• Skip to main content
  • Zur Hauptsidebar springen

ZivilCourage

  • Archiv
    • 2021
    • 2020
    • 2019
    • 2018
  • Artikel
    • Atomwaffen
    • DFG-VK
    • Pazifismus
    • Wehrpflicht
  • Über uns
  • DFG-VK

202103

1. September 2021

Global betrachtet

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

International

Die Militarisierung von Polizei und „Sicherheitsdiensten“ weltweit

Von David Scheuing

An dieser Stelle bin ich in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Militarisierung der Polizei eingegangen. Nicht zuletzt die Durchsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hat dieser Militarisierung weltweit Nachdruck verliehen. Daher will ich dieses Mal noch einen etwas vertieften Blick auf neue Ressourcen zum Thema werfen. Daneben ein kurzer Bericht vom Ratstreffen der WRI, das auch in diesem Jahr digital stattfinden musste.

Verschwommene Grenzen: Globale Aufrüstung der Polizei

In vergangenen Beiträgen habe ich auf die Ressourcenseite der WRI zur Militarisierung der Polizei hingewiesen (https://bit.ly/3A59tLT). Dem dort gesammelten Wissen zu globalen Militarisierungen der Polizeien hat jetzt das Transnational Institute (TNI) einen Bericht zur Seite gestellt, der die Ergebnisse verdeutlicht: Unter dem Titel „Coercive World“ (Welt des Zwangs) führt der Bericht in elf Kapiteln aus, worin die globale Militarisierung der Zwangsapparate besteht. Die Autor*innen führen an Länderbeispielen aus, wie sie unter anderem den stetigen Zuwachs an verwendeten Überwachungstechnologien, die Auslagerung exekutiver Gewalt an private Milizen oder die Verknüpfung zwischen Profiten und Militarisierungen beobachten können. Ein lesenswerter Bericht in seiner Gesamtheit (https://bit.ly/3jg3cX0).

Es sei mir erlaubt anzumerken, dass es allerdings bedenklich ist, wie die begleitende Homepage (die Graphiken und anderweitig aufbereitete Informationen aus der Studie darstellt) mit dem Herausheben Israels als „Modellstaat des Zwanges“ die globale Erfahrung des Anstiegs von Zwangsmaßnahmen an ein einzelnes Beispiel bindet. Hier unterminiert die Studie ihre eigenen Ergebnisse unnötig und leistet allzu eilfertiger Kritik an Israel Vorschub. Denn gerade die eigenen Ergebnisse zeigen ja, dass es eben auch unterschiedlich gelagerte Erfahrungen solcher modellhafter Verläufe in anderen Staaten gibt.

Denen, die gut Englisch lesen können, seien noch zwei weitere Texte zum Thema empfohlen: Andrew Metheven (WRI) hat für das Onlinemagazin „Roarmag“ einen Überblick über die „Verwandlung der Straßen in Schlachtfelder“ im Zuge der globalen Militarisierung der Polizei verfasst. Er hebt besonders das Ineinandergreifen verschiedener Elemente dieser Militarisierung hervor, die jeweils für sich genommen einigermaßen harmlos scheinen (Training, Ausrüstung, Gruppenstärkung) – im Zusammenspiel allerdings wird eine Normalisierung militarisierter Polizeitaktiken geschaffen, der es entgegenzutreten heißt: https://bit.ly/3xfrF3C

Im Nachklang zu den Protesten in Chile von 2019 hier ein Beitrag zur Rolle der staatlichen Polizeikräfte in der Unterdrückung von Protesten und der Sicherung der Privilegien und Profite der nationalen Eliten: https://bit.ly/
37h1AGS

Langfristig unterfinanziert, politisch hoch aktiv – die WRI. Das diesjährige Ratstreffen der WRI Ende Juni versuchte sich an einem neuen Beratungsformat – so wurden die Tagesordnungspunkte über zwei Wochen hinweg beraten, aber nicht konstant. Jedes Thema wurde digital vorgearbeitet auf einer Konsensentscheidungsplattform und dann in einem gezielten, thematisch fokussierten und zeitlich begrenzten Konferenz-Call beraten. In diesem Jahr wurde erneut deutlich, dass die wichtige Arbeit des Netzwerkes dauerhaft minderfinanziert ist – der Beitrag der DFG-VK leistet einen wichtigen Anteil an der Aufrechterhaltung, könnte aber absehbar erhöht werden, wenn sich die DFG-VK das leisten möchte.

Inhaltlich standen die Wochen des Ratstreffens unter keinem besonderen Fokus – aber natürlich auch unter dem Eindruck der jüngsten Eskalationen in Israel/Palästina und in Kolumbien. Just während einer Sitzung drang dann ein britisches Kriegsschiff in die neu als „russisch“ deklarierten Gewässer rund um die Krim ein, Unbekannte attackierten Ruslan Kozaba (siehe unten) und allen Teilnehmenden wurde erneut bewusst, wie notwendig die internationale Vernetzung doch ist. 

Der WRI trat dieses Jahr nur eine kleine Organisation aus Australien bei: „Wage Peace“. Die Projektgruppe ist jedoch wichtiger Bestandteil der internationalen Arbeit zur Situation in West Papua – ein wichtiger Zugewinn zum Netzwerk. Die Arbeit des Programms zur Gewaltfreiheit der WRI wird sich in kommender Zeit etwas auf West Papua fokussieren.

Wie vermutlich bei jedem Ratstreffen war es auch diesmal wieder beeindruckend zu sehen, wie viele Aktionen und Kampagnen trotz globaler Einschränkungen dennoch möglich waren – einige davon stelle ich weiter unten kurz vor.

Kurz notiert

WRI100 Niederlande auf 2022 verschoben. 2021 ist das Jubiläumsjahr der WRI – doch viele der Feierlichkeiten müssen entfallen oder werden verschoben. So auch die geplante Aktionskonferenz in Utrecht im September, die unter dem Titel „Eine Zukunft ohne Krieg!“ stehen soll. Es wird ein Termin für das Frühjahr 2022 anvisiert. Infos: wri100.nl

Angriff auf Ruslan Kozaba. Ende Juni wurde Ruslan Kozaba auf dem Weg vom Gericht, in dem er sich derzeit wieder einem Prozess ausgesetzt sieht (siehe ZC 2/21), brutal von Rechten angegriffen. Die Angreifer*innen verschütteten eine blaue Substanz über Kotsaba, der dadurch eine Verletzung am Auge erlitt. Der Angriff machte wieder einmal deutlich, welch großem Risiko Ruslan Kozaba und sein nächstes Umfeld alltäglich ausgesetzt sind. Gruppen in ganz Europa organisierten Solidaritätskundgebungen. Infos: wri-irg.org; connection-ev.de

Aktionsmonat für ein nuklearwaffenfreies Europa. Die Aktionsgruppe „NukeFreeEurope“ (u.a. IPB, Church and Peace, IPPNW, Pax Christi und die Quäker) hat einen Aktionsmonat für ein nuklearwaffenfreies Europa ausgerufen und dazu einen Informationsflyer veröffentlicht. Die Gruppe ruft dazu auf, europaweit Standorte der Atomwaffen(produktion) mit Protesten zu überziehen. Infos: nukefreeeurope.eu

Neue Kampagne „Abolish Frontex“. Ein großes Bündnis antirassistischer und antimilitaristischer Gruppen in Europa hat sich zur Kampagne „Frontex abschaffen“ zusammengeschlossen. Zwar haben seit der Gründung der Polizeitruppe Organisationen der Zivilgesellschaft die Staaten Europas dazu aufgerufen, Frontex wieder abzuschaffen. Passiert ist bislang das Gegenteil: Europa hat sich eine nicht regulierte Polizeitruppe geschaffen, deren Budget um ein Mehrfaches angewachsen ist und die sich nicht an Recht und Gesetz zu halten scheint. Zeit, daran etwas zu ändern – auch indem sich NGOs nicht mehr an den „Beratungen“ von Frontex beteiligen. Mehr Infos: https://abolishfrontex.org

KDV: Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerer*innen. Auch an diesem 15. Mai wurde wieder all der verknasteten Verweigerer*innen gedacht und auf ihre weltweite Lage aufmerksam gemacht. Neben je spezifischen Forderungen in vielen einzelnen Staaten (bspw. von den „Frauen in Schwarz“ in Serbien zu den aktuellen Versuchen der Wiedereinführung der Kriegspflicht) fokussierte eine Kampagne der WRI in diesem Jahr auf der Situation in der Türkei. Die Themenseite dokumentiert dies: wri-irg.org/en/CODay2021. Zudem: alle fünf Webinare der WRI zur Kriegsdienstverweigerung international auf dem Kanal des „Refuse to Kill“-Programms: https://bit.ly/3xwJzPH

Erschreckende Forensik des Jemenkrieges. Die investigative Forscher*innengruppe „Forensic Architecture“ hat in enger Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnerorganisationen eine Zeitschiene des Jemenkrieges zusammengestellt. Sie zeigt Angriffe, Anschläge und Kriegshandlungen, die durch europäische Waffen und Waffenlieferungen ermöglicht wurden. Die schiere Dichte der Ereignisse und die Vielzahl der Waffen ist erschreckend – eine wichtige Ressource gegen Waffenexporte. Mehr Infos: https://bit.ly/3rMN2s0Südkorea: mit kleinen Schritten, aber immerhin… Das oberste Gericht des Landes hat Ende Juni zum ersten Mal ein Gerichtsurteil bestätigt, das einen jungen gläubigen Menschen vom Kriegsdienst freisprach, da seine Verweigerung aufgrund einer plausiblen Gewissensentscheidung beruhe. Dies ist der erste Fall, der dies religionsunabhängig etabliert – bislang waren lediglich Zeugen Jehovas als Verweigerer anerkannt worden. In den letzten Jahren hat sich in kleinen Schritten etwas bewegt in Südkorea. Wenig, immer noch zu wenig – aber immerhin. Infos: wri-irg.org; withoutwar.org

