch einen Schritt weitergehen. Verurteilt worden ist in Moabit das ganze System jenes Helldunkels, das in den Januar Tagen 1919 Deutschland beschattete“ (S. 162).

Fünf Jahre später wird in Schatten der Vergangenheit ein Briefwechsel zwischen dem preußischen Justizministerium und dem preußischen Ministerpräsidenten geschildert. Am Ende steht im Juli 1934 ein Dankesbrief des damals verurteilten Otto Emil Runge. Darin spricht er seinen „besten nationalsozialistischen Dank“ für die ihm gewährte einmalige Entschädigung von 6 000 Reichs-Mark aus. Grundlage ist das Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung vom 27. Februar 1934. 

Der Epilog von Elisabeth und Heinrich Hannover klingt bedrückend. „Denn gerade die Partei,“ schreiben sie, „die sich rühmen könnte, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bis in den Ersten Weltkrieg hinein als Mitglieder geführt zu haben, scheint sich nicht gern an sie zu erinnern“ (S. 185). Dann beklagen sie die damals wenig ausgeprägte Erinnerungskultur: Sie erwähnen, dass das nach den Plänen des Architekten Ludwig Mies van der Rohe 1924 auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde errichtete Denkmal von den Nazis abgebrochen worden sei; dass 1941 die Gräber eingeebnet seien und im Friedhofsregister mit roter Tinte die Verfügung eingetragen worden sei, dass eine Umbettung Karl Liebknechts nicht in Frage käme. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herr-
schaft, schreiben sie im damals, den 1960er Jahren, üblichen Sprachgebrauch, gebe es im westlichen Teil Deutschlands kaum eine Straße, die nach einem der beiden großen Sozialisten benannt sei. Wenigstens das hat sich – über 50 Jahre später – geändert. Im Internet erfährt man, dass es mittlerweile über 200 Straßen in Deutschland mit dem Namen Rosa Luxemburg und etwas 300 mit dem Namen Karl Liebknecht gibt. 

Zum Schluss lohnt ein Blick auf die beiden Herausgeber: Elisabeth (1928-2009), studierte Historikerin, und Heinrich (heute 96 Jahre alt), seit 1954 als Rechtsanwalt zugelassen, waren ein produktives Paar. Die Beschäftigung mit Luxemburg und Liebknecht war kein Zufall. Bereits 1966 erschien von ihnen Politische Justiz 1918-1933 im Fischer-Verlag. Heinrich Hannover war von Anfang an in Verfahren wegen politischer Straftaten engagiert (ausführlich dazu Wikipedia zu Heinrich Hannover) und ein entschiedener Verfechter der „Herrschaft des Rechts“. Ohne sie so zu nennen hat er sehr früh auf die „Furchtbaren Juristen“ (so der Titel des Buches von Ingo Müller 1987) hingewiesen hat, die ihre im Nationalsozialismus begonnenen Karrieren ungehindert fortführen und dabei ihrer Gesinnung treu bleiben konnten. Hannover war ein Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung und Mitglied im Verband der Kriegsdienstverweigerer sowie einer der bekanntesten Verteidiger von Kriegsdienstverweigerern. Dass er daneben auch über 40 Jahre hin eine Fülle schöner, anregender Kinderbücher geschrieben hat, macht ihn zu einem ganz besonderen Juristen. 

Werner Glenewinkel ist DFG-VK-Mitglied, promovierter Jurist und war Vorsitzender der Zentralstelle KDV.

Kategorie: Rezensionen Stichworte: 202104, Liebknecht, Luxemburg, politische Justiz

19. Dezember 2021

Die nukleare Teilhabe muss beendet werden

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Atomwaffen abschaffen

Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ am Atomwaffen-Lagerplatz Büchel

Menschenkette startete Aktionsmonat gegen Atomwaffen

Von Marion Küpker

Trotz Corona gelang es uns seit dem letzten Jahr  – gemeinsam mit der bundesweiten Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt und ICAN – eine öffentliche politische Diskussion über die gefährliche nukleare Abschreckungspolitik der Nato bezüglich der in Büchel stationierten US-Atomwaffen zu führen. Prominente Unterstützung erhielten wir vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der öffentlich die Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands zur Diskussion stellte. Unser Kampagnen-Trägerkreis Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen! besteht aus über 70 Organisationen und Gruppen der Friedensbewegung, die gemeinsam den Druck auf die Bundesregierung erhöhen mit dem Ziel des Abzugs der ca. 20 US-Atombomben aus Büchel. Deutschland muss endlich den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und atomwaffenfrei werden, anstatt die geplante nukleare Aufrüstung umzusetzen. 

