![]() | Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
Pazifismus
Symposium in Erinnerung an Leben und Wirken des DFG-Mitgründers
Von David Scheuing

Am 4. Mai jährte sich der Todestag des Mitbegründers der Deutschen Friedensgesellschaft Alfred Hermann Fried zum hundertsten Mal. Zum Gedenken und um der Frage nachzugehen, welche Bedeutung sein Leben und Werk für Pazifist*innen auch 100 Jahre später noch haben kann, lud die Bertha-von-Suttner-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der DFG-VK, dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung und dem International Peace Bureau zu einer kleinen Gedenkveranstaltung.
Diese Veranstaltung war vom Impuls des früheren Mitglieds im DFG-VK-Bundesvorstand Wilfried Twachtmann ausgegangen, der in Zusammenarbeit mit dem internationalen Sprecher der DFG-VK Guido Grünewald dafür sorgte, dass Besucher*innen aus den USA, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Deutschland an der Veranstaltung teilnahmen. Wie so viele Veranstaltungen dieser Tage fand auch diese rein digital statt; und wie bei so vielen Veranstaltungen half das zwar der Internationalität, aber nicht unbedingt der Intensität des Austausches.
Zu 100 Jahren Fried´scher Gedanken sprachen bei der Veranstaltung die Fried-Biografin Petra Schönemann-
Behrens, der Historiker Guido Grünewald und der Verleger Helmut Donat. Jede*r von ihnen beleuchtete eine spezifische Facette des Lebens und Wirkens Alfred Frieds.
Petra Schönemann-Behrens setzte das bewegte Leben Frieds ins Zentrum und zeigte, wie eng er in der europäischen pazifistischen Bewegung um die vorletzte Jahrhundertwende eingebunden war, wie viele Kontakte er pflegte – zu Bertha von Suttner, zu schweizerischen Aktiven, zur deutschen Szene – und dass er (auf Anraten oder Drängen Suttners) durch seine Gründungsbeteiligung an der Deutschen Friedensgesellschaft 1892 aktiv war.
Guido Grünewald lieferte einen groben Überblick über das weite Feld der Tätigkeiten Frieds – vor allem der publizistischen, außerdem die Anknüpfung an neuere Publikationen in Frieds Geist: friedenswissenschaftliche Texte und Projekte zu global Governance, Friedensjournalismus.
Aus beiden Vorträgen wurde klar: Die Bedeutung des publizistischen Wirkens Frieds auf die Bewegung und die Formalisierung und Verstetigung ihrer Ziele darf nicht unterschätzt werden. Durch zentrale Organe wie nicht zuletzt die – 1899 vom späteren Friedensnobelpreisträger gegründete und bis heute kontinuierlich publizierte – Friedens-Warte wurden pazifistische Gedanken, Theorien und Praxiswissen mindestens deutschlandweit sichtbar und damit auch debattierbar.
Sein Bemühen auch um eine internationale Vernetzung und Etablierung des expliziten Friedensjournalismus scheiterten zur damaligen Zeit – im Angesicht jüngerer Gewalttaten (u.a. dem Genozid in Ruanda mit seiner expliziten Rolle des Rundfunks) wurden diese Bemühungen seit den 1990er Jahren aber wieder verstärkt. Dennoch bleiben diese Versuche stark von den Mitteln und Motiven der internationalen Entwicklungszusammenarbeit abhängig und sind wenig von Journalismus (und seinen Medienhäusern) und der Friedensbewegung gefördert – eine politisch wie inhaltlich ungute Verengung.
Den sehr persönlichen Auseinandersetzungen im Ersten Weltkrieg widmete sich Helmut Donats Blick auf das Feldtagebuch Frieds. Eingewoben in eine dichte Erzählung der Kriegsursachen und der Leichtigkeit, mit der die Staaten in den Krieg taumelten, schilderte Donat die Kriegserfahrungen Frieds, seine Beobachtungen zum intellektuellen und journalistischen Gleichtakt der Kriegsjahre („das Denken [ist] gleichsam auf dem Exerzierplatz eingeübt worden“) und seinen nahezu ohnmächtigen, aber oppositionellen Unglauben ob der Umstände dieses Krieges. Ein lesenswertes Zeugnis auch über 100 Jahre nach dem Ende dieses Krieges.
Mit Blick auf die bewegungsinternen Auseinandersetzungen kam auf dem Symposium nicht zum Ausdruck, inwieweit Frieds individuelles Wirken auch Einfluss auf die politische Linie der publizierten Werke hatte – inwieweit also eine stärker bürgerliche Ausrichtung (sozial, politisch, publizistisch) radikaleren Ansätzen, anarcho-pazifistischen oder der Arbeiterbewegung näherstehendere Ansätze antimilitaristischen Denkens dadurch eher unterbelichtet waren. Dennoch: der Nobelpreis ist unbestritten verdient gewesen – für Theorie wie Tat des rechtlichen Pazifismus.
Denn Fried begründete den „ursprünglichen“ oder „radikalen“ Pazifismus – seine Überlegungen für eine fundamental pazifistische Grundordnung der globalen Beziehungen. Dabei setzte er auf internationale Verrechtlichung, die Etablierung globaler Institutionen und die Entwicklung gemeinsamer Wertegrundlagen für diese Friedensorganisationen. Er setzte damit der eher emotionalen Abkehr vom Kriege ein rationalistisches Modell friedlicher Beziehungen entgegen.
Dabei bleibt aber die Rolle und Wirkung anderer ursächlich mit unfriedlichen Verhältnissen verknüpfter Tatsachen (Wirtschaftssysteme, politische Systeme, koloniale und postkoloniale Verhältnisse) weitestgehend außen vor – diesen Bruch zu thematisieren, zu kritisieren und schließlich zu überwinden, ist eine notwendige Herausforderung für die heutigen Generationen. Nur so kann eine wirklich gewaltfreie Konflikttransformation – und eine Transformation unfriedlicher Verhältnisse gleichermaßen (so möchte man ergänzen) – gelingen. Denn trotz aller größeren internationalen Verrechtlichungen und 75 Jahren Vereinter Nationen herrschen weltweit weiterhin keine friedlichen Verhältnisse.
Für solche zu sorgen, ist auch 100 Jahre nach Frieds Tod unsere gemeinsame Aufgabe – denn: „Den Frieden allein zu lieben, reicht nicht aus. Notwendig ist tatkräftiges Handeln, um den Frieden zu errichten.“ Mögen wir zu seinem 200. Todestag Besseres berichten können.
David Scheuing ist Vorsitzender der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK.
Auf der (neu gestalteten) Homepage der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK sind die Vorträge der Tagung von Petra Schönemann-Behrens, Guido Grünewald und Helmut Donat dokumentiert. Die Videos können abgerufen werden unter der Adresse: www.bertha-von-suttner-stiftung.de/?p=576