David Scheuing ist Vertreter der DFG-VK bei der War Resisters´ International (WRI), dem internationalen Dachverband der DFG-VK mit Sektionen in weltweit 45 Ländern, gewählt. An dieser Stelle berichtet er regelmäßig in der ZivilCourage aus der WRI, um den LeserInnen das globale Engagement von KriegsgegnerInnen sichtbar zu machen. Das sind keine tieferen Analysen, sondern kleine kursorische Überblicke und Nachrichten; es geht dabei nicht um Vollständigkeit, vielmehr um Illustration. Ideen und Vorschläge für kommende Ausgaben sind erwünscht. Der Autor ist per E-Mail erreichbar unter scheuing@dfg-vk.de

Kategorie: International Stichworte: 202103, Militarisierung, Polizei

1. September 2021

Kampf gegen das Hakenkreuz

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Pazifismus

Friedensbewegung und DFG in der Weimarer Republik

Von Stefan Lau

Am 9. Juli fand in Karlsruhe die Tagung „Demokratie-Retter:innen 1.0 – NGOs im Ringen um die Festigung der Weimarer Republik. Forschungsstand und Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit“ statt. Veranstalter war der Verein „Lernort Zivilcourage und Widerstand“, der Bildungsarbeit durch ein aktives und gegenwartsbezogenes historisches Lernen an konkreten Beispielen in Baden leistet. Nähere Informationen zu den Projekten des Vereins findet man auf der gut gestalteten Internetseite www.lzw-verein.de. Sehr erfreulich waren die angenehme und wertschätzende Atmosphäre bei der Tagung und die Anwesenheit vieler jüngerer Teilnehmer:innen.

Auf der Tagung wurden Organisationen vorgestellt, die sich in der Weimarer Republik für die demokratische Zivilgesellschaft eingesetzt hatten und antidemokratisch-rassistischer Hetze aktiv entgegentreten waren. In einem ersten Panel am Vormittag unter dem Titel „Nie wieder Krieg!: Der Einsatz für den Frieden“ stellte Guido Grünewald die Deutsche Friedensgesellschaft  in der Weimarer Republik vor; außerdem wurden der Friedensbund Deutscher Katholiken und der Bund der Religiösen Sozialistenvorgestellt. Am Nachmittag folgten noch die Vorstellung  der Deutschen Liga für Menschenrechte, der deutschen Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Zum Schluss wurde von Sebastian Elsbach von der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Universität Jena das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold vorgestellt.

Alle Vorträge beeindruckten durch prägnant zusammengefasstes Fachwissen ausgewiesener Expert:innen. Die Diskussionsrunden zwischen den Vorträgen waren sehr informativ und stellten gut die Bezüge zwischen den einzelnen Organisationen dar. Bei der Einschätzung der Rolle der SPD in der Weimarer Republik kam es zu einer kurzen Kontroverse. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD 1931 zu einer Mitgliedschaft in SPD und DFG im Zuge der Kontroverse um den Bau des Panzerkreuzers A und die illegale Aufrüstung der Reichswehr führte zu einer Schwächung der Friedensgesellschaft und erschwerte in der Folge dadurch auch ihre antifaschistische Arbeit, z. B. ganz praktisch, weil in der Folge das Reichsbanner keinen Saalschutz für die DFG stellte (auch wenn es Beispiele gibt, wo man sich vor Ort über das Verbot hinwegsetzte). Dies führte zu einer klaren Schwächung der demokratischen Kräfte. 

Der Versuch der Tagungsorganisatorin, Verständnis für damalige Entscheidungen der SPD-Führung zu zeigen, konnte nicht überzeugen, zeigte aber indirekt eine konzeptionelle Schwäche der ansonsten so interessanten Tagung auf: Auf die Rolle der SPD-Führung bei der Gründung der Weimarer Republik wurde nicht eingegangen. Dies wäre aber wichtig gewesen, denn die von Friedrich Ebert geführte Regierung stützte sich damals doch wesentlich auf die Generale des Kaiserreichs und stellte sich gegen die soziale Revolution. Die daraus resultierenden Folgen schwächten die Weimarer Republik von Anfang an entscheidend, eindrucksvoll dargestellt zum Beispiel in dem Ende der zwanziger Jahre erschienenen und immer noch sehr lesenswerten dokumentarischen Roman „Der Kaiser ging, die Generäle blieben“ von Theodor Plivier. 

Die Arbeit der DFG in Baden  

Wie sah aber die Arbeit der Deutschen Friedensgesellschaft in der Weimarer Republik bei uns in Karlsruhe und Baden aus? Bislang wusste ich nur wenig darüber. Auf Anregung von Jürgen Schuhladen-Krämer, Historiker am Stadtarchiv in Karlsruhe, nutzte ich die digitalen Bestände der Badischen Landesbibliothek; dort sind alle Karlsruher Tageszeitungen und Adressbücher inzwischen digitalisiert und über Volltextsuche bequem von zu Hause nutzbar. Nach ein paar Klicks hatte ich über 60 Ergebnisse nur für das Karlsruher Tagblatt. So erschien dort am 24. April 1930 eine Anzeige zu dem Vortrag  „Hakenkreuz und Stahlhelm sind Deutschlands Untergang“ von Fritz Küster in Karlsruhe. 

Am 4. September 1930 berichtete das Karlsruher Tagblatt dann über einen Auftritt von Fritz Küster in Kehl, bei dem viele Nationalsozialisten im Saal waren, die versuchten „den Redner dauernd zu unterbrechen. Dieser blieb keine Antwort schuldig, worauf die Hitlerleute zu Heilrufen und zum Absingen des „Wessel-Liedes“ übergingen, um den Vortrag gänzlich unmöglich zu machen. Dabei kam es zu Tätlichkeiten, denen die rasch erschienene Schutzpolizei mit dem Gummiknüppel ein Ende bereiten musste. – Bei dem energischen Vorgehen der Polizeibeamten mochten auch einige Unbeteiligte von Schlägen getroffen worden sein, was bei dem heillosen Durcheinander wohl zu verstehen ist; glücklicherweise ging es noch mit Beulen und blutigen Köpfen ab. Nach Räumung des Saales konnte die zahlenmäßig stark verminderte Versammlung ohne weitere Zwischenfälle zu Ende geführt werden.“

Ausführlicher auf die Geschichte der DFG in der Weimarer Republik einzugehen ist hier leider nicht der Platz, es wäre sicher lohnend und nicht nur historisch interessant, wenn in einer der nächsten Ausgaben der ZivilCourage  zum Beispiel an die Zeitung „Das Andere Deutschland“ sowie die beiden bedeutenden pazifistischen Publizisten Fritz Küster und Heinrich Ströbel erinnert würde, die heute leider etwas in Vergessenheit geraten sind.

Stefan Lau ist einer der SprecherInnen der DFG-VK-Gruppe Karlsruhe.

Kategorie: Pazifismus Stichworte: 202103, DFG, Weimarer Republik

1. September 2021

Trauer um Willi Hoffmeister

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

Nachruf auf Willi Hoffmeister (25. März 1933 – 3. August 2021)

Von Felix Oekentorp

Der Friedenskämpfer, Gewerkschafter, Antifaschist und Kommunist Willi Hoffmeister ist am 3. August im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine Erfahrungen mit Faschismus und Krieg, die er als Kind in einem kommunistischen Elternhaus machte, und die seines Onkels, der die mehrjährige Haft im KZ überlebt hatte, mündeten bei Willi in der Überzeugung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Diese Überzeugung lebte er konsequent bis zu seinem Tod.

In seiner ostwestfälischen Heimat gründete er als junger Mann eine FDJ-Gruppe und reiste zum Deutschlandtreffen der Jugend Pfingsten 1950 nach Berlin. Westdeutschland hatte seinen Bürgern die Teilnahme verboten, Willis Lehrmeister hatte den Urlaub verweigert. Beides kümmerte Willi nicht, er fuhr und nahm teil. Vom antikommunistischen Verfolgungsdruck hatte er sich niemals beirren lassen. Willi trat 1954 nach dem in Westdeutschland erlassenen Verbot der FDJ der KPD bei. Später wurde auch diese verboten, und so wurde Willi Mitglied der DKP. 

Bei der VVN-BdA war Willi aktiv und in Dortmund kämpfte er gegen das Wiedererstarken von Nazis im Bündnis gegen Rechts. Sein Engagement war weit bekannt und bescherte ihm auch Bedrohungen, von denen er sich aber nicht abschrecken ließ.

Auch gegen die in den 80ern in Dortmund sehr aktive Nazi-Kleinstpartei FAP organisierte Willi den Widerstand, zusammen mit seinen Kollegen von der Westfalenhütte marschierte er zu deren Büro, so dass die geplante Eröffnung nicht stattfinden konnte. 