Atomwaffen-Verbotsvertrag. Am 22. Januar 2021 feierte weltweit die Friedensbewegung das Inkrafttreten des internationalen Atomwaffenverbotsvertrags. Durch das Inkrafttreten ist der Verbotsvertrag völkerrechtlich gültig, d.h. nach internationalem Recht gelten Atomwaffen nun explizit als verboten. Allerdings sind die Bestimmungen nur für die unterzeichnenden Vertragsstaaten bindend, er gilt für 86 Staaten, d.h. auch für die Staaten, die den Vertrag bisher zwar unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert haben. Der Handlungsspielraum der Atommächte wird damit immer enger. Einige Finanzinstitute haben Ethikregeln, an denen sie sich nun messen lassen müssen, falls sie Konzerne finanzieren, die Atomwaffen (Teile und Tägersysteme etc.) produzieren. Auch dürfen – laut Vertrag -Teile dieser Waffen nicht mehr in den 86 Vertragsstaaten produziert werden. 

Der Druck auf unsere Regierung wurde und wird durch den Städte- und Abgeordnetenappell und der Organisation der BürgermeisterInnen für den Frieden immer weiter ausgebaut, damit ein Beitritt Deutschlands zum Atomwaffen-Verbotsvertrag endlich erfolgen kann. Hierfür machen sich unsere Trägerkreisorganisationen gemeinsam mit ICAN stark: So haben bereits 646 Abgeordnete und davon 171 Bundestagsabgeordnete den Appell unterschrieben. Insgesamt sind bis heute 137 Städte und vier Bundesländer dem Städteappell beigetreten, um den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu unterstützen bzw. die Bundesregierung aufzufordern, ihm beizutreten. Auch sind über 700 BürgermeisterInnen für den Frieden in Deutschland dem Bündnis Mayors for Peace beigetreten, womit wir weltweit nach Japan und dem Iran auf Platz 3 stehen.

Menschenkette in Büchel setzt Zeichen. Im Vorfeld der Bundestagswahl – am Sonntag, den 5. September – gelang der Menschenketten-Lückenschluss entlang der Bundesstraße am Atomwaffen-Stützpunkt „Fliegerhorst Büchel“ mit zirka 800 Menschen der Friedensbewegung. Damit konnte ein deutliches Signal aus der Zivilbevölkerung an die Regierungsparteien gesendet werden, damit der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen von Deutschland unterzeichnet, die US-Atomwaffen abgezogen und die nukleare Aufrüstung beendet wird. 

Trotz großer Einschränkungen durch Corona und Bahnstreik kamen hierfür über 40 Trägerkreisgruppen der bundesweiten Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt in 10 Städtebussen oder per PKW angereist. Bei strahlendem Sonnenschein trafen sich viele Friedensbewegte nach längerer Coronapause bei bester Stimmung entlang der Menschenkette wieder. Lebenslaute sang, viele trugen Transparente, und aus Autos wurde wohlwollend gehupt und gewinkt. Im Anschluss erwartete die Teilnehmenden auf dem Kundgebungsplatz am Haupttor ein biologisches vegetarisches Mittagessen und ein spannendes Redeprogramm, dass vor allem die europäische Perspektive in den Blick nahm. 

Während ich, Marion Küpker, auf die aktuellen Entwicklungen unserer Kampagne gegen die nukleare Aufrüstung in Büchel aufmerksam machte und auf die reale Bedrohung eines Atomkrieges durch die Nukleardoktrin hinwies, widmete sich Prof. Karl Hans Bläsius dem Thema der Künstlichen Intelligenz und des jederzeit möglichen Atomkrieges aus Versehen. 

Angelika Claußen, europäische Präsidentin der Internationalen Sektion der IPPNW/ÄrztInnen zur Verhütung des Atomkriegs, stellte die Notwendigkeit einer europäischen Kampagne vor – hier ein Auszug aus ihrer Rede:

„Ja, die Friedensbewegung schreibt Erfolge, den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) haben wir, die weltweite Zivilgesellschaft durchgesetzt im Bündnis mit den Ländern des globalen Südens und mutigen herausragenden Politikerinnen aus Ländern in Europa, aus Österreich und aus Irland. Den Widerstand der Atomwaffenstaaten haben wir erwartet, der AVV läuft ihren Interessen ja diametral entgegen! Jetzt ist Europa dran! In Europa muss die Nukleare Teilhabe beendet werden: in Deutschland, in Belgien, in den Niederlanden und in Italien… Der erste Schritt dazu ist, das nukleare Dogma der Nato in Frage zu stellen, das Dogma der nuklearen Abschreckung. 

