![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 3/2022 |
Pazifismus
Gedanken eines langjährigen Basisaktivisten angesichts des Ukraine-Kriegs
Von Robert Hülsbusch
Krieg, Inflation, Energiekrise – auch an Helene Fischer geht das nicht spurlos vorbei. Aber sie verarbeitet dies auf ihre Art: „Wenn ich mir Sorgen mache, wenn ich die Tagesthemen gucke, wenn ich Zeitung lese und gewisse Dinge einfach auch für mich verarbeiten muss, dann habe ich dafür eben meinen Song „Wann wachen wir auf“: „Wann wachen wir auf? Wann steh‘n wir auf? Lass uns wieder mit unsren Herzen schau‘n. Wann wachen wir auf? Was hält uns noch an? Lass uns aus all den Mauern Brücken bau‘n. Wann wachen wir auf?“ Bei Bob Dylan hieß das vor 50 Jahren: „When will they ever learn?“, und Hannes Wader sang: „Es ist an der Zeit“.
September 2022. Ein Tsunami bricht über uns herein. Talkshows, große Zeitungen, PolitikerInnen-Statements, Berichte und Kommentare in den Medien – alle kennen nur noch eine Richtung: Mehr Waffen, Aufrüstung, mehr Geld für die Armeen, Waffenlieferungen, auch in Kriegsgebiete, Atomkraft und Kohle und Gas erfahren eine Renaissance …
Wofür haben wir uns 40 Jahre engagiert? Wir stehen wieder dort, wo wir damals – Anfang der 1980er Jahre – angefangen haben. Kalter Krieg, Wettrüsten, Konfrontation, Stellvertreterkriege zwischen Ost und West. Diesmal gar auf europäischem Boden. Die Welle überrollt uns und niemand scheint in der Lage, sie aufzuhalten, keine „Aktionstage“, keine Unterschriftenlisten, keine „Offenen Briefe“, keine Groß-Demo, keine Aufrufe.
Frieden schaffen ohne Waffen. Stell dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin. Ohne Rüstung leben, soziale Verteidigung, Atomkraft – nein danke, Runter mit der Kohle … alles ausgeträumt, alles für die Katz.
Seit fast 41 Jahren arbeitet die Friedensinitiative (FI) in Nottuln, nahe Münster in Westfalen, engagieren wir uns auch über Nottuln hinaus, vernetzt mit vielen Friedensgruppen und -organisationen, mit Umweltgruppen und Energiewendeaktivisten.
Niederlagen und Rückschritte sind wir gewohnt. Das erfuhren wir gleich zu Beginn unserer FI-Arbeit, als trotz großer Bewegung die damalige Bundesregierung uns erst den Mittelfinger entgegenstreckte und dann die atomaren Mittelstrecken-Raketen aufstellte. Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen. Was auch sonst!?
Viele lokale Friedensgruppen stellten allerdings damals ihre Arbeit ein, nicht so die FI Nottuln. Unser Schluss: „Abrüstung ist wichtig. Aber die Geschichte lehrt, dass zumeist nicht Abrüstung zum Frieden führt, sondern friedliche Zusammenarbeit zu geringerem Misstrauen, zu weniger Angst, zur Abrüstung.“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker).
In diesem Sinne haben wir weitergearbeitet – Jahrzehnte immer mit Hoffnung und Optimismus und Zuversicht. Unsere Arbeit und die Zeit – sie werden zeigen: „Eine andere Welt ist möglich!“ Und Schritt für Schritt machten wir Fortschritte. Beispiele: Abschaffung der Wehrpflicht, die „Bürgermeister für den Frieden“-Bewegung, das Pariser Klimaabkommen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, der Atomwaffenverbotsvertrag, Ican erhält den Friedensnobelpreis, und dann die hoffnungsvolle Initiative „Sicherheit neu denken!“ (SND; sicherheitneudenken.de).
Wir konnten ernsthaft annehmen, dass wir auf einem guten Weg sind, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung einigten sich die Vereinten Nationen im Jahr 2015 auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs; https://bit.ly/3sHyE5o). Die 17 Ziele mit ihren 169 Zielvorgaben widmen sich jeweils einer globalen Herausforderung. Reiche wie auch arme Länder verpflichteten sich, die Armut drastisch zu reduzieren und Ziele wie die Achtung der menschlichen Würde, Gleichberechtigung, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit und Frieden zu verwirklichen. Oberstes Ziel war die globale Zukunftssicherung, für die vier programmatische Handlungsfelder festgelegt wurden: • Frieden, Sicherheit und Abrüstung • Entwicklung und Armutsbekämpfung • Schutz der gemeinsamen Umwelt • Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung. Was für eine Perspektive!
Mit dem Krieg in der Ukraine ist alles anders. Eine Zeitenwende? Natürlich nicht. Friedensbewegte hatten und haben die Entwicklung der letzten Jahre hin zum Krieg als Mittel der Politik, hin zur Akzeptanz von Gewalt und dem Recht des Stärkeren im Blick.
„Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Scheiße ist.“
Zeitenwende? Für viele von uns aber auch: ja. Wie durch ein Brennglas wird der Weg in die Gefahr noch deutlicher. Der ehemalige Schalke-Manager Rudi Assauer beschrieb das in seinem schnoddrigen Ruhrgebietsslang einmal so: „Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Scheiße ist.“ Und wie viel „Scheiße“ existiert!