Auf der Suche nach Arbeit nach seiner Lehre als Schreiner kam Willi 1951 nach Dortmund und war zunächst Hafenarbeiter. 1954 heuerte er bei Hoesch als Stahlarbeiter auf der Westfalenhütte an. Die Belegschaft war politisiert, und der Organisationsgrad bei der Gewerkschaft lag bei 100 Prozent. Willi wechselte von der ÖTV zur IG Metall, der er bis zu seinem Tod treu blieb. 1967 wählten ihn die Kollegen zum Vertrauensmann und 1978 wurde er erstmals in den Betriebsrat gewählt. Die Betriebsratsarbeit gestaltete Willi stets mit Blick über den Tellerrand und immer auch politisch. Hoesch war bekannt für seine betriebliche Friedens-
initiative, die sich den seinerzeitigen Plänen zur atomaren Bewaffnung entgegenstellte.

Bereits 1961 nahm Willi Hoffmeister am ersten Ostermarsch West teil, und bis zu seinem Tod war er mehr und mehr das Gesicht des Ostermarsch Ruhr, der sich mit dem Ostermarsch Rheinland zu einem gemeinsamen starken Ostermarsch verband.

Anfang 1999 trat er der DFG-VK bei. Ohne ein Amt in der DFG-VK zu haben, prägte er die Außendarstellung der Landesgeschäftsstelle mit. Will war maßgeblich beteiligt an den Aktivitäten der DFG-VK im Ruhrgebiet, nicht nur bei Ostermärschen, sondern auch bei den jährlichen Demos gegen das Luft- und Weltraum-Operationszentrum am 3. Oktober und zahlreichen Anlässen wie den Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr in Afghanistan und Ex-Jugoslawien.

Willi war ein Menschenfänger. Mit dem gleichen Ernst mit dem er mit Abgeordneten oder Ministern diskutierte, sprach er mit Passant:innen am Infostand oder mit Mitdemonstrant:innen. Zusammenkünfte in seinem Garten bleiben unvergessen, hier wurden in kleinen und großen Runden ohne Tagesordnung und Redeleitung viele erfolgreiche Aktivitäten geboren und geplant.

Willi, unser Kampf muss weitergehen. Verlass´ dich auf uns!

Felix Oekentorp ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands NRW und war eng mit Willi Hoffmeister befreundet.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Nachruf

1. September 2021

„Sich am Unrecht nicht beteiligen“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Kriegsdienstverweigerung

Die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung im eigenen Leben

Von Stefan Philipp

Hermann Brinkmann war Kriegsdienstverweigerer. Und Soldat. 1973 war er im Rahmen der Wehrpflicht zur Bundeswehr eingezogen worden. Sein Antrag auf KDV war abgelehnt worden, und er wurde zum Militärdienst gezwungen. Das konnte der Pazifist nicht lange ertragen und nahm sich am 20. Januar 1974 das Leben, was damals bundesweit durch eine Todesanzeige der Familie in der FAZ Aufmerksamkeit fand und Betroffenheit erzeugte.

Seine 1990 geborene Nichte Hannah Brinkmann hat diese tragische Auseinandersetzung ihres Onkels mit Kriegsdienstzwang und Militär in einer Graphic Novel verarbeitet (Gegen mein Gewissen. Berlin 2020; siehe auch das Interview mit Hannah Brinkmann in ZivilCourage 5/2020, S. 14 f.). Dieses Buch führte auch bei einigen DFG-VK-Mitgliedern zum Nachdenken darüber, welche Bedeutung die eigene Kriegsdienstverweigerung hatte und auch heute noch hat. So hat beispielsweise Robert Hülsbusch diese Erfahrung reflektiert und in der letzten ZivilCourage geschildert, wie Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerung sein Leben „reich“ gemacht hätten (https://bit.ly/3mAHvE6).

Da bis Anfang der 1980er Jahre ausnahmslos alle KDVer das zurecht als Inquisition gebrandmarkte KDV-Anerkennungsverfahren durchlaufen mussten, veranstalteten die DFG-VK, Connection e.V. und die Evang. Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK) Mitte Mai eine offene digitale Gesprächsrunde zum Thema „Die eigene Kriegsdienstverweigerung als lebensgeschichtlich bedeutsames Ereignis“. 

Moderiert von Ute Finckh-Krämer, frühere Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und SPD-Bundestagsabgeordnete, berichteten und diskutierten neben Hannah Brinkmann ZeitzeugInnen mit unterschiedlichsten Hintergründen über ihre Entscheidung und ihre Erfahrungen zur KDV vor 50 Jahren. Die Aufzeichnung ist nun im Internet abrufbar unter https://youtu.be/HLX5f5z9J4c

Mehrere Dutzend Interessierte hörten und sahen sich per Zoom die Statements der ReferentInnen an: Hannah Brinkmann, Werner Glenewinkel (früherer Vorsitzender der Zentralstelle KDV), Rudi Friedrich (Mitbegründer und Geschäftsführer von Connection e.V.), Gaby Weiland (langjährige KDV-Beraterin), Michael Zimmermann (KDVer in der DDR), Gernot Lennert (Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Hessen) und Markus Stettner-Ruff (in den 1980er Jahren als Totaler KDVer vor Gericht).

Die Beteiligung am KDV-Verfahren legitimierte die Inquisition

Aus einigen Beiträgen entwickelten sich Diskussionen, auch über die Veranstaltung hinaus. Markus Stettner-Ruff hatte als sich aus der KDV-Entscheidung ergebende Handlungsforderung formuliert: sich nicht an Unrecht beteiligen. Ich griff das auf und konkretisierte dies rückblickend für das KDV-Anerkennungsverfahren.

In den mündlichen Gewissensprüfungen saßen die KDV einem Vorsitzenden gegenüber, der von der Wehrverwaltung kam, sowie von den Landkreisen entsandten BeisitzerInnen, in der Regel also Menschen aus den politischen Parteien. In den Prüfungsausschüssen und -kammern waren damit fast immer auch SozialdemokratInnen vertreten und damit den KDVern tendenziell positiv Gegenüberstehende.

Die Beteiligung an diesen Gremien gab dem Verfahren, das von der DFG-VK und anderen zurecht als Inquisition bezeichnet wurde, einen korrekten und „sauberen“ Anstrich. 

Sonnhild Thiel, langjährige Aktivistin, DFG-VK-Ehrenmitglied und damals SPD-Mitglied, schrieb mir danach: „Ich war einige Jahre im Prüfungsausschuss. … Sehe das nicht als Beteiligung am Unrecht.“

Ja, subjektiv war das sicher so, im Gegenteil wollten manche BeisitzerInnen den KDVern helfen und lehnten das Verfahren eigentlich ab. Gleichzeitig wurden sie aber Teil der Gewissensprüfung und legitimierten sie.

Strategisch wäre es auch damals für (linke) SozialdemokratInnen denkbar gewesen, das Verfahren zu brandmarken und eine Beteiligung abzulehnen. Vielleicht wäre diese Form der Gewissensprüfung früher vorbei gewesen und nicht schließlich erst von einer CDU/CSU geführten Regierung abgeschafft worden. Eine Diskussion darüber gab es damals aber nicht. 

Stefan Philipp ist Chefredakteur der ZivilCourage und hat als Totaler Kriegsdienstverweigerer in den 1980er Jahren alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Auflagen, also Militär- oder Zivildienst verweigert.

Kategorie: Kriegsdienstverweigerung Stichworte: 202103, KDV, Wehrpflicht

1. September 2021

Die Forderung: Atomwaffen verbieten

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl der von der DFG-VK mitgetragenen Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“

In der aktuellen Legislaturperiode konnte die Friedensbewegung einige beachtliche Erfolge erzielen, um Druck für nukleare Abrüstung zu machen. Mehr als 120 Städte haben inzwischen den Ican-Städteappell unterzeichnet und fordern die Bundesregierung dazu auf, dem UN-Atomwaffenverbot (AVV) beizutreten. Mit Bremen, Berlin, Hamburg und Rheinland-Pfalz konnten sogar vier Bundesländer dazu gewonnen werden, sich diesem Appell anzuschließen. Ein weiterer großer Erfolg war das Einwirken der Friedensbewegung auf die SPD, als es um die Anschaffung eines neuen Trägersystems ging. Kein neuer Atombomber in der 19. Legislaturperiode. Doch wie geht es bei diesem und weiteren Kernforderungen der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ nach der Wahl weiter?

Wir haben in die Wahlprogramme geschaut und uns gefragt, wie die Parteien zu den zentralen Forderungen unserer Kampagne stehen. 

CDU/CSU

Die Unionsparteien betonen, solange es Staaten mit Atomwaffen gebe, brauche Europa „weiterhin den nuklearen Schutzschirm der USA“. Daher sind sie für eine „entschlossene Fortsetzung“ der nuklearen Teilhabe Deutschlands und die Bereitstellung der notwenigen Mittel (sprich: neuer Atombomber für die Bundeswehr) dafür. Die langfristige Vision sei eine Welt, „in der nukleare Waffen als Abschreckung nicht mehr nötig sind“. Sie wollen daher Initiativen unterstützen, „die zu mehr Sicherheit beitragen“. Konkrete Schritte dorthin gibt es aber nicht. Der Atomwaffenverbotsvertrag wird nicht genannt.