Und hier kommt ein aktuelles Großereignis ins Spiel: Die Niederlage der Weltmacht USA in Afghanistan. Es ist jetzt glasklar deutlich, dass militärisch gestützte Sicherheitspolitik extrem zerstörerisch ist. Militär und Wettrüsten, sei es nuklear oder auch nicht nuklear, sind völlig ungeeignete Mittel, um den Herausforderungen der Menschheit in Zeiten der Klimakrise zu begegnen. Das Militär selbst ist ein Klimakiller. Wir brauchen stattdessen eine zivile Sicherheits- und Friedenspolitik, die in kooperativen Beziehungen unserer Länder die wichtigen Schritte zu einer sozial-ökologischen Transformation umsetzt. Entspannungspolitik heute, kooperative Sicherheitspolitik bedeuten drastische Abrüstungsschritte für Klimagerechtigkeit.

Nuclear-Free Europe – so haben wir unsere gemeinsame Kampagne genannt, um die Friedensbewegung und die Politik in den Dialog zu bringen, wie eine Roadmap zur Beendigung der nuklearen Teilhabe in Europa aussehen kann… Eine Welt frei von Atomwaffen, die Eindämmung der Klimakrise samt Klimagerechtigkeit und unser Recht auf Leben und Gesundheit – alle diese Ziele gehören zusammen! Dafür setzen wir uns gemeinsam hier in Büchel ein!“ 

Aus den europäischen Ländern der nuklearen Teilhabe sprachen Guido van Leemput, der Mitarbeiter der Außenpolitik und Landesverteidigung der Fraktion der Sozialistischen Partei in den Niederlanden ist und sich bei Bike for Peace Holland engagiert. Ludo De Brabander ist Sprecher der belgischen Friedensorganisation „Vrede“, die aktuell die Proteste an der belgischen Militärbasis Kleine Brogel organisiert. Alfonso Navarra sprach als italienischer Vertreter der „disarmisti esigenti“ und übermittelte einen gemeinsamen Vorschlag der italienischen Friedensgruppen für die nächste COP26 (UN Climate Change Conference) in Glasgow. Rudolf Gottfried sprach für die Aktionen, die gegen das nukleare Nato-Manöver „Steadfast Noon“ in Nörvenich am 9. Oktober stattfanden (siehe den Beitrag in diesem Heft auf Seite XX). 

Die gesamte Kundgebung wurde in einem Livestream aufgezeichnet und kann jetzt auf You-Tube angeschaut werden: www.youtube.com/watch?v=wxFABSdzBO0, weitere Informationen auch unter: www.atomwaffenfrei.de und unter www.buechel-atombombenfrei.de

Europäische Fahrradtour (24. bis 26. September): Month of Action. Nuke-Free Europe (www.nukefreeeurope.eu) ist ein junges europäisches Netzwerk, dass den diesjährigen September als Aktionsmonat für die Abschaffung der nuklearen Teilhabe in der Nato ausgerufen hat. Weitere Ziele sind der Abzug der US-Atomwaffen aus den Nato-Teilhabe-Ländern, der Stopp der geplanten nuklearen Modernisierung mit B61-12 Atombomben und den dazu nötigen Träger-Kampfflugzeugen sowie der Beitritt und die Ratifizierung des Atomwaffen-Verbotsvertrages durch unsere Länder. Wir wollen unsere Organisierung gegen Atomwaffen in Zukunft stärker auf europäischer Ebene koordinieren. Die Menschenkette war der Auftakt des Aktionsmonats, und im Anschluss wurden so von Büchel aus die Atomwaffen-Stützpunkte in den Niederlanden (Volkel) und Belgien (Kleine Brogel) mit einer Fahrradtour zu den dortigen Protesten miteinander verbunden. Da der Hauptorganisator einen Monat vor der Tour ausfiel, übernahm ich zum Teil die weitere Organisation einer zehnköpfigen Delegation aus Deutschland. Am 24. September starteten wir in Aachen mit dem Klimastreik von Fridays for Future, wo wir Flugblätter zu Klima und (Atomwaffen)-Militäremissionen und unserem Netzwerk verteilten. Im Anschluss wurde das Begleitfahrzeug mit Anhänger für den kommenden Morgen abgeholt. Nach einem gemeinsames Abendessen fand die Gruppenfindung mit inhaltlicher Ausrichtung in unserer Unterkunft statt, sodass wir Samstagfrüh gemeinsam mit unseren Fahrrädern aufbrachen.

