Dieser Beitrag ist erschienen in der ZivilCourage 4/2021 |
Antimilitarismus
Die rechtliche und politische Lage nach dem Inkrafttreten des Vertrages
Von Roland Blach
Die Zahlen
Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) ist am 22. Januar 2021 in Kraft getreten, nachdem dem Abkommen 51 Staaten beigetreten sind. Weitere Beitritte werden erwartet: die Staaten, die unterzeichnet haben und im Prozess der Ratifizierung sind (weitere 37 Staaten), sowie die Staaten, die ihre Unterstützung bereits kundgetan haben (weitere 50).
Diese 138 Staaten stellen über 70 Prozent der Staaten weltweit dar – eine klare Mehrheit. Weitere 17 Staaten sind unentschieden, und 42 Staaten sind dagegen. Von diesen 42 Staaten sind 9 Atomwaffenstaaten und 32 solche, die unter dem sogenannten nuklearen Schirm stehen. Diese 32 Staaten sind besonders gefragt, weil sie laut Nichtverbreitungsvertrag (NVV) als Nicht-Atomwaffenstaaten gelten und sich damit dazu verpflichtet haben, auf Atomwaffen zu verzichten.
Die rechtliche Situation
Nach dem Inkrafttreten des AVV wird der Vertrag völkerrechtlich gültig. Damit kann man sagen, dass Atomwaffen nach internationalem Recht verboten sind. Allerdings sind die Bestimmungen des Vertrags zunächst nur für die Vertragsstaaten verbindlich. Nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge müssen auch Unterzeichnerstaaten, die noch nicht ratifiziert haben, die Bestimmungen einhalten. Alle Staaten, die den Vertrag noch nicht unterzeichnet haben, müssen das nicht.
Der Vertrag schafft durch das Inkrafttreten und die Beitritte vieler Staaten eine Norm. Atomwaffen werden dadurch immer mehr stigmatisiert. Das haben wir mit anderen Verbotsverträgen bereits erfahren, siehe den Landminen-Vertrag oder die B- und C-Waffenkonventionen.
Auch wenn Hersteller- oder Besitzerstaaten dem Vertrag nicht beitreten, wird es zunehmend schwierig, Atomwaffen zu rechtfertigen. Sie werden als „kontroverse“ Waffen bezeichnet – ein Begriff, der das Verhalten von Finanzinstituten und Firmen nachhaltig ändern kann.
Um zu verhindern, dass diese Norm zum Gewohnheitsrecht wird, müssen die Gegner des AVV ihren Widerstand immer wieder geschlossen öffentlich erklären („persistent objection“). Kürzlich erst hat die Nato eine solche Erklärung abgegeben. Deswegen ist es besonders wichtig, dass ein Dialog in der Nato über die Zukunft der Atomwaffenpolitik entsteht.
Dialog in der Nato
Im Nordatlantikvertrag gibt es keine Erwähnung von Atomwaffen – also ist es rechtlich nicht unerlässlich, dass die Nato eine „nukleare Allianz“ bleibt.
Das immer wiederholte Statement „Solange Atomwaffen existieren, bleibt die Nato eine nukleare Allianz“ kann auch anders herum verstanden werden: Solange die Nato eine nukleare Allianz bleibt, werden Atomwaffen weiterhin existieren. Das ist ein Teufelskreis.
Europa spielt eine Schlüsselrolle in der Blockade der Abschaffung von Atomwaffen, wenn man die weltweite Situation betrachtet. Afrika, Lateinamerika, Zentralasien und der Südpazifik sowie Teile Südostasiens bilden atomwaffenfreie Zonen. Hier findet man die meisten AVV-Unterstützerstaaten. Europa hat die meisten Gegnerstaaten, nicht zuletzt wegen der vielen Nato-Mitgliedsstaaten.