SPD 

Die SPD betont, sie sei für eine Welt ohne Atomwaffen. Dafür will sie sich für Abrüstungsverhandlungen einsetzen – auch mit dem Ziel, „die in Europa und in Deutschland stationierten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten“. Deutschland solle die Intentionen des UN-Atomwaffenverbotsvertrages als Beobachter „konstruktiv begleiten“. Die Entscheidung über einen Nachfolger der Tornado-Kampfflugzeuge macht die SPD von einer sorgfältigen Erörterung der nuklearen Teilhabe abhängig.

Bündnis 90/Die Grünen

Der Anspruch von Bündnis 90/Die Grünen ist „nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt“. Sie wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen deutschen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Die Formulierungen dazu sind jedoch sehr schwammig. Wann soll dies geschehen? In der nächsten Legislaturperiode oder in 20 Jahren? Die Grünen sprachen sich ebenfalls dagegen aus, ein klares „Nein“ zu einem neuen Atombomber in ihr Wahlprogramm aufzunehmen, wie wir in einer Pressemitteilung zum Wahlparteitag der Grünen im Juni herausgearbeitet haben. Deutschland solle zuerst mit einem Beobachterstatus an der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages teilnehmen und u. a. eine internationale Initiative zur Reduzierung der Zahl von Atomwaffen starten. (…)

Die Linke

Deutschland muss, so die Linke in ihrem Wahlprogramm, den Atomwaffenverbotsvertrag der UN unterzeichnen, die nukleare Teilhabe in der Nato beenden und darf keine Trägersysteme bzw.  Pilotinnen und Piloten mehr für den Einsatz von Atomwaffen bereitstellen. Die US-Atomwaffen sollten sofort aus Büchel abgezogen und vernichtet werden. (…)FDP: Die Freien Demokraten bekennen sich zum „langfristigen Ziel einer atomwaffenfreien Welt“. Auf Grund der zunehmenden Gefahr durch Nuklearwaffen wollen sie, dass Deutschland und Europa Impulsgeber sind, um Abrüstungs- und Rüstungskontrollinstrumente „zu erneuern und neu zu denken“. Zu unseren konkreten Forderungen verhalten sich die Liberalen nicht. Auf Nachfrage von „Ohne Rüstung Leben“ verneint sie diese aber zum jetzigen Zeitpunkt. Die Frage, ob Deutschland als Beobachter bei der ersten Vertragsstaatenkonferenz des AVV dabei sein solle, lehnte ein Redner der FDP im Januar im Bundestag ab. Dies führe zu „Kollateralschäden“ im Verhältnis zu Deutschlands Verbündeten.

Kategorie: Atomwaffen Stichworte: 202103, Atomwaffen, atomwaffenfrei, Büchel

31. August 2021

Kreuzzug gegen den Bolschewismus

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Antimilitarismus

NS-Propaganda zur Rechtfertigung des Überfalls und deren Fortwirkung nach dem Krieg


Von Wolfram Wette

Der nachfolgende und auch in der ZivilCourage abgedruckte Beitrag von Wolfram Wette ist ein Auszug aus einem ausführlicheren Text. Der ungekürzte Beitrag ist hier als PDF abrufbar.

Langfassung des Texts von Prof. WetteHerunterladen

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 setzte europaweit eine antibolschewistische Bewegung in Gang. „Es macht sich so etwas wie eine Kreuzzugsstimmung in Europa breit. Das können wir gut gebrauchen“, notierte  Propagandaminister Goebbels in sein Tagebuch.  Für die deutsche Propaganda ein Anlass, in der Auslandspropaganda verstärkt die europäische Dimension des Krieges Deutschlands und seiner Verbündeten gegen die Sowjetunion zu betonen. Die Idee von einem „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen, kam offenbar aus dem Auswärtigen Amt. Am 29. Juni 1941 erklärte es: „Der Kampf Deutschlands gegen Moskau wird zum Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus. Mit einer über die Erwartungen hinausgehenden Anziehungskraft erfasst die Erkenntnis, dass es hier um die Sache Europas geht, den ganzen Kontinent, Freunde, Neutrale und selbst jene Völker, die noch vor kurzem mit Deutschland die Klingen gekreuzt haben.“  Deutschland beanspruchte fortan „ein europäisches Mandat“ für jenen „Kreuzzug“, der letztlich ein „gesamteuropäischer Freiheitskrieg“ sei. 

Damit vertieften Außenminister Ribbentrops Propagandisten das von der NSDAP in den 1930er Jahren mit seiner Devise „Bolschewismus gleich Weltfeind Nr. 1“ vorgegebene dichotomische Weltbild. Sie rechtfertigten den Krieg als „säkulare Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Zerstörung und denen der Erneuerung“. 

Es ging darum, die deutsche Aggression als einen „gerechten“ Krieg erscheinen zu lassen und ihn mit dem Nimbus der Heiligkeit auszustatten.  Gerade für eine religiöse Sinngebung waren die Deutschen aufgrund der traditionellen Nähe der Kirchen zu deutschnationale Auffassungen in hohem Maße ansprechbar,  

Goebbels wollte sich mit dem Begriff „Kreuzzug“ nicht gerade anfreunden, obwohl er wusste, dass Hitler darauf drängte, den Krieg gegen die Sowjetunion mit dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ zu versehen, um damit eine Beziehung zu den mittelalterlichen Kreuzzügen herzustellen.  Friedrich I., genannt Barbarossa („Rotbart“), führte den dritten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems (1189-1190) an. Seit dem späten 19. Jahrhundert verband sich in Deutschland mit dem Namen des Stauferkaisers der Mythos des Schutzpatrons der abendländischen Kultur.  Goebbels wusste, dass die Kreuzzüge Ströme von Blut gekostet, aber keinen vollen Erfolg gebracht hatten, und dass Barbarossa im dritten Kreuzzug umgekommen war. Würde die Erinnerung daran nicht eher negative Assoziation auslösen? 

Jedenfalls gab der Propagandaminister am 27. Juni 1941 vor, fortan lieber von einem „Aufbruch Gesamteuropas gegen den Bolschewismus“ zu sprechen. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die britische und die sowjetische Propaganda über den „Hakenfeldkreuzzug“ spotteten und vorhersagten, dass der deutsche Krieg im Osten das Schicksal früherer Kreuzzüge teilen würde. 

Die Truppen der Kreuzzüge setzten sich aus Freiwilligen unterschiedlicher europäischer Nationalitäten zusammen. Seit Sommer 1941 entstanden wiederum in mehreren europäischen Ländern ähnliche Freiwilligen-Formationen – jedoch unter faschistischem Vorzeichen.   Bereitwillig unterstellten sie sich deutschem Oberbefehl, um mit den Deutschen den „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ zu führen.  Solch nationalen Kontingente kamen aus Italien, Finnland, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Spanien, Frankreich, Skandinavien, Niederlande, Luxemburg, Belgien und Kroatien, also aus fast allen Ländern Europas. Der europäische Faschismus erhob sein Haupt. 

Das Fortwirken des aggressiven Antikommunismus im Kalten Krieg

Nach Kriegsende verschwand das Feindbild „jüdischer Bolschewismus“ zunächst in der Versenkung – um alsbald in neuem Gewande wieder aufzuerstehen. Der rassistische Begriff „jüdisch“ verschwand und statt „Bolschewismus“ war jetzt von „Kommunismus“ die Rede. Der Feind blieb der gleiche: die Sowjetunion und ihre angeblichen Handlanger im Inneren, die man als „Fünfte Kolonne Moskaus“ denunzierte.  Im Hinblick auf die Verwendung des traditionsbelasteten Feindbildes gab es keine „Stunde Null“, sondern vielmehr eine bemerkenswerte und wirkmächtige Kontinuität.

Bereits in der Endphase des Weltkrieges traten die unterschiedlichen politischen Vorstellungen der West-
alliierten und der Sowjetunion über die Neuordnung der Welt zutage. Sie führten schließlich zum Bruch der Anti-Hitler-Koalition und zur Entstehung des Kalten Krieges zwischen West und Ost. Europa sah sich in zwei feindliche Machtblöcke geteilt, die sich als Militärbündnisse organisierten (Nato und Warschauer Pakt). Dem Denkmuster der Totalitarismus-Theorie verpflichtet , schätzte die US-amerikanische Administration die Sowjetunion – und im weiteren Sinne den Weltkommunismus – ebenso wie den Nationalsozialismus als antidemokratische, diktatorische Herrschaft und als latent aggressiv ein. Auf dieser Basis entwickelte die westliche Großmacht ihre Eindämmungsstrategie und reaktivierte zur Rechtfertigung ihrer Politik das alte antibolschewistische bzw. antikommunistische Zerrbild.  Das führte zu einer neuerlichen Vergiftung der internationalen Beziehungen. Feinddenken versperrte einmal mehr den analytischen Blick auf das nationale Interesse und Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion, das sich nicht erneuten deutschen oder westlichen Angriffen ausgesetzt sehen wollte und daher durchaus als defensiv zu verstehen war. 

Der Konflikt zwischen Ost und West spiegelte sich im geteilten Deutschland in der Weise wider, dass die sowjetisch besetzte Zone und spätere DDR ein Russland-Freundbild pflegte und sich auf der anderen Seite, in der Bundesrepublik, die politische Elite in dem Gedanken sonnte, am traditionellen Feindbild Sowjetunion festhalten zu können. Auch die Masse der ehemaligen Nationalsozialisten und Wehrmachtsoldaten mögen jetzt gedacht haben: Wir standen eben schon immer „auf der richtigen Seite“ – was es ihnen einmal mehr erleichterte, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu verdrängen und die Verbrechen zu leugnen. Es steht außer Frage: die Bundesrepublik Deutschland war der einzige Staat Europas, der nach dem Krieg an einem zentralen Strang der Nazi-Propaganda festgehalten hat, nämlich dem Antibolschewismus. Der alte Feind Sowjetunion war auch der neue, den man nun zusammen mit den westlichen Siegermächten erneut in die Schranken zu weisen habe.

