Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
DFG-VK-Info
Ein Konsensverfahren für den DFG-VK-Bundeskongress 2021
Von Olaf Maiwald, Manfred Diebold und Michael Sünner
Im Dezember 2019 stimmte der Bundesausschuss in Kassel für einen Antrag, der für den Bundeskongress 2021 ein Konsensverfahren zu etablieren vorsieht. Der Auftrag der daraus entstandenen Arbeitsgruppe ist klar: Für den Bundeskongress wird ein Verfahren entwickelt, die Antragsberatung als Konsensverfahren zu gestalten. Doch weshalb überhaupt ein Konsensverfahren? Wozu dient die Methode und was sind ihre Stärken? Dazu ein knapper Text zur Einführung.
Entscheidungsfindung auf dem Bundeskongress
Nach bisheriger Praxis nehmen die Delegierten bei Bundeskongressen oder Bundesausschusssitzungen Anträge an bzw. lehnen sie ab, indem sie mit Ja, Nein oder Enthaltung stimmen. Es zählt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen – egal was der „unterlegene“ Rest denkt. Mehrheitsentscheidungen hinterlassen bei der „unterlegenen“ Gruppe oft Unzufriedenheit und damit verbundene Zurückhaltung oder Gegnerschaft – das schlägt sich vor allem bei der Umsetzung der Entscheidungsinhalte nieder.
Auf das Problem der Mehrheitsentscheidungen wurden wir in der DFG-VK erneut aufmerksam, als ein Antrag zur politischen Positionierung des Verbandes gegenüber der AfD sehr heftig diskutiert wurde. Das Beratungs- und Antragsverfahren des Verbandes mit Änderungsanträgen und gestuftem Abstimmungsverfahren über diese Änderungsanträge berücksichtigt relativ wenig, worin die Hintergründe und damit verbundenen Interessen und Wünsche der jeweils anderen liegen. Oft können auch Anliegen nicht vollständig differenziert eingebracht werden.
So auch bei diesem Antrag: Er wurde mit einfacher Mehrheit abgelehnt, und es entstand dadurch eine heftige Gegnerschaft zwischen „Gewinner*innen“ und „Verlier*innen“ – trotz Entscheidung waren die Fronten verhärteter als vorher, und die Umsetzung des Beschlusses stand schnell infrage. So wurde dann auch ein Antrag zum gleichen Anliegen erneut angebracht und diesmal mehrheitlich befürwortet, führte aber auch dann wieder zu Unzufriedenheiten bei „Gewinner*innen“ und „Verlierer*innen“
Um hierfür Abhilfe zu schaffen wurde eine Arbeitsgruppe Konsens gebildet, die nach zwei DFG-VK-weit offenen Workshops zu Konsensmethoden in gemeinsamer Gruppenarbeit und vielen Videokonferenzen ein reduziertes und illustratives Vorgehen erarbeitete: Auf dem kommenden Bundeskongress sollen exemplarisch zwei Anträge im Konsensverfahren behandelt werden, so dass Wirkungsweisen und Nachhaltigkeit der getroffenen Entscheidungen auch für alle Delegierten sichtbar werden. Wir hoffen, auf künftigen Bundeskongressen den Anteil der zu konsensierenden Entscheidungen zu steigern.
Konsens finden als Methode.
„Konsensieren“ oder „Konsens zu finden“ bedeutet, spezifische Methoden zur Entscheidungsfindung in einer Gruppe anzuwenden, die dazu geeignet sind, tragfähige Lösungen mit größtmöglicher Akzeptanz in der gesamten Gruppe zu erlangen. Dabei erlauben es Methoden der Konsensfindung, zu Entscheidungen zu gelangen, ohne dass Einzelne faule Kompromisse eingehen müssen. Konsens muss dabei aber weder bedeuten, dass alle der gleichen Meinung sind, noch dass es keine Vorbehalte Einzelner zur Entscheidungsformulierung geben kann. Konsens soll also nicht als „Einheitsbrei“ missverstanden werden. Zum Einsatz kommt das Konsensieren nicht nur dann, wenn es einen Konflikt über ein Thema gibt, sondern auch wenn es darum geht, bei einem Entscheidungsprozess alle Beteiligten und Betroffenen mit einzubeziehen.