Deutschland hat oft erklärt, Rüstungskontrolle und Abrüstung in der Nato voranbringen zu wollen. Auch wenn die Bundesregierung sich nicht dazu in der Lage sieht, dem AVV beizutreten, kann sie einen Dialog über die nukleare Teilhabe und die künftige Rolle der Atomwaffen in der Nato anschieben.
Was kann Deutschland jetzt machen?
Die politischen Verhältnisse im Bundestag geben momentan keinen Beitritt zum AVV her. Aber der Weg kann noch geebnet werden, wenn die folgenden Maßnahmen unternommen werden:
● Deutschland könnte zunächst erklären, die Wahrnehmung über die Bedrohung durch nukleare Abschreckung, die die Mehrheit der Staaten teilt, anzuerkennen.
● Dabei kann die Bundesregierung versichern, dass Deutschland langfristig auf eine Sicherheitspolitik auf der Grundlage der nuklearen Abschreckung verzichten will, weil eine solche nicht nachhaltig ist.
● Die Verpflichtung aller Staaten unter Artikel VI des NVV, sich für die nukleare Abrüstung einzusetzen, wurde durch den Aktionsplan 2010 konkretisiert.
● Ein Aktionspunkt ist die Reduzierung der Rolle von Atomwaffen in der Atomwaffenpolitik von Staaten. Die Bundesregierung sollte einen Plan formulieren, wie dieser Aktionspunkt konkret in Deutschland verfolgt wird, besonders in Bezug auf die nukleare Teilhabe.
● Der öffentlich erklärte Widerstand der Bundesregierung gegen den AVV kann zurückgenommen werden, und die Bundesregierung kann prüfen, ob Deutschland dem Vertrag künftig beitreten kann und was dafür notwendig ist.
● Eine Teilnahme als Beobachterstaat an den Staatenkonferenzen zur Überprüfung des AVV würde den Dialog mit den AVV-Staaten ermöglichen.
Aktuelle Wirksamkeit des Vertrags
Der AVV wirkt sich seit dem 22. Januar 2021 noch stärker aus als zuvor, weil er dann Teil des Völkerrechts ist. Atomwaffen gehören damit zu der Klasse der „kontroversen“ Waffen. Der AVV hat die Abrüstungsdebatte bereits verändert und wird seine Wirkung mit dem Inkrafttreten weiter verstärken.
Seit dem Tag des Inkrafttretens ist der AVV für seine Vertragsstaaten verbindliches Recht und muss durch nationale Maßnahmen umgesetzt werden. Beispielsweise hat das irische Parlament bereits ein Gesetz verabschiedet, das jegliche unter dem Vertrag verbotene Aktivität unter Strafe stellt.
Bereits jetzt diskutieren Firmen und Finanzinstitute über den neuen Status von Atomwaffen durch den Verbotsvertrag. Firmen wie Airbus, MAN und Thyssen-Krupp sind im Atomwaffengeschäft involviert und können dadurch mehr in die Kritik geraten.
Die Finanzierung von Atomwaffen wird durch das Verbot der unterstützenden Tätigkeiten (Artikel 1 lit. e) mittelbar untersagt. Finanzinstitute und Banken in Vertragsstaaten können keine Kredite an Hersteller von Atomwaffen und Trägersystemen vergeben oder anderweitig in diese investieren.
Schon heute haben globale Banken ihre Richtlinien in Bezug auf Atomwaffen angepasst und dabei explizit auf den AVV verwiesen, auch in Staaten wie Deutschland, den Niederlanden und Belgien.
Das Tabu gegen den Einsatz von Atomwaffen wird mit dem AVV gestärkt. Das kann auf das Verhalten von Staaten, die noch nicht beigetreten sind, Auswirkungen haben.
Beispielsweise werden künftig explizite und implizite Drohungen mit Atomwaffen nicht ohne scharfe Kritik der Vertragsparteien ausgesprochen werden können. Die Strategie der nuklearen Abschreckung wird in bisher ungekanntem Ausmaß unter Rechtfertigungsdruck kommen.
Roland Blach ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Baden-Württemberg.