Längst gefiel diese Kontinuität der Feindbildpropaganda nicht allen Menschen in der Bundesrepublik. Die Oppositionellen organisierten sich in einer breiten Protestbewegung gegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung und der mit antikommunistischen Feindbildern gerechtfertigten Westintegration. Damit einher ging die Vision eines respektvollen Zusammenlebens in Europa, das nicht durch Feindbilddenken und Wettrüsten vergiftet und in dem die Möglichkeit offen gehalten war, Vertrauen zu bilden und mit Leben zu erfüllen. 

Kooperation mit den westlichen Siegermächten im Geiste des Antikommunismus

Die neue Mächtekonstellation führte im westlichen Teil Deutschlands zu erstaunlichen Formen der Zusammenarbeit. Während die Besatzungspolitik noch dem deklarierten Kriegsziel „Ausrottung des deutschen Militarismus und Faschismus“ folgte, streckten die westlichen Alliierten in ihren Besatzungszonen ihre Fühler nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den vormaligen Feinden aus. Ihr Anliegen stieß bei deutschen Antibolschewisten auf einen fruchtbaren Boden, weil es ihnen unverhofft die Gelegenheit eröffnete, aus dem politischen Abseits herauszutreten und ihre antibolschewistische Speerspitze zu reaktivieren.

Kooperation gab es auf der Ebene der Geheimdienste, des Militärischen und der Propaganda.  Die Abteilung „Fremde Heere Ost“ des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) nahm bereits vor der Kapitulation Verbindungen mit der US-Army auf. Der Vorstoß fand den Segen des Interims-Staatsoberhaupts Dönitz. Wes‘ Geistes Kind der Marineoffizier war, ist seinem Aufruf vom 1. Mai 1945 zu entnehmen, in dem er verkündete, Hitler habe bis zu seinem letzten Atemzug gegen den Bolschewismus gekämpft, und diesen „Kampf gegen den Bolschewismus“ wolle er nun weiterführen. 

Die USA interessierten sich besonders für die Kriegserfahrungen des deutschen Feindnachrichtendienstes im Osten, der nun als „Organisation Gehlen“ firmierte und später im Bundesnachrichtendienst (BND) aufging. Die US-Army nahm die Gehlen-Truppe unter ihre Fittiche und versicherte, deren Tätigkeit liege im gemeinsamen deutsch-amerikanischen Interesse „an der Verteidigung gegen den Kommunismus“. Dem gleichen Ziel dienten auch jene 328 höheren Wehrmachtoffiziere, die sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft bereitfanden, in der „Historical Division“ der US-Army auf der Basis der deutschen Operationsakten „studies“ über das militärische Geschehen im Osten zu verfassen. Der vormalige Generaloberst Franz Halder begründete seine Kooperationsbereitschaft und die seiner Kameraden – ebenso wie zuvor schon Dönitz und Gehlen – mit dem Argument, es gehe darum, „den Kampf gegen den Bolschewismus fortzusetzen“. Aus eigenem Antrieb bot der Wehrmacht-Oberst i.G. Graf Kielmansegg der britischen Siegermacht die Aufstellung eines „Deutschen Korps unter englischem Oberbefehl“ in einer Stärke von 50 000 Mann an, um bei einem für möglich gehaltenen neuerlichen Aufflammen des Krieges „gegen den Bolschewismus“ auf der richtigen Seite mit dabei zu sein. 

Eine Schlüsselfigur für das Fortwirken der antibolschewistischen Propaganda über die politische Zäsur des 8. Mai 1945 hinweg war der NS-Funktionär Eberhard Taubert (1907-1978).  Unter Hitler und Goebbels als Ministerialrat im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP)“ tätig, hatte er die „Abteilung Ost“ geleitet, in der 450 Beamte antibolschewistische Propaganda in den besetzten Ostgebieten betrieben. Taubert nahm sozusagen die Rolle des Chefpropagandisten des RMVP gegen den Bolschewismus ein. Wie sein Drehbuch zu dem Film „Der ewige Jude“ belegt, war er zudem ein fanatischer Judenhasser. Nach dem Krieg arbeitete er u. a. für den britischen und den amerikanischen Geheimdienst. In der Bundesrepublik gründete er den – als „Volksbund für Frieden und Freiheit“ getarnten – Zusammenschluss aller antikommunistischen Organisationen in der Bundesrepublik, den man sich als eine Nachbildung der nationalsozialistischen Anti-Komintern vorstellen muss. 1958 holte ihn Verteidigungsminister Franz-Joseph Strauß (CSU) als Berater für das neu eingerichtete Referat „Psychologische Kampfführung“ in sein Ministerium. Somit verkörpert Taubert wie kaum ein anderer ein halbes Jahrhundert antibolschewistische und antikommunistische Propaganda in Deutschland – sowohl vor als auch nach 1945.

Ein deutsches Trauma: „Die Russen kommen!“

Die nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitete deutsche Angst vor „den Russen“ speiste sich zu einem erheblichen Teil aus der NS-Propaganda, insbesondere aus der Gräuelpropaganda der Nazis in der letzten Kriegsphase, die unter Hinweis auf schwere Ausschreitungen und die große Zahl von Vergewaltigungen durch Soldaten der der Roten Armee zum fanatischen Durchhalten aufrief, aber auch das Gegenteil zur Folge haben konnte, wie unter anderem die selbstmörderischen Panikreaktionen in der Stadt Demnin belegen.  Die Kampagnen hinterließen ihre Spuren in den Köpfen der Menschen, ebenso wie andere Kriegsende-Erfahrungen der Deutschen – Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Zusammenbruch der politischen und militärischen Macht. Am Ende betrachteten sich die besiegten Deutschen zunehmend als die „eigentlichen Opfer“, ergingen sich in Selbstmitleid und verdrängten die Tatsache, dass sie selbst ihre Lage verschuldet hatten. 

Der Unwille, sich in die Lage der – von deutscher Aggression überzogenen – Menschen in der Sowjetunion zu versetzen, war auch noch Jahrzehnte später zu beobachten. In Russland stets mit großem Befremden wahrgenommen, wies der russische Deutschland-Kenner und hochrangige sowjetische Politiker Nikolai Portugalow (1928-2008) im Jahre 1989 darauf hin. Die Deutschen, sagte er, hätten eine große, „nicht-anerkannte und unbereute Schuld“ auf sich geladen. Und weiter: „Die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs, dass gerade die Deutschen unermessliches Leid über unser Land gebracht hatten, ist nicht nur an dem materiellen Schaden zu messen, auch nicht nur an den Toten, den Verkrüppelten, an der Verwüstung, der verbrannten Erde und dergleichen mehr. Der Vorgang, schon der Wille, die Sowjetunion zu vernichten, ist ungeheuerlich. Das hätten wir in unserer Geschichte wohl vielleicht von Tartaren erwartet, im frühen Mittelalter, aber doch nicht von den Deutschen!“  

Portugalow, als Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU und als Berater von Parteichef Gorbatschow auf sowjetischer Seite führend an der Wiedervereinigung Deutschlands beteiligt,  gehörte zu jenen Russen, die trotz des Zweiten Weltkrieges auf eine deutsch-russische Symbiose hofften, und leistete dazu unter anderem mit der Übersetzung von Werken von Brecht und Böll in die russische Sprache einen eigenen Beitrag. Hat es wirklich zur Aussöhnung beigetragen?

Im Westdeutschland der 1950er Jahre lebten die Angehörigen der Kriegs- und die Nachkriegsgeneration mit Bedrohungsängsten wie „Die Russen kommen!“ – geschürt von einer antikommunistischen und antisowjetischen Propaganda.  Aber es steckte mehr dahinter: Man befürchtete – nur selten offen ausgesprochen –, die auf Rache sinnenden Russen könnten den Deutschen womöglich das antun, was diese in den Kriegsjahren 1941-1944 den als Untermenschen geltenden Russen angetan hatten – eine zentrale Erkenntnis, die in der historisch-politischen Literatur kaum die nötige Aufmerksamkeit findet. Wir haben es mit dem klassischen Falle einer Projektion zu tun. Sie verdeckte das Wissen der Täter des mehrjährigen deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion. Russenfurcht erlaubte es vielen Deutschen weiterhin, ein gutes Gewissen zu haben und das eigene Böse zu verdrängen.

Mit der kultivierten Russenangst wurde der Spieß einmal mehr umgedreht: Nicht Deutschland war nunmehr schuld an der Feindkonstellation des Kalten Krieges, sondern die Russen von heute, die Westdeutschland und den Westen bedrohten. Mithilfe dieser Schuldabwehr gelang es den Anhängern der Politik Adenauers, in die Rolle des – potenziellen – Opfers sowjetischer Aggression schlüpfen. Die Option, eigene Schuld anzuerkennen und Reue zu zeigen, blieb weitgehend auf der Strecke.