Konsensieren ist ein basisdemokratischer Ansatz in sozialen Bewegungen als Alternative zum Mehrheitsentscheid. Wir sind überzeugt, dass Konsensfindung ein wesentlicher Aspekt von gewaltfreier Auseinandersetzung über Inhalte im Verband sein kann und sich daher auch gerade für die Anwendung auf den zentralen Entscheidungsforen des Verbandes eignet.
Konsensverfahren: Die Idee des Konsensfischs
Doch Konsens bleibt abstrakt, wenn die Methoden nicht erklärt werden. Das wollen wir hier knapp versuchen. Zunächst mit dem Konsensfisch, der den idealen Verlauf einer Konsensberatung verbildlicht.
Der Konsensfisch ist eine Vorstellungshilfe für die Phasen des Konsensverfahrens – um ihn „zu lesen“, beginnt man am Schwanz.
Die Phase 1 beschreibt das Problem, das gelöst werden soll. Etwas allgemeiner formuliert: warum man sich der Sache widmen sollte und worum es geht. Der breite Schwanz eben, der sich verjüngt, indem eine möglichst präzise Fragestellung/Aufgabenstellung dafür gefunden werden sollte, die auch deutlich für alle visualisiert werden sollte, damit schon in der Anfangsphase keine Missverständnisse über nicht ausreichend kommunizierte Fragestellungen auftreten.
Die Phase 2 (der nun wieder breiter werdende Fischkörper bis zur Rückenflosse) ist die Spontanphase oder auch „Phase des Ideensammelns“.
Hier werden Interessen, Wünsche, Anforderungen, Bedürfnisse, Gedanken ausgesprochen und gesammelt – um so zu einer zukünftigen Lösung, die für alle tragbar ist, beizutragen.
In der Phase 3 werden Lösungsvorschläge entwickelt, „konvergierendes Denken“ ist gefragt. Dieser Phase geht eine „Stöhn“-Zone (Groan Zone) voraus, also Aufräumen, Einordnen, Gruppieren der Ideen – bildlich als zackige Rückenflosse dargestellt. Die vielen Ideen mit losen Enden aus Phase 2, sollen im folgenden wieder zusammengefasst werden sollen. Hier ist es wichtig, für Rückfragen an die Ideengeber*innen und zur Erläuterung der Positionen und Hintergründe genügend Zeit/Raum zu haben, um zu erfahren und zu verstehen, worum es den Befürworter*innen und den „Bedenkenträger*innen“ geht.
Die Phase 4 dient auf der Basis verschiedener Lösungsmöglichkeiten aus Phase 3 dem Herausarbeiten des Konsens, dem Sammeln und Entwickeln von Lösungen in Hinblick auf einen oder mehrere Konsensvorschläge: Wie können die losen Enden wieder verknüpft werden? Können weitere kreative Lösungen gefunden werden, die unterschiedliche Perspektiven mit einschließen? Es ist konvergierendes Denken gefragt, um zu einem möglichst gemeinsamen Punkt zu gelangen oder eine gemeinsame Schnittmenge zu finden.
Methoden: Systemisches Konsensieren oder Konsensstufen
Eine weitere Methode ist das „systemische“ Konsensieren, bei dem verschiedene Lösungsvarianten gemeinsam erstellt oder vorgestellt, besprochen und angepasst werden.
Zu diesen Lösungsvorschlägen werden dann im Abstimmungsverfahren die vorhandenen Widerstände der Delegierten festgestellt. Eine Option ist dabei immer auch die sogenannte Null-Lösung oder Passiv-Lösung: Es bleibt alles so, wie es ist.
Alle Lösungsvorschläge erhalten von jeder Beteiligten Widerstandspunkte, beispielsweise 0-10:
0 bedeutet dann volle Zustimmung oder kein Widerstand, 9 oder 10 dagegen sehr starke Ablehnung, höchster Widerstand, Veto.
Jede*r Delegierte nennt seine*ihre Widerstandswerte zu den jeweiligen Lösungsvorschlägen oder trägt sie auf einer Stimmkarte ein. Die Widerstandswerte werden in einer Kalkulationstabelle aufsummiert und das Ergebnis visualisiert.