Wir wurden von ca. 70 Menschen an der Militärbasis Volkel empfangen. Dort fand eine Kundgebung – gemeinsam mit Abgeordneten der niederländischen Linken und Grünen – sowie den dortigen Anti-Atomwaffen-Organisationen statt. Im Anschluss umradelten wir gemeinsam die Militärbasis, die – wie in Büchel – ca. 20 US-Atombomben beherbergt und wo niederländische PilotInnen deren Einsatz üben. Um 16 Uhr wurden wir mit unseren Fahrrädern in Richtung Eindhoven und zu einem belgischen Campplatz hin verabschiedet. Die belgische Friedensorganisation Vrede empfing uns dort, und wir führten am Lagerfeuer bis in die frühen Morgenstunden unsere Vernetzungs-

diskussionen. Am Sonntag, den 26. September starteten wir früh und vereinten uns mit 130 FahrradfahrerInnen auf dem letzten Abschnitt hin zur belgischen Militärbasis Kleine Brogel. Auch dort liegen wie in Büchel ca. 20 US-Atombomben. Mit einer internationalen Kundgebung und einer kleinen Menschenkette protestierten wir hier gemeinsam und trafen dabei viele Bekannte. Darunter war auch die US-Amerikanerin Susan Crane, die extra für ihren Büchel-Prozess am 29. September im Amtsgericht Cochem aus den USA angereist kam. Hier nahm sie das erste Mal an den Protesten in Volkel und Kleine Brogel teil.

Büchel könnte der Schlüssel zur atomaren Abrüstung sein. Unsere Kampagne zeigt, dass wir gemeinsam viel stärker sind, wenn wir uns auf unsere vereinbarten Ziele konzentrieren: die vierte Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt startete 2016 mit den jährlichen Aktionspräsenzen in Büchel „20 Wochen für 20 Bomben“. Öffentliche Umfragen zeigen, dass 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung gegen die Atombomben sind – und in unserer Kampagne sind anerkannte Organisationen wie der IPPNW, IALANA, Ohne Rüstung Leben, Pax Christi, DFG-VK, Versöhnungsbund, WILPF etc. dabei. Viele Gruppen reisen Jahr für Jahr nach Büchel, um direkt am Stützpunkt zu protestieren. Jedes Jahr predigen Geistliche und Bischöfe aus verschiedenen Kirchen vor bis zu 1000 Menschen an der Bundeswehr-Militärbasis. Viele Gruppen halten Mahnwachen und/oder Blockaden am Stützpunkt ab. In den letzten Jahren ist Büchel zu einem Symbol für unseren Widerstand gegen Atomwaffen in Deutschland geworden. Nach der Ankunft erhält jede Gruppe eine Einführung über die Arbeit unserer Trägerkreis-Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei jetzt. Einige Gruppen konzentrieren sich auf zivilen Ungehorsam am Ort des Geschehens. Viele sind der Meinung, dass wir neben Lobby- und Aufklärungsarbeit auch mit gewaltfreien direkten Aktionen Druck auf die politischen EntscheidungsträgerInnen ausüben müssen und dadurch das internationale (Völker-)Recht endlich zur Anwendung kommen könnte. 

Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Unter den Trägerkreisgruppen der Kampagne befindet sich auch die Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA), die die Proteste vor 25 Jahren in Büchel startete und die als Gruppe Mitglied in der DFG-VK ist. Seit dem Jahr 2017 organisiert die GAAA mit der US-amerikanischen Organisation Nukewatch die internationale Woche, die jeweils im Juli während der 20-wöchigen Aktionspräsenz stattfindet. Jedes Jahr haben wir Unterstützung von US-Delegationen, deren Teilnehmende auch zu Hause an den US-Produktionsstädten der neuen Atombomben für Europa aktiv sind. 

Mehrere Go-In-Aktionen führten zu Gerichtsprozessen. In den letzten beiden Jahren fanden etwa 50 Gerichtsverfahren mit mehreren Angeklagten statt. Darunter waren erstmalig drei US-BürgerInnen: Dennis DuVall, John LaForge und Susan Crane u.a. aufgrund der Go-In-Aktion am 15. Juli 2018 mit 18 Teilnehmenden. Auch der US-Aktivist Brian Terrell erhielt dieses Jahr seinen Strafbefehl in Deutschland ausgehändigt und legte dagegen sofort Widerspruch ein.