Das Fortwirken der NS-Propaganda im Kalten Krieg zeigte sich auch auf dem Feld der Militärpolitik. Als sich im Sommer 1950 ehemalige hochrangige Offiziere der Wehrmacht auf Geheiß von Bundeskanzler Adenauer (CDU) im Eifelkloster Himmerod trafen, um im Geheimen über die Aufstellung einer „neuen Wehrmacht“ zu beraten , orientierten sich die vormaligen Generäle Hitlers in ihren Planungen bedenkenlos am „Vorbild Wehrmacht“. In Himmerod wurde die Bundeswehr – wie vormals die Wehrmacht – „auf einen den gesamten Kontinent Europa umfassenden Kampf ausgerichtet, […]‚von den Dardanellen bis nach Skandinavien‘“. In der Kontinuität ihres antibolschewistischen und antikommunistischen Weltbildes verknüpften die westdeutschen Militärplaner ihre Erfahrungen im nationalsozialistischen „Ostkrieg“ samt seiner Vernichtungsdoktrin mit dem Kalten Krieg.  

Verbesserungen des internationalen Klimas in Europa brachte die deutsche Entspannungs- und Ostpolitik der 1970er Jahre. Aber in den Köpfen der Gegner lebten und leben die alten Feindbilder fort. Ende der 1980er Jahre, als sich das Ende des Kalten Krieges ankündigte, klang die Idee eines „Friedens mit der Sowjetunion“ für viele wie Zukunftsmusik.  Neuerliche Warnungen, Russland sei eine Bedrohung für den Frieden, lassen leicht vergessen, dass nicht die Russen, sondern die Deutschen den Menschen in zwei Weltkriegen unermessliches Leid zugefügt haben.

Wolfram Wette ist pensionierter Professor für Neueste Geschichte, Friedensforscher und DFG-VK-Mitglied. Für die Veröffentlichung hier wurde sein Beitrag erheblich gekürzt. Der vollständige Text mit Quellenhinweisen findet sich auf der ZivilCourage-Website: https://bit.ly/3seJL4Y Ein inhaltsgleicher Beitrag ist in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Der Hakenkreuzzug“ am 10. Juni 2021 erschienen.

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Krieg

31. August 2021

Wählen reicht nicht!

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 4/2021

Leitartikel

Pazifistisch-antimilitaristische Gedanken zur Bundestagswahl

Von Markus Hornberger

Bei der Bundestagswahl am 26. September geht es um viel. Sie bedeutet nicht nur ein Ende der „Ära Merkel“, sondern spiegelt eine Gesellschaft in einem großen Umbruch wider – eine Gesellschaft, die sich wieder vermehrt Gedanken über das Leben miteinander und mit ihrer Umwelt macht. 

Spielten vor vier Jahren noch hauptsächlich das Thema Einwanderung und der Einzug der AfD in den Bundestag eine Rolle, so geht es den Wähler:innen heute viel mehr um die Rettung des Klimas, um genügend und bezahlbaren Wohnraum und um das Thema soziale (Un-)Gerechtigkeit. Das am dringlichsten empfundene Interesse der Bürger:innen ist jedoch das Thema „Sicherheit“. Natürlich fallen unter diesen Themenkomplex auch die Ängste vor den katastrophalen Folgen der Klimaveränderung oder finanzielle Sorgen, jede:r Vierte zeigt sich jedoch mittlerweile besorgt bezüglich der Kriege, in die Deutschland verwickelt werden könnte. 

Dabei steht es bei einem Blick in die meisten Wahlprogramme schlecht um die Friedenspolitik der nächsten Jahre. 

Die Grünen, die höchstwahrscheinlich das Land mitregieren werden, sehen in der Nato einen „unverzichtbaren Akteur für die gemeinsame Sicherheit Europas“ und forderten sogar von der Linken ein Bekenntnis zu dem Kriegsbündnis als Koalitionsbedingung. Drohnen sollen lediglich international verbindlich reguliert werden – von einem Verbot keine Rede. Ebenso steht es um Rüstungsexporte. Der Umgang mit Russland erfordere einen Zweiklang aus „Dialog und Härte“, China sei sogar systemischer Rivale. Gegen diese vermeintlichen Bedrohungen soll eine „handlungsfähige EU mit klarem Wertekompass“ in Stellung gebracht werden; EU-Imperialismus im Namen der Menschenrechte also. 

Ähnlich desaströs liest sich das Wahlprogramm der SPD, was uns Friedensbewegte jedoch auch nicht überraschen sollte. 

Und selbst in den Reihen der Linken werden Stimmen laut, die bezüglich der Friedenspolitik „linke Antworten auf der Höhe der Zeit“ fordern und damit Bundeswehreinsätze bei UN-Missionen meinen. 

Mehr denn je stellt sich für uns also die Frage, wie weit wir unser Friedensprojekt auf dem Fundament der Parlamente bauen wollen. Sicher, die Friedensbewegung hat durch ihre Einflussnahme auf Politiker:innen viele Erfolge erzielen können – zuletzt auch während der Drohnendebatte der SPD; und sicher, mit einer starken Linken in einer grün-rot-roten Koalition ließen sich einige Auslandseinsätze der Bundeswehr wohl verhindern.

Aber dabei muss uns klar sein, dass die Verhältnisse im Bundestag zum großen Teil die Verhältnisse in der Gesellschaft widerspiegeln. Wir dürfen uns also nicht in ausgeklügelten Lobbykonzepten verlieren, sondern müssen auch lernen, wieder große Teile der Gesellschaft gegen die Kriegsindustrie, die Militarisierung und den Imperialismus zu mobilisieren.

Vergessen wir dabei nicht, dass sich die Beseitigung aller Kriegsursachen, wie es unsere Grundsatzerklärung fordert, nicht durch Wahlen und Abstimmungen allein erreichen lässt – „uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“.

Markus Hornberger ist Mitglied im BundessprecherInnenkreis der DFG-VK.

Kategorie: Leitartikel Stichworte: 202103, Bundestagswahl

31. August 2021

Schreckensbilanz

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Titel

Die Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition
Nötig: Ein Rüstungsexportkontrollgesetz

Von Jürgen Grässlin

Ende September wird ein neuer Bundestag gewählt und danach eine neue Regierung gebildet. Für den Rüstungsexportbereich wird diese Wahl auf lange Jahre hinaus richtungsweisend sein. Denn ein Weiter-so mit der CDU/CSU oder der SPD wäre der Türföffner für erneute Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten im Nahen und Mittleren Osten und an weitere Staaten weltweit. Damit das Massenmorden mit deutschen Waffen ein Ende findet, bedarf es einer neuen Bundesregierung, die der enthemmten Rüstungsexportpolitik der Großen Koalition radikal ein Ende setzt.

Allerdings sprechen sich einzig Linke und ÖDP klar gegen den ungebremsten Waffenhandel aus, Die Linke fordert seit Jahren ein umfängliches Rüstungsexportverbot. Jedoch ist die Beteiligung dieser beiden Parteien an der neuen Bundesregierung äußerst unwahrscheinlich. Voraussichtlich werden Bündnis 90/Die Grünen als Teil einer neuen Regierung die Richtung mit vorgeben. Ob in gutem oder schlechtem Sinne, steht noch dahin. Nichts Gutes lässt das Statement des Ko-Vorsitzenden Robert Habeck erwarten, der sich vor Kurzem unverhohlen für Waffenlieferungen an die Ukraine und damit in ein Krisen- und Kriegsgebiet aussprach.

Grundgesetz – Artikel 26:
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
(2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Wir brauchen neues Denken und eine wirkliche Wende

Was wir aber brauchen, ist neues Denken, eine wirkliche Wende hin zu einer Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung. Im Rahmen dieses Umsteuerungsprozesses bedarf es der Verabschiedung eines neuen und strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace in Absprache mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ für Deutschland vorgelegt worden ist (https://bit.ly/3kkTnrs).

In Ausführung von Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes soll ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten festgeschrieben werden. Dieses neue Gesetz muss dem Menschenrechtsschutz und der Abrüstung und nicht länger den Interessen der Rüstungsindustrie dienen.

Zentrale Ansprüche an ein Rüstungsexportkontrollgesetz sind u.a.: 

  • Ein Exportverbot von kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition.
  • Keine weiteren Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete oder an menschenrechts- und völkerrechtsverletzende Staaten.
  • Ein Verbot von Lizenzvergaben sowie der Weitergabe von Waren und Informationen, die den Nachbau und die Weiterentwicklung deutscher Waffen und Rüstungsgüter ermöglichen.
  • Zukünftig müssen Exportgenehmigungen begründet und jederzeit widerrufen werden können.
  • Keine weiteren Vergaben staatlicher Exportkreditgarantien für Rüstungsgeschäfte (Hermesbürgschaften).
  • Schaffung eines Verbandsklagerechts, um Rüstungsexportgenehmigungen gerichtlich überprüfen lassen zu können.
  • Wiederbelebung des Rüstungskonversionsfonds zur Förderung der Umstellung von militärischer auf nachhaltige zivile Produktion.

Ein solches neue Rüstungsexportkontrollgesetz sollte das einzige Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Grundgesetz sein und die bisherigen rechtlichen Vorgaben des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Auswirtschaftsgesetzes ersetzen.

Was vor wenigen Jahren noch utopisch geklungen hätte, gewinnt inzwischen an Kontur. Als Konsequenz unserer erfolgreichen Strafanzeige gegen Heckler & Koch wies der Bundesgerichtshof Ende März auf die bestehenden Lücken bei der Kontrolle des Kriegswaffenexports hin. Mit Nachdruck sagte der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats am Bundesgerichtshof in der Urteilbegründung: „Die Rechtslage zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte, auch nicht des Bundesgerichtshofs.“ Der Schwarze Peter liegt also bei der Politik.

Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Rüstungsexporte

Die Zeiten sind günstig für die Rüstungsexportwende. Seit Jahren bereits dokumentieren repräsentative Meinungsumfragen den Mehrheitswillen der Bevölkerung – gegen Rüstungsexporte, für Menschenrechte. So entfachte die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 die Debatte über Waffenexporte nach Saudi-Arabien neu. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen ergab kurz danach ein klares Meinungsbild: Eine deutliche Mehrheit der befragten Bundesbürger*innen sprach sich dafür aus, „dass sich die Bundesregierung in erster Linie an der Menschenrechtslage im Zielland orientieren sollte, wenn sie Rüstungsexporte genehmigt“. Lediglich 15 Prozent der Befragten sahen wirtschaftliche Interessen als prioritär an.

Immerhin sprachen sich bei der Befragung Wähler*innen aller Parteien eindeutig dafür aus, dass Menschenrechte wichtiger als Wirtschaftsinteressen seien. Am größten war der Zuspruch bei Wähler*innen von Bündnis 90/Die Grünen mit 89 Prozent, gefolgt von denen der Linken mit 86 Prozent und der SPD mit 85 Prozent. Selbst bei Wählern der anderen Parteien gab es mehrheitlich Zuspruch: bei der CDU/CSU mit 62, bei der FDP mit 59 und bei der AfD mit 54 Prozent.

Klare Mehrheiten gegen Waffenexporte lassen sich seit Jahren in repräsentativen Meinungsumfragen belegen. Auf die Frage „Einmal grundsätzlich betrachtet, sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Waffen und andere Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?“ antworteten im Januar 2016 erfreuliche 83 Prozent der befragten Bürger*innen mit einem Nein, gerademal 14 Prozent sprachen sich für Rüstungsexporte aus. Bei einer ähnlichen Umfrage fünf Jahre zuvor waren lediglich 78 Prozent dagegen.

In den kommenden Jahren gilt es, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland zur Umsetzung zu verhelfen. Dabei sind Bundestagswahlen ein relevanter Stellhebel, jedoch nicht der einzige. Mit unserer Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ ist es uns gelungen, die Wende hin zur drastischen Reduktion der Exportgenehmigungen bei Kleinwaffen herbeizuführen.

Handlungsansätze für die Friedensbewegung

Sinnvolle und erfolgversprechende Handlungsansätze gibt es genug. Kritische Aktionär*innen bieten die Chance, Rüstungsexportskandale bei Aktiengesellschaften wie Rheinmetall, Daimler oder Heckler & Koch in den Hauptversammlungen anzuprangern und die Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat in Gegenanträgen zu fordern.

Auch gilt es, Strafanzeigen wie die des European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Linkspartei zu fördern. Diese gehen die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden durch Waffentransfers deutscher Rüstungskonzerne juristisch an. Weiterhin gilt es, den offenen Brief von Greenpeace und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und zahlreicher weiterer Organisationen zu unterstützen, der von der Bundesregierung jeweils am Ende eines Jahres nachdrücklich einen völligen Stopp aller Kriegswaffenexporte der Jemen-Kriegsallianz fordert. Bekanntlich wird das Rüstungsexportmoratorium der Bundesregierung jeweils nur für ein Jahr verhängt.

Außerdem müssen wir über den Tellerrand deutscher und auch europäischer Rüstungsexportpolitik hinausdenken. Denn längst haben Konzerne wie Rheinmetall Defence Teile ihrer Produktion nach Italien (RWM Italia) und nach Südafrika (Joint Venture mit Denel) verlagert, um den deutschen Exportrestriktionen zu entgehen. Lasst uns also mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) weltweit aufzeigen, wohin grenzenlos Waffen exportiert werden. Und lasst uns den Tätern Name und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Lasst uns die Werkstore von Waffenschmieden blockieren und vor dem Bundestag und Kanzleramt gegen die Rüstungsexport- und Kriegslobbyisten demonstrieren.

Wir werden mit der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ weiterhin den Finger in die Wunde einer durch und durch inhumanen und ethisch äußerst verwerflichen Rüstungsexportpolitik legen. Konsequent und kreativ werden wir unsere Aktionen zur Demaskierung der Bundesregierung weiterentwickeln – so wie mit der X-Ray-Aktion vor dem Deutschen Bundestag, der „Waffenkammer Deutschlands“ Ende August. 

Rückblick zeigt Notwendigkeit der Wende

Ein Rückblick zeigt, wie notwendig eine Wende ist.

Als die CDU/CSU/SPD-Regierung nach der Bundestagswahl 2017 erneut ihr Amt antrat, schenkten viele Bürger*innen den hehren Versprechungen Glauben, die neue Regierung werde in zentralen Politikbereichen eine Wende zum Guten einleiten. 

Im Rüstungsexportbereich hofften viele darauf, dass die hemmungslose Exportpolitik nun beendet und Abrüstung die Agenda bestimmen würde. Immerhin hatte die Vorgängerin, ebenfalls eine Große Koalition, mit Einzelgenehmigungen von Rüstungsexporten im Volumen von rund 24,8 Milliarden Euro so viele Waffentransfers genehmigt, wie keine Regierung zuvor.

Heute, noch vor Ende der Wahlperiode, bleibt eine finale Gesamtbewertung unvollständig. Auf eine Anfrage
der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen bestätigte die Regierung, dass sie in der noch laufenden Periode Rüstungstransfers im Umfang von mehr als 22,5 Milliarden genehmigt habe. 

Eine Zahl, die zu niedrig angesetzt sein dürfte. Denn gemäß den Angaben der regierungsamtlichen Rüstungsexportberichte wurden in den Jahren 2018 bis 2020 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,8 (2018), 8,0 (2019) und 5,8 Milliarden Euro (2020) erteilt. Rechnet man anteilig die Monate Oktober bis Dezember  für 2017 mit 1,5 hinzu sowie anteilig die ersten neun Monate für 2021 (Datenbasis erstes Halbjahr) mit 3,4 hinzu, so ergibt sich für die 19. Legislaturperiode die finale Summe von rund 23,6 Milliarden Euro. Die zu Ende gehende Wahlperiode ist damit gekennzeichnet von einer Stabilisierung der Waffentransfers auf immens hohem Niveau.

Schlimmer noch: Analysiert man die Einzelgenehmigungen seit der Publikation von Rüstungsexportberichten, beginnend im Jahr 1996, dann waren bisher die Jahre 2015-17 negativ hervorgetreten. Für 2019 allerdings müssen sich die Regierenden in Berlin den Vorwurf gefallen lassen, die Einzelgenehmigungen für Kriegswaffenexporte auf den historisch neuen Negativrekordwert von 8,014 Milliarden Euro hochgeschraubt zu haben. 

Von einer funktionierenden Exportkontrolle oder gar einer „restriktiven Exportpolitik“ – wie von CDU/CSU und SPD immer propagiert – kann keine Rede sein. Dies ist umso betrüblicher, als auch die Rüstungsexportrestriktionen auf internationaler Ebene weitgehend versagen.

Rüstungsexport-Rekordhalterin Angela Merkel. Die Gesamtbilanz der Ära Merkel fällt absolut desaströs aus. Als Bundeskanzlerin und Vorsitzende des Bundessicherheitsrats von 2005 bis 2021 verantwortet Angela Merkel in ihrer 16-jährigen Amtszeit Waffenexportgenehmigungen für Einzel- und Sammelausfuhren in Höhe von mehr als 122 Milliarden Euro. Damit ist sie unangefochten Rekordhalterin in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte vor allen anderen Kanzlern – auch vor Helmut Kohl, der ebenfalls 16 Jahre als Kanzler regierte. 

Unter Merkels Ägide durfte die deutsche Rüstungsindustrie mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten jahrelang mehrere Staaten der Jemen-Kriegskoalition hochrüsten. Dank ihrer Zustimmung konnten deutsche Waffen zudem im Afghanistankrieg, im Libyenkrieg, im Irakkrieg und im Syrienkrieg zum Einsatz kommen. Angela Merkel verantwortet mit ihren Minister-Kolleg*innen im Bundessicherheitsrat die erzwungene Flucht, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung Abertausender unschuldiger Menschen mit deutschen Waffen in Krisen- und Kriegsgebieten.

Der 26. September bietet die Chance für eine wirkliche Umkehr!

Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG- VK-BundessprecherInnenkreis und einer der Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Rüstungsexport, Waffenhandel

31. August 2021

„Das Trauerspiel von Afghanistan“

Dieser Beitrag ist erschienen in der
ZivilCourage 2/2021

Antimilitarismus

20 Jahre Kriegspolitik von Bundeswehr und Nato sind gescheitert

Von Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers

Nach fast 20 Jahren Kriegsbeteiligung ist die Bundeswehr fluchtartig aus Afghanistan abgezogen und hinterlässt ein zerstörtes Land. Die formulierten und heimlichen Kriegsziele wurden alle nicht erreicht. Der Einsatz war sinnlos, die Soldat*innen wurden von den Bundesregierungen missbraucht. Konflikte können mit Militär nicht gelöst werden. 

