Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
Antimilitarismus
Bundesweite „Adbusting“-Aktionen gegen Militär-Reklame
Von der antimilitaristischen Kommunikationsguerilla
So lief der (digitale) Tag der Bundeswehr 2021 am 12. Juni: Während die Bundeswehr drinnen Video-Konserven für 6.000 Hardcore-Fans im Internet streamt, kapert draußen eine Kommunikationsguerilla republikweit Werbevitrinen. Bundesweit beteiligten sich an dem Aktionstag Kommunikationsguerilla-Gruppen aus 13 Städten. In Berlin, Potsdam, Dresden, Erlangen, Stuttgart, Frankfurt/Main, Bonn, Köln, Essen, Hannover, Hamburg und Rostock feierten Aktivist*innen den Tag ohne Bundeswehr mit Adbustings.
In Witzenhausen fanden Bannerdrops statt. In Kiel feierte der DFG-VK-Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein den „Tag ohne Bundeswehr“ mit einer Kundgebung vor dem Liegeplatz des Marine-Schulschiffes Gorch Fock. Eine namenlose Berliner Gruppe hängte Wandzeitungen in der Umgebung des Impfzentrums am Erika-Heß-Stadion auf, die den Inlandseinsatz der Bundeswehr in der Coronapandemie aufgreifen und davon ausgehend die Normalisierung von Militärpräsenz in der Gesellschaft kritisieren. Auch das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (Junepa) beteiligte sich am Aktionstag.
„Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldat*innen“
Die gefälschten Plakate in den Werbevitrinen zeigen das Tarnfleck-Polygon der Bundeswehr. Doch die Sprüche machen keine Werbung für die Truppe, sondern kritisieren das Militär. Die unerlaubt angebrachten Plakate verwendeten den Polygon-Flecktarn-Hintergrund der Bundeswehr, kombinierten diesen jedoch mit Sprüchen wie „Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldat*innen“, „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“ oder „Munition und Menschenleben: Ein bisschen Schwund ist immer.“ In Fachkreisen wird diese Aktionsform „Adbusting“ genannt, und die Behörden gehen sehr hart dagegen vor, da Adbusting laut Landeskriminalamt Berlin die Bundeswehr „gar lächerlich“ mache.
Viele Reaktionen von Passant*innen. Das Aufhängen von gefälschten Werbeplakaten und die Umgestaltung von Werbung zu einer anderen politischen Botschaft nennt man „Adbusting“.
Beim Fotografieren eines „Soldaten-Nazis-Plakats am“ Bahnhof wurde eine Aktivist*in von einer Passant*in gefragt wurde, ob sie auch Züge fotografiert. Nachdem die Aktivist*in auf das Plakat hingewiesen hatte, bekam sie von der Person Zustimmung: „Es ist aber auch echt der Wahnsinn, aus was für einem rechten Gesocks die Bundeswehr besteht.“
Auf einem anderen Motiv heißt es: „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“. Dieser Spruch sorgte in mehreren Fällen zu höhnischem Lachen auf den Straßen der Städte. Eine Gruppe, die vor dem Plakat versammelt war, rätselte: „Ist das echte Bundeswehrwerbung?“ – „Nein. So ehrlich sind die nicht.“
Reichweite in den sozialen Medien. Auch medial stahl der „Tag ohne Bundeswehr“ dem „Tag der Bundeswehr“ klar die Show. Zeitungen berichteten, von Passant*innen hochgeladene Bilder der Adbustings sammelten Tausende Likes, die beteiligten Kollektive feierten Reichweiten-Rekorde. Von Freitag auf Sonntag war #Adbusting zeitweilig auf Platz 9 in den Trending-Charts bei Twitter.
Über den CSU-Bundestagsabgeordneten Florian Hahn („das ist unfassbar scheußlich“) schwappten die Bilder auch in die Military-Community. Hier zeigte sich deutlich eine demoralisierende Wirkung. Auf Twitter schreibt eine Soldat*in: „Man dieses ganze Adbusting zeigt einfach wie niedrig der Rückhalt in der Bevölkerung für die Bundeswehr ist.“ (https://bit.ly/3CVw7bE)
Eine andere Soldat*in schreibt: „Der Moment, wo man als Soldat vor so einer Wand steht und sich fragt, für was und wen man diesen Job eigentlich macht!“ (https://bit.ly/3sjzpRm)
Sogar Zuspruch findet sich unter den Soldat*innen: „Als Soldat bin ich Antifaschist. Ich fühle mich hier nicht angesprochen, weil Nazis in der Bw nicht meine Kamerad:innen sind (so wie Ihre bestimmt auch nicht). Ich bin froh um den Druck von außen, weil von alleine wird nichts gegen die Demokratiefeinde in unseren Reihen getan.“ (https://bit.ly/3iMMHCF)
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, angebliche Expert*in für Digitales, hält die Adbustings für autorisiert: „Was zum Teufel?? Maybe @JCDecauxGlobal can explain why they show ads like this in Germany?“ Ihre Follower spekulieren daraufhin, ob der „französische Großkonzern“ einen „dritten Weltkrieg“ anzetteln wolle.
Oberstleutnant Marcel Bohnert bläst zum Gegenangriff. Angesichts der wehrkraftzersetzenden Wirkung dieser Störpropaganda gegen die Bundeswehr bläst Oberstleutnant Marcel Bohnert zum Gegenangriff. Der wegen Nazikontakten aus dem Kriegsministerium entlassene Offizier ruft mit einer Woche Verspätung seine Follower*innen zu Aktionen auf. Das Ziel: Die Sperrung von Accounts, die die Adbusting-Bilder zeigen.
Doch es gibt auch Soldat*innen, die dies kritisieren. Die ehemalige Fallschirmjäger*in @Patrick_J_Bln, die viele Nazis in der Bundeswehr meldete und deshalb entlassen wurde, sagt: „(…) das ist ein signifikanter Angriff auf die #Meinungsfreiheit.“ (https://bit.ly/3xSyNDx)
Die Nutzer*in @Fabana84 schreibt: „Derzeit auf Insta: 1. #SocialMediaDivison-Größen hetzen ihre Follower auf Accounts die die jüngsten #Adbusting-Ergebnisse teilen 2. die wackeren #SocialMedia-Recken sehen argumentativ kein Land 3. man ruft dazu auf missliebige Accounts zu reporten. #CancelCulture?“ (https://bit.ly/3AMHy3Q)
Gut auf den Punkt bringt es die Nutzer*in @wimipolis, die an der Bundeswehr-Uni in München arbeitet: „Linke: machen Ad-Busting, unter anderem mit „Nicht alle Soldaten sind Nazis. Aber verdammt viele Nazis sind Soldaten.“ Übliche Verdächtige: regen sich auf, „Generalverdacht“, „Propaganda“, „Verleumdung“. Panzergrenadiere in Rukla: HOLD MY FUCKING NAZI-BEER!“ (https://bit.ly/3ga8Zg5)
Der Tag gegen die Bundeswehr 2021 stellte nicht nur den Tag der Bundeswehr in den Schatten. Er trug die Diskussion über Nazis in der Bundeswehr in ein breites Publikum einschließlich der „military community“. Mehr Informationen gibt’s auf dem Kampagnenblog tob21.noblogs.org
Die AutorIn aus der „antimilitaristischen Kommunikationsguerilla“ will anonym bleiben, ist der ZivilCourageaber bekannt.