Am 1. April wurde aus unserer internationalen Gruppe eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht von Stefanie Augustin und mir eingereicht, was aktuell die 14. Verfassungsbeschwerde ist. Bisher hat sich das Verfassungsgericht geweigert, auch nur eine der Beschwerden anzunehmen, u.a. mit der Begründung, dass die Verhandlung der in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht im Interesse unserer Öffentlichkeit sei. Bei uns gab das Verfassungsgericht im Mai 2021 nicht einmal eine Begründung für die Nichtannahme. Wieder verfehlten die Gerichte durch alle Vorinstanzen die Anwendung des internationalen Rechts und verweigerten die Zeugenanhörung von RechtsexpertInnen, z.B. Anabel Dwyer (USA, Adjunct Professor of Human Rights and Humanitarian Law at T. M. Cooley Law School). Und das, obwohl das Völkerrecht unserem deutschen Recht übergeordnet ist. Damit haben wir alle nationalen rechtlichen Schritte ausgeschöpft, sodass wir jetzt Anfang November erstmalig Klage beim Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte einreichten. Unser Hauptaugenmerk liegt auf Artikel 2 der Verletzung des Rechts auf Leben sowie auf Artikel 6 der Verletzung des Rechts auf Verteidigung, da u.a. auch völker- und verfassungsrechtliche Fragen zu prüfen sind. 

Mit den vielen gut koordinierten Verfahren und auch den einzelnen Teilerfolgen (ein IPPNW- Mitglied hatte gerade Erfolg mit ihrem Revisionsantrag) sowie unserer Öffentlichkeitsarbeit machen wir es den Gerichten immer schwerer, ihre ablehnende Haltung in Folgeprozessen weiter zu begründen. 

Europa in Gefahr. Unser zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die Atomwaffen erzeugt bereits viel Druck, denn anders ist es schwer zu erklären, dass während der Koalitionsverhandlungen Ende Oktober der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, in ca. 80 deutschen Zeitungen mit der Aussage zitiert wird: „Europa würde ohne in Deutschland stationierte US-Atomwaffen in Gefahr sein…“ 

Ich zitiere aus der Pressemitteilung unserer Kampagne: „Ein Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland würde „Polen … sicherheitspolitisch den Teppich unter den Füßen wegziehen“. Ischinger bringt die Möglichkeit ins Spiel, dass dann Polen nach Atombomben auf seinem Territorium verlangen könnte. Allein die Tatsache, dass Ischinger dies in Erwägung zieht, bedeutet ein Spiel mit dem Feuer. Als langjähriger Leiter der sogenannten Sicherheitskonferenz in München muss er wissen, dass Sicherheit von Vertrauen lebt. Eine Grundlage für Vertrauen ist, dass Verträge eingehalten werden: ,pacta sunt servanda‘. Die Nato hat sich vertraglich verpflichtet, in den neuen Beitrittsstaaten, also auch in Polen, keine Atomwaffen zu stationieren. Diese Verpflichtung wurde von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages ausdrücklich hervorgehoben (WD 2-3000-041/20 vom 29. April 2020).“ 

„In der Nato-Russland Grundakte (Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation) vom 27. Mai 1997 wird eine Stationierung von Atomwaffen im Hoheitsgebiet der neuen Nato-Mitglieder ausgeschlossen.“ 

Ischinger weiß: Falls Deutschland aus der nuklearen Teilhabe austritt, wird dieses Auswirkungen auf zukünftige Entscheidungen der anderen europäischen Länder der nuklearen Teilhabe haben: Ein möglicher Domino-Effekt! 

Marion Küpker ist Sprecherin der Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt, internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen sowie Friedensreferentin zu Atomwaffen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.

Kategorie: Atomwaffen Stichworte: 202104

19. Dezember 2021

„Was macht eigentlich unser politischer Geschäftsführer?“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

DFG-VK-Info

Die Kolumne von Michael Schulze von Glaßer

Soll die Bundeswehr weiter im Ausland eingesetzt werden?“ – das war die Frage einer Diskussionsrunde des ZDF, zu der ich vor einigen Wochen eingeladen war. Daran nahm auch ein ehemaliger Soldat der Bundeswehr teil – sieben Mal war er in Afghanistan und hat dabei auch viel Schreckliches erlebt. Wir diskutierten vor den Kameras, aber auch nach dem Dreh. Auch wenn er Militäreinsätze zu „humanitären Zwecken“ nicht grundsätzlich ablehnte, war er sehr kritisch gegenüber den vergangenen und aktuellen Auslandseinsätzen der Bundeswehr bzw. der Außen- und Sicherheitspolitik der deutschen Regierungen der letzten Jahrzehnte. Auch deutsche Waffenexporte sah er kritisch und lehnte Atomwaffen – auch die in Büchel gelagerten US-Atomwaffen – ab. Sollten wir in Zukunft also intensiver mit kritischen ehemaligen (oder sogar noch im Dienst stehenden) Soldat*innen zusammenarbeiten?