Am 1. Dezember 2001 trafen die ersten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Afghanistan ein. Ihr vorgeblicher Auftrag war, die afghanische Regierung im Kampf gegen den Terrorismus von Al Kaida und der Taliban zu unterstützen. Zusammen mit den Soldat*innen aus anderen Nato-Staaten sollte angeblich der Terrorismus erfolgreich bekämpft und demokratische Strukturen aufgebaut werden. 

Der Militäreinsatz wurde als „Friedensmission“ verharmlost und sollte für ein Afghanistan sein, „das für sich sorgen kann“, hieß es 2001 aus dem Verteidigungsministerium. Der damalige Bundeskanzler Schröder teilte in einer Regierungserklärung im Dezember 2001 mit: „Der Afghanistaneinsatz ist unsere Antwort auf den Terror“. 

Als unausgesprochenes hintergründiges Ziel strebten Schröder (SPD) und sein Außenminister Fischer (Grüne) einen ständigen Sitz im UN Sicherheitsrat an. 

Nicht Aufbauhilfe, sondern Besatzung

Dargestellt wurde der Krieg der Nato in Afghanistan als „Aufbauhilfe, Beitrag zur Demokratisierung“. Dafür wurden immer mehr Soldat*innen und Kriegsgerät ins Land geschafft. 2003 übernahmen die Nato-Armeen Besatzungsfunktionen in den Provinzen, die Bundeswehr im Norden mit Stützpunkten in Mazar, Kunduz und 2004 in Faizabad. 

Am 4. September 2009 wurden auf Befehl des Bundeswehroberst Klein Zivilist*innen, darunter auch Kinder, bombardiert, die sich von einem festgefahrenen LKW Benzin abgezapft hatten. Bei dem Bombenangriff kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Für dieses Kriegsverbrechen wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Der Staatsanwalt stellte fest, dass die Bombardierung alle subjektiven und objektiven Tatmerkmale des Mordparagraphen enthält, die Ermittlungen gegen Oberst Klein wurden dennoch eingestellt, und er wurde zum General befördert. 

2014 wurde schon einmal ein Abzug aus Afghanistan angekündigt. Die Bundeswehr ist damals für die Unterstützung und Ausbildung der afghanischen Armee beauftragt geblieben, Kunduz und Faizabad waren schon geräumt. 

Es sollte ihr Beitrag zur Niederschlagung der Aufständischen sein. Soldat*innen, die von der Bundeswehr ausgebildet wurden sind, desertierten und flohen oder schlossen sich den Taliban oder anderen Aufständischen an. Die Bundeswehr hat diejenigen ausgebildet, die sie eigentlich bekämpfen wollte. 

Ausbau des Drogenanbaus und -handels, Zerstörung der Infrastruktur, Verelendung und Hunger, die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in der Welt, ein zerstörtes Bildungssystem, eine zerstrittene Regierung mit steigender Korruption, haben das Ziel der sogenannten „Friedensmission“ ins Gegenteil verkehrt. Die Taliban konnten Kabul und die Macht im Land im August 2021 wieder übernehmen. 

Kapitulation 

Von Januar bis April 2021 stieg der Anteil der getöteten Zivilist*innen um 30 Prozent oder um 10.439 Menschen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind im fast zwanzigjährigen Krieg in Afghanistan mindestens 300 .000 Menschen getötet worden. Die Soldat*innen der Bundeswehr lassen mit ihrem Krieg, der nicht Krieg genannt werden sollte, ein zerstörtes Land zurück. Die Islamisten sind stärker als zuvor. Die Bundeswehrsoldat*innen sind in den 20 Jahren ihres Militäreinsatzes Opfer von Selbsttäuschung geworden, sie wurden von den Bundesregierungen und der Parlamentsmehrheit missbraucht. Mit ihrem Abzug besiegeln sie das Scheitern. 

Verantwortungslose Militärpolitik

Soldat*innen sind Opfer verantwortungsloser Militärpolitik. Etwa 150 .000 Soldat*innen der Bundeswehr waren in Afghanistan im Krieg. 59 kamen dabei ums Leben, 35 bei Kampfhandlungen. Ihnen wurde posthum der Orden für besondere Tapferkeit verliehen. 

Die Zahl der psychisch traumatisierten Soldat*innen steigt, für deren Behandlung in Bundeswehrkrankenhäusern beträgt die Wartezeit bis zu acht Monaten. Wie viele Soldat*innen aufgrund ihrer Kriegserlebnisse traumatisiert sind, ist aufgrund der Dunkelziffer ungewiss. 

Sie haben im Kriegsalltag hilflos mitansehen müssen, wie Zivilist*innen, darunter auch Kinder, Kamerad*innen, auch die der anderen Nato-Armeen getötet oder verletzt worden sind oder wurden auch selbst verletzt. Der Schaden, den sie an ihrer Seele genommen haben, ist auf den ersten Blick nicht sichtbar. 

Unter der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familienangehörigen und ihr soziales Umfeld. Für Soldat*innen mit PTBS hört der Krieg nie auf, er geht im Kopf und den Nerven weiter. 

Gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit. Bei Meinungsumfragen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung gab es durchgängig mindestens eine Zweidrittelmehrheit gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan. Rückhalt in der Bevölkerung hat es für die Soldat*innen in Afghanistan nie gegeben. 

Die Mehrheitsmeinung ignorierend haben die Mitglieder des Bundestages mehrheitlich für Krieg gestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“. 12,156 Milliarden Euro, dazu sogenannte Aufbauhilfen und Entwicklungshilfen in Höhe von 430 Millionen Euro, die größtenteils für Militär und Polizei eingesetzt wurden, sind sinnlos für den Krieg verschwendet worden. 

Abschiebestopp und offene Grenzen 

In Afghanistan gibt es keine Sicherheit für Menschen. Während die Bundeswehr für ihre Soldat*innen einen sicheren Abzug aus Afghanistan organisierte, ließen sie die Menschen in Afghanistan hilflos zurück. 

Noch im August 2021 wurde von rassistischen deutschen Politiker*innen behauptet, es gebe in Afghanistan sichere Gebiete, in die Menschen abgeschoben werden können. 

Alle Menschen, die aus Afghanistan schon geflüchtet sind, und auch diejenigen, die das misshandelte Land verlassen und sich hier bei uns in Sicherheit bringen wollen, brauchen ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht. Das gilt für alle, nicht nur für die Kollaborateure der Besatzer. Das ist unsere humanitäre und politische Verantwortung. 

Afghanistan ist der Friedhof für Imperialisten und Invasoren. Vor 2 300 Jahren scheiterte Alexander der Große daran, Afghanistan zu erobern. 1839 versuchten die Briten, das Land zu besetzen und scheiterten. 12 000 Zivilisten, 690 britische und 2.840 indische Soldaten mussten drei Jahre später nach militärischer Niederlage abziehen. Nur der Militärarzt Bryder überlebte den Abzug. 

1858 schrieb Theodor Fontane das Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“, dessen letzte Zeile lautet: „Mit 13.000 der Zug begann – einer kam heim aus Afghanistan“. 

Von 1979 bis 1989 intervenierte die Sowjetarmee in Afghanistan und musste am Ende erfolglos abziehen. Afghanistan wurde zu einem Sargnagel der Sowjetunion. 

Nun haben USA und Nato ihren Afghanistankrieg verloren. 

Aus dem Afghanistankrieg lernen. Der Malieinsatz ist ebenso desaströs. Auch dort destabilisiert der Kriegseinsatz eine ganze Region, und der Krieg weitet sich auf die Nachbarstaaten im Sahel aus. 

Menschenrechte, Demokratie, Wohlstand und Sicherheit können nicht durch Soldat*innen und Krieg erreicht werden. Der Einsatz von Militär ist keine Geopolitik sondern Kriegsführung und verschlimmert das Elend.

Die Bundeswehr ist gefährlich, sinnlos, teuer und gehört abgeschafft. 

Politiker*innen, die Krieg als Friedensmission deklarieren, sich an der Vorbereitung von Kriegshandlungen durch Zustimmung beteiligen und Krieg als politische Strategie gut heißen, sind nicht wählbar. 

Detlef Mielke, Siglinde und Ralf Cüppers sind aktiv im DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein.

Den Text dieses Artikels gibt es als Faltblatt zum Verteilen. Das „Tornado-Motiv“ ist erhältlich als Plakat im Format A1 (0,20 Euro/Stück; für Versand gefaltet). Bestellung über: https://shop.dfg-vk.de/

Kategorie: Antimilitarismus Stichworte: 202103, Afghanistan, Auslandseinsatz, Bundeswehr, Kriegspolitik, Nato

  • « Go to Previous Page
  • Go to page 1
  • Go to page 2
  • Go to page 3
  • Go to Next Page »

Haupt-Sidebar

„Eine Supermacht Europa verhindern“

17. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

ZC-4-22/1-23-Editorial

16. Januar 2023

Stefan Philipp
Editorial zum Heft 3/2022

Zweifel sind keine Schande

16. Januar 2023

Ernst Rattinger
Leitartikel
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

Warum Pazifismus wichtiger denn je ist

16. Januar 2023

Michael Schulze von Glaßer
Titel: Warum Pazifismus wichtiger denn je ist
Erschienen in ZivilCourage 4-22/1-23

„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“

27. November 2022

Andreas Zumach
„Ein Signal mangelnder Zivilcourage“
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung

27. November 2022

Hauke Thoroe
… gefördert von: Bertha-von-Suttner-Stiftung
Erschienen in ZivilCourage 3/2022

  • Datenschutz
  • Impressum

Urheberrecht © 2023 Anmelden