Alternativ zu den Widerstandswerten können auch die 6 Konsensstufen genutzt werden (siehe Grafik oben): Vorbehaltlose Zustimmung, leichte Bedenken, schwere Bedenken, beiseitestehen, Enthaltung, Veto. Hier werden dann die gleichzeitig hochgehaltenen Konsenskarten mit der jeweiligen Konsensstufe eines Delegierten aufsummiert und das Ergebnis ebenfalls visualisiert.
Die spezifischen Abstimmungsausdrücke wie „Beiseite stehen“ (eine Entscheidung tolerieren, sie nicht blockieren, aber auch zum Ausdruck bringen, dass sie entweder für einen selbst belanglos ist, oder man sich an der Umsetzung nicht beteiligen wird) oder auch „leichte Bedenken“ (die eine Entscheidung tolerieren, aber sich ein anderes Ergebnis wünschen würden) können helfen, einen gefundenen Konsens immer weiter zu verfeinern, um so immer weiter zu einer tragfähigen Lösung zu reifen.
Mit diesen konkreten und weiteren Moderationsmethoden erhält die Entscheidungsgruppe ein Stimmungsbild: Gibt es einen oder mehrere Lösungsansätze oberhalb der Null-Lösung? Wo gibt es keine, leichte, starke oder sehr starke Widerstände Einzelner zu den Lösungsvorschlägen?
Zunächst wird jetzt nach den (Hinter-)Gründen, Motiven, Interessen, Erklärungen für „Widerstände“ oder „Bedenken“, „Beiseite-stehen“, „Enthaltung“ oder „Veto“ gefragt, so dass jede*r die Möglichkeit erhält, ihre*seine Position den anderen zu erläutern und die Positionen der anderen zu verstehen.
Bei ernsten Bedenken muss nachgefragt werden und diese durch Klärung abgebaut oder ein anderer Kompromissvorschlag gefunden werden. Hieraus können Veränderungen der Lösungsvorschläge entwickelt werden und in einer nächsten Runde erneut die Widerstände oder Konsensstufen abgefragt werden.
Es gibt kein Verfahren mit Erfolgsgarantie, es kann Rückschläge geben, dann muss gegebenenfalls zu einer früheren Phase wieder eingestiegen werden,
Durch gut moderierte Konsensverfahren oder solche, die selbständig von darin geübten Gruppen durchgeführt werden, können diese zu größerer Zufriedenheit mit den Ergebnissen führen als die einfachen Mehrheitsentscheidungen. Konsensverfahren schaffen weniger Gewinner*innen und Verlierer*innen, schaffen Verständnis für die anderen und suchen nach gemeinsamen Lösungen. Sie können aber Widerstände, Beiseitestehen, Enthaltungen und ein Veto nicht ausschließen, begegnen diesen Positionen aber mit Anerkennung und Respekt.
Konsens konkret: Bundeskongress 2021
Von der AG Konsens wurden zwei vorliegende Anträge zur Behandlung im Konsensverfahren für den DFG-VK-Bundeskongress vorgeschlagen und vom Bundesausschuss befürwortet, damit die Konsensmethoden beim Buko vorgestellt und diese Anträge im Konsensverfahren entschieden werden können anstelle des üblichen Mehrheitsverfahrens. Dafür wurde auch entsprechend mehr Zeit vorgesehen.
Um die gemeinsame Erfahrung mit dem Konsensverfahren beim Bundeskongress möglichst erfolgreich zu gestalten, haben wir für die Moderation mit den entsprechenden Hilfsmitteln/Tools zur schnelleren Auswertung der Widerstandswerte/Konsensstufen zwei erfahrene Menschen aus der Friedensbewegung gefunden: Sarah Fromm (hauptamtliche Mitarbeiterin der Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden [WfgA]), und Ulrich Wohland (Netzwerk ORKA [Organisation & Kampagnen] und WfgA) werden die Moderation für diesen Part beim Bundeskongress übernehmen.
Bei den beiden ausgewählten Anträgen handelt es sich um einen Antrag zur Mitgliedsbeitragserhöhung ab 2022 und um die Anträge zur Einsparung von Kosten bei der ZivilCourage durch die Internetversion in Verbindung mit einer Reduzierung der zu verschickenden Druckversion.
Olaf Maiwald, Manfred Diebold und Michael Sünner arbeiten in der AG Konsens mit.