Mit der kritischen Soldatenvereinigung „Darmstädter Signal“ gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Kontakt und vereinzelte gemeinsame Auftritte und Zusammenarbeit. (Ehemalige) Soldaten findet man aber selbst in unseren eigenen Reihen. In der Geschichte unseres Verbands spielen ehemalige Soldaten – soweit mir bekannt waren es bislang nur Männer – eine große Rolle: Als ehemaliger Generalmajor der Reichswehr war Paul von Schoenaich von 1929 bis 1933 und von 1946 bis 1951 Präsident der DFG, Martin Niemöller, der ab 1957 Präsident der DFG war, diente im Ersten Weltkrieg als Marineoffizier. Und auch heute haben wir – etwa mit unserem Bundessprecher Jürgen Grässlin – ehemalige Soldaten in unseren Reihen. Die Zahl der Veteran*innen der Bundeswehr ist sehr groß. Rund 160 000 deutsche Soldat*innen sollen von 2001 bis 2021 in Afghanistan gewesen sein. Steht davon auch nur ein Bruchteil der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik in unserem Sinne kritisch gegenüber, könnten sie wichtige Mitstreiter*innen für uns sein. Wir sollten die Veteran*innen nicht der Regierung überlassen. Viel mehr könnten wir kritische Soldat*innen dazu ermutigen, sich öffentlich zu äußern – eventuell auch, indem wir sie bei unseren politischen Aktionen und in unsere Kampagnen einbinden. Soldat*innen finden in der Öffentlichkeit oft viel Gehör – das zeigte sich zuletzt sehr deutlich beim Ende des Afghanistan-Einsatzes, wo Veteran*innen omnipräsent waren (während wir – wie so oft – marginalisiert und ignoriert wurden…). Die Soldat*innen können sehr authentisch berichten, und Journalist*innen scheinen ihnen oft viel Fachwissen beizumessen. Zudem irritieren Bilder von Soldat*innen, die sich kritisch zu Militärthemen in der Öffentlichkeit äußern: Noch heute ist das Bild der Bundeswehr-Soldaten in Uniform beim Protest gegen den so genannten Nato-Doppelbeschluss am 22. Oktober 1983 im Bonner Hofgarten eines der ersten, die man von dem Protest findet. Ist also mit Soldat*innen politisch in unserem Sinne viel zu gewinnen?

Das ist einer der in unserem Verband zu diskutierenden Fragen. Denn natürlich sind (Ex-)Soldat*innen erst einmal Menschen, für die es in Ordnung ist, andere Menschen zu töten – sie sind sogar darin ausgebildet. Und einige unter den vielen Veteran*innen würden uns Pazifist*innen und Antimilitarist*innen lieber tot sehen, als auch nur mit uns zu reden. Aber mit vielen (Ex-)Soldat*innen – wie etwa mit dem, der mit mir in der ZDF-Diskussionssendung „13 Fragen“ war – gibt es auch politische Schnittmengen, und es könnte sich lohnen, diese gemeinsam zu bearbeiten, um politisch etwas zu bewegen. Aber das ist eine offene Diskussion, die ich gerne führen und eure Meinungen hören würde: Sollen wir mit ehemaligen – oder sogar kritischen aktiven – Bundeswehr-Soldat*innen zusammenarbeiten? Ich bin gespannt und freue mich, dazu von euch zu hören!Neben dieser strategischen Diskussions-Frage war in den letzten Monaten wieder viel los: Wir haben die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP mit zahlreichen Aktionen vor Ort in Berlin begleitet, um sie auf unsere Forderungen aufmerksam zu machen (Videos einiger dieser Aktionen gibt es auf unserem You-Tube-Kanal: www.youtube.com/dfgvk). Da der Bundesausschuss eine Verschiebung des Bundeskongresses beschlossen hat, galt es, schnell eine neue, geeignete Location zu finden. Und da sind die Planungen für den DFG-VK-Bundeshaushalt 2022: Eigentlich sollte der Bundeskongress im Oktober eine – wie auch immer ausfallende – Erhöhung der Mitgliedsbeiträge beschließen (siehe dazu den entsprechenden Artikel in ZivilCourage 2/2021). Da dies nicht geschah, ist unser finanzieller Spielraum für das kommende Jahr sehr eng: Wir haben viele Pläne und Ideen, die Welt friedlicher zu machen – doch politische Arbeit kostet nun mal Geld. Ich würde mich daher sehr freuen und wäre sehr dankbar, wenn ihr den aktuellen Spendenaufruf beachten würdet, der kürzlich per Brief bei euch eingegangen sein sollte.

In dieser Kolumne berichtet Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der DFG-VK, regelmäßig, was in der DFG-VK-Geschäftsführung gearbeitet wird, welche Themen im Fokus sind, welche Materialien erstellt werden etc.