Seine Verzweiflung drückt Udo Hegemann von der FI Nottuln, so aus – „Ein paar unsortierte Indizien für meine Verzweiflung“: „Es hat den Anschein, dass kaum jemand auf der Welt den Frieden jetzt will. Der Mainstream ist: Waffen und Kampfpanzer liefern (,Putin muss man es zeigen!‘). Man muss sich eine Verhandlungsposition erschießen. Russland muss niedergemacht werden. Konfrontation um jeden Preis. Das Thema polarisiert zunehmend: Konstruktive Diskussionen werden immer unmöglicher.“
Manfred Wewel aus Nottuln, der immer positiv nach vorne schaute, beschreibt das so: „Meine ganz persönliche Verzweiflung betrifft nicht nur den Angriffskrieg in der Ukraine. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht nur durch Kriege, Kolonialismus und Imperialismus Menschen getötet werden, sondern auch durch strukturelle Gewalt. Ich verzweifele an einer ökonomischen und politischen Weltordnung, die von Gewalt und Ideologie gekennzeichnet ist. Ich verzweifele an einer grundsätzlichen Haltung, die Gewalt mit Gegengewalt beantwortet. Ich verzweifele an Despoten. Ich verzweifele an gewählten Politiker, die ihre Wähler belügen. Ich verzweifele an einer Aufrüstung und an einer Vorstellung, dass militärische Gewalt zu Lösungen führen.“
Und Bernd Lieneweg vom Friedenskreis Senden: „Neben allem Elend ist auch die Klimakatastrophe als Folge des Kriegs nicht zu unterschätzen. Die Chancen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sind gleich null. Sogar Wiederaufbau zerstört wichtige Ressourcen. Man darf gar nicht darüber nachdenken. Ohne fürchterliche Folgen schaffen wir das nicht.“ Und weiter: „Die Friedensforschung geht davon aus, dass am Ende eines Krieges in der Ukraine dieselben Kompromisse stehen werden, die schon am Anfang im Raum standen. Dann aber nach noch mehr Zerstörung und Tod. Und vor allem: Sie belegt minutiös, dass die zentralen Argumente pro Krieg faktisch falsch sind. Mit keinem Wort werden die nicht wieder zu reparierenden Klimaschäden durch den Krieg erwähnt. Es gibt kein Bauholz mehr, es gibt keinen Zement mehr. Zudem kosten Krieg und Wiederaufbau immense Mengen an Energie. Es ist 10 nach 12, das 2-Grad-Ziel ist nicht mehr zu erreichen. Die Erde wird kippen. Auf diesem Auge scheint die Friedensbewegung blind zu sein. Putin und Selenskyj opfern die Erde.“
Der tägliche letzte TagesthemenSatz von Ingo Zamperoni „Bleiben Sie zuversichtlich!“ klingt da wie das Pfeifen im Walde.
Bisher galt immer für uns und für mich das Prinzip Hoffnung: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ (Vaclav Havel)
Bisher galt trotz alledem immer das Prinzip Zuversicht – im Sinne der Geschichte von den drei Fröschen, die allesamt unglücklicherweise in einen Topf voller Sahne fallen, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Der erste Frosch ist Pessimist: „Auweia! Jetzt sind wir verloren! Es gibt keine Rettung! Ich hab’s ja immer gewusst!“ Und tatsächlich – gluck, gluck, gluck – er taucht unter und ertrinkt. Ganz anders der Optimisten-Frosch. Als gäbe es keine Gefahr, grinst und verkündet frohgemut: „Keine Sorge, alles halb so wild! Alles wird gut! Wir werden gerettet werden!“ Und abwartend versinkt er schließlich und ertrinkt. Bleibt noch der dritte Frosch: „Echt schwierige Lage! Da bleibt mir wohl echt nichts übrig, als mich kräftig abzustrampeln!“ Sprach´s – und beginnt zu strampeln aus Leibeskräften. Und wenig später hat dieser Frosch butterweichen Boden unter den Füßen und kann sich mit einem Sprung aus dem Sahnetopf in die Freiheit retten.
Der Schauspieler Felix Kammerer, der in der Neuverfilmung des Romans „Im Westen nichts Neues“ die Hauptrolle spielt, antwortet auf die Frage der Westfälischen Nachrichten, ob er angesichts des Entwicklungen Angst vor den nahen Zukunft habe: „Ja, natürlich. Alle müssen Angst haben, und wer keine Angst hat, hat etwas nicht verstanden. Ich spreche nicht von einer lähmenden Angst, sondern von einer, die aufrüttelt und die Menschen dazu bringt, sich zu beteiligen. Frieden erhalten ist etwas sehr Aktives.“ Ob unsere Aktivitäten allerdings reichen? Das steht noch dahin!
Natürlich machen wir weiter! Wir bleiben wach und werden weiter an Brücken bauen. Aber die Verzweiflung war noch nie so groß und sie bleibt! Ebenso die Angst!
Robert Hülsbuch ist seit Jahrzehnten DFG-VK-Mitglied und war für eine Amtszeit auch Mitglied im BundessprecherInnenkreis. 1981 hat er die Friedensinitiative Nottuln mitgegründet und ist seitdem dort aktiv. Zuletzt beschrieb er in der ZivilCourage 2/2021 (Seite 12 f.), unter der Überschrift „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers: Wie Bundeswehr und KDV mein Leben ,reich‘ machten“.