Kontakt: svg@dfg-vk.de

Kategorie: DFG-VK-Info Stichworte: 202104

19. Dezember 2021

Feldpost

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Satire

TAGESBEFEHL!

Soldatinnen und Soldaten!

Die haben doch immer etwas zu meckern, die Protestfritzen von diesem Friedensverein. Ihr letzter Aufreger: Unser traditioneller ITT, International Tank Tuesday. Unsere PR-Kameraden vom Heer posteten wie immer etwas auf Twitter mit kurzem Text und einem stimmungsvollen Leo-Foto mit viel Rumms und Mündungsfeuer. Alles okay soweit. Nun fiel unser ITT ausgerechnet auf den 9. November. Ganz gefährlich, denn da ist Gedenktag: Republikgründung 1918, Judenpogrome 1938 und Mauerfall 1989 – und auf keinen Fall Platz für unseren ITT mit Leo-Foto und Rumms. Das meinen jedenfalls die Friedensheinis, die uns bei jeder Gelegenheit ans Bein (oder an die Panzerkette) pinkeln. Na, wir haben für die so unsere Gegenmittel. Wenn jemand von uns so einen Friedensapostel dabei erwischt, wenn er eines unserer Werbeplakate klaut oder beschmiert, dann wird ab sofort nicht die 110 angerufen, sondern der bekommt ganz spontan von links und rechts direkte politische Bildung. Wir verstehen uns … 

Alex von Lingua, Feldpostmeister

Kategorie: Satire Stichworte: 202104, Feldpost, Satire

19. Dezember 2021

ZC-0421-Editorial

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein sehr schwieriges Jahr geht zu Ende – die drohende Klimakatastrophe zeigt sich immer deutlicher, der jahrelange Krieg n Afghanistan endete als Desaster, und ein Ende der Corona-Pandemie ist nicht abzusehen.

Nun ist die sog. Ampel im Amt. Dass aber die erste Maßnahme zur Pandemiebekämpfung noch vor der offiziellen Regierungsbildung die Einsetzung eines Krisenstabs unter Leitung eines Generals war, ist ein schlimmes Zeichen, das nichs Gutes erwarten lässt. Das Signal ist doch: Wenn zivile und demokratische – und damit normale –  Mittel schwierig sind, dann hilft nur Militär. Von wegen!

Seit Wochen infizieren sich in der vierten Corona-Welle jeden Tag Zehntausende neu mit Covid-19. Natürlich erkranken diese nicht alle, aber nur Infizierte können das Virus weitergeben und auch Menschen anstecken, die sich nicht impfen lassen können. Und: Ein Teil erkrankt eben doch, und viele Infizierte ergeben dann viele Kranke. Von denen landet dann ein Teil „auf Intensiv“ und muss beatmet werden. Die Hälfte dieser IntensivpatientInnen überlebt das nicht, zurzeit sind das jeden Tag Hunderte. Dagegen hilft die Impfung. Kann man diese vernünftigerweise ablehnen, gar bekämpfen? 

Vielleicht bin ich als jemand mit einer chronischen schweren Erkrankung in dieser Frage besonders sensibel und vorsichtig. Gegen das weitere Fortschreiten der Multiplen Sklerose muss ich jeden Tag ein Medikament nehmen, das gleichzeitig meine Immunabwehr herabsetzt. Ich sollte also möglichst nicht auch noch an Corona erkranken. Deshalb bin ich – selbstverständlich – bereits zweimal geimpft und werde mich auch „boostern“ lassen. Ich schütze mich also selbst, bin aber auch darauf angewiesen, dass sich andere durchs Impfen selbst und damit gleichzeitig mich schützen.

Nun bin ich aber auch Pazifist und Kriegsdienstverweigerer und damit besonders sensibel, was staatliche Maßnahmen, Eingriffe, Verpflichtungen angeht. Selbstverständlich bin ich gegen die Wehrpflicht. Diese ist eigentlich keine Pflicht, sondern ein Kriegsdienstzwang, der mit der hier massivsten möglichen Sanktion durchgesetzt wurde (und potenziell wieder wird). Als jemand, der wegen seiner KDV monatelang im Gefängnis saß, weiß ich, wovon ich spreche. 

Der Zwang, sich am Verbrechen Krieg zu beteiligen, sich zum Morden ausbilden zu lassen und/oder das eigene Leben opfern zu müssen, ist staatlich verordnetes Unrecht, das unbedingt abzulehnen ist. Von den Menschen- und Grundrechten her gedacht sehe ich die Ablehnung dieses Zwangs zum Kriegs- oder Ersatzdienst als durch die Gewissensfreiheit geschützt und gerechtfertigt.

Wie ist das aber mit der nun diskutierten Impfpflicht? Die Freiheit des/der Einzelnen und sein/ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit stehen rechtlich unter einem Gesetzesvorbehalt und gelten nur, soweit die Rechte anderer nicht verletzt werden. Einschränkende gesetzliche Maßnahmen müssen also verhältnismäßig sein, einen legitimen Zweck haben und effizient sein. Daran und im Blick darauf, wie chaotisch staatliches Handeln bei der Pandemiebekämpfung seit fast zwei Jahren immer wieder auch war, kann man berechtigt zweifeln – und sollte für vernünftige Regelungen streiten. Für ein originäres Thema der Friedensbewegung halte ich das aber nicht. Denn eine „Corona-Diktatur“ wäre die Bundesrepublik durch eine Impfpflicht sicher nicht, zumal die Sanktionen denen entsprechen, die drohen, wenn man bei „Rot“ über die Straße geht.So hoffe ich – trotz alledem – für uns alle auf ein gutes, friedliches und aktives Jahr 2022.

Kategorie: Editorial Stichworte: 202104

19. Dezember 2021

Klare Ansagen machen!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 3/2021

Leitartikel

Aktionen organisieren, Wissen sammeln, Lobbyarbeit machen

Von Cornelia Mannewitz

Die älteste Partei kaperte mit ihren Wahlplakaten die Farbe Rot, die der Hartz-IV-Partei gar nicht zusteht; wohl anstelle einer politischen Aussage. Ein Foto der Koalitionäre in spe ging durch die Presse: Drei leidlich schöne mitteljunge Menschen, die ihre Erfahrungen nicht wie früher aus dem Krieg oder dem antifaschistischen Kampf haben, sondern aus den Jugendorganisationen ihrer Parteien. Sie wissen, dass sie mit Bildern punkten können: Nicht wenige junge Leute sympathisieren heute mit einer extrem wirtschaftsliberalen Partei. Warum? Weil die einen smarten digitalen Wahlkampf geführt hat. 

Erst sehr spät traute sich die künftige Regierung, in einen gesellschaftlichen Konflikt hineinzugehen: Sie bezog Stellung zur Coronalage. Die war längst desaströs, aber das zu verhindern, hätte ja erfordert, sich mit Wirtschaft und Teilen der Wählerschaft anzulegen. Ganz nebenbei wurden dann noch die Killerdrohnen startklar gemacht. 

Umso mehr müssen wir selber tun. Das heißt aber nicht, dass wir alles andersherum machen sollten. Kriegsparteien nicht wählen? Hier und jetzt gibt es keine anderen wählbaren Parteien; hinter denen, die es sein könnten, steht zu wenig Geld. Gar nicht wählen, uns in einem Paralleluniversum verschanzen, Entscheidungsmethoden üben und Verschwörungsmythen glauben, nur, weil sie ach so alternativ aussehen? 

Es ist richtig, den Menschen eine andere Welt vorzuleben. Aber viele haben genug damit zu tun, sich in dieser durchzuschlagen. Wir erreichen sie nur, wenn wir auch ihre soziale Lage berücksichtigen. Der Kapitalismus ist ein hartes System. Militärische Expansion gehört zu seinem Wesen. Nichtmilitärisch handelt er nur, wenn das gerade profitabler ist. Da liegt unser Kernthema, und von dem aus müssen wir in Zusammenhängen denken.  

Wir müssen also klare Ansagen machen: Aktionen organisieren, die auch Machtverhältnisse infrage stellen. Kluge Papiere schreiben und lesen. Außerdem tatsächlich lobbyieren, um Argumentationen zu drehen und den einen oder anderen greifbaren Erfolg zu erzielen. Noch mehr Wissen sammeln und diskutieren, etwa darüber, was Rechtsradikalismus für uns bedeutet. 

Und: Pressearbeit, Pressearbeit, Pressearbeit! Sowohl schnell auf Aktuelles reagierende als auch planvoll eigene Themen setzende. Mit mehreren Mitwirkenden und einem guten Presseverteiler. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass von einem Bundeskongress der DFG-VK wieder kaum jemand Notiz nimmt. Dem vorzubeugen, wäre doch schon mal ein naheliegendes Ziel.

Cornelia Mannewitz ist Vertreterin des LandesverbaCornelia Mannewitz ist Vertreterin des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern im DFG-VK-Bundesausschuss.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202104, Leitartikel, Mannewitz

  • « Go to Previous Page
  • Go to page 1
  • Go to page 2
  • Go to page 3
  • Go to Next Page »

Haupt-Sidebar

„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

  • Datenschutz
  • Impressum

Urheberrecht © 2023 Anmelden